Entscheidungsstichwort (Thema)

Mangelhafte Sachaufklärung

 

Leitsatz (amtlich)

Diätpläne, die mittels eines Computers von einem an der Behandlung der Patienten nicht beteiligten Arzt erstellt werden, sind keine nach Nr 18 BMÄ '78 bzw E-GO abrechenbare Leistungen.

 

Orientierungssatz

Eine mangelhafte Sachaufklärung, also ein Verstoß gegen § 103 SGG liegt nur dann vor, wenn sich das Berufungsgericht aufgrund seiner Rechtsauffassung zu einer weiteren Sachaufklärung hätte gedrängt fühlen müssen.

 

Normenkette

BMÄ Nr 18 Fassung: 1978-03-21; E-GO Nr 18; SGG § 103

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Urteil vom 06.10.1982; Aktenzeichen L 5 Ka 26/81)

SG Hannover (Urteil vom 28.10.1981; Aktenzeichen S 10 Ka 36/81)

 

Tatbestand

Umstritten ist die Abrechnungsfähigkeit von Diätplänen nach Nr 18 des Bewertungsmaßstabes für kassenärztliche Leistungen vom 21. März 1978 (BMÄ '78).

Die Kläger sind als Ärzte für Allgemeinmedizin zur Kassenpraxis zugelassen. Sie üben die kassenärztliche Tätigkeit gemeinsam aus. Auf Überweisung anderer Ärzte erstellen sie mittels eines Computers Diätpläne für Patienten jener Ärzte. Gegenüber der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) machten sie eine Honorierung der Auftragsleistungen nach Nr 18 BMÄ '78 geltend, und zwar legten sie mit den Abrechnungen für das Quartal IV/1980 79 Aufträge, für das Quartal I/1981 42 Aufträge und für das Quartal II/1981 1 Auftrag vor. Die Beklagte lehnte die Abrechnung dieser Leistungen ab, weil die Voraussetzung der persönlichen Leistungserbringung nicht gegeben sei. Widerspruch, Klage und Berufung hatten keinen Erfolg.

Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt: Die von den Klägern erstellten Diätpläne erfüllten nicht den Leistungsansatz der Nr 18 BMÄ '78. Die Kläger hätten die überwiesenen Patienten nicht persönlich untersucht. Sie hätten lediglich die ihnen von den überweisenden Ärzten mitgeteilten Daten in den Computer eingegeben, der dann den vollständigen Diätplan ausgedruckt habe (es handele sich somit tatsächlich um Überweisungen an einen Computer). Die Nr 18 BMÄ '78 setze aber nach ihrem Wortlaut, Sinn und Zweck einen persönlichen Kontakt zwischen dem Kassenarzt und dem Patienten voraus. Sie erfasse nur den "individuellen, auf den Patienten abgestellten" Diätplan. Es müsse sich somit um einen Plan handeln, der die persönlichen Verhältnisse des einzelnen Patienten berücksichtigt, insbesondere die Art und Schwere der gesundheitlichen Beeinträchtigung, die psychische Einstellung des Patienten zur Diät sowie seine wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse. Es sei deshalb ein Gespräch zwischen dem den Diätplan aufstellenden Kassenarzt und dem Patienten unerläßlich.

Gegen das Berufungsurteil haben die Kläger Revision eingelegt. Zur Begründung tragen sie vor: Zunächst sei die Frage zu entscheiden, ob ein Arzt einen Diätplan für einen Patienten erstellen könne, ohne in persönlichen Kontakt zu dem Patienten zu treten. Dabei sei zu berücksichtigen, daß allein der überweisende Arzt beurteilen könne, welche Fragen vom Patienten beantwortet werden müssen. Die relevanten Informationen könnten an den Dritten abgegeben werden, der aufgrund seiner umfassenden Kenntnisse der Materie in der Lage sei, einen optimalen, individuellen, auf den Patienten abgestellten schriftlichen Diätplan zu erstellen. Die Entscheidung der weiteren Frage, ob der Arzt zur Erstellung des Diätplanes ein computerunterstütztes Verfahren einsetzen dürfe, hänge davon ab, ob die Anzahl der einzelnen Problemkreise, die eine optimale Betreuung des Patienten erfordern, begrenzt sei oder ob es eine unbegrenzte Zahl von Problemen gebe, die derartig individuell seien, daß ein Computerprogramm darüber nicht erstellt werden könne. Sollte es darauf ankommen, welche individuellen Kenntnisse nach welchen Programmen von den Klägern eingegeben worden seien, so hätte auf jeden Fall dem Beweisantritt des Einholens eines Sachverständigengutachtens nachgegangen werden müssen. Zur Frage der für die Erstellung eines Diätplanes relevanten Daten wäre mehr vorgetragen worden, wenn die Bedeutung, die das Berufungsgericht diesen Daten beigemessen habe, zu erkennen gewesen wäre. Schließlich sei zu beachten, daß die erbrachten Leistungen zu den "Allgemeinen Leistungen" gehörten, die, wie zB Nr 16c BMÄ '78, abgerechnet würden, ohne daß der Arzt den Patienten gesehen habe. Das Berufungsgericht hätte nicht dahinstehen lassen dürfen, ob die computergefertigten Pläne tatsächlich Diätpläne iS von Nr 18 BMÄ '78 seien oder nicht; wenn es sich um derartige Pläne handele, müßte eine entsprechende Abgeltung erfolgen.

Die Kläger beantragen, die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 6. Oktober 1982 und des Sozialgerichts Hannover vom 28. Oktober 1981 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. Januar 1981 idF des Beschlusses vom 12. Februar 1981 und die Bescheide der Beklagten vom 4. Mai 1981 und 26. August 1981 aufzuheben.

Die Beklagte und die Beigeladenen zu 2) bis 4) beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Die Beklagte wendet vor allem ein, daß es sich bei der in Nr 18 BMÄ '78 beschriebenen Leistung um eine aus dem Bereich der Therapie und nicht etwa um eine aus dem Bereich der Diagnostik handele, woraus sich zwanglos ergebe, daß die Leistung nur aufgrund eines persönlichen Kontaktes zum Patienten erbracht werden könne.

Der Beigeladene zu 1) hat sich am Verfahren nicht beteiligt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Kläger ist unbegründet. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf einem gerügten Verfahrensmangel und auch nicht auf einer unrichtigen Anwendung materiellen Rechts.

Die Kläger nennen keine Verfahrensvorschrift, die vom Landessozialgericht (LSG) verletzt worden wäre. Soweit sie rügen, das LSG hätte dem auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens gerichteten Beweisantritt nachgehen müssen, tragen sie nichts dazu vor, daß es auch nach der Rechtsauffassung des LSG auf diese Beweiserhebung angekommen wäre. Vielmehr halten sie selbst die Einholung des Gutachtens nur dann für erforderlich, wenn es darauf ankommen sollte, welche individuellen Kenntnisse nach welchen Programmen von den Klägern eingegeben worden seien. Eine mangelhafte Sachaufklärung, also ein Verstoß gegen § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) liegt nur dann vor, wenn sich das Berufungsgericht aufgrund seiner Rechtsauffassung zu einer weiteren Sachaufklärung hätte gedrängt fühlen müssen. Soweit die Kläger behaupten, sie hätten zur Frage der für die Erstellung eines Diätplanes relevanten Daten mehr vorgetragen, wenn die vom LSG diesen Daten beigemessene Bedeutung zu erkennen gewesen wäre, könnte daran gedacht werden, daß damit eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gerügt werden sollte (§§ 62, 128 Abs 2 SGG). Diese Rüge wäre aber ebenfalls nicht begründet, denn dem Revisionsvorbringen ist nicht zu entnehmen, welche Folgerungen sich aus einem weiteren Vortrag der Kläger ergeben hätten, inwiefern also das angefochtene Urteil auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs beruhen könnte.

Das LSG hat auch in der Sache zutreffend entschieden. Es hat die Abrechnungs-Nr 18 BMÄ '78 richtig angewandt. Es hat zu Recht angenommen, daß diese Abrechnungsnummer nach ihrem Wortlaut, Sinn und Zweck einen persönlichen Kontakt zwischen dem Kassenarzt und dem Patienten voraussetzt. Da ein solcher Kontakt bei den hier umstrittenen Auftragsleistungen nicht stattgefunden hat, ist die von der Beklagten vorgenommene Berichtigung der Abrechnungen des Klägers für die Quartale IV/1980 bis II/1981 nicht zu beanstanden.

Nach Nr 18 BMÄ '78 kann nur ein "individueller, auf den Patienten abgestellter schriftlicher Diätplan bei schweren Ernährungs- oder Stoffwechselstörungen" gesondert berechnet werden. Der Diätplan muß also auf eine Einzelperson abgestellt sein und der Behandlung von schweren Ernährungs- oder Stoffwechselstörungen dienen. Schon dies spricht dafür, daß es sich um eine therapeutische Leistung handelt, die von dem für die Behandlung - wenn eventuell auch nur in eingeschränktem Umfange - zuständigen Arzt erbracht wird. Zwar kann der zunächst um die Behandlung angegangene Arzt auf dem Wege der Überweisung weitere Ärzte hinzuziehen. Aber auch in diesen Fällen wird der hinzugezogene Arzt als behandelnder Arzt am Patienten tätig. Nach § 19 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ärzte) kann der Kassenarzt den Kranken zur Durchführung bestimmter ärztlicher Leistungen oder zur Weiterbehandlung einem anderen Arzt überweisen. Die Kläger wurden aber bei den hier umstrittenen Fällen weder mit einer Untersuchungsleistung noch mit einer Behandlungsmaßnahme betraut. Die Erstellung eines Diätplanes, die sich auf die Eingabe von übermittelten Daten in den Computer beschränkt, ist keine selbständige Behandlungsmaßnahme. Das gilt auch in gebührenrechtlicher Hinsicht. Mit Nr 18 BMÄ '78 wird nämlich in der Regel der Diätplan für den ganzen Behandlungsfall abgegolten. Ergibt sich während der Behandlung die Notwendigkeit, den Diätplan zu ändern, so fällt keine weitere Gebühr an. Die einmal angefallene Gebühr vergütet also nicht nur die einmalige Leistung der erstmaligen Erstellung eines Diätplanes, sondern alle Leistungen, die den Diätplan eines Behandlungsfalles betreffen, also auch jede Anpassung des Diätplanes an den veränderten Leidenszustand (Brück, Komm zum E-BMÄ, Stand: 1. Juli 1983, RdNr 21 zu BII 14-18). Die Beklagte folgert deshalb zu Recht aus dem therapeutischen Zweck des Diätplanes, daß die in Nr 18 BMÄ '78 beschriebene Leistung nur aufgrund eines persönlichen Kontaktes des Arztes mit dem Patienten erbracht werden kann.

Für diese Auslegung spricht auch die gebührenrechtliche Entwicklung, die zu der in Nr 18 BMÄ '78 getroffenen Regelung geführt hat. Vor Inkrafttreten der Gebührenordnung für Ärzte vom 18. März 1965 wurden die Diätanweisungen generell der allgemeinen Verpflichtung des Arztes zugeordnet, den Patienten über seinen Zustand und seine künftigen Verhaltensweisen zu belehren (Brück, Komm zur Preugo, 3. Aufl, Anm 4 zu § 6 der Allgemeinen Bestimmungen). Die Gebührenordnung für Ärzte (Bugo-Ärzte) vom 18. März 1965 (BGBl I 89) hat im Gebührenverzeichnis unter Nr 20 eine gesonderte Gebühr für einen individuell abgefaßten Heil- und Diätplan bei schweren Ernährungsstörungen von Säuglingen eingeführt. Die hier vorgenommene gebührenrechtliche Gleichstellung des Diätplanes mit dem Heilplan macht deutlich, daß sich auch die Gebühr für den Diätplan grundsätzlich auf den gesamten Behandlungsfall bezieht. Eine gesonderte Gebühr konnte zudem nur bei der Behandlung schwerer Ernährungsstörungen von Säuglingen in Ansatz gebracht werden. Dies wohl deshalb, weil hier der Heil- und Diätplan einen besonderen Aufwand des die Behandlung durchführenden Arztes bedingte. Sofern die Behandlung anderer Personen einen individuell abgefaßten Heil- und Diätplan erforderlich machte, war dieser mit der Beratungs- oder einer Sonderleistungsgebühr abgegolten (Wieglow/Roth, Die Kassenarztgebühren, 5. Aufl, Anm zu Nr 20 der Bugo-Ärzte). Es zeigt sich also, daß auch im Gebührenrecht der Diätplan stets im Zusammenhang mit der dazugehörigen Behandlung gesehen wurde. Daran hat sich nichts dadurch geändert, daß nun in Nr 18 BMÄ '78 auch bei der Behandlung von Erwachsenen Diätpläne abrechnungsfähig sein können.

EDV-mäßig erstellte Diätpläne entsprechen daher nicht dem Leistungsansatz der Nr 18 BMÄ '78, wenn sie von einem Arzt erstellt werden, der sonst in keiner Weise an der Behandlung des Patienten beteiligt ist, insbesondere also, wenn zwischen dem Arzt und dem Patienten kein persönlicher Kontakt bestanden hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Breith. 1984, 750

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