Leitsatz (redaktionell)
1. Zum Umfang einer Ermessensentscheidung nach KOV-VfG § 40 Abs 1.
2. Das pflichtgemäße Ermessen der Verwaltungsbehörde erstreckt sich sowohl darauf, ob überhaupt eine Überprüfung angezeigt ist, wie auch auf die weitere Frage, ob eine Entscheidung zugunsten des Berechtigten gefunden werden soll und in welchem Umfang von der früheren Entscheidung abgegangen werden kann.
3. Gibt die Versorgungsbehörde ihrer Zugunstenentscheidung (KOV-VfG § 40 Abs 1) ermessensfehlerfrei vier Jahre Rückwirkung (hier: ab 1961-03-01 auf einen Zugunstenantrag vom März 1965), kommt es auf die - hilfsweise geltend gemachte - Einrede der Verjährung nicht an.
4. Nach Übereinstimmender Meinung aller Kriegsopfersenate des BSG, auch der früheren, begründet KOV-VfG § 40 Abs 1 nur eine Ermessensverpflichtung der Versorgungsverwaltung bei der Entscheidung, ob und in welchem Umfange sie im Interesse materieller Gerechtigkeit von bindend gewordenen Entscheidungen durch Erlaß eines Zugunstenbescheid abgehen will.
5. KOV-VfG § 40 Abs 1 begründet keinen Anspruch auf eine Regelung, die in sachlicher und zeitlicher Hinsicht der bei einer Erstentscheidung über den Versorgungsanspruch zuzubilligenden Leistung entsprechen mußte.
Normenkette
KOVVfG § 40 Abs. 1 Fassung: 1960-06-27; BGB § 197 Fassung: 1896-08-18
Tenor
Auf die Sprungrevision des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 18. Mai 1967 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der im Jahre 1921 geborene Kläger erhält wegen Lungentuberkulose und Verlustes beider Großzehen sowie Verstümmelung des Endgliedes der 2. Zehe links Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Die schon vor dem Inkrafttreten des BVG aufgrund der Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 27 wegen dieser Gesundheitsstörungen bewilligte Versorgungsrente war gemäß Bescheid vom 29. Januar 1948 ab 1. August 1947 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 70 v.H. bemessen worden; sie wurde vom 1. Juni 1949 an nach einer MdE um 50 v.H. und ab 1. Oktober 1950 nach einer MdE um 40 v.H. festgesetzt. Dieser MdE-Grad wurde auch dem Umanerkennungsbescheid nach dem BVG vom 21. August 1951 zugrunde gelegt. Schon in dem 1947 gestellten Versorgungsantrag hatte der Kläger als den vor der Schädigung ausgeübten Beruf "Berglehrling", als den derzeitigen Beruf "Schneiderumschüler" angegeben. Daß er als früherer Berglehrling nunmehr nach der Umschulung auf das Schneiderhandwerk den neuen Beruf als Schneider auch tatsächlich ausübe, hat der Kläger später wiederholt im Fragebogen und bei Nachuntersuchungen, zB 1952 und 1954 angegeben. Zur Vervollständigung der Versorgungsakten wurden von ihm 1957 nähere Angaben über seinen beruflichen Werdegang erbeten; er teilte mit, von 1936 bis 1938 Schlepper bei Rheinpreußen gewesen zu sein, seine am 1. Mai 1946 begonnene Lehre als Schneider am 16. Juli 1948 beendet zu haben und noch als Schneidergeselle tätig zu sein. Ferner machte er Angaben über sein Lohneinkommen als Schneidergeselle. Das Versorgungsamt (VersorgA) nahm diese Angaben des Klägers zum Anlaß einer Prüfung, welche Tätigkeit im Bergbau er von 1936 bis 1938 ausgeübt sowie welchen Lohn er hierbei erzielt habe, und ob wegen des geringen Arbeitsverdienstes als Schneidergeselle Berufsumschulungsmaßnahmen einzuleiten seien. Der Kläger erklärte, daß er beabsichtigt habe, nach der Entlassung aus dem Wehrdienst die Bergschule zu besuchen, um sich als Steiger ausbilden zu lassen; er sei an Berufsumschulungsmaßnahmen stark interessiert. Die um Stellungnahme hierzu ersuchte Fürsorgestelle für Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene des Landkreises Moers teilte am 20. Januar 1958 mit, daß Umschulungsmaßnahmen nach § 26 BVG ihres Erachtens nicht in Frage kämen, wegen des erheblich niedrigeren Einkommens des Klägers in seinem Beruf als Schneider - im Vergleich zu dem eines Bergmannes oder Steigers - die Erwerbsminderung wegen beruflichen Betroffenseins aber höher zu bewerten sei. In der Stellungnahme vom 19. März 1958 kam das VersorgA zu dem Ergebnis, bei der Bemessung der MdE mit 40 v.H. sei zwar nur die Beeinträchtigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt berücksichtigt worden; der Kläger habe aber keine Berufsausbildung (als Bergmann) durchgemacht, da er nur als jugendlicher Arbeiter und Hilfsarbeiter über Tage und als Schlepper beschäftigt worden sei. Der Beruf eines Schneiders sei sozial höher zu bewerten als die Tätigkeit eines ungelernten Arbeiters im Bergbau; der Kläger erziele zwar als Schneidergehilfe einen im Vergleich zu dem Beruf eines ungelernten Bergmannes geringeren Lohn. Da die Arbeit im Bergbau aber mit wesentlich größeren Anstrengungen verbunden sei, müsse der derzeitige Beruf des Klägers als gleichwertig angesehen werden. Der Nachweis dafür, daß er den Beruf eines Steigers erstrebt habe, sei nicht erbracht. Dem Kläger wurde das Ergebnis dieser Prüfung im einzelnen nicht mitgeteilt, ihm wurde nur bekannt gemacht, daß eine Änderung im Sinne des § 62 BVG nicht eingetreten sei.
Im März 1965 beantragte der Kläger die Anerkennung eines besonderen beruflichen Betroffenseins nach § 30 Abs. 2 BVG. Die Ermittlungen des VersorgA ergaben, daß er vom 18. Lebensjahr an als Gedingeschlepper und als Lehrhauer hätte eingesetzt werden können und mit dem 21. Lebensjahr (oder nach dreijähriger Gedingearbeit) die Möglichkeit gehabt hätte, die Hauerprüfung abzulegen, daß er jetzt als Schlepper bei 22 Schichten 495,88 DM und als Hauer einen Durchschnittslohn von 892,76 DM (November 1965) erzielt haben würde. Als Schneidergeselle bezog der Kläger zuletzt im März 1965 ein Bruttoeinkommen von 519,- DM. Seit Mai 1965 steht er als Wagenpfleger im Dienst des Landkreises Moers. Nachdem noch das dem Kläger von der bergmännischen Berufsschule erteilte Abgangszeugnis vom 20. Oktober 1938 sowie Lehrbrief und Prüfungszeugnis vom 26. Oktober 1948 vorgelegt worden waren, erließ das VersorgA mit Zustimmung des Landesversorgungsamts (LVersorgA) gemäß § 40 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) den Zugunstenbescheid vom 7. Februar 1966, mit dem vom 1. März 1961 an Rente nach einer MdE um 50 v.H. bewilligt wurde, weil der Kläger aufgrund der Schädigungsfolgen nicht mehr in der Lage sei, den Bergmannsberuf auszuüben und nach den Angaben des früheren Arbeitgebers für ihn die Möglichkeit bestanden hätte, mit dem 21. Lebensjahr oder nach einer dreijährigen Gedingearbeit die Hauerprüfung abzulegen; durch die Umschulung zum Schneider habe ein beruflicher Ausgleich nicht erzielt werden können. Der Widerspruch, mit dem Rente nach einer MdE um 50 v.H. ab 1. August 1951 beantragt wurde, war erfolglos.
Im Verfahren vor dem Sozialgericht (SG) erhob der Beklagte vorsorglich die Einrede der Verjährung. Durch Urteil vom 18. Mai 1967 änderte das SG den Bescheid vom 7. Februar 1966 idF des Widerspruchsbescheids vom 2. Mai 1966 ab, verurteilte den Beklagten, dem Kläger unter Abänderung des Bescheides vom 21. August 1951 Versorgung gemäß einer MdE um 50 v.H. zu gewähren und ließ die Berufung zu. Es hat ausgeführt, die Versorgungsverwaltung habe bei der Entscheidung nach § 40 Abs. 1 VerwVG keinen Ermessensspielraum gehabt. Die angefochtenen Bescheide hätten deshalb auf Grund der bestehenden Verpflichtung zur Erteilung eines Zugunstenbescheides in vollem Umfange - ohne Beschränkung der Prüfung auf einen Fehlgebrauch des Ermessens - überprüft werden müssen. Deshalb habe auch § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht angewendet werden können. Eine Ermessensentscheidung setze begrifflich voraus, daß der Verwaltungsbehörde mehrere rechtlich völlig gleichwertige Wege der Bescheidung eröffnet seien, zwischen den sie nach Zweckmäßigkeitserwägungen wählen könne. Wenn es aber nach dem Wesensinhalt der Gesetzesvorschrift aufgrund der richtigen Erfassung des Sachverhalts und der Subsumierung unter das Gesetz nur eine Wahrheit und damit nur eine richtige Entscheidung geben könne, so bestehe auch kein Ermessensspielraum. Bei der Anwendung des § 40 Abs. 1 VerwVG seien stufenförmig zwei Entscheidungen zu treffen, nämlich, ob die früheren Bescheide zu Ungunsten des Berechtigten unrichtig seien und ob, wenn eine solche Entscheidung zugunsten des Berechtigten getroffen worden sei, eine Berichtigung der bis dahin unrichtigen Bescheide vorgenommen werden solle. Bei der ersten Entscheidung als einem Akt der Erkenntnis sei kein Raum für die Wahl zwischen mehreren gleichwertigen rechtmäßigen Entscheidungen. Auch bei der zweiten nachfolgenden Prüfung sei, wenn die erste Frage zugunsten des Berechtigten entschieden worden sei, kein Raum mehr für eine Ermessensentscheidung. Nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) in Bd. 26,146 habe die Versorgungsverwaltung die Verpflichtung, einen Zugunstenbescheid zu erteilen, wenn sie die Rechtswidrigkeit des bindend gewordenen Bescheides erkannt habe oder hätte erkennen müssen. In diesem Falle sei das Abgehen von der Bindungswirkung des früheren Bescheides im Interesse einer materiell richtigen Regelung des Versorgungsverhältnisses geboten. Daraus ergebe sich, daß § 54 Abs. 2 SGG nicht anwendbar sei und mit dem Wort "kann" in § 40 Abs. 1 VerwVG kein Ermessensspielraum eröffnet werde, sondern daß damit nur ein "ausnahmsweise dürfen" zur Durchbrechung einer vom Gesetz als Regel angesehenen Schranke habe bezeichnet werden sollen. Dies sei auch einem rechtssystematischen Vergleich des § 40 Abs. 1 VerwVG mit § 24 VerwVG und § 77 SGG zu entnehmen. Bei der Auslegung des § 40 Abs. 1 VerwVG sei des entgegenstehenden Entscheidungen des BSG, in denen lediglich die Überprüfungsmöglichkeit des Gerichts im Rahmen eines Ermessensspielraumes angenommen werde, nicht zuzustimmen. Dieser Auffassung widerspreche auch die vom BSG (Bd. 10, 248) zugelassene Möglichkeit einer Entscheidung aufgrund erneuter Sachprüfung. Unstreitig seien die früheren Bescheide unrichtig gewesen, weil das besondere berufliche Betroffensein des Klägers nicht berücksichtigt worden sei. Da gemäß § 40 Abs. 1 VerwVG die Bindungswirkung kein Hindernis für eine Regelung darstellen solle, um der materiellen Gerechtigkeit zum Durchbruch zu verhelfen, müsse dieser Grundsatz unteilbar auch hinsichtlich des Zeitpunktes gelten, von dem an die Berichtigung wirken solle. Das BSG habe in Bd. 2, 197 und Bd. 7, 8 entschieden, daß der ursprüngliche Bescheid durch den zu Unrecht eine Leistung bewilligt worden sei, als rechtswidrig zurückgenommen werden müsse. Es seien keine Gründe dafür vorhanden, warum § 40 VerwVG nicht eine gleiche Regelung entsprechend der Rechts- und Gesetzessystematik enthalten solle. Daraus folge, daß die Anwendung auch des § 40 Abs. 1 VerwVG nur dann den Willen des Gesetzgebers erfülle, wenn der Zugunstenbescheid von Anfang an rückwirkend als rechtmäßiger Bescheid an die Stelle des ursprünglich rechtswidrigen Bescheides trete. Einer Entscheidung darüber, ob die Verjährungsfrist von vier Jahren (§ 197 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) im Verwaltungsrecht Anwendung finden könne, bedürfe es im vorliegenden Falle nicht. Da die Versorgungsbehörde von Anfang an gehalten gewesen sei, den Kläger sachlich zutreffend zu bescheiden, sie aber dieser aufgrund des Amtsermittlungsprinzips bestehenden Verpflichtung nicht nachgekommen sei, würde die Berufung auf die Einrede der Verjährung gegen Treu und Glauben verstoßen. Die Versorgungsbehörde könne sich von ihrer Verpflichtung auch nicht durch den Hinweis befreien, daß der Kläger die Einlegung von Rechtsmitteln gegen den unanfechtbar gewordenen Bescheid vom 21. August 1951 versäumt habe.
Gegen das am 16. Juni 1967 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 29. Juni 1967 Sprungrevision eingelegt und zugleich die Einwilligung des Klägers gemäß § 161 Abs. 1 SGG eingereicht. Innerhalb der bis zum 15. September 1967 verlängerten Revisionsfrist hat er die Revision begründet. Er rügt Verletzung der §§ 54 Abs. 2 Satz 2, 77 SGG sowie der §§ 24, 40 Abs. 1 VerwVG und des § 197 BGB. Die Verpflichtung der Versorgungsverwaltung zur Erteilung eines Zugunstenbescheides für den Fall, daß sie die Rechtswidrigkeit des rechtsverbindlichen Bescheides erkannt habe, folge aus der Lehre vom Rechtsmißbrauch und der Pflicht zu sozial angemessener Rechtsausübung. Nach der übereinstimmenden Auffassung aller Kriegsopfersenate des BSG begründe § 40 Abs. 1 VerwVG eine Ermessensverpflichtung der Versorgungsbehörde bei der Entscheidung, ob und in welchem Umfange sie im Interesse der materiellen Gerechtigkeit von bindend gewordenen Entscheidungen abgehen wolle. Entgegen der Meinung des SG müsse sich die gerichtliche Nachprüfung der nach § 40 Abs. 1 VerwVG erlassenen Entscheidung aber selbst dann im Rahmen des § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG halten, wenn im Einzelfalle bei richtiger Ausübung des Ermessens nur eine Entscheidung über das "ob" möglich sei und jede andere Entscheidung einen Ermessensfehler enthalten würde. Durch eine solche Entscheidung ändere sich nämlich nicht die Rechtsnatur der auf einer Ermessensnorm beruhenden Verwaltungsentscheidung. Im vorliegenden Falle hätte der Beklagte wegen der früher unzureichend bewilligten Leistungen-ohne Verletzung des pflichtgemäßen Ermessens - eine neue Regelung des Versorgungsverhältnisses nicht ablehnen können. Daraus habe sich aber nicht auch die Verpflichtung ergeben, über den 1. März 1961 hinaus rückwirkend den Kläger so zu stellen, als ob statt des fehlerhaften Verwaltungsakts sogleich ein rechtmäßiger Verwaltungsakt mit richtiger Festsetzung der MdE ergangen wäre. Für die Beantwortung dieser Frage sei unerheblich, ob die Unrichtigkeit des früheren Bescheides in den Verantwortungsbereich der Verwaltung falle (BSG, Urteil vom 14. Dezember 1966 - 8 RV 185/65 -), und daß der Kläger den Bescheid vom 21. August 1951 nicht angefochten habe. In der Frage, in welchem Umfange, insbesondere, ab wann der frühere Bescheid zu korrigieren gewesen sei, hätten sich der Versorgungsverwaltung vielfache Entscheidungsmöglichkeiten angeboten. Liege es aber in ihrem Ermessen, den Zeitpunkt des Beginns der materiell-rechtlich richtigen Leistung zu bestimmen, so könne die Überprüfung des ausgeübten Ermessens ebenfalls nur im Rahmen des § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG vorgenommen werden. Der Kläger habe die erhöhte Rente vier Jahr rückwirkend vom Antragsmonat an erhalten. Diese Entscheidung dürfe gerichtlich nicht dahin überprüft werden, ob sie zweckmäßig oder angemessen sei; das Gericht dürfe sein Ermessen nicht an die Stelle desjenigen des Beklagten setzen. Hier habe sich die Behörde nach Maßgabe der Verwaltungsvorschrift Nr. 8 zu § 40 VerwVG unter Abwägung aller Umstände, wozu auch auf den Widerspruchsbescheid vom 2. Mai 1966 verwiesen werde, an der Regelgrenze der vierjährigen Rückwirkung in besonderen Fällen orientiert. Gegen diese Ausübung des Ermessens dürften keine Bedenken bestehen. Das Fehlen besonderer Feststellungen des SG, etwa über eine besonders bedrängte wirtschaftliche Lage des Klägers, stünde einer Entscheidung des Gerichts in der Sache selbst nicht entgegen, weil die vom Kläger für den fraglichen Zeitraum erhobenen Ansprüche verjährt seien.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Duisburg vom 18. Mai 1967 abzuändern und die Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 2. Mai 1966 abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Sprungrevision als unbegründet zurückzuweisen,
hilfsweise,
den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG Duisburg zurückzuverweisen.
Er schließt sich der in dem angefochtenen Urteil vertretenen Rechtsauffassung an.
Die Sprungrevision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Gegen ihre Statthaftigkeit bestehen keine Bedenken; dabei bedurfte es der Zulassung der Berufung durch das SG nach § 150 Nr. 1 SGG, weil die Berufung nur Versorgung für abgelaufene Zeiträume betreffen konnte und deshalb grundsätzlich ausgeschlossen war (§ 148 Nr. 2 SGG); sie betraf im übrigen den Grad der MdE, ohne daß von diesem MdE-Grad die Schwerbeschädigteneigenschaft abhängig gewesen wäre (§ 148 Nr. 3 SGG; vgl. BSG in SozR Nr. 24 zu § 148 SGG). Die Revision ist auch sachlich begründet.
Mit dem Zugunstenbescheid vom 7. Februar 1966 ist dem Kläger auf den im März 1965 gestellten Antrag nach § 40 Abs. 1 VerwVG rückwirkend ab 1. März 1961 eine höhere Rente (nach einer MdE um 50 v.H. anstelle von 40 v.H.) bewilligt worden. Streitig ist, ob das VersorgA die Rente wegen besonderen beruflichen Betroffenseins von einem früheren Zeitpunkt, insbesondere - dem Begehren des Klägers entsprechend - vom 1. August 1951 oder 1. Oktober 1950 an, nach einer MdE um 50 v.H. hätte gewähren müssen. Das SG hat dies bejaht, weil der Versorgungsbehörde nach § 40 Abs. 1 VerwVG weder bei der Entscheidung, ob die höhere Rente habe gewährt werden müssen, noch bei der weiteren Frage, in welchem Umfang eine Regelung zugunsten des Klägers und insbesondere hinsichtlich des Beginns dieser Regelung rechtmäßig sei, keinen Ermessensspielraum gehabt habe. Stehe die Rechtswidrigkeit des früheren Bescheides fest, so sei der Berechtigte so zu stellen, als ob von Anfang an eine rechtmäßige Entscheidung getroffen worden wäre. Dieser bewußt gegen die Rechtsprechung des BSG vertretenen Rechtsauffassung kann nicht zugestimmt werden. Nach übereinstimmender Meinung aller Kriegsopfersenate des BSG, auch der früheren, begründet § 40 Abs. 1 VerwVG nur eine Ermessensverpflichtung der Versorgungsverwaltung bei der Entscheidung, ob und in welchem Umfange sie im Interesse materieller Gerechtigkeit von bindend gewordenen Entscheidungen durch Erlaß eines Zugunstenbescheides abgehen will (vgl. 7. Senat: BSG 15, 140 = BSG in SozR Nr. 4 zu § 40 VerwVG; 8. Senat: Urteile vom 14. Dezember 1966 - 8 RV 185/65 - und vom 26. Januar 1967 - 8 RV 407/64 -; 9. Senat: BSG 19, 286, 287 = BSG in SozR Nr. 8 zu § 40 VerwVG; 10.Senat: BSG 26, 146, 148 ff = BSG in SozR Nr. 10 zu § 40 VerwVG; 11. Senat: BSG 19, 12, = BSG in SozR Nr. 6 zu § 40 VerwVG). In einem weiteren Urteil vom 11. Juni 1968 - 10 RV 906/66 - hat sich der 10. Senat nochmals eingehend mit der gegen die Rechtsprechung des BSG gerichteten und auch in der Literatur vertretenen Gegenmeinung (KOV 1967 S. 33 ff, 49 ff und KOV 1968 S. 49 ff) auseinandergesetzt und sie erneut abgelehnt; ferner hat der erkennende Senat in dem Urteil vom 26. November 1968 - 9 RV 472/67, das wie hier eine Sprungrevision gegen ein Urteil des SG Duisburg betraf, die Ergebnisse dieser Rechtsprechung unter Berücksichtigung der angegebenen Literatur einer erneuten Prüfung unterzogen, hierbei auch hervorgehoben, daß die von dem SG angeführten Entscheidungen in BSG 2, 197 und 7, 8 sowie 10, 248 andere Sachverhalte betrafen. Der Senat sieht keinen Anlaß, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen sei deshalb nur noch zusammenfassend auf die Frage eingegangen, weshalb der Erlaß eines Zugunstenbescheides nach § 40 Abs. 1 VerwVG noch mit einer normgerechten Prüfung durch Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens vereinbar ist und diese Vorschrift nicht den Anspruch auf eine Leistung begründet, wie sie - ohne den bindend gewordenen ablehnenden Bescheid - von Anfang an hätte gewährt werden müssen.
In dem Urteil des erkennenden Senats vom 27. August 1963 (BSG 19, 286, 287) ist unter Bezugnahme auf die Begründung zum Entwurf des VerwVG (§§ 40 bis 44, Deutscher BT, 2.Wahlperiode 1953, Drucks. Nr. 68, 14) hervorgehoben worden, daß der Versorgungsverwaltung wegen der Vielzahl der in der Nachkriegszeit notwendig gewordenen und unter unzulänglichen Verhältnissen getroffenen Entscheidungen in geeigneten Fällen ein Abgehen von der Bindungswirkung gestattet werden sollte. Wenn sie deshalb gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VerwVG zugunsten des Berechtigten jederzeit einen neuen Bescheid erlassen "kann", so ergibt sich aus dem Zweck dieser Regelung, daß damit nicht ein Dürfen ohne jede Rücksicht auf die Bindungswirkung früherer ablehnender Bescheide gemeint ist, sondern daß die Versorgungsbehörde ermächtigt werden sollte, nach pflichtgemäßem Ermessen abzuwägen und zu entscheiden, ob und inwieweit von früheren Bescheiden abgegangen werden könne. Dies folgt auch daraus, daß § 40 Abs. 1 VerwVG fast wörtlich aus der dem gleichen Zweck dienenden Vorschrift des § 71 des Gesetzes über das Verfahren in Verwaltungssachen vom 10. Januar 1922 (RGBl 59) übernommen worden ist (vgl. Arendts, Gesetz über das Verfahren in Versorgungssachen idF vom 20. März 1928, 2. Aufl. § 71 Anm. 2); auch im Hinblick auf die grundsätzlich abweichenden Fassung des § 40 Abs. 2 VerwVG ("ist" zu erteilen) muß § 40 Abs. 1 VerwVG im Sinne einer Ermächtigung zum Erlaß einer Ermessensentscheidung ausgelegt werden. § 40 Abs. 1 VerwVG begründet also keinen Anspruch auf eine Regelung, die in sachlicher und zeitlicher Hinsicht der bei einer Erstentscheidung über den Versorgungsanspruch zuzubilligenden Leistung entsprechen mußte; nicht der Anspruch auf die Versorgungsleistung etwa nach den §§ 1 bis 5 BVG, ist unmittelbar Gegenstand der Entscheidung nach § 40 Abs. 1 VerwVG, sondern eine an pflichtgemäßem Ermessen orientierte Regelung. Jedes Ermessen bedarf der Ausfüllung durch Bewertungsgrundsätze und Maßstäbe, durch die der Rahmen für die Ausübung eines rechtmäßigen Ermessens abgesteckt und ausgefüllt ist; nur die Überschreitung dieser dem Gesetz zu entnehmenden Grenze des Ermessens ist rechtswidrig; an eine innerhalb dieses Rahmens getroffene und daher rechtmäßige Regelung sind die Gerichte gebunden. Das Ermessen der Versorgungsbehörde nach § 40 Abs. 1 VerwVG wird durch die rechtsethische und soziale Funktion einer sozial angemessenen Rechtsausübung bestimmt und begrenzt (vgl. BSG 26, 149). Die Vorschrift dient der Lösung des Konflikts, der zwischen der materiellen Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit bei verbindlich gewordenen unrichtigen Verwaltungsakten entstehen kann (BSG, Urteil vom 11. Juni 1968 - 10 RV 906/66 -). Der Spielraum des Ermessens ist deshalb je nach der Sachlage unterschiedlich groß; er wird wesentlich beeinflußt durch die Schärfe dieses Konflikts und den Grad des Unrechtsgehalts der ablehnenden Entscheidung. Wenn die Versorgungsverwaltung im Interesse der materiellen Gerechtigkeit einen Zugunstenbescheid erläßt und auch erlassen muß, weil der frühere bindend gewordene Bescheid sich als gänzlich unhaltbar erweist, so ist dies nicht das Ergebnis einer erneuten Entscheidung über den Versorgungsanspruch an sich, sondern eine Lösung, die aus der davon verschiedenen Fragestellung einer pflichtgemäßen Ausübung des Ermessens gefunden worden ist. Der Rechtsgrund der Leistung (Ermessen) ändert sich nicht dadurch, daß in einem solchen Falle der Spielraum des Ermessens über die Frage des "ob" sich so verengt, daß eine Leistung gewährt werden muß und nur noch über den zeitlichen Umfang der Änderung (Rückwirkung) mehrere vor dem Gesetz nicht ermessenswidrige Leistungen in Betracht kommen können. Würde man daraus, daß die Prüfung nach pflichtgemäßem Ermessen im Ergebnis zu einer Leistungspflicht führen kann, folgern wollen, daß § 40 Abs. 1 VerwVG unmittelbar einen Rechtsanspruch auf die Leistung (ohne Ermessensprüfung) begründe, und zwar in der Höhe, wie sie bei Anwendung der sachlich-rechtlichen Vorschriften des BVG hätte gewährt werden müssen, so wäre das ein Denkfehler, eine Verwechslung von Ursache und Wirkung. Die Versorgungsbehörde ist auch nicht in allen Fällen, in denen feststeht, daß der frühere Bescheid - etwa wegen Verletzung des § 85 BVG - rechtswidrig ist, zu einer dem Berechtigten günstigen Entscheidung nach § 40 Abs. 1 VerwVG verpflichtet, wie in BSG 19, 286 ff dargelegt ist. Das pflichtgemäße Ermessen der Verwaltungsbehörde erstreckt sich sowohl darauf, ob überhaupt eine Überprüfung angezeigt ist, wie auch auf die weitere Frage, ob eine Entscheidung zugunsten des Berechtigten gefunden werden soll und in welchem Umfang von der früheren Entscheidung abgegangen werden kann. Dabei handelt es sich nicht wie bei der Entscheidung über einen Versorgungsanspruch nach § 1 BVG um die Subsumierung eines Tatbestandes unter eine Norm, nicht um einen bloßen Akt der Erkenntnis, sondern nach Feststellung des Sachverhalts und der jeweils in Betracht kommenden, nicht zutreffend angewandten versorgungsrechtlichen Normen um eine Abwägung der Möglichkeiten, die für eine Entscheidung im Rahmen einer sozial gerechten Regelung in Betracht kommen. Wenn die Versorgungsverwaltung sich entschließt, einen Zugunstenbescheid zu erlassen, so nicht deshalb, weil § 40 Abs. 1 VerwVG etwa volle Restitution, die Herstellung des Zustandes von Anfang an, verlangt, der ohne den Erlaß des rechtswidrigen bindend gewordenen Bescheides bestanden hätte, sondern weil der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zwar eine dem Berechtigten günstige Regelung verlangt, aber nur insoweit, als die Beachtung der die Rechtssicherheit und den Rechtsfrieden gewährleistenden Normen dies bei der bestehenden Interessenlage noch erfordert (vgl. BSG, Urteil vom 11. Juni 1968). Dabei können sich mehrere Entscheidungen ergeben, die alle noch im Rahmen der Ausübung eines pflichtgemäßen Ermessens liegen, nämlich von dieser Beurteilungsgrundlage her sachlich vertretbar erscheinen. In Grenzfällen sind auch in der Frage, ob überhaupt eine Entscheidung zugunsten des Berechtigten angezeigt erscheint, mehrere nicht rechtswidrige Entscheidungen denkbar. Wenn z.B. die Versorgungsbehörde den Anspruch auf Versorgung bindend abgelehnt hat, weil ihr die Angaben des Beschädigten über das schädigende Ereignis wegen Fehlens urkundlicher Unterlagen unzureichend oder nicht hinreichend glaubwürdig erschienen sind oder wenn nach ihrer - früheren - Ansicht die Beurteilung durch medizinische Sachverständige die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Schädigung und Gesundheitsstörung nicht ergeben hat, so muß die spätere erneut ablehnende Entscheidung nach § 40 VerwVG nicht schon deshalb ermessenswidrig sein, weil der Versorgungsbehörde nun Zweifel in die Richtigkeit der früheren Beurteilung gekommen sind und sie dennoch an der Bindungswirkung der früheren Entscheidung festhält. Ist diese Entscheidung ohne Verkennung des Sachverhalts schlüssig begründet und damit sachlich vertretbar, so ist sie nicht rechtswidrig und kann deshalb von den Gerichten nicht aufgehoben werden (vgl. auch BSG in SozR Nr. 7 und § 1300 der Reichsversicherungsordnung). In solchen Fällen ist - bei gleichem Sachverhalt - aber auch denkbar, daß die Versorgungsbehörde, weil sie nun den Angaben des Beschädigten oder einer weniger strengen Beurteilung der Zusammenhangsfrage das größere Gewicht beimißt, sich von der materiellen Unrichtigkeit des früheren Bescheides überzeugt und deshalb einen Zugunstenbescheid erläßt und - von dieser geänderten Beurteilung her - auch erlassen muß. Die sich aus § 40 Abs. 1 VerwVG ergebenden Schwierigkeiten bestehen somit darin, für den einzelnen Fall die Grenze zwischen pflichtgemäßer Ausübung des Ermessens und Ermessensfehlgebrauch richtig zu ziehen, nicht darin, ob hier ein Rechtsanspruch gewährt wird oder nicht.
Die Grenzen des pflichtgemäßen Ermessens hat die Versorgungsbehörde im vorliegenden Falle nicht überschritten. Die Fehlerhaftigkeit des früheren Bescheides - hier des Bescheides vom 21. August 1951 - war wie auch sonst die unerläßliche Voraussetzung für den Zugunstenbescheid vom 7. Februar 1966. Deshalb kann der Tatsache, daß der Kläger schon 1947 und wiederholt später als seinen früheren Beruf den eines Berglehrlings und als den derzeitigen Beruf den eines Schneiderumschülers (später eines Schneiders) angegeben hat, keine ausschlaggebende Bedeutung für den Umfang der Rückwirkung der Versorgungsleistungen beigemessen werden. Zwar hat die Versorgungsverwaltung noch 1957/1958 aufgrund der von ihr vertretenen sachlich-rechtlichen Auffassung nicht ausreichend aufgeklärt, welche Berufsaussichten der Kläger ohne die Schädigung gehabt hätte und wie sich seine Verdienstmöglichkeiten in dem Beruf eines Bergmannes gegenüber den Einkünften als Schneidergehilfe gestaltet hätten. Aber auch der Kläger hat, nachdem er von der Anfechtungsmöglichkeit gegen den Bescheid vom 21. August 1951 keinen Gebrauch gemacht hatte, nichts unternommen, um die Versorgungsbehörde nachdrücklich auf die Berücksichtigung seines beruflichen Betroffenseins hinzuweisen, obgleich ihm nicht verborgen bleiben konnte, daß er als Schneidergehilfe laufend ein niedrigeres Einkommen als das eines Bergmannes hatte. Wenn unter diesen Umständen dem Bescheid vom 7. Februar 1966 Rückwirkung für einen Zeitraum von vier Jahren seit Stellung des Antrages beigelegt worden und damit die Versorgungsbehörde der in der Verwaltungsvorschrift Nr. 8 zu § 40 VerwVG bestimmten Empfehlung gefolgt ist, so widerspricht dies nicht den Erfordernissen eines an sozial angemessener Rechtsausübung gebundenen Ermessens. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß dem Kläger nahezu alle noch nicht verjährten Leistungen zuerkannt worden sind. Da der Beklagte die Einrede der Verjährung hilfsweise erhoben hat und Versorgungsansprüche in vier Jahren, zurückgerechnet von dem Beginn des Jahres an, in dem der Anspruch geltend gemacht worden ist (hier März 1965), verjähren (vgl. BSG 19, 88), käme schon aus dem Gesichtspunkt der Verjährung die Zuerkennung von Ansprüchen für die Zeit vor dem 1. Januar 1961 nicht in Betracht. Da ein Ermessensfehlgebrauch des Beklagten jedoch nicht festzustellen ist, kam es auf die Einrede der Verjährung nicht an. Der hier vertretenen Auffassung stehen auch die Entscheidungen des 8. Senats des BSG vom 26. September 1968 - 8 RV 475/67 - und - 8 RV 473/67 - nicht entgegen, da dort nur entschieden worden ist, von welchem Zeitpunkt an die Versorgungsbezüge rückwirkend zu gewähren seien, wenn die noch nicht verjährten Leistungen zugebilligt werden sollten. Dafür, daß hier die Einrede der Arglist geltend gemacht werden könnte, etwa deswegen, weil das VersorgA den Kläger von der rechtzeitigen Geltendmachung seines Anspruches abgehalten habe, bieten die unangegriffenen tatsächlichen Feststellungen des SG und auch der Inhalt der Versorgungsakten keinen Anhalt.
Da das SG somit § 40 Abs. 1 VerwVG verletzt hat und das angefochtene Urteil auf dieser Verletzung beruht, war es aufzuheben. Die Klage mußte, da weitere tatsächliche Feststellungen nicht erforderlich erscheinen, abgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen