Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiederzulassung als Kassenarzt. Eignung

 

Orientierungssatz

Die Wiederzulassung als Kassenarzt verlangt die Eignung als Kassenarzt (§ 21 ZO-Ärzte). Hat ein Arzt sich in der Vergangenheit als ungeeignet für die kassenärztliche Tätigkeit erwiesen, so läßt dies in der Regel auch auf seine fehlende Eignung in der Zukunft schließen.

 

Normenkette

ZO-Ärzte § 21; RVO § 368a

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 02.11.1981; Aktenzeichen L 6 Ka 9/80)

SG Kiel (Entscheidung vom 26.11.1980; Aktenzeichen S 8 Ka 8/80)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Zulassung des Klägers als Kassenarzt in E.

Der im Jahre 1942 geborene Kläger ist Facharzt für Augenheilkunde. Seit Mai 1974 war er in Hamburg als Kassenarzt zugelassen und als Vertragsarzt beteiligt. Er war Geschäftsführer der Firma "V", an der seine Ehefrau als Gesellschafterin beteiligt ist; Betriebsleiter der Firma war der Optikermeister B.

Durch Beschluß vom 4. September 1978 hat ihm der Zulassungsausschuß für Ärzte in Hamburg die Zulassung mit der Begründung entzogen, er habe seine Pflichten als Kassenarzt gröblich verletzt (§ 368a Abs 6 Reichsversicherungsordnung -RVO-; § 27 Zulassungsordnung für Kassenärzte -ZO-Ärzte-). Der Berufungsausschuß für Ärzte in Hamburg hat den Widerspruch durch Beschluß vom 23. Mai 1979 zurückgewiesen.

Hierzu wurde ausgeführt: Der Kassenarzt habe in den Quartalen I, II, III/77 und I/78 Leistungen als ärztliche Leistungen abgerechnet, die er von seinen (nicht-ärztlichen) Hilfskräften während der Zeit seiner gemeldeten Abwesenheit ohne ärztliche Aufsicht habe ausführen lassen. Auf diese Weise sei ein ganz wesentlicher Teil der augenärztlichen Diagnostik ohne ärztliche Mitwirkung von nichtärztlichen Hilfskräften praktiziert worden (Beratungen, eingehende, das gewöhnliche Maß übersteigende Untersuchungen, subjektive und objektive Refraktionsbestimmungen, Untersuchungen auf Heterophorie/Strabismus, binokulares Sehen, Spaltlampenmikroskopie, Tonometrie, Orthoptik/Pleoptik und Prüfung von Kontaktlinsen). Als weitere gröbliche Pflichtverletzung sei es anzusehen, daß der Kassenarzt Brillenverordnungen von dem angestellten Optikermeister B habe unterschreiben lassen. Allein für das Quartal I/1978 lägen 41 von dem Optikermeister unterzeichnete Brillenrezepte vor, wovon 34 außerhalb der Urlaubszeit des Kassenarztes ausgestellt worden seien. Dr. K. habe dem Optiker blanco unterschriebene Verordnungsblätter zur Verfügung gestellt; wenn diese nicht ausreichten, habe der Optiker die Brillenrezepte selbst unterschrieben. Sei schon durch die Häufung dieser gröblichen Verletzungen wichtiger kassenärztlicher Pflichten das Vertrauen der Kassen und der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) zu Dr. K. auf das schwerste gestört, so komme hinzu, daß er die geschilderten Tatbestände weitgehend bis zum Beweis des Gegenteils bestritten habe. Erschwerend wirke sich weiter aus, daß er noch während des schwebenden Verwaltungsverfahrens bei der Abrechnung des Quartals I/1979 4 ärztliche Beratungen habe ausführen lassen, obwohl er in der angegebenen Zeit in Urlaub gewesen sei. Im übrigen sei Dr. K. bereits im Sommer 1977 - aufgrund der Beschwerde eines Patienten - auf die Verpflichtung zur persönlichen Ausübung der Kassenarztpraxis hingewiesen worden.

Aus denselben Gründen hat die Berufungskommission - durch Beschluß vom 16. Mai 1979 - den Widerspruch gegen den Entziehungsbescheid der Beteiligungskommission vom 30. Oktober 1978 zurückgewiesen.

Beide beim Sozialgericht (SG) Hamburg wegen der Entziehungen anhängig gewesenen Rechtsstreitigkeiten wurden in der Hauptsache für erledigt erklärt, nachdem der Kläger mit Schreiben vom 29. Dezember 1979 unter Hinweis auf einen Wohnsitzwechsel auf seine Zulassung in Hamburg verzichtet hatte.

Den Antrag des Klägers, ihn ab 1. Dezember 1979 in E. als Kassenarzt zuzulassen, hat der Zulassungsausschuß für Ärzte in Schleswig-Holstein durch Beschluß vom 7. November 1979 unter Hinweis auf die in dem Entziehungsverfahren getroffenen Feststellungen abgelehnt. Durch Beschluß vom 25. Februar 1980 hat der Berufungsausschuß den Widerspruch zurückgewiesen. Klage und Berufung hatten keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat in seinem Urteil vom 2. November 1981 folgendes ausgeführt:

Die rechtlichen Voraussetzungen der Zulassungsentziehungen und der Ablehnung der Neuzulassung seien identisch, und die Frage der Eignung als Kassenarzt könne nicht auf den örtlichen Bereich einer KÄV beschränkt werden. Die für die KÄV Hamburg maßgeblich gewesenen Entziehungsgründe hätten dann auch von der KÄV Schleswig-Holstein verwertet werden dürfen. Der Kläger sei als Kassenarzt ungeeignet. Er habe, obwohl er vom 28. März bis 15. April 1977, 8. bis 22. August 1977, 13. März bis 7. April 1978, 5. bis 12. Mai 1978, 15. Januar bis 3. Februar 1979 nach seinen eigenen Abwesenheitsanzeigen in Urlaub gewesen sei, in den entsprechenden 6 Quartalen (I, II, III/77; I, II/78; I/79) - wie sich aus den Krankenscheinen ergebe - insgesamt 180 mal die Gebührenposition "Beratung" und zusätzlich 48 mal die Position "Eingehende, das gewöhnliche Maß übersteigende Untersuchung" geltend gemacht. Das Vorbringen des Klägers, er habe angeordnet gehabt, daß die Patienten in derartigen Fällen später zu einer Untersuchung durch ihn selbst umbestellt werden, liege neben der Sache, ganz abgesehen davon, daß derartige Untersuchungen entweder nicht stattgefunden hätten oder vom Kläger erneut gebührenmäßig berechnet worden seien, wodurch der Nachweis der Falschabrechnungen sogar erhärtet worden sei. Es gehöre zu den unverzichtbaren Voraussetzungen eines funktionierenden kassenärztlichen Systems, daß die KÄV und die Kassen auf die die Abrechnungsgrundlage bildende kassenärztliche Darstellung des Behandlungsfalles vertrauen könnten; eine begleitende Kontrolle sei praktisch nicht möglich. Werde dieses Vertrauen in derart massiver Weise wie hier erschüttert, so erweise sich der Kassenarzt als ungeeignet. Da es sich nicht um einen Einzelfall handele, sondern um ein umfangreiches Fehlverhalten, das sich über mehrere Quartale erstrecke und das auch noch während des Entziehungsverfahrens im Quartal I/79 in mindestens 3 Fällen fortgesetzt worden sei, sei die Pflichtverletzung auch als gröblich anzusehen, zumal der Kläger in einem gleichgelagerten Falle schon durch die Schreiben der Ärztekammer Hamburg vom 19. August 1977 und der KÄV Hamburg vom 11. August 1977 ausdrücklich auf die Rechtswidrigkeit dieses Verhaltens hingewiesen worden sei. Das Vorbringen des Klägers, er habe den Betrieb der "K" aufgegeben und den Optikermeister B entlassen, führe zu keinem anderen Ergebnis. Für die Entscheidung sei auf die Sachlage zum Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsausschusses, nicht des Berufungsgerichts abzustellen. Selbst wenn man aber vom gegenteiligen Standpunkt ausgehe, ergebe sich nichts anderes. Es lasse sich nicht feststellen, daß der Kläger seine negative Einstellung zur kassenärztlichen Pflicht der persönlichen ärztlichen Leistungserbringung aufgegeben oder auch neu ernsthaft überprüft habe. Eher sei das Gegenteil anzunehmen, da der Kläger sein Verhalten, das er überwiegend bis zum lückenlosen Nachweis bestritten und dessen Konsequenzen er bagatellisiert habe, bis zuletzt zu rechtfertigen versucht habe. Der bloße Zeitablauf von weniger als zwei Jahren seit der Anordnung der Vollziehung der Zulassungsentziehung durch Beschluß des SG Hamburg vom 22. November 1979 (gemäß § 97 Abs 3 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) lasse angesichts der Nachhaltigkeit seiner Pflichtverletzungen noch nicht den Schluß auf eine wiedergewonnene Eignung zu. Die Versagung der Zulassung sei auch nicht als unverhältnismäßig anzusehen, zumal der Kläger sein pflichtwidriges Verhalten trotz schriftlicher Abmahnung fortgesetzt habe.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers. Er rügt die Verletzung materiellen - § 21 ZO-Ä, § 368a RVO - und formellen Rechts. Im einzelnen wird vorgetragen: 1. Das LSG habe gegen § 128 Abs 1 SGG dadurch verstoßen, daß es bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit die Schreiben der Ärztekammer vom 19. August 1977 und der KÄV Hamburg vom 11. August 1977 herangezogen habe. Bei richtiger Wertung dieser Schreiben hätte das LSG nicht die Ansicht vertreten können, andere Maßnahmen als die Entziehung hätten nicht zur Verfügung gestanden. 2. Ein weiterer Verstoß gegen § 128 Abs 1 SGG liege darin, daß das LSG festgestellt habe, er - der Kläger - habe sein pflichtwidriges Verhalten bis in das Berufungsverfahren hinein zu rechtfertigen versucht. Sein am 29. April 1981 - während des Berufungsverfahrens - veröffentlichter Leserbrief könne nicht die Vermutung rechtfertigen, er habe seine bisherige Einstellung nicht einmal ernsthaft überprüft. Nachdem sein jetziger Prozeßbevollmächtigter die Vertretung in der Berufungsinstanz übernommen habe, habe er - der Kläger - sein Fehlverhalten eingesehen und sei bereit gewesen, eine entsprechende Erklärung abzugeben. Wenn der vormalige Prozeßbevollmächtigte keine solchen Erklärungen abgegeben haben sollte, so könne dies nicht ihm - dem Kläger - angelastet werden. 3. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit hätte das LSG auch berücksichtigen müssen, daß die Entziehung bzw Versagung ihn in einem für die berufliche Entwicklung entscheidenden Alter traf; es habe auch nicht die Tatsache hinreichend gewürdigt, daß er bereit gewesen sei, seine gutsituierte Hamburger Praxis aufzugeben und eine neue Praxis in E zu gründen, um damit einen neuen Anfang zu machen. 4. Das LSG habe verkannt, daß für die (Wieder-)Zulassung der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgebend sei. 5. Die Feststellung des LSG, das SG Hamburg habe die sofortige Vollziehung der Entziehung rechtskräftig angeordnet, sei unzutreffend. Nachdem das Beschwerdeverfahren für erledigt erklärt worden sei, sei der angefochtene Beschluß nicht rechtskräftig, sondern gegenstandslos geworden. Auch hinsichtlich dieser Feststellungen habe das LSG gegen § 128 Abs 1 SGG verstoßen. Soweit er - der Kläger - eine Verletzung des § 128 Abs 1 SGG gerügt habe, seien die Grenzen der freien Beweiswürdigung verfahrensfehlerhaft nicht beachtet worden.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 2. November 1981 - L 6 Ka 9/80 - sowie das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 26. November 1980 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide vom 7. November 1979 und 25. Februar 1980 zu verpflichten, dem Kläger die Zulassung zur Kassenarztpraxis als Arzt für Augenheilkunde für E. zu erteilen, hilfsweise: den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht zurückzuweisen.

Der Beklagte sowie die Beigeladenen Ziffer 1) und 2) beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet.

1. Soweit der Kläger die Würdigung bzw Nichtwürdigung bestimmter Tatsachen durch das Berufungsgericht rügt (daß das LSG nämlich ein Schreiben der Ärztekammer Hamburg und ein Schreiben der KÄV Hamburg als Pflichthinweis und Warnung angesehen, seinen Leserbrief vom 29. April 1981 und sein Gesamtverhalten als Zeichen fehlender Einsicht aufgefaßt sowie sein Alter und seine Praxisaufgabe in Hamburg nicht berücksichtigt habe) hat er zwar vorgetragen, das LSG habe die Grenzen der freien Beweiswürdigung nicht beachtet. Er hat jedoch, was für die Erfüllung des Formerfordernisses des § 164 Abs 2 Satz 1 und 3 SGG, nämlich für eine ausreichende Begründung notwendig gewesen wäre (BSG SozR Nr 47 zu § 164 SGG; Meyer-Ladewig, SGG mit Erläuterungen, 2. Aufl 1981, RdNr 12 zu § 164) nicht dargetan, inwieweit damit gegen Denkgesetze bzw gegen allgemeine Erfahrungssätze verstoßen und daher der Rahmen freier richterlicher Überzeugung (§ 128 Abs 1 SGG) verlassen worden sein soll. Im übrigen enthält die Revisionsbegründung aber auch keine Ausführungen darüber, inwieweit das Berufungsgericht bei den genannten Würdigungen gegen Rechtssätze oder sonstige allgemeine Rechtsregeln verstoßen, also einen grundsätzlichen - der Revision zugänglichen - Fehler gemacht haben soll, ganz abgesehen davon, daß solche Verstöße auch nicht ersichtlich sind. 2. Das LSG hat bei der Anwendung des § 21 ZO-Ä rechtsfehlerfrei entschieden. Nach dieser Vorschrift ist die Versagung der Zulassung als Kassenarzt ua beim Vorliegen schwerwiegender persönlicher Mängel möglich. Eine solche Versagung ist nur zulässig, wenn die in der Person des Arztes liegenden Mängel so beschaffen sind, daß sie die Funktionsfähigkeit des Systems der kassenärztlichen Versorgung gefährden können (vgl dazu Urteil des Senats vom 8. Juli 1980 - 6 RKa 10/78 - bestätigt durch Beschluß des BVerfG vom 5. September 1980 - 1 BvR 727/80 - und vom 8. Juli 1981 - 6 RKa 17/80 - USK 81172). Dies ist einerseits der Fall, wenn der Arzt nicht willens oder in der Lage ist, die Versicherten sachgemäß zu behandeln, andererseits auch dann, wenn er durch sein Verhalten das zur reibungslosen Durchführung der kassenärztlichen Versorgung als Verwaltungsaufgabe notwendige Vertrauensverhältnis gegenüber den Organen der kassenärztlichen Selbstverwaltung so grob gestört hat, daß diesen eine weitere Zusammenarbeit mit ihm nicht zugemutet werden kann (vgl BSGE 15, 177, 183; 34, 252, 254; Urteil vom 8. Juli 1980 aaO). Diese Grundsätze hat der Senat in ständiger Rechtsprechung zum Entzug der Zulassung wegen gröblicher Pflichtverletzung nach § 368a Abs 3 RVO entwickelt. Dabei ist er davon ausgegangen, daß ein solches Verhalten des Kassenarztes die fehlende Eignung zur Fortführung der kassenärztlichen Tätigkeit ergebe, was Voraussetzung für die Entziehung sei (vgl BSGE 15, 177, 182, 183; SozR Nr 23 zu § 368a RVO; BSGE 34, 252, 53f; 43, 250, 252; Urteil vom 8. Juli 1980 aa0). In gleicher Weise müssen, wie der Senat in dem obengenannten Urteil vom 8. Juli 1981 zum Ausdruck gebracht hat, diese Grundsätze deshalb bei der Wiederzulassung gelten. Denn diese verlangt die Eignung als Kassenarzt (§ 21 ZO-Ä). Hat ein Arzt sich in der Vergangenheit als ungeeignet für die kassenärztliche Tätigkeit erwiesen, so läßt dies in der Regel auch auf seine fehlende Eignung in der Zukunft schließen. Soweit der Kläger vorträgt, das LSG habe den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verkannt, da es keine weniger einschneidende Mittel in Erwägung gezogen habe, hat er übersehen, daß es hier nicht um die Entziehung der Zulassung geht. Aber auch mit seinem Vorbringen, das LSG habe verkannt, daß für die Zulassung der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgebend sei, vermag er nicht durchzudringen. Das LSG hatte zwar zunächst eine andere Ansicht geäußert, dann aber ausführlich begründet, daß auch beim Abstellen auf den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die Nichteignung des Klägers festzustellen sei. Daß es dabei rechtsfehlerhaft vorgegangen sei, ist nicht ersichtlich.

Die Revision konnte daher keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1662410

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