Entscheidungsstichwort (Thema)
Ersatzanspruch nach RVO § 1531 ff. BSHG § 90
Leitsatz (redaktionell)
1. Die besondere Regelung der RVO §§ 1531 ff schließt die Anwendung des BSHG § 90 aus.
2. Hat der Rentenversicherungsträger bereits über den Todestag hinaus Ersatzleistungen ausgezahlt, steht ihm insoweit ein Rückerstattungsanspruch gegen den Träger der Sozialhilfe zu. Er kann im Wege der Leistungsklage vor den Sozialgerichten geltend gemacht werden.
Orientierungssatz
Der Ersatzanspruch (RVO § 1531) des Trägers der Sozialhilfe gegen den Träger der Rentenversicherung besteht nicht für die Zeit nach dem Tod des Rentners, umfaßt insbesondere nicht die Rente für die Zeit vom Todestag bis zum Ende des Sterbemonats.
Normenkette
RVO § 1294 Fassung: 1957-02-23, § 1531 Fassung: 1945-03-29, § 1535b Fassung: 1953-08-20; BSHG § 90
Verfahrensgang
SG Düsseldorf (Entscheidung vom 03.05.1979; Aktenzeichen S 9 J 285/78) |
Tatbestand
I
Der im Jahr 1895 geborene Rentner H O bezog von der klagenden Landesversicherungsanstalt (LVA) Altersruhegeld. Die beklagte Stadt gewährte ihm "Sozialhilfe in Form von Heimpflege". Mit Schreiben vom 17. April 1970 meldete sie "unter Hinweis auf §§ 1531 ff Reichsversicherungsordnung (RVO) iVm § 140 Bundessozialhilfegesetz (BSHG)" bei der LVA einen Ersatzanspruch aus den gegen diese bestehenden Ansprüchen des Rentners an; sie bat, zur Befriedigung dieses Ersatzanspruchs die Rente an sie zu überweisen. Darauf überwies die LVA jeweils monatlich das Altersruhegeld an die Stadt.
Der Rentner ist am 20. Juli 1977 gestorben. Die LVA, die das Altersruhegeld für Juli 1977 an die Stadt überwiesen hatte, verlangte den für die Zeit vom 21. bis 31. Juli 1977 gezahlten Anteil von der Stadt zurück, aber erfolglos.
Mit der Klage hat die LVA beantragt, die beklagte Stadt zur Zahlung von 275,-- DM zu verurteilen. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen. Es hat ausgeführt:
Die Stadt habe gegen den Rentner nach § 29 BSHG einen Ersatzanspruch gehabt und habe mit der Anzeige vom 17. April 1970 nach § 90 Satz 1 BSHG bewirkt, daß der Anspruch des Rentners gegen die LVA auf sie, die Stadt, übergegangen sei. Damit sei ihr Ersatzanspruch zum Rentenanspruch geworden. Der Rentner habe mit dem ersten Tag eines jeden Kalendermonats einen Anspruch auf den vollen Monatsbetrag der Rente. Dieser Anspruch habe aufgrund der Überleitung dann der Stadt zugestanden.
Mit der Revision trägt die klagende LVA vor, der Ersatzanspruch des Sozialhilfeträgers entstehe mit jedem Tag des gewährten Unterhalts in Höhe des Tagesbetrages der Rente von neuem. Sie beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die beklagte Stadt zu verurteilen, ihr 275,-- DM zu zahlen.
Die beklagte Stadt beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist zulässig. Der Sozialrechtsweg ist eröffnet (BSGE 3, 57 = SozR Nr 1 zu § 1531 RVO). Die Revision ist auch begründet. Die klagende LVA hat, wie entgegen der Rechtsauffassung des SG festzustellen ist, gegen die beklagte Stadt einen Anspruch auf den geforderten Betrag, der in der Höhe dem Altersruhegeld des Rentners für die Zeit vom 21. bis 31. Juli 1977 entspricht.
Zu Recht hat die LVA die Leistungsklage (§ 54 Abs 5 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) erhoben, denn es handelt sich um die Geltendmachung eines Anspruches im Gleichordnungsverhältnis zwischen zwei öffentlich-rechtlichen Trägern.
Der Anspruch der LVA ist auf Rückerstattung einer Ersatzleistung gerichtet, die vorschußweise gezahlt worden ist, bei der aber dann der erwartete Rechtsgrund - infolge des Todes des Rentners - für die letzten Tage des Juli 1977 nicht eingetreten ist. Die Rechtsnatur dieses, im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehenen, Anspruchs ähnelt zum einen dem Rückerstattungsanspruch des Trägers gegenüber dem Bürger nach § 1301 RVO (dort wird der Anspruch zwar nicht begründet, aber vorausgesetzt), § 43 Abs 2 Satz 2 SGB 1 und § 48 Abs 1 Satz 1 Entwurf zum SGB 10, zum anderen dem Erstattungsanspruch eines Trägers gegen einen anderen nach § 43 Abs 3 SGB 1 und schließlich dem bürgerlichrechtlichen Bereicherungsanspruch nach § 812 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Voraussetzung für den Anspruch kann nach Lage der Sache nur sein, daß die Stadt den streitigen Betrag ohne rechtfertigenden Grund von der LVA erlangt hat oder daß der zunächst angenommene rechtfertigende Grund nicht oder nicht in vollem Umfang eingetreten ist. Diese Voraussetzung ist hier zu bejahen.
Dazu kommt es zunächst auf den Rechtscharakter des Anspruches an, der der Stadt gegen die LVA zustand und zu dessen vorschußweiser Befriedigung die LVA an die Stadt einen Betrag in Höhe des Altersruhegeldes jeweils am Monatsanfang im voraus gezahlt hat.
Das SG nimmt an, es habe sich um einen übergegangenen Rentenanspruch (§ 90 Satz 1 BSHG) gehandelt, während die Revision von einem Ersatzanspruch nach § 1531 ff RVO ausgeht. Die Rechtsauffassung der Revision trifft zu.
Der Träger der Sozialhilfe, der einen Hilfsbedürftigen unterstützt, hat allerdings grundsätzlich mindestens zwei Möglichkeiten, die Rente des Versicherten an sich zu ziehen. Er kann den Rentenanspruch des Unterstützten auf sich überleiten (§ 90 BSHG) und dann gegenüber dem Träger der Rentenversicherung als Gläubiger des Rentenanspruchs auftreten und diesen einziehen. Er kann aber auch einen eigenen, unmittelbaren und selbständigen (Ersatzanspruch) Anspruch gegen den Rentenversicherungsträger geltend machen. Der erste Anspruch setzt eine Rechtshandlung des Trägers der Sozialhilfe voraus, nämlich eine "schriftliche Anzeige" an den Träger der Rentenversicherung (§ 90 Abs 1 Satz 1 BSHG), der zweite Anspruch entsteht kraft Gesetzes (BSGE 21, 84, 85 = SozR Nr 13 zu § 1531 RVO). Ein Anspruch nach § 50 SGB 1 scheidet wegen der Vorschrift des § 37 SGB 1 aus.
Nach der Rechtsprechung schließt die besondere Regelung der §§ 1531 ff RVO die Anwendung des § 90 BSHG aus (BSG aaO; BSG SozR Nr 32 zu § 1531 RVO; vorher schon BSGE 16, 44, 49 = SozR Nr 2 zu § 1538 RVO; Knopp/Fichtner, BSHG, 4. Aufl 1979, RdNr 4 zu § 90 und 2 zu § 140; vgl zu der "gewissen dinglichen Wirkung" des Ersatzanspruchs nach § 1531 RVO - Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, S. 970b, Stand: August 1972 - auch BSGE 24, 16, 17 = SozR Nr 16 zu § 1531 RVO). Die Stadt hat denn auch die Möglichkeit des § 1531 RVO gewählt. Das ergibt sich eindeutig aus dem Inhalt ihres "Geltendmachungs"-Schreibens an die LVA vom 17. April 1970. Mag auch im allgemeinen zwischen dem übergeleiteten Rentenanspruch des Trägers der Sozialhilfe und seinem selbständigen Ersatzanspruch kein großer rechtlicher und nur ein geringer wirtschaftlicher Unterschied bestehen, so ist es doch nicht zulässig, einen eindeutig begründeten Ersatzanspruch je nach Zweckmäßigkeit in einen übergeleiteten Rentenanspruch umzudeuten. Das SG hat die von ihm vorgenommene Umdeutung nicht begründet. Wenn es von einer schriftlichen Anzeige nach § 90 Satz 1 BSHG spricht, so kann es damit nur das Schreiben vom 17. April 1970 meinen, das aber nach seiner eigenen Feststellung die Anmeldung eines Ersatzanspruches nach § 1531 RVO enthält.
Wie die Rechtslage bei einem übergeleiteten Rentenanspruch wäre, kann auf sich beruhen. Ein Ersatzanspruch der Stadt nach § 1531 RVO bestand jedenfalls für die Zeit nach dem Tod des unterstützten Rentners nicht. Das ergibt sich aus § 1535b RVO. Wenn es dort heißt, zur Befriedigung des Ersatzanspruches dürfe nur auf die Rentenbeträge für die Zeit zurückgegriffen werden, für welche die Unterstützung und der Anspruch auf Renten zusammentreffen, so bedeutet das, da der Rentner nur zu seinen Lebzeiten unterstützt worden ist und werden konnte, die Unterstützung also hier am 20. Juli 1977 geendet hat, daß nur die Rentenbeträge für die Zeit bis zum Todestag zur Befriedigung des Ersatzanspruches der Stadt herangezogen werden dürfen. Ob das Altersruhegeld, das nach § 1294 RVO für den ganzen Sterbemonat gezahlt wird, dann dem Sonderrechtsnachfolger (§§ 56, 57 SGB 1) oder dem Erben (§ 58 SGB 1) - allerdings nicht dem etwa als gesetzlicher Erbe (§ 1936 BGB) in Frage kommenden Fiskus (§ 58 Satz 2 SGB 1) - zusteht, ist hier nicht zu entscheiden.
Mit dieser Rechtsauffassung hält sich der Senat im Rahmen der bisherigen Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts -RVA- (Urteil vom 11. April 1933, EuM 34, 415) und des Bundessozialgerichts -BSG (BSGE 3, 57; BSGE 21, 84 = SozR Nr 13 zu § 1531 RVO). Das Urteil BSGE 39, 278, 282 = SozR 2200 § 1283 Nr 4 steht nicht im Wege; es betrifft das Verhältnis zwischen dem Träger der Rentenversicherung und dem Versicherten und sichert diesem die Rente für den vollen Monat zu (§ 1294 RVO), befaßt sich aber nicht mit dem Ersatzanspruch des Trägers der Sozialhilfe.
Ob die beklagte Stadt, wie sie vorträgt, von dem hilfsbedürftigen Rentner nach den §§ 29, 85 Nr 3 BSHG den "Einsatz der vollen Rentenbeträge" verlangen konnte, ist hier, wo es nicht um eine Forderung der Stadt gegen den Rentner, sondern um ein etwaiges Gegenrecht der Stadt gegen eine Forderung der LVA geht, ohne Bedeutung. Ebenfalls kommt es nicht darauf an, ob die Stadt dem Rentner die "erweiterte Hilfe" iS des § 29 BSHG gewährt hat und ob sie den etwaigen Anspruch eines Rechtsnachfolgers des Rentners (§§ 56 bis 58 SGB 1) auf das Altersruhegeld für den Rest des Todesmonats (§ 1294 RVO) wegen ihres Ersatzanspruches gegen den Erben (§ 92c BSHG) pfänden könnte (§ 54 SGB 1). Schließlich mag dahingestellt bleiben, ob ein Rechtsnachfolger des Rentners den Anspruch auf den Restbetrag der Rente nicht, wie es zunächst sinnvoll erscheint, gegen die LVA, sondern gegen die Stadt geltend machen könnte.
Der von der LVA geforderte Betrag ist der Höhe nach unstreitig. Das angefochtene Urteil war aufzuheben; die Stadt war zur Zahlung zu verurteilen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen