Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensanrechnung bei nichterwerbstätigen Erziehungsgeldberechtigten
Leitsatz (amtlich)
Ist der Erziehungsgeldberechtigte ab dem siebten Lebensmonat des Kindes nicht erwerbstätig, werden von seinem Einkommen nur die Einkünfte aus selbständiger und unselbständiger Arbeit im vorletzten Kalenderjahr vor der Geburt von Amts wegen nicht angerechnet.
Normenkette
BErzGG § 5 Abs 2 S 1, § 5 Abs 2 S 3, § 6 Abs 1 S 1; EStG § 2 Abs 1 Nr 1; EStG § 2 Abs 1 Nr 2; EStG § 2 Abs 1 Nr 5; EStG § 2 Abs 1 Nr 6; EStG § 2 Abs 1 Nr 7; EStG § 2 Abs 2
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 16.03.1990; Aktenzeichen L 6 Eg 4/89) |
SG Speyer (Entscheidung vom 06.09.1989; Aktenzeichen S 9 Eg 6/88) |
Tatbestand
Streitig ist die Höhe des Bundeserziehungsgeldes ab Beginn des siebten Lebensmonats des Kindes.
Die verheiratete Klägerin, von Beruf Fabrikarbeiterin, gebar am 18. Mai 1988 ihre Tochter Carolin. Bis zum 17. Mai 1989 nahm sie Erziehungsurlaub. Sie erhielt von der Deutschen Angestellten-Krankenkasse Mutterschaftsgeld vom 24. April 1988 bis zum 13. Juli 1988. Auf ihren Antrag vom 13. Juni 1988, mit dem sie den Einkommensteuerbescheid ihres Ehemannes für das Jahr 1986 vorlegte, bewilligte ihr das beklagte Land Erziehungsgeld nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) bis zum 17. November 1988, berechnet nach dem gesetzlichen Monatsbetrag von 600,- DM, und vom 18. November 1988 bis zum 17. Mai 1989 in Höhe von monatlich 458,- DM (Bescheid vom 28. Juni 1988). Für den letztgenannten Zeitraum rechnete das Land Einkommen des Ehemannes der Klägerin, der von ihr nicht dauernd getrennt lebt, in Höhe von monatlich 142,- DM an. Die Klägerin hatte in dieser Zeit kein Erwerbseinkommen. Den Widerspruch der Klägerin, die ua die Anrechnung eines geringeren Betrages begehrte, wies das beklagte Land durch Widerspruchsbescheid vom 28. Oktober 1988 zurück.
Klage und die - vom Sozialgericht (SG) zugelassene - Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des SG Speyer vom 6. September 1989; Urteil des Landessozialgerichts -LSG- Rheinland-Pfalz vom 16. März 1990). Nach Auffassung des LSG verstößt die Minderung des Erziehungsgeldes wegen Anrechnung des Einkommens des Ehemannes nach § 5 Abs 2 bis 4 iVm § 6 BErzGG nicht gegen Art 6 Abs 1 und 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG). Es sei verfassungsrechtlich nicht geboten, daß Verheiratete immer gleichviel erhielten wie Ledige.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Klägerin, es verstoße gegen die Pflicht zum Schutz der Ehe aus Art 6 Abs 1 GG und gegen das Willkürverbot des Art 3 Abs 1 GG, daß in Haushaltsgemeinschaft lebende Eheleute durch die Einkommensanrechnung schlechter gestellt seien als nichteheliche Lebensgemeinschaften, bei denen das Einkommen des nicht berechtigten Partners nicht angerechnet und deswegen der Erziehungsgeldanspruch des Berechtigten nicht gemindert werde. Dies sei ein Hinderungsgrund für eine Eheschließung, widerspreche den Gerechtigkeitsvorstellungen der Gesellschaft und der vom BErzGG betroffenen Bevölkerungsteile, fördere entgegen Art 6 Abs 1 GG die Fortführung einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft und benachteilige insbesondere junge Familien. Diese Diskriminierung werde durch die Argumente in der Begründung der Gesetzesvorlage nicht gerechtfertigt.
Die Klägerin beantragt,
"1. die Urteile des Sozialgerichts Speyer vom 6. September 1989
sowie des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 16. März 1990 sowie die Bescheide vom 28. Juni 1988 und 28. Oktober 1988 aufzuheben,
2.
den Beklagten zu verurteilen, das Erziehungsgeld für die Tochter Carolin im Zeitraum vom 18. November 1988 bis zum 17. Mai 1989 ungekürzt zu zahlen", hilfsweise, das Verfahren auszusetzen und den Rechtsstreit nach Art 100 Abs 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen."
Das beklagte Land beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Es hält das angefochtene Urteil für zutreffend und die Anrechnungsbestimmungen für mit dem GG vereinbar.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Klägerin ist iS der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG). Die Feststellungen des Berufungsgerichts über das Einkommen der Klägerin reichen weder für eine abschließende Entscheidung in der Sache noch für die Beurteilung der Frage aus, ob es iS von Art 100 Abs 1 GG auf die - zwischen den Beteiligten umstrittene - Verfassungsmäßigkeit der Anrechnung des Einkommens des nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten ankommt.
Die Klägerin hat - worüber die Beteiligten nicht streiten - dem Grunde nach Anspruch auf Erziehungsgeld (auch) für die Zeit vom 18. November 1988 bis zum 17. Mai 1989: Sie hatte in diesem Zeitraum ihren Wohnsitz im Geltungsbereich des BErzGG, lebte mit dem Kind, für das ihr die Personensorge zustand, in einem Haushalt, betreute und erzog es selbst und übte keine Erwerbstätigkeit aus, sondern hatte Erziehungsurlaub (§ 1 Abs 1 Nrn 1 bis 4 BErzGG idF vom 6. Dezember 1985 - BGBl I S 2154). Erziehungsgeld wird für Kinder, die nach dem 31. Dezember 1987 (aber vor dem 1. Juli 1989 - § 4 Abs 1 Satz 2 BErzGG idF der Bekanntmachung vom 25. Juli 1989 - BGBl I S 1550) geboren sind, vom Tag der Geburt bis zur Vollendung des 12. Lebensmonats gewährt (§ 4 Abs 1 BErzGG idF vom 6. Dezember 1985, aa0). Gemäß § 5 Abs 1 BErzGG beträgt das Erziehungsgeld 600,- DM monatlich. Auf dieser Grundlage ist der Klägerin Erziehungsgeld bis zum Ende des sechsten Lebensmonats (17. November 1988) ihrer Tochter gezahlt worden.
Die tatsächlichen Feststellungen des LSG reichen jedoch nicht aus zu beurteilen, ob das beklagte Land befugt war, der Klägerin Erziehungsgeld ab Beginn des siebten Lebensmonats ihrer Tochter, dh seit dem 18. November 1988, nur in Höhe von 458,- DM zu gewähren:
Nach § 5 Abs 2 Satz 1 BErzGG wird das Erziehungsgeld vom Beginn des siebten Lebensmonats an gemindert, wenn das Einkommen nach § 6 BErzGG bei Verheirateten, die von ihrem Ehegatten nicht dauernd getrennt leben, 29.400,- DM und bei anderen Berechtigten 23.700,- DM übersteigt. Satz 2 aa0, nach dem diese Beträge sich um 4.200,- DM für jedes weitere zu berücksichtigende Kind erhöhen, ist nicht anzuwenden, weil die Klägerin und ihr Ehemann nur ein Kind haben. Nach § 5 Abs 3 mindert sich das Erziehungsgeld um den zwölften Teil von 40 von Hundert des die vorgenannten Grenzen übersteigenden Einkommens (§ 6), so daß jedenfalls (vgl § 5 Abs 4 Satz 3 aaO) kein Erziehungsgeld zu zahlen ist, wenn das anzurechnende Einkommen die maßgebliche Einkommensgrenze um mindestens 18.000,-- DM übersteigt.
Maßgeblich dafür, ob das Erziehungsgeld zu mindern ist, sind nach Abs 2 Satz 3 aa0 grundsätzlich die Verhältnisse am Beginn des siebten Lebensmonats. Zu diesem Zeitpunkt hat die Klägerin - wie das LSG für den Senat bindend (§ 163 SGG) festgestellt hat - mit ihrem Ehemann in Haushaltsgemeinschaft, also nicht dauernd von ihm getrennt gelebt; dessen "Einkommen nach § 6" betrug im Jahr 1986 33.666,76 DM, überstieg also den Grenzwert von 29.400,-DM um 4.266,76 DM; die Klägerin selbst war in der Zeit vom 18. November 1988 bis zum 17. Mai 1989 nicht erwerbstätig. Hiermit hat das LSG aus folgenden Gründen keine ausreichenden Feststellungen über das anzurechnende Einkommen getroffen:
Nach § 6 Abs 1 Satz 1 BErzGG "gilt" als Einkommen die Summe der im vorletzten Kalenderjahr "vor der Geburt" (hier: im Jahr 1986) erzielten positiven Einkünfte iS des § 2 Abs 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) des Berechtigten und seines nicht dauernd von ihm getrennt lebenden Ehegatten, und zwar so, wie sie der Besteuerung zugrunde gelegt worden sind. Ist jedoch der Berechtigte - wie hier die Klägerin - in der Zeit, in der das Erziehungsgeld einkommensabhängig ist, nicht erwerbstätig, bleiben - nur - sein im vorletzten Kalenderjahr vor der Geburt erzieltes "Erwerbseinkommen" (§ 2 Abs 1 Nrn 3 und 4 EStG) und die darauf entfallende Einkommen- und Kirchensteuer unberücksichtigt (§ 6 Abs 3 BErzGG). Andere Einkünfte iS von § 2 Abs 1 und 2 EStG sind hingegen als Einkommen iS von § 6 BErzGG anzurechnen.
Dies rechtfertigt sich daraus, daß § 6 BErzGG aus auf der Hand liegenden Gründen der Verwaltungsvereinfachung und schneller Leistungsbewirkung (§ 17 Abs 1 Nr 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB I) die Behörden grundsätzlich davon entbindet, die Einkommensverhältnisse "am Beginn des siebten Lebensmonats" (§ 5 Abs 2 Satz 3 BErzGG) eigenständig zu ermitteln. Dazu fingiert die Vorschrift, das Jahreseinkommen in dem Kalenderjahr, in dem der siebte Lebensmonat beginnt, stimme mit den von der Steuerbehörde festgestellten Einkünften im vorletzten Kalenderjahr vor der Geburt des Kindes überein. Um aber zu ermöglichen, daß die wirklichen Verhältnisse am Beginn des siebten Lebensmonats ohne unzumutbaren Verwaltungsaufwand berücksichtigt werden, wenn dies für den Berechtigten günstiger ist, legt es § 6 Abs 4 BErzGG in dessen Hand, durch einen Antrag das Erziehungsgeld von vornherein nach dem Einkommen des an sich "maßgeblichen" (§ 5 Abs 3 Satz 3 BErzGG) Kalenderjahres - wenn auch zunächst nur durch einstweiligen Verwaltungsakt (§ 6 Abs 4 Satz 2 BErzGG idF vom 12. Dezember 1985 = Satz 3 aa0 idF der Bekanntmachung vom 25. Juli 1989; zum einstweiligen Verwaltungsakt vgl Urteile des erkennenden Senats vom 28. Juni 1990 - 4 RA 57/89 - und vom 28. November 1990 - 4 RLw 5/90 -, beide zur Veröffentlichung vorgesehen) - festsetzen zu lassen. Eine derartige Verlagerung der Ermittlungslast (§ 20 Abs 1 und 2 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch - SGB X) auf den Berechtigten ist hingegen nicht erforderlich, wenn und soweit der Behörde - wie hier - durch den Leistungsantrag (§ 4 Abs 2 BErzGG) und die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen (§ 1 Abs 1 Nr 4 BErzGG) bereits bekannt ist, daß die berechtigte Person im maßgeblichen Zeitraum (§ 5 Abs 2 Satz 3 BErzGG) keine Erwerbstätigkeit ausgeübt und kein Erwerbseinkommen erzielt hat. Dann bleiben das im vorletzten Kalenderjahr vor der Geburt erzielte Erwerbseinkommen und die darauf entfallende Einkommen- und Kirchensteuer von vornherein unberücksichtigt. Da die Klägerin im hier streitigen Zeitraum weder ihren Beruf als Fabrikarbeiterin noch eine andere Erwerbstätigkeit ausgeübt, sondern Erziehungsurlaub genommen hat, haben die Beklagte und die Vorinstanzen insoweit zutreffend davon abgesehen, Feststellungen zu treffen, ob die Klägerin 1986 Einkünfte aus selbständiger oder aus nichtselbständiger Arbeit (§ 2 Abs 1 Nrn 3 und 4 EStG) hatte.
Aus den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt sich jedoch nicht, ob die Klägerin im Jahr 1986 auch keine anderen Einkünfte iS von § 2 Abs 1 und 2 EStG hatte: Die Vorinstanzen haben - wie schon das beklagte Land - nicht geprüft, ob die Klägerin 1986 Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, Kapitalvermögen, aus Vermietung und Verpachtung oder sonstige Einkünfte iS von § 22 EStG hatte. Schon das beklagte Land hat die Klägerin unter Nr 7 des von ihm herausgegebenen Antragsformulars unrichtig belehrt, falls sie nach dem sechsten Lebensmonat des Kindes nicht erwerbstätig sei, sei "allein das Einkommen ihres Ehepartners maßgebend". Deswegen kann nicht ausgeschlossen werden, daß die Klägerin nur den Einkommenssteuerbescheid (1986) ihres Ehemannes eingereicht hat, obwohl sie damals uU von ihm getrennt zur Steuer aus Einkünften iS von § 2 Abs 1 Nrn 1, 2, 5 bis 7 und Abs 2 EStG veranlagt worden sein kann (§§ 26, 26a EStG). Dieser Frage ist auch das LSG nicht nachgegangen, so daß die Bezugnahme im angefochtenen Urteil auf die Prozeßakten und die Verwaltungsvorgänge des beklagten Landes zur Tatsachenfeststellung nicht ausreicht. Diese wird das Berufungsgericht nachzuholen haben.
Da - was der Tatsacheninstanz vorbehalten ist - nicht festgestellt ist, ob und ggf in welcher Höhe die Klägerin im Jahr 1986 Einkommen (§ 6 BErzGG) erzielt hat, das uU - ungeachtet des Einkommens ihres Ehemannes - das Erziehungsgeld mindern könnte, kann derzeit noch nicht beurteilt werden, ob das beklagte Land zu Recht das Erziehungsgeld ab 18. November 1988 auf 458,-- DM je Lebensmonat des Kindes gemindert hat und ob es hierfür auf die - höchstrichterlich noch ungeklärte - Frage der Verfassungsmäßigkeit der Anrechnung des Einkommens des nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten ankommt.
Nach alledem war das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht wird die noch notwendigen tatsächlichen Feststellungen zu treffen und auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen