Entscheidungsstichwort (Thema)
Rücknahme unrichtiger Verwaltungsakte
Leitsatz (redaktionell)
RVO § 1569a ist für das GAL nicht anwendbar. Mit der Bescheiderteilung erlangt der Antragsteller, sofern ihm eine Leistung zugesprochen wurde, ein Recht gegenüber dem Versicherungsträger, das dieser nicht mehr einseitig ändern kann. Auch ein unrichtiger Verwaltungsakt kann nicht zurückgenommen werden, wenn nicht bestimmte Vorschriften die Rücknahme erlauben.
Normenkette
GAL § 25 Abs. 1 Fassung: 1957-07-27, § 8 Abs. 4 Fassung: 1957-07-27; RVO § 1569a Abs. 1 Fassung: 1924-12-15; SGG § 77 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 17. Mai 1960 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Der 1891 geborene Kläger beantragte am 21. März 1958 bei der Beklagten Altersgeld. In seinem Antrag gab er an, daß er seinen Betrieb am 21. März 1958 seinem Schwiegersohn übergeben habe und seit dem 1. November 1950 eine Rente aus der Angestelltenversicherung beziehe. Die Beklagte gab dem Antrag am 15. August 1958 statt. Durch einen Bescheid vom 30. Juni 1959 erklärte sie die Gewährung des Altersgeldes für ungültig und lehnte den Antrag, weil der Kläger wegen Bezugs seiner Angestelltenrente kein beitragspflichtiger Unternehmer gewesen sei (§§ 25 Abs. 1, 8 Abs. 4 des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte vom 27. Juli 1957 (BGBl I 1063 -GAL aF-). Auf die Klage hin verurteilte das Sozialgericht (SG) die Beklagte zur Weiterzahlung des Altersgeldes (Urteil vom 14. Dezember 1959). Das Landessozialgericht (LSG) wies die Berufung der Beklagten zurück (Urteil vom 17. Mai 1960). Zur Begründung führte es aus, der Kläger sei zwar wegen des Rentenbezuges kein beitragspflichtiger Unternehmer gewesen (§§ 25 Abs. 1, 8 Abs. 4 GAL aF) und habe deshalb keinen Anspruch auf Altersgeld. Jedoch sei die Beklagte an ihre frühere Bewilligung gebunden, weil diese als begünstigender Verwaltungsakt nicht mehr widerrufen werden könne. Dieser Verwaltungsakt sei nach § 77 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) bindend, da das Gesetz für das Gebiet der landwirtschaftlichen Altersversorgung keine Ausnahme zugelassen habe. Die Rücknahme dieses Verwaltungsaktes sei auch nicht nach Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts zulässig. Denn eine etwaige derartige Handhabung sei kein Gesetz, wie es § 77 SGG meine. Vielmehr ergebe sich aus § 1744 der Reichsversicherungsordnung (RVO), daß für die Sozialversicherung die Beseitigung rechtskräftiger Verwaltungsakte nur unter den Voraussetzungen zulässig sei, wie sie für die Beseitigung rechtskräftiger Urteile im Zivilprozeß durch Nichtigkeits- und Restitutionsklage gälten. Deshalb bestehe für das Gebiet der Sozialversicherung auch kein Gewohnheitsrecht, das eine Aufhebung unrichtiger begünstigender Verwaltungsakte zulasse. Die Voraussetzungen der §§ 608, 619 und 1744 RVO seien nicht gegeben. Daß der Bewilligungsbescheid keine Rechtsmittelbelehrung enthalten habe, sei unerheblich; denn eine etwaige Anfechtung im Klagewege betreffe nur den Kläger, nicht dagegen die Beklagte, weil dieser gegenüber der Mitteilung über die Bewilligung des Altersgeldes bereits im Zeitpunkt der Zustellung an den Kläger bindend geworden sei. Das LSG ließ die Revision zu.
Die Beklagte legte gegen das am 13. Juni 1960 zugestellte Urteil am 2. Juli 1960 Revision ein und begründete ihr Rechtsmittel am 13. September 1960, nachdem ihr die Frist bis zu diesem Tage verlängert worden war.
Sie trägt vor, das LSG habe die Bedeutung des § 77 SGG verkannt und gegen den anerkannten Rechtsgrundsatz des allgemeinen Verwaltungsrechts verstoßen, wonach begünstigende Verwaltungsakte dann aufgehoben werden könnten, wenn sie rechtswidrig seien und ihr Weiterbestehen gegen das öffentliche Recht verstoße. Der Kläger habe wegen des Bezugs einer Angestelltenrente keinen Anspruch auf Altersruhegeld gehabt; daher sei der bewilligende Verwaltungsakt fehlerhaft und könne kraft Gewohnheitsrecht zurückgenommen werden. Bei der Mitteilung über die Bewilligung des Altersgeldes habe es sich nicht um eine förmliche Feststellung gehandelt, wie es § 21 GAL aF in Verbindung mit § 1569 a RVO verlange. Daher liege auch kein endgültiges Anerkenntnis vor. Da der Bewilligungsbescheid keine Rechtsmittelbelehrung enthalten habe, könne er gemäß § 66 Abs. 2 SGG noch innerhalb eines Jahres seit der Zustellung angefochten werden. Innerhalb dieser Frist habe die Beklagte ihn aber widerrufen.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Hessischen LSG vom 17. Mai 1960 und des SG Gießen vom 14. Dezember 1959 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 30. Juni 1959 abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II.
Die durch die Zulassung statthafte, auch form- und fristgerecht eingelegte Revision ist nicht begründet, weil die Beklagte nicht berechtigt ist, dem Kläger das einmal bewilligte Altersgeld wieder zu entziehen.
Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, der Kläger habe keinen Anspruch auf Altersgeld, weil er nicht ein nach dem Gesetz beitragspflichtiger Unternehmer war. Denn er war wegen Bezugs einer Rente aus der Angestelltenversicherung von der Beitragspflicht zur Altershilfe für die Landwirtschaft befreit (§ 8 Abs. 4 GAL aF) und gehörte deshalb nicht zum Kreis der beitragspflichtigen Unternehmer im Sinne des § 25 GAL aF (vgl. BSG 12, 85). Trotz dieser Rechtslage kann die Beklagte die Bewilligung nicht mehr zurücknehmen.
Zunächst handelt es sich bei der Mitteilung vom 15. August 1958 um einen Verwaltungsakt, auch wenn er nicht als förmlicher Bescheid ergangen ist. § 1569 a RVO steht dem nicht entgegen. Hiernach hat eine förmliche Feststellung zu geschehen, wenn es sich um die Gewährung von Renten handelt, die nicht nur für die Vergangenheit gewährt wurden. Diese für die Unfallversicherung geltende Vorschrift ist aber für das GAL nicht anwendbar. Nach § 21 GAL aF finden für das Verwaltungsverfahren und die Auszahlung des Altersgeldes die für die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften geltenden Bestimmungen entsprechende Anwendung. In § 22 des Gesetzes zur Neuregelung der Altershilfe für Landwirte vom 3. Juli 1961 (BGBl I 845) -GAL nF- ist im wesentlichen das gleiche bestimmt, jedoch mit der Ausnahme, daß § 1569 a RVO nicht anzuwenden ist. Hierbei handelt es sich aber nicht um eine Gesetzesänderung, sondern lediglich um eine Klarstellung der schon bisher bestehenden Übung und Rechtsansicht. Ganz abgesehen davon entspricht die Mitteilung über die Bewilligung des Altersgeldes vom 15. August 1958 den Anforderungen eines Verwaltungsaktes und ist daher als solcher anzusehen. Als Verwaltungsakt ist er auch der Beklagten gegenüber bindend.
Wie der 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in seinem Urteil vom 20. April 1961 (SozR SGG § 77 Nr. 24) dargelegt hat, wird ein Bescheid über die Bewilligung einer Rente für den Versicherungsträger in dem Zeitpunkt bindend, in dem er dem Berechtigten zugeht. Mit der Bescheiderteilung erlange der Antragsteller, sofern ihm eine Leistung zugesprochen wurde, ein Recht gegenüber dem Versicherungsträger, das dieser nicht mehr einseitig ändern könne, weil er an seine Entscheidung bereits mit der Zustellung gebunden war. Wenn auch Bescheide der Versicherungsträger keine erstinstanzliche Wirkung mehr hätten, so könne daraus nicht gefolgert werden, daß die Grundsätze über die Bindung des Versicherungsträgers an seinen anerkennenden Bescheid, und zwar bereits mit Wirkung von der Zustellung an, aufgegeben worden wären. Dagegen spreche schon, daß die Versicherungsträger ihre eigenen Bescheide nicht anfechten können. Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Unter diesen Umständen kommt es auch nicht darauf an, daß der Bewilligungsbescheid keine Rechtsmittelbelehrung enthielt und daß die Beklagte ihn innerhalb eines Jahres seit der Zustellung widerrufen hat. Denn die unterlassene Rechtsmittelbelehrung hätte gegebenenfalls nur Bedeutung für den Kläger, aber nicht für den Versicherungsträger, da, wie bereits ausgeführt, eine Anfechtung eigener Bescheide durch die Versicherungsträger begrifflich ausscheidet.
Der Bescheid über die Bewilligung des Altersgeldes ist daher nach § 77 SGG mit der Zustellung bindend geworden, weil durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist. Denn es fehlt im Bereich der Sozialversicherung an einer dahingehenden ausdrücklichen Regelung. Der 3. Senat hat bereits in einem insoweit gleichgelagerten Fall in seinem Urteil vom 31. Januar 1961 (vgl. BSG 14, 10) mit eingehender Begründung ausgeführt, daß eine derartige gesetzliche Regelung für den Bereich der landwirtschaftlichen Altersversicherung nicht besteht, auch nicht kraft Gewohnheitsrechts oder nach allgemeinen Verwaltungsgrundsätzen. Überdies erlauben im Bereich des GAL, wie überhaupt in der Sozialversicherung, nur bestimmte Vorschriften die Rücknahme bewilligender Verwaltungsakte. Ohne daß deren Voraussetzungen gegeben sind, kann auch ein unrichtiger Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden. Bei dieser ausdrücklichen gesetzlichen Regelung kann auch kein Gewohnheitsrecht oder ein verwaltungsrechtlicher Grundsatz anerkannt werden, daß ohne das Vorliegen der in den genannten Vorschriften aufgeführten Voraussetzungen ein Verwaltungsakt zurückgenommen werden könne. Eine Ausnahme galt gemäß § 1293 Abs. 2 RVO nur für die Zeit von 1934 bis 1937 und gemäß der Sozialversicherungsdirektive Nr. 3 von 1945 bis 1949 für das Gebiet der früheren britischen Zone. Hiernach konnte die Entziehung einer Invaliden- oder Witwenrente auch ohne Feststellung einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse des Berechtigten erfolgen, wenn eine erneute Prüfung ergab, daß er nicht mehr invalide war. Aus der begrenzten zeitlichen Geltung dieser Vorschrift ergibt sich aber, daß es sich um eine Ausnahmevorschrift gehandelt hat, die nur während der angegebenen Zeiträume anzuwenden war. Sonst ist aber eine Rentenbewilligung bindend, auch wenn sie zu Unrecht erfolgte, und kann nur zurückgenommen werden, wenn das Gesetz dies ausdrücklich vorsah. Die Voraussetzungen einer Rentenentziehung nach der RVO sind aber hier nicht gegeben, wie das LSG zutreffend ausführt; insbesondere ist § 1744 RVO nicht erfüllt.
Zu Unrecht beruft sich die Beklagte zur Stützung ihrer entgegengesetzten Meinung auf das Urteil des 2. Senats vom 28. November 1961 - 2 RU 76/59 -, um darzutun, daß ihre Altersgeldbewilligung nicht bindend sei und deshalb ohne weiteres zurückgenommen werden könne. Denn in dem vom 2. Senat entschiedenen Fall hat es sich nur um eine Rentenzahlung auf Grund vorläufiger Fürsorge ohne Anerkenntnis einer eigenen Leistungsverpflichtung gehandelt.
Die Revision der Beklagten ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 SGG.
Fundstellen