Leitsatz (redaktionell)

1. Die Entscheidung, ob und inwieweit nur eine Ermessensprüfung nach KOV-VfG § 40 Abs 1 oder eine "neue Regelung" iS von BSG 1959-10-13 11/8 RV 49/57 = BSGE 10, 248, 249 erfolgen soll, liegt bei der Verwaltungsbehörde. Dabei muß ein etwaiger Wille zur Neuprüfung zwanglos sich aus dem Bescheid - eventuell iVm dem sonstigen Akteninhalt - ergeben. Um eine Neuregelung annehmen zu können (wofür es nicht entscheidend auf die Mitteilung der Versorgungsbehörde ankommt, sie verzichte auf die Bindung der früheren Entscheidung), muß aus dem Bescheid - eventuell iVm dem sonstigen Akteninhalt - hervorgehen, daß die Versorgungsbehörde das neue Vorbringen des Antragstellers nicht nur für die nach KOV-VfG § 40 Abs 1 erforderliche - interne - Vorprüfung verwerten wollte, ob nämlich an der bestehenden Bindungswirkung festzuhalten ist, sondern daß sie eine hiervon unabhängige Neuprüfung vornehmen und demgemäß entscheiden wollte.

Sind in dem Bescheid die Gründe angegeben, weshalb das nunmehrige Vorbringen des Antragstellers keine andere Beurteilung rechtfertigen kann, so ist damit allein noch kein ausreichender Anhalt dafür gegeben, daß die Versorgungsbehörde nach sachlicher Prüfung eine "neue Regelung" getroffen hat. Denn nach KOV-VfG § 22 Abs 2 sind die Bescheide in tatsächlicher und rechtlicher Beziehung zu begründen. Die Versorgungsbehörde muß sich deshalb mit hinreichend substantiiertem Vorbringen des Antragstellers im Bescheid auseinandersetzen und bei Fragen, die medizinischer Natur sind, unter Umständen auch das Urteil des medizinischen Sachverständigen wiedergeben. Im Zweifel wird deshalb davon auszugehen sein, daß die Versorgungsbehörde neues Vorbringen, auch wenn ein medizinischer Sachverständiger dazu gehört wurde, nur für die Vorentscheidung, ob an dem bindenden Bescheid festzuhalten ist, einer pflichtgemäßen Würdigung unterzogen hat.

2. Die Einrede der Verjährung ist nicht von Amts wegen zu berücksichtigen und kann im Revisionsverfahren auch nicht mehr wirksam erhoben werden.

 

Normenkette

KOVVfG § 40 Abs. 1 Fassung: 1960-06-27, § 22 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1966-12-28; BGB § 197 Fassung: 1896-08-18

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 13. Juli 1966 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

Der Kläger erhielt Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 v.H. wegen einer als Schädigungsfolge anerkannten Lähmung der rechten Hand sowie einer Streckbehinderung im rechten Ellenbogengelenk. Die Anerkennung einer 1948 festgestellten Lungetuberkulose (-Tbc) wurde durch den bindend gewordenen Bescheid vom 14. Oktober 1950 abgelehnt. Im Januar 1960 beantragte der Kläger die Anerkennung eines Leberschadens als Schädigungsfolge, außerdem begehrte er erneut, auch die Lungen-Tbc als Versorgungsleiden anzuerkennen. Diese Anträge wurden mit Bescheid vom 12. Januar 1961 abgelehnt. Der Widerspruch (Bescheid vom 30. Mai 1961) blieb erfolglos. Mit der Klage hat der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, einen Zugunstenbescheid über die Anerkennung von Lungen-Tbc und Leberschaden als Versorgungsleiden und die Gewährung einer entsprechenden Rente vom 1. Oktober 1950 an zu erlassen. Das Sozialgericht (SG) hat die Sachverständigen Dr. D., Dr. L. und Dr. R... gehört und die Klage mit Urteil vom 30. Oktober 1963 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat nach Anhörung der Lungenfachärztin Dr. R..., des Internisten Dr. I... und des Prof. Dr. S. das SG-Urteil und die Bescheide vom 12. Januar und 30. Mai 1961 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, als weitere Versorgungsleiden Lungen-Tbc und Fettleber anzuerkennen sowie dem Kläger unter Anrechnung der bereits gewährten Leistungen Rente zu zahlen, und zwar für die Zeit

vom 1. Oktober 1950 bis 31. Januar 1963 nach einer MdE um 100 v.H.,

vom 1. Februar 1963 bis 31. Januar 1964 nach einer MdE um 90 v.H.,

vom 1. Februar 1964 bis 31. Januar 1965 nach einer MdE um 80 v.H. und ab

1. Februar 1965 nach einer MdE um 70 v.H..

Die Frage des Zusammenhangs zwischen der Lungen-Tbc und dem Wehrdienst müsse uneingeschränkt und ohne Berücksichtigung des Ablehnungsbescheides vom 14. Oktober 1950 nachgeprüft werden. Die Versorgungsverwaltung habe auf Grund des Antrages des Klägers vom 4. Januar 1960 den medizinischen Sachverhalt, soweit er das internistische Gebiet betreffe, also bezüglich der Lungen-Tbc und des Leberleidens erneut durch eine eingehende Begutachtung nachgeprüft. Hierzu sei sie hinsichtlich des Leberschadens verpflichtet gewesen, weil es sich insoweit um einen Erstantrag gehandelt habe. Das Versorgungsamt habe sich zwar in seinem Bescheid vom 12. Januar 1961 bezüglich der Ablehnung der Tbc als Versorgungsleiden auf die Bindungswirkung des Bescheides vom 14. Oktober 1950 berufen. Das Landesversorgungsamt habe aber im Widerspruchsbescheid vom 31. Mai 1961 die Verbindlichkeit des alten Bescheides nicht erwähnt, sondern die Zusammenhangsfrage in vollem Umfange auf Grund erneuter Begutachtung gewürdigt. Damit enthalte der Ablehnungsbescheid in der Form des Widerspruchsbescheides eine sachlich-rechtliche Entscheidung und nicht eine Ablehnung des Antrages des Klägers unter Berufung auf die Rechtsverbindlichkeit des früheren Bescheides. Es handele sich also um einen neuen Verwaltungsakt, der wie sonst im Rechtsweg angefochten werden könne (vgl. BSG - 9 RV 422/56 - vom 5. Mai 1960). Daher sei der Senat verpflichtet, über die angefochtenen Bescheide sachlich-rechtlich und unter Würdigung des ganzen Sachverhalts zu entscheiden. Die Nachprüfung des Sachverhalts, insbesondere durch die Lungenfachärzte Dr. Riemer und Dr. Rinck, habe ergeben, daß die Auffassung der Beklagten, die 1948 beim Kläger festgestellte Tbc sei eine frische Erkrankung, die nicht bis in die Zeit des Wehrdienstes oder der Gefangenschaft zurückverfolgt werden könne, unzutreffend sei. Vielmehr sei die 1948 festgestellte exsudative Lungen-Tbc aus einer Verschlimmerung der älteren Herde entstanden. Im Zusammenhang mit den anamnestischen Angaben des Klägers, die insbesondere durch die Bescheinigung des Lungenfacharztes Dr. C. vom 30. Juli 1962 erhärtet würden, sei es auf Grund der Gutachten von Dr. R., Dr. R. und Prof. Dr. S. wahrscheinlich, daß noch während des Krieges, also Ende 1944/ Anfang 1945, ein erster tuberkulöser Lungenprozeß aufgetreten sei, auf dem die spätere Verschlimmerung beruhe. Im übrigen wäre die Entstehung der Lungen-Tbc während des Wehrdienstes auch ohne diese Brückensymptome wahrscheinlich, denn der gesamte Entwicklungsablauf der Krankheit bis zum erneuten Aufflackern und der Entwicklung einer ausgedehnten cavernösen Lungen-Tbc mit Darm-Tbc nehme nach der ärztlichen Erfahrung einen Zeitraum in Anspruch, der es wahrscheinlich mache, daß die Infektion in die Zeit des Wehrdienstes falle. Hierbei sei von Bedeutung, daß die Widerstandskraft des Klägers durch seine Verwundung und verschiedene Erkältungen und grippale Infekte in dieser Zeit geschwächt gewesen sei. Entgegen der Ansicht des Versorgungsarztes Dr. S. müsse angenommen werden, daß die Beschwerden zunächst uncharakteristisch gewesen und während der Lazarettzeit unentdeckt geblieben seien. Aus dem Gutachten von Dr. L. ergebe sich, daß die Fettleber des Klägers Folge der Lungen-Tbc sei und wie diese mittelbar auf den Wehrdienst zurückgeführt werden müsse. Bis zur Auflassung des Pneumothorax rechts im Januar 1963 habe eine MdE um 100 v.H. bestanden. Auf Grund der Ausführungen von Frau Dr. R., Prof. Dr. S. - und Dr. L. sei die MdE im Jahre 1963 mit 90 v.H., im Jahre 1964 mit 80 v.H. und anschließend mit 70 v.H. einzuschätzen. Schon im Jahre 1950 hätte die Frage eines Zusammenhangs zwischen Lungen-Tbc und Wehrdienst bejaht werden müssen. Somit handele es sich hier um eine Berichtigung des Ablehnungsbescheides vom Oktober 1950 durch dieses Urteil. Das Urteil trete an die Stelle des alten Ablehnungsbescheides, woraus folge, daß die Beklagte grundsätzlich die höhere Rente ab Oktober 1950 zu zahlen habe. Da sie die Einrede der Verjährung nicht erhoben habe, habe sie antragsgemäß verurteilt werden müssen.

Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte Verletzung des § 85 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) und sinngemäß des § 54 Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), des § 40 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) sowie des § 60 Abs. 1 BVG. Nach § 85 BVG hätte das LSG den rechtsverbindlich gewordenen Bescheid vom 14. Oktober 1950, durch den gemäß der Sozialversicherungsdirektive (SVD) 27 der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Lungenleiden und dem Wehrdienst verneint worden sei, beachten müssen. Darüber hinaus hätte das LSG seine Entscheidung nicht ausdrücklich an die Stelle des rechtsverbindlich gewordenen Bescheides im Wege der Berichtigung treten lassen dürfen. Für das geltend gemachte Leberleiden hätte dem Kläger nicht bereits mit Wirkung ab 1. Oktober 1950 Versorgung zuerkannt werden dürfen, da der Antrag erst mit Schreiben vom 4. Januar 1960 gestellt worden sei. Beschädigtenversorgung hätte gemäß § 60 Abs. 1 BVG, wenn überhaupt, frühestens ab Antragsmonat, also ab Januar 1960 zugestanden. Außerdem sei insoweit nicht einmal der zeitliche Zusammenhang gegeben. Überdies könne die Fettleber als Folge der Tbc schon deshalb keinen wehrdienstbedingten Schaden darstellen, weil die beim Kläger vorhandene Tbc durch den Bescheid vom 14. Oktober 1950 als wehrdienstunabhängiges Leiden festgestellt worden sei. Dieser sei rechtsverbindlich geblieben. Bereits der Ablehnungsbescheid vom 12. Januar 1961 lasse keinen Zweifel, daß sich die Versorgungsverwaltung an den Bescheid vom 14. Oktober 1950 gebunden gesehen habe, denn sie bezeichne diesen Bescheid ausdrücklich als rechtsverbindlich. Eine Unrichtigkeit des rechtsverbindlichen Bescheids vom 14. Oktober 1950 habe nach dem Bescheid vom 12. Januar 1961 in Übereinstimmung mit dem medizinischen Sachverständigen Dr. Sch... nicht festgestellt werden können. Aber auch durch den Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 1961 sei die Verbindlichkeit des Bescheides vom 14. Oktober 1950 nicht in Frage gestellt worden, denn im Schlußsatz seiner Begründung sei an der Entscheidung des Versorgungsamts vom 12. Januar 1961 festgehalten worden. Der rechtskundig vertretene Kläger habe mit seinem Widerspruch auch nicht eine Anerkennung seines Leidens als Rechtsanspruch, sondern ausdrücklich eine Zugunstenregelung nach § 40 Abs. 1 VerwVG angestrebt. Die Widerspruchsstelle sei in ihrem pflichtgemäßen Verwaltungsermessen gemäß § 40 Abs. 1 VerwVG zu der Feststellung gelangt, daß für eine Zugunstenregelung kein Raum sei. Die Einschaltung der Medizinalverwaltung könne der Versorgungsverwaltung nicht dahin angelastet werden, als habe sie mit dieser Maßnahme bereits auf die eingetretene Verbindlichkeit verzichtet; denn ohne eine sachgemäße Prüfung im Rahmen des durch § 40 Abs. 1 VerwVG bestimmten Ermessensspielraums wäre die Versorgungsverwaltung zur Feststellung, ob eine frühere verbindlich gewordene Entscheidung unrichtig sei, außerstande. Das betreffe naturgemäß auch die Prüfung des Kausalzusammenhangs. Zwar könne der Widerspruchsbescheid im Falle der Abhilfe ein für sich zu betrachtender Verwaltungsakt sein. Dies sei jedoch dann nicht der Fall, wenn, wie hier, der Widerspruchsbescheid in seiner formellen und materiellen Aussage in vollem Umfang mit dem angefochtenen Bescheid des Versorgungsamts übereinstimme. Somit sei auch noch mit dem Widerspruchsbescheid an der Unanfechtbarkeit des Bescheides vom 14. Oktober 1950 festgehalten worden. Das Urteil des LSG unterliege daher auch deshalb der Aufhebung, weil es dem Kläger eine Leistung zugesprochen habe, obwohl in formeller Hinsicht lediglich eine Verpflichtung der Beklagten zur Bescheiderteilung hätte ausgesprochen werden dürfen. Das LSG hätte aber auch in materieller Hinsicht nicht zu einem die Beklagte verpflichtenden Urteil kommen dürfen, weil ein Ermessensfehlgebrauch nicht vorliege. Da das LSG zu einer Überprüfung des ausgeübten Verwaltungsermessens bei seiner Rechtsauffassung konsequenterweise nicht gelangt sei, wäre eine Zurückverweisung der Sache angezeigt, sofern sich das Bundessozialgericht (BSG) der Ansicht des SG Hamburg nicht anschließen könne. Ein Ausnahmefall, der dem Gericht das Recht gäbe, sein eigenes Ermessen an die Stelle des Verwaltungsermessens zu setzen, weil eine andere als die vom Gericht gefundene Entscheidung nicht denkbar sei, liege nicht vor. Schließlich sei die Revision selbst dann begründet, wenn die Beklagte auf ihre Rechte aus dem Bescheid vom 14. Oktober 1950 dadurch verzichtet hätte, daß sie ohne Bezugnahme auf die Verbindlichkeit dieses Verwaltungsaktes den Fall in sachlicher Hinsicht unbegrenzt überprüft haben würde. Hier sei der Schädigungsvorgang als erstes Glied der Kausalkette nicht zeitlich fixierbar, so daß es schon an einem erweislichen zeitlichen Zusammenhang eines Gesundheitsschadens mit diensteigentümlichen Gefahren fehle. Prof. Dr. S. habe drei Faktoren vorausgesetzt. Die beiden ersten Faktoren, nämlich die Disposition des Erkrankten für ein Lungenleiden und die Virulenz des Erregers könnten lediglich vermutet werden, während das Vorliegen des dritten Faktors, nämlich einer Ballung von Menschen, in der sich der Kläger durch den militärischen Dienst befunden habe, verneint werden müsse, zumal der Kläger selbst ausdrücklich erklärt habe, daß er nach einer kurzen stationären Behandlung seiner Armverletzung Ende 1944 nur noch ambulant das Lazarett Greifswald aufgesucht habe. Diese Erklärung des Klägers werde durch die Bescheinigung des Dr. C. vom 30. Juli 1962 für die Zeit bis Ende März, Anfang April 1945 erhärtet. In dieser Zeit habe der Kläger privat gewohnt, so daß auch insoweit von einer Ballung nicht gesprochen werden könne. Der Kläger habe in äußeren Lebensverhältnissen gelebt, die denen der Zivilbevölkerung in jener Zeit gleich zu achten seien. Wegen der weiteren Ausführungen der Revision zur Beurteilung des Ursachenzusammenhangs wird auf den Inhalt der Revisionsbegründungsschrift verwiesen. Die Revision rügt weiter, daß für die im Tenor ausgeworfene Gesamt-MdE keinerlei Begründung über die Höhe der einzelnen MdE-Sätze für die teils anerkannten, teils strittigen Schädigungsfolgen gegeben worden sei; es sei ferner nicht erkennbar, welcher der Einzel-MdE-Grade seit 1. Oktober 1950 auf ein geringeres Maß zurückgegangen oder gar fortgefallen sei. Auch sei bei der ab Februar 1965 angenommenen MdE um 70 v.H. nicht ersichtlich, wie hoch die MdE für das Lungenleiden und das angenommene Leberleiden unter Berücksichtigung der anerkannten Armschädigung, die eine MdE um 50 v.H. bedinge, bemessen worden sei. Im übrigen umfasse die Einrede der rechtsverbindlich entschiedenen Sache auch die Einrede der Verjährung, als das weniger weitreichende Gegenrecht der Beklagten gegenüber dem Kläger. Deshalb hätte das LSG die Verjährungsvorschriften des bürgerlichen Rechts beachten müssen, zumal von einer mißbräuchlichen Rechtsausübung im Sinne des § 242 BGB nicht die Rede sein könne. Die Einrede der Verjährung, die im öffentlichen Recht von Amts wegen zu berücksichtigen sei, werde hilfsweise ausdrücklich nachgeholt.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen,

hilfsweise,

die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Dem Urteil sei zuzustimmen. Eine Verletzung des § 85 BVG liege nicht vor; das LSG sei durch diese Vorschrift nicht an der erneuten Prüfung der Kausalitätsfrage gehindert gewesen. Soweit sich die Beklagte gegen die Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs durch das LSG wende, sei ein Verfahrensmangel nicht formgerecht im Sinne des § 164 Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) gerügt. Die Einrede der Verjährung sei nicht von Amts wegen zu berücksichtigen; sie könne im Revisionsverfahren auch nicht mehr erhoben werden.

Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und daher zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 SGG); sie ist auch sachlich im Sinne einer Zurückverweisung begründet.

Ohne Rechtsirrtum hat das LSG zunächst festgestellt, daß die Versorgungsverwaltung bezüglich des im Januar 1960 erstmals geltend gemachten Leberleidens eine (gerichtlich voll nachprüfbare) Entscheidung über einen Erstantrag getroffen hat. Das LSG hat auch nicht schon deshalb, weil es die Beklagte zur Anerkennung der Lungen-Tbc verurteilt hat, gegen § 85 BVG verstoßen. Denn die Versorgungsbehörde ist durch eine nach § 85 BVG bestehende Bindung nicht gehindert, unter bestimmten Voraussetzungen sogar verpflichtet, durch Erlaß eines neuen Verwaltungsaktes, d.h. durch einen Zugunstenbescheid nach § 40 Abs. 1 VerwVG oder durch eine von dieser Vorschrift unabhängige Neuregelung, die einem Erstbescheid gleich zu achten ist, eine neue Regelung zu treffen. Sie kann vielmehr, wie das BSG bereits entschieden hat, auch bei Vorliegen früherer belastender Verwaltungsakte, die nach § 85 BVG noch von Bedeutung sind, neue Verwaltungsakte erlassen, sofern dadurch die frühere Belastung nicht erhöht wird (BSG 10, 248,251). Die weitere Feststellung des LSG, daß es sich bei dem Bescheid vom 12. Januar 1961 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Mai 1961 hinsichtlich der geltend gemachten Lungen-Tbc um einen auf Grund erneuter Prüfung und unabhängig von der Bindungswirkung des Bescheides vom 14. Oktober 1950 erlassenen Bescheid handele, der deshalb auch vom Gericht ohne Einschränkung sachlich-rechtlich überprüft werden könne, begegnet jedoch rechtlichen Bedenken. Nach § 40 (Abs. 1) VerwVG, auf den sich der Bescheid vom 12. Januar 1961 ausdrücklich bezogen hat, kann die Verwaltungsbehörde zugunsten des Berechtigten jederzeit einen neuen Bescheid erteilen. Ein solcher Zugunstenbescheid setzt voraus, daß die frühere Entscheidung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unrichtig ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG obliegt der Verwaltung im Falle des § 40 Abs. 1 VerwVG eine Ermessensentscheidung, die nach § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG nur daraufhin nachgeprüft werden kann, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (vgl. Urteil des 11. Senats in SozR Nr. 6 zu § 40 VerwVG = BSG 19, 12; BSG 15, 10 = SozR Nr. 11 zu § 35 BVG; Urteil des 10. Senats vom 14. März 1967 SozR Nr. 10 zu § 40 VerwVG und vom 11. Juni 1968 - 10 RV 906/66-; Urteile des erkennenden Senats vom 27. August 1963 - 9 RV 590/60 in SozR Nr. 8 zu § 40 VerwVG und vom 26. November 1968 - 9 RV 472/67 -; Urteil des 7. Senats SozR Nr. 4 zu § 40 VerwVG und Urteile des 8. Senats vom 26. September 1968 - 8 RV 473/67 und 475/67). Zwar ist die Versorgungsbehörde unabhängig von der sich aus § 40 VerwVG ergebenden Befugnis zum Erlaß einer Ermessensentscheidung auch berechtigt, den Sachverhalt von Grund auf im gesamten Umfang ganz ohne Rücksicht auf unanfechtbar gewordene ablehnende Bescheide nochmals zu überprüfen und neue Verwaltungsakte zu erlassen, welche - im Falle der erneuten Ablehnung - den Rechtszug wiederum eröffnen. Auf die Erklärung der Verwaltungsbehörde, sie verzichte auf die "Rechtskraft" des früheren Bescheides, kommt es dabei nicht entscheidend an. Es genügt, daß die Entscheidung in einem neuen Verfahren nach sachlicher Prüfung des Anspruchs auf Grund neuer Ermittlungsergebnisse oder bisher nicht erörterter Gesichtspunkte rechtlicher oder tatsächlicher Art als "neue Regelung" getroffen worden ist (vgl. BSG 10, 248 und Urteil des erkennenden Senats vom 5. Mai 1960 - 9 RV 422/56). Eine solche Neuregelung kann aber nur angenommen werden, wenn stichhaltige Anhaltspunkte dafür gegeben sind, daß die Versorgungsbehörde eine von dem früheren bindenden Bescheid unabhängige Neuprüfung vornehmen und eine nur auf dieser Prüfung beruhende selbständige neue Regelung treffen wollte. In dem vom BSG entschiedenen, in BSG 10, 248 veröffentlichten Fall war "auf Weisung der Aufsichtsbehörde" eine erneute Prüfung vorgenommen worden; im Bescheid hieß es ausdrücklich, daß "auf die Rechtskraft der früheren Entscheidung" verzichtet werde (vgl. BSG 10, 249). Auch wenn es auf eine solche Verzichterklärung nicht entscheidend ankommt, kann eine solche Neuregelung doch nur dann angenommen werden, wenn aus dem Bescheid - evtl. in Verbindung mit dem sonstigen Akteninhalt - hervorgeht, daß die Versorgungsbehörde das neue Vorbringen des Antragstellers nicht nur für die nach § 40 Abs. 1 VerwVG erforderliche - interne - Vorprüfung verwerten wollte, ob nämlich an der bestehenden Bindungswirkung festzuhalten ist, sondern daß sie eine hiervon unabhängige Neuprüfung vornehmen und demgemäß entscheiden wollte. Die Entscheidung, ob und inwieweit nur eine Ermessensprüfung nach § 40 Abs. 1 VerwVG oder eine "neue Regelung" im Sinne der BSG-Entscheidung in BSG 10, 248 erfolgen soll, liegt bei der Verwaltungsbehörde, die die Tragweite der Entscheidung - als sachlicher Inhalt des Verwaltungsaktes - zu bestimmen hat. Dabei muß sich ein etwaiger Wille zur Neuprüfung zwanglos aus den vorerwähnten Umständen ergeben. Sind in dem Bescheid die Gründe angegeben, weshalb das nunmehrige Vorbringen des Antragstellers keine andere Beurteilung rechtfertigen kann, so ist damit allein noch kein ausreichender Anhalt dafür gegeben, daß die Versorgungsbehörde nach sachlicher Prüfung eine "neue Regelung" getroffen hat. Denn nach § 22 Abs. 1 VerwVG sind die Bescheide in tatsächlicher und rechtlicher Beziehung zu begründen. Die Versorgungsbehörde muß sich deshalb mit hinreichend substantiviertem Vorbringen des Antragstellers im Bescheid auseinandersetzen und bei Fragen, die medizinischer Natur sind, unter Umständen auch das Urteil des medizinischen Sachverständigen wiedergeben. Im Zweifel wird deshalb davon auszugehen sein, daß die Verwaltungsbehörde neues Vorbringen, auch wenn ein medizinischer Sachverständiger dazu gehört wurde, nur für die Vorentscheidung, ob an dem bindenden Bescheid festzuhalten ist, einer pflichtgemäßen Würdigung unterzogen hat (vgl. auch die Urteile des 8. Senats des BSG vom 13. Dezember 1962 - 8 RV 837/6c -BVBl. 1963, S. 87- sowie des 10. Senats vom 12. August 1966 - 10 RV 45/64- in Der VersorgB 1966, S. 129 und vom 21. September 1962 in BSG 18, 22 ff, 29).

Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall läßt sich nicht feststellen, daß die Versorgungsbehörde hinsichtlich der Lungen-Tbc eine neue Regelung hat treffen wollen, die vom Gericht in vollem Umfang überprüft werden könnte. Im Bescheid vom 12. Januar 1961 heißt es zu der erneut geltend gemachten Lungen-Tbc:

"Mit Ihrem jetzigen Antrag haben Sie neue Tatsachen, die zu einer anderen Beurteilung führen könnten, nicht erbracht. Die Erteilung eines Zugunstenbescheides gem. § 40 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren in der Kriegsopferversorgung vom 2. 5. 1955 - VfG (KOV) ist daher nicht möglich. Es muß demnach hinsichtlich der Anerkennung der Lungentuberkulose bei dem rechtsverbindlich gewordenen Bescheid vom 14. 10. 1950 verbleiben."

Daraus ergibt sich klar und unmißverständlich, daß die Verwaltungsbehörde die Erteilung eines Zugunstenbescheides nach § 40 Abs. 1 VerwVG abgelehnt hat. Etwas anderes ist auch dem Widerspruchsbescheid vom 30. Mai 1961 nicht zu entnehmen. Dieser hat dem Bescheid vom 12. Januar 1961 keine andere "Gestalt" gegeben (vgl. § 95 SGG), vielmehr den Widerspruch "zurückgewiesen". Der Widerspruchsbescheid hat zwar in seiner Begründung zu dem umfangreichen, durch zehn beigefügte Beweismittel belegten Vorbringen des Klägers im Widerspruchsverfahren im einzelnen Stellung genommen. Dadurch wurde der Rechtscharakter des Bescheides vom 12. Januar 1961 jedoch nicht verändert, vielmehr war die Versorgungsbehörde gehalten, sich mit dem ausführlichen substantiierten Widerspruchsvorbringen des Klägers kurz auseinanderzusetzen; dies um so mehr, als die Versorgungsbehörde nach § 85 Abs. 3 SGG verpflichtet ist, den Widerspruchsbescheid zu begründen und sich außerdem der Widerspruchsbescheid nicht nur mit der Versagung einer Zugunstenregelung, sondern auch mit der Ablehnung eines Erstantrags hinsichtlich des Leberschadens zu befassen hatte. Im übrigen hat der Widerspruchsbescheid durch die Formulierungen: "Der strittige Bescheid des Versorgungsamtes Hamburg vom 12. 1. 1961 ergab nach eingehender Überprüfung keinen Anhalt zur Beanstandung" und "Es muß daher aus den angeführten Gründen an der Entscheidung des Versorgungsamtes Hamburg festgehalten werden", klargestellt, daß der Charakter des Bescheides vom 12. Januar 1961, d. h. die Tatsache, daß bezüglich der Lungen-Tbc lediglich die Erteilung eines Zugunstenbescheides abgelehnt worden ist, nicht irgendwie verändert worden ist; es wurde damit der Sache nach nur bestätigt, daß an der Bindungswirkung des Bescheides vom 14. Oktober 1950 festgehalten werde. Auch der Kläger ist darüber nicht im Zweifel gewesen, denn er hat in der anschließenden Klageschrift geltend gemacht, "die Voraussetzungen für einen Zugunstenbescheid hinsichtlich der Lungentuberkulose" lägen vor.

Das LSG hätte demgemäß insoweit nur prüfen dürfen, ob die Versorgungsbehörde bei der Versagung einer Zugunstenregelung hinsichtlich der Lungen-Tbc die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens überschritten oder von ihrem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG). Das gilt sowohl für die Frage, ob überhaupt eine Zugunstenregelung zu erfolgen hat, als auch für die weitere Frage, ab wann Leistungen (evtl. rückwirkend) zu gewähren sind. Denn die Versorgungsbehörde kann auch dann, wenn sie einen Zugunstenbescheid nach § 40 Abs. 1 VerwVG erteilt, im Rahmen ihres pflichtgemäßen Ermessens den Zeitpunkt bestimmen, von dem an die Zugunstenregelung gilt (vgl. BSG in SozR Nr. 6 zu § 40 VerwVG). Das LSG durfte deshalb zu beiden Fragen nur eine Ermessenskontrolle vornehmen. Außerdem kann das Gericht bei einer Ermessensleistung die Verwaltungsbehörde grundsätzlich nicht zu einer zeitlich und sachlich erschöpfend bestimmten Leistung verurteilen, weil es sonst in unzulässiger Weise sein eigenes Ermessen an die Stelle desjenigen der Verwaltung setzen und somit dem Grundsatz der verfassungsrechtlich festgelegten Gewaltentrennung zuwiderhandeln würde. Nur in Ausnahmefällen, in denen jede andere Entscheidung notwendigerweise eine Ermessenswidrigkeit im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG bedeuten würde, kann das Gericht die Verpflichtung der Verwaltung zum Erlaß des eine Ermessensleistung betreffenden Verwaltungsakts aussprechen (vgl. BSG 2, 148, 149). Daß hier ein solcher Ausnahmefall gegeben sei, hat das LSG jedenfalls hinsichtlich der Verpflichtung der Beklagten zur Leistungsgewährung bereits ab 1. Oktober 1950 nicht feststellen können. Schließlich durfte das LSG bei Festsetzung des MdE-Grades die durch den Leberschaden bedingte MdE schon deshalb nicht bereits ab 1. Oktober 1950 berücksichtigen, weil die Anerkennung dieses Leidens vom Kläger erst im Januar 1960 beantragt worden ist (vgl. § 60 Abs. 1 BVG).

Das LSG hat nach alledem dadurch, daß es ohne Rücksicht auf die Bindung des Ablehnungsbescheides vom 14. Oktober 1950 die Frage des Zusammenhangs zwischen der Lungen-Tbc und dem Wehrdienst uneingeschränkt nachgeprüft und die Beklagte zu einer höheren Leistung rückwirkend vom 1. Oktober 1950 an verurteilt hat, gegen § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG, § 40 Abs. 1 VerwVG und § 60 Abs. 1 BVG verstoßen. Sein Urteil war daher aufzuheben. Da der Senat in der Sache nicht selbst entscheiden konnte, war der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Auf die Verjährungseinrede brauchte unter diesen Umständen nicht näher eingegangen zu werden; bemerkt sei jedoch, daß diese Einrede nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist und im Revisionsverfahren auch nicht mehr wirksam erhoben werden kann (vgl. BSG 6, 288 und Urteil des erkennenden Senats vom 26. November 1968 - 9 RV 472/67). - Das LSG wird bei seiner erneuten Prüfung Gelegenheit haben, die von der Beklagten erhobenen Einwendungen gegen die Annahme einer schädigungsbedingten Verursachung der geltend gemachten Leiden und gegen die MdE-Bemessung einer Würdigung zu unterziehen.

Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2944750

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge