Entscheidungsstichwort (Thema)

Geschiedenenwitwenrente. Unterhaltsverzicht. Wegfall der Geschäftsgrundlage

 

Orientierungssatz

Wird erstmals nach dem Tode des Versicherten der Wegfall der Geschäftsgrundlage für einen Unterhaltsverzicht geltend gemacht, ist das verspätete Vorbringen für den Hinterbliebenenrentenanspruch unbeachtlich (vgl BSG vom 28.3.1979 4 RJ 3/78 = SozR 2200 § 1265 Nr 40 Bl 129).

 

Normenkette

RVO § 1265 Abs 1 S 2; RVO § 1265 Abs 1 S 1

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 18.11.1985; Aktenzeichen L 2 J 230/85)

SG Speyer (Entscheidung vom 05.03.1985; Aktenzeichen S 11 J 239/84)

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der beklagten Landesversicherungsanstalt Geschiedenenwitwenrente nach dem Versicherten E.   M.    .

Die Klägerin war seit 1944 mit dem Versicherten verheiratet. Im Juli 1970 wurde die Ehe aus dem Verschulden des Versicherten geschieden. Einen Tag zuvor hatten die Klägerin und der Versicherte, beide vertreten durch ihre Anwälte, eine Vereinbarung geschlossen, in der es heißt:

"Frau E.        M.     verzichtet für die Dauer des Lebens ihres derzeitigen Ehemannes E.   M.     auf sämtliche Unterhaltsansprüche. Die Rechte von Frau M.     auf Geltendmachung von Pensionsansprüchen nach dem Ableben ihres Ehemannes bleiben unberührt."

In einem vor dem Amtsgericht Kaiserslautern anhängigen Rechtsstreit schlossen die Klägerin und der Versicherte im Mai 1977 folgenden Vergleich:

"Die Parteien sind sich darüber einig, daß die Vereinbarung vom 7. Juli 1970 in der Kanzlei von Rechtsanwalt Dr. K.    in Nr. 1 Satz 2 wie folgt auszulegen ist:

Die Rechte von Frau M.     auf Geltendmachung von Pensionsansprüchen und sonstigen Hinterbliebenenansprüchen (wie z.B. die Geschiedenenwitwenrente) bleiben unberührt."

Am 19. August 1983 starb der Versicherte, ohne sich inzwischen wieder verheiratet zu haben. Die Klägerin beantragte, ihr Hinterbliebenenrente zu gewähren. Die Beklagte lehnte den Antrag ab (Bescheid vom 12. September 1983, Widerspruchsbescheid vom 29. Februar 1984). Ein Anspruch sowohl nach § 1265 Abs 1 Satz 1 Reichsversicherungsordnung (RVO) als auch nach § 1265 Abs 1 Satz 2 RVO scheide von vornherein aus, weil die Klägerin in dem anläßlich der Ehescheidung abgeschlossenen Vergleich auf jeden Unterhalt verzichtet habe. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 5. März 1985). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 18. November 1985) und im wesentlichen ausgeführt: Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) habe ein auch für den Fall veränderter Umstände abgeschlossener umfassender Unterhaltsverzicht zur Folge, daß ein Anspruch aus § 1265 Abs 1 Satz 2 RVO nicht bestehe. Der Unterhaltsverzicht der Klägerin sei auch nicht durch die ungünstigen Vermögens- und Erwerbsverhältnisse des Versicherten oder die günstigen der Klägerin veranlaßt worden. Allenfalls komme diesen Umständen eine sekundäre Bedeutung zu. Die Klägerin habe vielmehr nach ihrem eigenen Vorbringen geglaubt, der geschiedenen Frau stehe allgemein kein Unterhaltsanspruch zu.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 1265 Abs 1 Satz 2 RVO.

Sie beantragt,

das angefochtene Urteil sowie das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 5. März 1985, ebenso den Bescheid der Beklagten vom 12. September 1983 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Februar 1984 aufzuheben und die Beklagte zur Zahlung von Hinterbliebenenrente an die Klägerin ab 1. August 1983 sowie zur Zahlung von 4 % Zinsen seit dem 1. September 1983 zu verurteilen;

hilfsweise beantragt sie,

den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist zurückzuweisen. Die Klägerin hat auch aufgrund des § 1265 Abs 1 Satz 2 RVO keinen Anspruch auf Geschiedenen-Witwenrente.

Bis zum Urteil des Senats vom 14. März 1985 (SozR 2200 § 1265 Nr 74) ging die Rechtsprechung des BSG davon aus, daß ein umfassender endgültiger Unterhaltsverzicht jegliche Unterhaltsverpflichtung nach dem Ehegesetz -EheG- und daraus folgend auch die Geschiedenen-Witwenrente nach § 1265 Abs 1 Satz 1 und Satz 2 RVO ausschließe (vgl BSG SozR 2200 § 1265 Nr 40 mwN). Am 23. November 1988 hat der Senat entschieden (5/5b RJ 100/86), daß der Unterhaltsverzicht den Hinterbliebenenrentenanspruch nach § 1265 Abs 1 Satz 2 RVO nicht ausschließt, wenn einer der in Nr 1 dieser Vorschrift genannten Hinderungsgründe einer Unterhaltspflicht des Versicherten - mangelnde Leistungsfähigkeit des Versicherten oder eigene Erwerbseinkünfte der geschiedenen Frau - die wesentliche Ursache für die - deklaratorische - Verzichtserklärung gewesen ist.

Zugunsten der Klägerin wirkt sich diese veränderte Rechtsprechung nicht aus. Das LSG hat nämlich in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, daß die vorgenannten Gründe für den Unterhaltsverzicht der Klägerin gerade nicht wesentlich gewesen sind. An diese mit zulässigen und begründeten Revisionsrügen nicht angegriffenen Feststellungen des LSG ist der Senat gebunden (§ 163 SGG).

Soweit die Klägerin der Auffassung ist, daß für den Unterhaltsverzicht die Geschäftsgrundlage weggefallen sei, kommt es hierauf für den streitigen Rentenanspruch schon deswegen nicht an, weil der Wegfall der Geschäftsgrundlage jedenfalls verspätet, nämlich erstmals während des anhängigen Rechtsstreits und damit nach dem Tode des Versicherten geltend gemacht worden ist (vgl BSG SozR 2200 § 1265 Nr 40 Bl 129).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1654260

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge