Leitsatz (redaktionell)

1. Mit einem nach KOV-VfG § 40 Abs 2 erteilten Bescheid sind die Versorgungsbezüge rückwirkend auch für die Zeit vor dem Inkrafttreten des KOV-VfG - 1955-04-01 - neu festzustellen, sofern für die Zeit vorher Versorgung zu Unrecht versagt worden war.

2. Bei einer Entscheidung nach KOV-VfG § 40 Abs 2 hat die Versorgungsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob eine Neuregelung auch für die Zeit vor dem Inkrafttreten des KOV-VfG (1955-04-01) zu treffen ist.

3. Den in KOV-VfG § 40 Abs 2 enthaltenen Grundgedanken steht nicht entgegen, daß auf die Einrede der Verjährung dem Anspruch nur in dem durch die Verjährung eingeschränkten Rahmen stattgegeben wird.

4. In entsprechender Anwendung der BGB §§ 197, 201 sind die länger als 4 Jahre rückständigen (Kriegsopferversorgungs-) Rentenleistungen verjährt; als rückständig sind die einzelnen Leistungen anzusehen; wenn der Zeitpunkt eingetreten ist, zu dem sie hätten gewährt werden sollen, aber nicht gewährt worden sind.

 

Normenkette

KOVVfG § 40 Abs. 2 Fassung: 1955-05-02; BGB § 197 Fassung: 1896-08-18, § 201 S. 1 Fassung: 1896-08-18

 

Tenor

Die Revisionen des Beklagten und der Beigeladenen gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 5. August 1964 werden als unbegründet zurückgewiesen.

Der Beklagte und die Beigeladene haben der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

Der Sohn der Klägerin aus erster Ehe, H F, ist im Kriege gefallen. Seit Mai 1948 ist die Klägerin in beiderseitig zweiter Ehe mit dem Fuhrunternehmer H O verheiratet. Die Klägerin erhielt ab 1. August 1945 und auf Grund der Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 27 vom 1. August 1947 an Elternrente nach ihrem Sohn Heinrich. Mit Umanerkennungsbescheid vom 6. Oktober 1952 wurde die Elternrente ab 1. Oktober 1950 nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) festgestellt und das Einkommen des Ehemannes (Invalidenrente und Einkommen aus dem Fuhrgeschäft) angerechnet. Auch in dem Rentenänderungsbescheid vom 5. Dezember 1953 wurde das Einkommen des Ehemannes als sonstiges Einkommen der Klägerin berücksichtigt. Auf den Antrag des Ehemannes der Klägerin von Dezember 1954, ihm nach seinem im Kriege gefallenen Sohn aus erster Ehe, H O, Elternrente zu gewähren, bewilligte das Versorgungsamt (VersorgA) durch Bescheid vom 6. Juni 1956 anstelle der Elternrente den Eheleuten ab 1. Dezember 1954 die Rente für ein Elternpaar einschließlich der Erhöhung nach § 51 Abs. 3 BVG, die im Wege des Härteausgleichs gewährt wurde. Im Dezember 1956 beantragte die Klägerin unter Bezugnahme auf die Neufassung des § 51 Abs. 4 BVG idF vom 6. Juni 1956 erneute Bewilligung der Elternrente. Dieser Antrag wurde durch Bescheid vom 2. April 1957 abgelehnt; gleichzeitig wurde die Rente für ein Elternpaar nach dem Fünften Gesetz zur Änderung und Ergänzung des BVG ab 1. April 1956 neu festgestellt. Der Widerspruch war erfolglos. Das Sozialgericht (SG) wies die Klage mit Urteil vom 16. Mai 1958 ab; es ließ die Berufung zu. Während des Berufungsverfahrens wurde durch Bescheid vom 23. November 1957 die Elternrente auf Grund des Sechsten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des BVG vom 1. Juli 1957 neu festgestellt. Im August 1958 beantragte die Klägerin unter Bezugnahme auf den Erlaß des Bundesministers für Arbeit vom 20. Mai 1958 (BVBl 1958, 62) den Erlaß eines Zugunstenbescheides nach § 40 Abs. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG). Darauf veranlaßte das VersorgA den Ehemann der Klägerin, für seine Person auf Bindung und Wirkung der Bescheide vom 6. Juni 1956, 2. April 1957 und 23. November 1957 von dem Zeitpunkt an zu verzichten, von dem an der Klägerin die Elternteilrente gewährt werde. Mit Bescheid vom 9. Mai 1959 bewilligte es gemäß § 40 Abs. 2 VerwVG der Klägerin vom 1. August 1958 an Elternteilrente ohne Anrechnung des Einkommens ihres Ehemannes und einschließlich der Erhöhung für den Sohn H als einziges Kind. Die Rente für den Ehemann wurde ab 1. August 1958 eingestellt, weil mit seinem Einkommen von 138,- DM die Einkommensgrenze überschritten wurde. Das Landessozialgericht (LSG) lud die Bundesrepublik bei. Der Beklagte erkannte in der mündlichen Verhandlung vom 5. August 1964 an, daß dem Bescheid vom 9. Mai 1959 Rückwirkung bis zum 1. April 1955, dem Inkrafttreten des VerwVG, beigelegt werde; die Klägerin nahm dieses Teilanerkenntnis an. Sie beantragte, den Beklagten zu verurteilen, unter entsprechender Änderung des Bescheides vom 9. Mai 1959 die Elternteilrente auch vom 1. Oktober 1950 bis 31. März 1955 zu gewähren. Der Beklagte und die Beigeladene beantragten Abweisung der Klage und beriefen sich auf Verjährung. Unter Aufhebung der Bescheide vom 6. Oktober 1952, 5. Dezember 1953, 6. Juni 1956, 2. April 1957, 23. November 1957 und entsprechender Abänderung des Bescheides vom 9. Mai 1959 verurteilte das LSG mit Urteil vom 5. August 1964 den Beklagten, der Klägerin Elternteilrente auch für die Zeit vom 1. Januar 1952 bis 31. März 1955 zu gewähren. Im übrigen wurde die Klage gegen den Bescheid vom 9. Mai 1959 zurückgewiesen. Die Versorgungsverwaltung habe der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu der Frage, ob bei nur einem anspruchsberechtigten Elternteil das Einkommen beider Ehegatten angerechnet werden dürfe, Rechnung getragen und der Klägerin durch den Zugunstenbescheid vom 9. Mai 1959, der nach § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des Verfahrens geworden sei, eine entsprechende Elternteilrente ab 1. April 1955 gewährt. Streitig sei nur noch, ob diesem nach § 40 Abs. 2 VerwVG erlassenen Bescheid über den 1. April 1955 Rückwirkung beizulegen sei und ob er bis zum 1. Oktober 1950 an die Stelle der früheren Entscheidungen treten könne. Der Auffassung des Beklagten und der Beigeladenen, eine solche unbegrenzte Rückwirkung verstoße gegen den Gedanken der Rechtssicherheit, auch sei § 40 Abs. 2 VerwVG eine neuartige Vorschrift und für die vorangegangene Zeit habe es an einer Rechtsnorm gleichen Inhalts gefehlt, könne nicht zugestimmt werden. Mit diesen Fragen habe sich das BSG in der Entscheidung vom 28. November 1962 (Breithaupt 1963, 343) bereits auseinandergesetzt. Der Verpflichtung, nach § 40 Abs. 2 VerwVG neu zu entscheiden, sei nur genügt, wenn die Neuregelung rückwirkend an die Stelle der früheren Entscheidung, soweit sie fehlerhaft sei, trete. Ebenso habe es den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts, die u. a. auch in Ziff. 26 der Sozialversicherungsanordnung (SVA) Nr. 11 ihren Niederschlag gefunden hätten, entsprochen, unanfechtbar gewordene belastende Verwaltungsakte auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen und bei Unrichtigkeit anstelle der alten rückwirkend neue Verwaltungsakte zu erlassen. Die Rückwirkung einer nach § 40 Abs. 2 VerwVG getroffenen Entscheidung führe im allgemeinen nicht zu einer zeitlich unbegrenzten Neufeststellung der Versorgungsbezüge, da Versorgungsansprüche nach dem BVG in entsprechender Anwendung des § 197 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) in vier Jahren verjährten. Da die Klägerin erstmals im Dezember 1956 einen Antrag auf Wiedergewährung der Elternrente gestellt habe, seien alle bis zum 31. Dezember 1951 entstandenen Ansprüche auf Rentennachzahlung verjährt.

Mit ihren zugelassenen Revisionen rügen der Beklagte und die Beigeladene, das LSG habe die §§ 40 Abs. 2, 51 Abs. 1 VerwVG und die anerkannten Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts sowie die vor Inkrafttreten des VerwVG in Nordrhein-Westfalen geltenden Vorschriften verletzt. Das angefochtene Urteil stehe auch im Widerspruch zu den Grundsätzen der Rechtsprechung des BSG, wonach eine Rücknahme von Bescheiden auf Grund des VerwVG nicht für die Zeit vor dem Inkrafttreten des VerwVG, d. h. vor dem 1. April 1955, zulässig sei. Entgegen der Auffassung des LSG sei der Beklagte auf Grund der vor dem 1. April 1955 bestehenden Rechtslage nicht verpflichtet gewesen, beim Wechsel der Rechtsprechung rückwirkend einen Zugunstenbescheid unter Zugrundelegung der neueren Rechtsprechung zu erteilen. Eine solche Verpflichtung habe weder auf Grund des § 66 Abs. 1 Nr. 12 des Verfahrensgesetzes von 1922, der SVD Nr. 27 oder der Vorschriften der Reichsversicherungsordnung - RVO - (§§ 1744, 619 RVO) bestanden. Die Versagung der Rückwirkung sei nicht ermessensfehlerhaft, da die Fehlerhaftigkeit des aufzuhebenden Bescheides nicht in den Verantwortungsbereich der Versorgungsverwaltung gefallen sei und auch keine besondere Härte für die Klägerin vorliege. Der Beklagte hat insbesondere ausgeführt, für die Zeit vor dem 1. April 1955 habe gemäß § 84 Abs. 3 BVG i. V. m. § 1 SVD Nr. 27 für die Erteilung von Zugunstenbescheiden die Vorschrift des § 619 RVO gegolten, wodurch die Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts verdrängt worden seien. Deshalb sei die Frage der Rückwirkung für die Zeit vor dem 1. April 1955 nach dieser dem § 40 Abs. 1 VerwVG entsprechenden Vorschrift zu beurteilen. Auch nach der Rechtsprechung des BSG (BSG 19, 12) stehe es im Ermessen der Verwaltung, ob sie einer neuen Regelung nach § 40 Abs. 1 VerwVG Rückwirkung beilegen wolle; sie könne für die Vergangenheit ganz oder teilweise an der Bindungswirkung des den Betroffenen belastenden Bescheides festhalten. Dieser rechtliche Gesichtspunkt sei in den Entscheidungen des BSG, auf die sich das LSG gestützt habe (BSG 15, 137 und Urteil vom 28. November 1962 - 10 RV 207/60 - Breithaupt 1963, 343) nicht ausreichend berücksichtigt worden. Der Beklagte und die Beigeladene beantragen, unter Abänderung des Urteils des LSG Nordrhein-Westfalen vom 5. August 1964 die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Dortmund vom 16. Mai 1958 zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revisionen des Beklagten und der Beigeladenen zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Sie weist darauf hin, daß nach dem Urteil des BSG vom 23. April 1963 (BSG 19, 93) auch bei der Neufeststellung einer Rente nach § 79 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) der neue Bescheid an die Stelle des ursprünglichen, als unrichtig erkannten Bescheides tritt und die neu festgestellten Leistungen daher regelmäßig von Anfang an - ex tunc - zu gewähren sind. Gleiches sei auch für den Tatbestand des § 619 RVO aF anzunehmen.

Die durch Zulassung statthaften Revisionen des Beklagten und der Beigeladenen sind form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 SGG) und deshalb zulässig. Sachlich sind sie nicht begründet.

Da das LSG einen Anspruch der Klägerin auf (höhere) Elternteilrente für die Zeit vor dem 1. Januar 1952 verneint und die Klägerin das Urteil nicht angefochten hat, ist insoweit über den Anspruch rechtskräftig entschieden. Es ist nur noch streitig, ob der Beklagte zu Recht verurteilt worden ist, die Elternteilrente für die Zeit vom 1. Januar 1952 bis 31. März 1955 zu zahlen.

Nach § 40 Abs. 2 VerwVG idF bis zum Inkrafttreten des Ersten Neuordnungsgesetzes (1. NOG) vom 27. Juni 1960 (BGBl I, 453) ist auf Antrag des Berechtigten ein neuer Bescheid zu erteilen, wenn das Bundessozialgericht in einer Entscheidung von grundsätzlicher Bedeutung nachträglich eine andere Rechtsauffassung vertritt, als der früheren Entscheidung zugrunde gelegen hat. § 40 Abs. 2 VerwVG ist durch das 1. NOG dahin geändert worden, daß an die Stelle der Worte "in einer Entscheidung von grundsätzlicher Bedeutung" die Fassung "in ständiger Rechtsprechung" getreten ist. Außerdem wurde in Abs. 3 bestimmt, daß das VersorgA zur Erteilung eines neuen Bescheides der Zustimmung des Landesversorgungsamts (LVersorgA) bedarf. Die Voraussetzungen für die Erteilung des neuen Bescheides vom 9. Mai 1959 lagen nach der damals geltenden Fassung des § 40 Abs. 2 VerwVG vor. Die Klägerin hat im Dezember 1956 die Wiedergewährung der Elternteilrente beantragt. Das BSG hat in Entscheidungen von grundsätzlicher Bedeutung wie auch in ständiger Rechtsprechung in der für die Beurteilung des Anspruchs der Klägerin entscheidenden Frage, ob und inwieweit das Einkommen des Ehemannes auf die Elternteilrente der Ehefrau anzurechnen ist, nachträglich eine andere Rechtsauffassung vertreten, als sie den früheren Bescheiden der Versorgungsbehörde zugrunde gelegen hatte. Wie der erkennende Senat sowie der 8. und 10. Senat des BSG entschieden haben, ist bei der Feststellung der Elternrente nach § 51 Abs. 2 BVG nur das Einkommen des versorgungsberechtigten Elternteils einschließlich des Geldwertes eines Unterhaltsanspruchs gegen den anderen Teil zu berücksichtigen (BSG 4, 165; 5, 293, 294; 7, 79 sowie Urteil vom 27. Februar 1958 - 8 RV 381/55 - siehe auch BSG 15, 139). Von grundsätzlicher Bedeutung sind diese Entscheidungen, weil sie über den Einzelfall hinaus der Einheit und der Fortentwicklung des Rechts dienen oder für eine Anzahl ähnlich liegender Fälle eine Klärung bringen (vgl. BSG 2, 132 zu dem Begriff "grundsätzliche Bedeutung" in § 150 Nr. 1 SGG sowie BSG in SozR Nr. 2 zu § 40 VerwVG). Ständig ist die Rechtsprechung, weil in wiederholten Entscheidungen an ihr festgehalten wurde.

Zutreffend hat das LSG auch angenommen, daß der neue Bescheid nach § 40 Abs. 2 VerwVG rückwirkend zu erteilen ist. Das BSG hat diese Rechtsauffassung wiederholt und eingehend begründet (BSG 15, 137, 140 ff; Urteil vom 28. November 1962 - 10 RV 207/60 - Breithaupt 1963, 343; Urteil vom 26. November 1963 - 10 RV 191/61 - BVBl 1964, 115; Urteil vom 25. Juni 1965 - 10 RV 779/63 -). Hervorzuheben ist, daß aus der selbständigen Stellung, die dem § 40 Abs. 2 VerwVG gegenüber § 40 Abs. 1 VerwVG beigelegt ist, und dem dadurch begründeten Zusammenhang dieser Vorschrift mit den §§ 41, 42 VerwVG, die die Verpflichtung zu einer rückwirkenden Berichtigung bzw. Neufeststellung begründen, folgt, daß auch im Falle des § 40 Abs. 2 VerwVG die neue Entscheidung an die Stelle der früheren Bescheide zu treten und diese zu ersetzen hat. Diese Rechtsauffassung wird zudem durch die Entstehungsgeschichte des § 40 Abs. 2 VerwVG gestützt; denn der in dieser Vorschrift enthaltene Rechtsgedanke der Neufeststellung auf Grund einer geänderten Rechtsprechung geht auf § 66 Abs. 1 Nr. 12 des Gesetzes über das Verfahren in Versorgungssachen (VerfG) vom 10. Januar 1922 idF vom 2. November 1934 (RGBl I, 1113) zurück; in dem Entwurf des VerwVG war demgemäß die Regelung des § 40 Abs. 2 VerwVG in die Wiederaufnahmegründe des § 42 VerwVG aufgenommen worden; die Vorschrift wurde dann dem § 40 VerwVG angefügt (vgl. auch BSG 15, 140 und Urteil des BSG vom 28. November 1962). Wenn hiernach auch zweifelhaft sein kann, ob § 40 Abs. 2 VerwVG rechtssystematisch noch als die Anerkennung eines Wiederaufnahmegrundes zugunsten des Berechtigten angesehen werden kann, so erstrebt die Vorschrift doch sachlich das Ziel und die Wirkung, die an einen Wiederaufnahmegrund geknüpft wird, denn die neue Entscheidung soll eine der Rechtsprechung des BSG angepaßte neue Regelung treffen. Sie hat somit die Bescheide zu ersetzen, die zeitlich und sachlich dieser Rechtsprechung entgegenstehen, wobei die Bindungswirkung früherer Bescheide unbeachtlich sein soll (vgl. auch Urteil des BSG vom 28. November 1962). Der erkennende Senat sieht die Richtigkeit dieser Rechtsprechung, der er sich anschließt, auch dadurch bestätigt, daß die Verpflichtung zur Neufeststellung nach § 79 AVG idF des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes vom 23. Februar 1957 (BGBl I, 88), der dem § 1300 RVO entspricht und als eine dem § 40 Abs. 2 VerwVG vergleichbare Vorschrift anzusehen ist, in der Rechtsprechung des BSG die gleiche Auslegung gefunden hat (BSG 19, 93). Auch zu § 627 RVO idF des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes (UVNG) vom 30. April 1963 (BGBl I, 241) wird in der Literatur dieselbe Auffassung vertreten, nämlich daß eine Verpflichtung zu rückwirkender Neufeststellung besteht (vgl. Lauterbach, Unfallversicherung, 3. Aufl. § 627 Anm. 7 h). Im übrigen hat der Beklagte durch sein Anerkenntnis vom 5. August 1964 zum Ausdruck gebracht, daß er in der Frage der Rückwirkung nicht länger an der im Bescheid vom 9. Mai 1959 vertretenen Auffassung festhalten will.

Die Revisionsangriffe des Beklagten und der Beigeladenen gegen das angefochtene Urteil richten sich im wesentlichen auch nur noch dagegen, daß das LSG eine Verpflichtung des Beklagten, eine Neuregelung zu treffen, auch für die Zeit vor dem Inkrafttreten des VerwVG, d. h. vor dem 1. April 1955, angenommen hat. Sie sehen darin einen Verstoß gegen § 51 Abs. 1 VerwVG. Der 10. Senat des BSG hat in den bereits genannten Urteilen vom 28. November 1962 und 25. Juni 1965 die Verpflichtung der Versorgungsbehörde zu einer Neufeststellung nach § 40 Abs. 2 VerwVG auch für die Zeit vor dem 1. April 1955 bejaht. Er ließ dahingestellt, ob die Rechtsprechung des BSG, nach der Berichtigungen zuungunsten des Berechtigten gemäß den §§ 41, 42 VerwVG nicht über den Zeitpunkt des Inkrafttretens des VerwVG hinaus wirken können, auch für § 40 Abs. 2 VerwVG gilt (vgl. BSG in SozR Nr. 9 und Nr. 11 zu § 41 VerwVG). Selbst wenn die Verpflichtung zur Neuregelung gemäß § 40 Abs. 2 VerwVG erst mit dem 1. April 1955 einsetzen würde, so sei die Versorgungsbehörde für die Zeit vorher jedenfalls nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts gehalten, belastende Verwaltungsakte, die unanfechtbar geworden waren, auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen und bei Unrichtigkeit neue Verwaltungsakte an deren Stelle, d. h. rückwirkend anstelle der alten, zu erlassen. Diese Grundsätze hätten auch schon früher im Recht der Kriegsopferversorgung, insbesondere in den Vorschriften der SVA Nr. 11 Ziff. 26, in Art. 30 Abs. 4 des Körperbeschädigten-Leistungsgesetzes und § 66 VerfG i. V. m. § 1 des Badischen Landesgesetzes über das Verfahren in Versorgungssachen vom 15. März 1950 ihren Ausdruck gefunden. Es kann dahingestellt bleiben, ob diese bei Erlaß des Bescheides vom 9. Mai 1959 nicht mehr geltenden Verfahrensbestimmungen noch für die Frage von Bedeutung sind, nach welchen Grundsätzen 1959 die vor dem 1. April 1955 erlassenen Bescheide aufgehoben werden konnten oder mußten, oder ob diese Frage nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts zu beurteilen ist. Denn durch keine dieser Vorschriften wurde eine (unmittelbare) Verpflichtung der Verwaltungsbehörde zum Erlaß eines neuen Bescheides begründet, da sie nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden durfte. Dem Beklagten und der Beigeladenen ist auch darin beizupflichten, daß nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts die Verwaltungsbehörden nicht verpflichtet sind, ohne Änderung der Sach- und Rechtslage ein durch unanfechtbar gewordenen Verwaltungsakt abgeschlossenes Verfahren deshalb wieder aufzugreifen, weil sich der unanfechtbar gewordene Verwaltungsakt nachträglich auf Grund höchstrichterlicher Rechtsprechung als rechtswidrig erweist (BVerwG Urteil vom 30. März 1966 - V C 91.46 - (DÖV 1966, 866) mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung des BVerwG). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz erkennt die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung nach Art. 3 des Grundgesetzes (GG) an, wenn sich eine Verwaltungspraxis im Sinne einer Selbstbindung der Verwaltung gebildet hat und eine Abweichung von einer solchen Praxis im konkreten Fall nicht auf sachgemäßen Erwägungen beruht (BVerwG aaO). Auch die Rechtsprechung des BSG hat dem pflichtgemäßen Ermessen der Verwaltung einen weiten Spielraum gelassen und ausgesprochen, daß die Versorgungsbehörde, die einen neuen Bescheid zugunsten des Berechtigten nach § 40 Abs. 1 VerwVG erteilt, nicht verpflichtet ist, den früheren ablehnenden Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit (ex tunc) zurückzunehmen (BSG 19, 12). Nicht einmal Entscheidungen, die auf einer verfassungswidrigen Auslegung einer Norm beruhen und unanfechtbar geworden sind, begründen eine Verpflichtung der Verwaltung oder des Gesetzgebers zu einer rückwirkenden Aufhebung dieser Verwaltungsakte (Entscheidung des BVerfG vom 11. Oktober 1966 in DVBl 1966 S. 896 mit weiteren Angaben aus der Rechtsprechung des BVerfG). Dennoch stimmt der erkennende Senat für den vorliegenden Sachverhalt der von dem 10. Senat des BSG vertretenen Rechtsauffassung im Ergebnis zu. Wenn die Verpflichtung zur Überprüfung früher erlassener Bescheide mit der sich aus § 40 Abs. 2 VerwVG ergebenden Rechtsfolge auf die Zeit nach dem 31. März 1955 begrenzt ist (§§ 51 Abs. 1 VerwVG) und sich daraus jedenfalls unmittelbar nur die Verpflichtung zur Neufeststellung bis zum Inkrafttreten des VerwVG (1. April 1955) ergeben sollte, so folgt daraus noch nicht, daß die Versorgungsbehörde für die Zeit vorher eine Berichtigung allein unter Berufung auf das ihr eingeräumte Ermessen ohne weiteres ablehnen und die Besonderheit der in diesem Falle zu beachtenden Umstände außer Betracht lassen darf. Sie würde dadurch ihre Verpflichtung, im Rahmen des Ermessens pflichtgemäß zu entscheiden, d. h. die Gründe für und gegen eine Berichtigung früherer Bescheide abzuwägen, verletzen (vgl. hierzu auch BSG in SozR Nr. 1 zu § 619 RVO idF vor Inkrafttreten des UVNG). Jedes Ermessen bedarf der Ausfüllung durch Bewertungsgrundsätze, die, soweit sie dem Gesetz entnommen werden können, zu beachten sind und dadurch die Freiheit des Ermessens einschränken. Ermessensentscheidungen, die nicht erkennen lassen, auf welche objektiv erheblichen Maßstäbe sie gestützt sind, entziehen sich der Nachprüfung, ob das Ermessen fehlerfrei ausgeübt wurde. § 40 Abs. 2 VerwVG verpflichtet die Versorgungsbehörden, sich rückwirkend die Rechtsauffassung des BSG zu eigen zu machen, weil das Gesetz einer Entscheidung des BSG von grundsätzlicher Bedeutung oder einer ständigen Rechtsprechung des BSG den Rang einer über den Einzelfall hinausgehenden authentischen Interpretation von Rechtsnormen verleiht und ihr deshalb auch in der Praxis der Verwaltungsbehörden auf Antrag des Berechtigten Geltung verschaffen will. Die in § 40 Abs. 2 VerwVG mit Verpflichtungswirkung getroffene Regelung geht somit von einem bestimmten Rangverhältnis zwischen Bindungswirkung und Rechtssicherheit einerseits, materieller Gerechtigkeit und Rechtsprechung andererseits aus; dieser Grundgedanke verlangt auch für den Fall, daß eine Regelung nach § 40 Abs. 2 VerwVG zu treffen ist, über den zeitlichen Geltungsbereich des VerwVG hinaus Beachtung. Es ist der Beweggrund und die innere Rechtfertigung für die dort getroffene Regelung und muß deshalb auch maßgebend bleiben, wenn die Versorgungsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden hat, ob eine neue Regelung für die Zeit vor dem Inkrafttreten des VerwVG zu treffen ist. Eine Entscheidung der Versorgungsbehörde, die im Zusammenhang mit einer Regelung nach § 40 Abs. 2 VerwVG dem im Gesetz vorausgesetzten Vorrang der Ergebnisse der Rechtsprechung des BSG nicht Rechnung trägt, ist in der Regel fehlerhaft, weil sie der Bindungswirkung früherer Bescheide eine von der Rechtsordnung nicht gebilligte ungerechtfertigt hohe und darum mit dem pflichtgemäßen Ermessen nicht zu vereinbarende Bedeutung beimißt. Ob Ausnahmen von diesem Grundsatz anzuerkennen sind und in einzelnen Fällen Anlaß bestehen kann, dem Festhalten an der Bindungswirkung dennoch das größere Gewicht beizumessen, bedarf nicht der Entscheidung, da ein solcher Fall aus dem Sachverhalt nicht ersichtlich ist und insbesondere von dem Beklagten und der Beigeladenen insoweit nichts vorgebracht ist.

Aus alledem ergibt sich, daß das LSG die mit der Rechtsprechung des BSG nicht im Einklang stehenden vor dem 1. April 1955 erlassenen Bescheide zu Recht aufgehoben hat, weil eine andere Entscheidung als die Neufeststellung der Elternteilrente der Klägerin entsprechend der Rechtsprechung des BSG einen Ermessensfehlgebrauch darstellen würde (BSG 9, 239).

Mit Recht hat das LSG die Verjährungseinrede des Beklagten beachtet und ihn deshalb nur verurteilt, der Klägerin Elternteilrente vom 1. Januar 1952 bis 31. März 1955 zu gewähren. Die Klägerin, die bereits vor Erlaß des Umanerkennungsbescheides Elternrente bezogen hatte, hat ihren Anspruch auf Elternteilrente im Dezember 1956 erneut geltend gemacht und in dem Widerspruch gegen den Bescheid vom 2. April 1957 ausdrücklich auf das Urteil des erkennenden Senats vom 5. Dezember 1956 (BSG 4, 165) Bezug genommen, somit ihren Versorgungsanspruch auf § 40 Abs. 2 VerwVG gestützt. In entsprechender Anwendung der §§ 197, 201 BGB sind die länger als 4 Jahre rückständigen Rentenleistungen verjährt (BSG 19, 88 ff). Als rückständig sind die einzelnen Leistungen anzusehen, wenn der Zeitpunkt eingetreten ist, zu dem sie hätten gewährt werden sollen, aber nicht gewährt worden sind. Die Rente kann somit erst vom Beginn des Zeitraumes von 4 Jahren - zurückgerechnet vom Beginn des Jahres, in dem die Klägerin den Antrag auf Wiedergewährung der Rente gestellt hat - also vom 1. Januar 1952 an, gewährt werden. Die Anwendung der Verjährungsgrundsätze auch auf Ansprüche nach § 40 Abs. 2 VerwVG hat der 10. Senat des BSG bereits in dem Urteil vom 26. November 1963 grundsätzlich bejaht (BVBl 1964, 115; vgl. auch BSG 19,93 zu § 79 AVG). Dieser Auffassung tritt der erkennende Senat bei. Dem in § 40 Abs. 2 VerwVG enthaltenen Grundgedanken, daß dem Versorgungsberechtigten sachlich-rechtlich die Leistungen zu gewähren sind, die ihm bei zutreffender Gesetzesauslegung hätten gewährt werden müssen, steht nicht entgegen, daß auf die Einrede der Verjährung dem Anspruch nur in dem durch die Verjährung eingeschränkten Rahmen stattgegeben wird. Inwieweit in der Geltendmachung der Verjährungseinrede im einzelnen Falle eine unzulässige Rechtsausübung erblickt werden könnte, brauchte hier nicht entschieden zu werden, da die Klägerin gegen das Urteil des LSG Revision nicht eingelegt hat und Umstände, die eine unzulässige Rechtsausübung darstellen könnten, nicht ersichtlich sind.

Da das LSG somit der Klägerin die Elternrente ab 1. Januar 1952 zu Recht zugesprochen hat, waren die Revisionen des Beklagten und der Beigeladenen als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1982511

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