Leitsatz (redaktionell)
Auch bei erfolgreich verlaufenem Vorverfahren steht dem Widerspruchsführer kein Anspruch auf Erstattung seiner Auslagen zu.
Normenkette
SGG § 193 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, Abs. 2 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Sprungrevision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 9. Mai 1968 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Betriebskrankenkasse verpflichtet ist, der Klägerin die Kosten zu erstatten, die ihr durch die Zuziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren entstanden sind.
Die Klägerin war vom 21. April 1964 bis 18.Juni 1966 versicherungspflichtig bei der Firma S beschäftigt und bei der Beklagten krankenversichert. Am 20. Juni 1966 nahm sie bei der Firma L ein anderes Beschäftigungsverhältnis auf. Am 5. Juli 1966 erkrankte sie an endogener Depression arbeitsunfähig.
Mit Bescheid vom 16. September 1966 lehnte die Beklagte Krankenhilfe mit der Begründung ab, die Allgemeine Ortskrankenkasse (AOK) M sei die zuständige Pflichtkasse. Auf den Widerspruch erkannte die Beklagte ihre Leistungspflicht an, nachdem die AOK eine Leistung abgelehnt hatte, weil die Tätigkeit der Klägerin bei der Firma L ein mißglückter Arbeitsversuch gewesen sei, der kein Versicherungsverhältnis begründet habe.
Die Klägerin verlangte nunmehr von der Beklagten DM 131,56 nebst 4 % Zinsen seit Klageerhebung (Anwaltsgebühren, Mittelgebühr nach § 116 Abs. 1 Nr. 1 der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung, DM 11,50 Auslagenpauschale und 4 % Umsatzsteuer) mit der Begründung, infolge Obsiegens der Klägerin im Widerspruchsverfahren sei die Beklagte auch zur Erstattung der im Widerspruchsverfahren gemachten Aufwendungen für die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts verpflichtet.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Das Sozialgerichtsgesetz (SGG) enthalte keine Kostenvorschriften für das Widerspruchsverfahren. Das Fehlen einer solchen Vorschrift sei keine Gesetzeslücke. Die Übertragung der Kostengrundsätze der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) scheitere schon daran, daß das Sozialgerichtsverfahren von diesem Kostengrundsatz nicht beherrscht werde. Das Kostenrecht im Sozialgerichtsverfahren sei im SGG abschließend geregelt. Daher sei § 193 SGG für das Vorverfahren nicht anwendbar. Dies gelte auch für § 192 SGG, weil es sich bei den hier genannten Kosten ebenso wie bei den in § 193 SGG nur um solche Aufwendungen handele, die während des sozialgerichtlichen Verfahrens wegen prozeßwidrigen Verhaltens eines Beteiligten entstanden seien. Das SG hat die Berufung zugelassen.
Die Klägerin hat gegen das Urteil mit Einwilligung der Beklagten Sprungrevision eingelegt. Sie trägt vor:
Im Vorverfahren bestehe ausnahmsweise dann eine Erstattungspflicht, wenn die Voraussetzungen des § 192 SGG gegeben seien. Der Rechtsschutz des Versicherten werde in rechtsstaatlich unerträglicher Weise beschränkt, wenn ihm nicht einmal in den Fällen des Mutwillens der Verschleppung oder der Irreführung die Kosten erstattet würden, die er im Vorverfahren zur Durchsetzung seines Rechts durch Zuziehung eines Rechtsanwalts habe aufwenden müssen. Im vorliegenden Fall sei eine Frist von mehr als sieben Monaten von der Antragstellung bis zur Gewährung der zustehenden Hilfe unangemessen, so daß von einer Verschleppung im Sinne des § 192 SGG gesprochen werden müsse.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG München vom 9.Mai 1968 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin zu Händen ihres Prozeßbevollmächtigten DM 131,56 nebst 4 % Zinsen seit 28. April 1967 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Sprungrevision zurückzuweisen.
Beide Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
II
Die Sprungrevision ist zulässig, aber nicht begründet.
Das SGG enthält keine Vorschriften über die Erstattung außergerichtlicher Kosten, wenn nach Erhebung eines Anspruchs und Ablehnung desselben die Widerspruchsstelle dem Widerspruch abgeholfen hat. Deshalb hat der 6. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in seinem Urteil vom 21.Januar 1966 (BSG 24, 207) entschieden, wenn die Widerspruchsstelle dem Widerspruch abgeholfen habe, so habe der Widerspruchsführer keinen Anspruch auf Erstattung der Gebühren und Auslagen, die ihm durch Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren nach dem SGG entstanden seien. Zur Begründung hat der 6. Senat ausgeführt:
§ 193 Abs. 1 SGG sei für das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit die grundlegende Kostenvorschrift, die die wichtigsten Grundsätze des formellen und des materiellen Kostenrechts enthalte. Das Gericht sei durch keinen abstrakten Kostentragungsgrundsatz gebunden, sondern entscheide, abweichend von allen anderen Verfahrensordnungen, nach freiem richterlichem Ermessen, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten hätten. Die Vorschriften des SGG über das Widerspruchsverfahren enthielten anders als die VwGO keine Regelung über die Kosten des Widerspruchsverfahrens. § 193 SGG sei nicht unmittelbar anwendbar, weil das Widerspruchsverfahren ... kein Teil des Gerichtsverfahrens, sondern ein Verwaltungsverfahren sei, in dem eine besondere Verwaltungsstelle entscheide. Das Fehlen von Kostenvorschriften über das Widerspruchsverfahren im SGG sei auch keine Lücke im Gesetz, die durch Richterrecht ausgefüllt werden dürfe. Es liege vielmehr "beredtes Schweigen" des Gesetzes in dem Sinne vor, daß der obsiegende Widerspruchsführer die Kosten seiner Vertretung im Widerspruchsverfahren nicht erstattet verlangen können.
Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht am 8. November 1967 (SozR GG Art. 3 Nr. 66) entschieden, es verstoße nicht gegen Art. 3 des Grundgesetzes (SG), wenn im sozialgerichtlichen Verfahren die Kosten des Vorverfahrens nicht zu erstatten seien.
Von dieser grundlegenden Rechtsprechung abzugehen, geben auch die Ausführungen der Klägerin keinen Anlaß. Sie meint zwar, § 192 SGG rechtfertige hier die Auferlegung der Kosten des Vorverfahrens. Ganz abgesehen davon, daß es schon zweifelhaft ist, ob das Verhalten der Beklagten als Verschleppung zu betrachten ist, worauf das SG mit Recht hinweist, scheitert auch die Anwendung des § 192 SGG daran, daß es sich hier ebenfalls um eine Vorschrift des sozialgerichtlichen Verfahrens handelt; die Vorschrift setzt also voraus, daß die Kosten in einem gerichtlichen Verfahren entstanden sind. Das war aber hier nicht der Fall. Die gleichen Erwägungen, die in BSG 24, 207 gegen eine Anwendung des § 193 SGG im Widerspruchsverfahren niedergelegt sind, müssen auch für § 192 SGG gelten.
Die Revision ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen