Beteiligte

Kläger und Revisionskläger

Allgemeine Ortskrankenkasse für den Kreis Pinneberg, vertreten durch den Geschäftsführer, Pinneberg, Hindenburgdamm 60, Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit von Beitragserhöhungen in der Krankenversicherung.

Der Kläger ist freiwilliges Mitglied der beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse und ohne Anspruch auf Krankengeld zu einem gegenüber dem allgemeinen Beitragssatz ermäßigten Beitragssatz versichert. Die Beklagte hob, jeweils mit Genehmigung der Aufsichtsbehörde, den für Versicherte wie den Kläger geltenden Beitragssatz zum 1. Oktober 1985 auf 11, 2 vH, zum 1. Juli 1986 auf 12, 3 vH, zum 1. Januar 1987 auf 12, 7 v.H. und zum 1. Januar 1988 auf 13, 1 v.H. an. Dadurch stieg der monatliche Beitrag des Klägers u.a. von 217, 72 DM über 224, 80 DM auf 231, 88 DM an.

Der Kläger wandte sich erstmals im Juli 1986 gegen die Beitragserhöhung zum 1. Juli 1986 und beanstandete, daß der Beitrag nach der letzten Anhebung zum 1. Oktober 1985 schon wieder angestiegen sei. Hierauf nahm er Bezug, als er im Dezember 1986 gegen einen Bescheid über die erneute Beitragserhöhung zum 1. Januar 1987 Widerspruch erhob. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 17. März 1987).

Der Kläger hat Klage beim Sozialgericht (SG) Itzehoe erhoben. Während des Klageverfahrens ist der weitere Bescheid über die Beitragserhöhung zum 1. Januar 1988 ergangen. Der Kläger hat im wesentlichen geltend gemacht, die Beitragserhöhungen in kurzen Abständen beeinträchtigten das Vertrauensverhältnis zwischen der Beklagten und ihren Mitgliedern, weil diese mit ihren finanziellen Mitteln langfristig planen müßten. Die Beklagte habe es auch unterlassen, bei der Pharma-Industrie auf Preissenkungen hinzuwirken, um so Beitragserhöhungen zu vermeiden. Sie betrachte Beitragserhöhungen nicht als letztes, sondern als bequemstes Mittel. Das SG hat die Klage durch Urteil vom 10. August 1988 als unbegründet abgewiesen.

Das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers durch Urteil vom 14. März 1989 zurückgewiesen und die Klage als unzulässig angesehen. Der Kläger sei nach seinem eigenen Vorbringen nicht in seinen Rechten verletzt. Er sei an der Festsetzung der Beitragssätze in der Satzung nicht beteiligt und könne deshalb in Mitgliedschaftsrechten nicht beeinträchtigt sein. § 385 der Reichsversicherungsordnung (RVO) habe die Festsetzung des Beitragssatzes geregelt und für die Beklagte das Haushaltsrecht konkretisiert. Einen Anspruch einzelner Kassenmitglieder auf Aufhebung von Beitragssatzerhöhungen habe die Vorschrift nicht vorgesehen. Die Mitglieder könnten von ihrer Kasse eine Einwirkung auf die Arzneimittelpreise nicht verlangen. Eine Klagebefugnis ergebe sich schließlich nicht aus einer Verletzung von Grundrechten, weil eine solche nicht vorliege.

Gegen das Urteil richtet sich die - vom Senat zugelassene - Revision des Klägers. Mit ihr rügt er u.a. eine Verletzung des § 54 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Das LSG habe zu Unrecht ein Prozeßurteil erlassen, statt in der Sache zu entscheiden. Er beanstandet weiterhin die wiederholten Beitragssatzerhöhungen, die ihn auch in Grundrechten verletzten. Bevor Beitragssätze erhöht werden dürften, müsse die Beklagte bei den Ausgaben auf die Arzneimittelpreise sowie die Honorare und Sätze von Leistungserbringern einwirken. Sei das nicht geschehen, müsse der einzelne Versicherte gegen Beitragserhöhungen im Klagewege vorgehen können.

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Urteile des LSG vom 14. März 1989 und des SG vom 10. August 1988 sowie den Bescheid über die Beitragsfestsetzung zum 1. Januar 1987 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. März 1987 und den Bescheid über die Beitragsfestsetzung zum 1. Januar 1988 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG im Ergebnis für zutreffend. Das Vorbringen des Klägers berühre die Rechtmäßigkeit der Beitragsforderung nicht. Die Satzungsbestimmungen zu den Beitragssätzen seien dem Gesetz entsprechend zustande gekommen und genehmigt worden. Aus dem Mitgliedschaftsverhältnis habe der Versicherte keinen Anspruch auf eine bestimmte Verwendung von Haushaltsmitteln oder auf eine bestimmte Vorgehensweise gegen einzelne Leistungserbringer und die Pharma-Industrie.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des Klägers ist im Sinne einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und einer Zurückverweisung an das Berufungsgericht begründet. Das LSG hat zu Unrecht ein Prozeßurteil erlassen, indem es die Klage für unzulässig gehalten hat. Die Klage ist zulässig, wovon zu Recht schon das SG ausgegangen war.

Der Kläger begehrt die Aufhebung der angefochtenen Beitragsbescheide und behauptet, durch sie in seinen Rechten verletzt zu sein. Insofern macht er näher geltend, die Erhöhungen des Beitragssatzes, auf denen die angefochtenen Bescheide beruhen, entsprächen nicht dem Gesetz und verletzten ihn sogar in Grundrechten. Dieses Vorbringen reicht für die Zulässigkeit einer Aufhebungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG aus. Ob es in der Sache zutrifft, ist nicht mehr eine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit der Klage. Dieses hat der Senat - dort für eine Feststellungsklage - bereits mit Urteil vom 9. Oktober 1984 (BSGE 57, 184 = SozR 2200 § 385 Nr. 10) in einem Verfahren entschieden, in dem es um das Recht eines Arbeitgebers ging, seinen Beitragsanteil an dem Krankenversicherungsbeitrag seiner Arbeitnehmer deswegen zu kürzen, weil mit den Beiträgen auch Leistungen finanziert wurden, deren Gewährung er für verfassungswidrig hielt.

Entgegen der Ansicht des LSG war die hier (vor Inkrafttreten des Gesundheits-Reformgesetzes vom 20. Dezember 1988 - BGBl. I 2477 - am 1. Januar 1989) noch anzuwendende Vorschrift des § 385 RVO über die Bemessung der Beiträge keine rein haushaltsrechtliche Vorschrift, die Rechte des Klägers nicht habe berühren können. Sie regelte vielmehr (auch) die Festsetzung des Beitragssatzes und damit eines Faktors, der außer dem Grundlohn die Beitragshöhe des einzelnen Versicherten maßgeblich beeinflußt. Durch eine gesetzwidrige Festsetzung des für ihn maßgeblichen Beitragssatzes ist ein Versicherter infolgedessen auch in eigenen Rechten verletzt, sobald sich eine Erhöhung des Beitragssatzes in einer Anhebung seines Beitrags niederschlägt. Die Genehmigung von Satzungsänderungen über höhere Beitragssätze durch die Aufsichtsbehörde hindert einen betroffenen Versicherten nicht, die Rechtmäßigkeit der Beitragssatzerhöhungen im Wege einer Aufhebungsklage gegen die auf ihnen beruhenden Beitragsbescheide überprüfen zu lassen. Denn die Genehmigung der Aufsichtsbehörde heilt etwaige inhaltliche Mängel der Satzung nicht (vgl. - in anderem Zusammenhang - das Urteil des BSG vom 25. Februar 1966 BSGE 24, 266, 269 = SozR Nr. 1 zu § 324 RVO).

Demgegenüber berufen sich das LSG und die Beklagte zu Unrecht auf das Urteil des 8. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24. September 1986 (BSGE 60, 248 = SozR 1500 § 54 Nr. 67, bestätigt durch Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Juni 1988 BVerfGE 78, 320 = SozR 1500 § 54 Nr. 86). In jenem Verfahren war über die Klage eines Versicherten gegen seine Krankenkasse auf Unterlassung gesetzlich vorgesehener Leistungen an andere Versicherte zu entscheiden; eine solche Klage ist allerdings als unzulässig angesehen worden. Um die Klage eines Versicherten gegen die Kasse auf Unterlassen bestimmter Leistungen an Dritte geht es im vorliegenden Verfahren jedoch nicht. Vielmehr greift der Kläger hier Beitragsbescheide an, die gegen ihn selbst als Versicherten ergangen sind und die er für rechtswidrig hält.

Das LSG wird demnach über die Klage in der Sache zu entscheiden haben. Dabei wird es zu prüfen haben, ob die Beklagte bei den Beitragssatzerhöhungen, auf denen die angefochtenen Bescheide beruhen, die einschlägigen Vorschriften beachtet hat, und die Tatsachen feststellen müssen, aus denen sich dieses ergibt. Da solche Feststellungen im angefochtenen Urteil - vom Rechtsstandpunkt des LSG aus mit Recht - ungeachtet gewisser Ausführungen, die in Wirklichkeit die Begründetheit der Klage betreffen, nicht in ausreichendem Umfang getroffen sind, konnte der Senat in der Sache nicht abschließend entscheiden. Soweit der Kläger geltend macht, die Beklagte müsse vor Erhöhungen des Beitragssatzes kostendämpfend auf Leistungserbringer und die Pharma-Industrie einwirken, ist allerdings fraglich, ob Erhöhungen des Beitragssatzes gesetzwidrig werden, wenn dieses nicht geschehen ist. Insofern kann das genannte Urteil des Senats vom 9. Oktober 1984 (BSGE 57, 184 = SozR 2200 § 385 Nr. 10) im Rahmen der Begründetheit Bedeutung erlangen, sofern es darum geht, ob der Versicherte auf ein bestimmtes Verhalten seiner Krankenkasse hinwirken und insbesondere die Rechtmäßigkeit einer Beitragsforderung wegen eines angeblichen Fehlverhaltens seiner Krankenkasse im Ausgabenbereich zu Fall bringen kann.

Ob der Kläger hiernach letztlich in der Sache Erfolg haben wird, mag zweifelhaft sein. Er verlangt jedoch mit Recht, daß das LSG in der Sache entscheidet.

In seiner abschließenden Entscheidung wird das LSG auch über die Erstattung außergerichtlicher Kosten - einschließlich der des Revisionsverfahrens - befinden.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI518142

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