Entscheidungsstichwort (Thema)
Erstattung von Leistungen, die zu Unrecht erbracht worden sind. Beginn der Jahresfrist des § 45 Abs 4 S 2 SGB 10. Kenntnis der Rücknahmetatsachen
Leitsatz (amtlich)
Kann die Erstattung von Leistungen, die ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind, nur verlangt werden, wenn der Empfänger die Rechtsgrundlosigkeit der Zahlung kannte oder kennen mußte (§ 50 Abs 2, § 45 Abs 2 S 3 Nr 3 SGB X), setzt der Beginn der Jahresfrist, in der die Behörde die Erstattung geltend machen muß (§ 45 Abs 4 S 2 SGB 10), auch die Kenntnis der Behörde hiervon voraus.
Orientierungssatz
Ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht ist eine Leistung immer dann, wenn sie weder formell auf einer ausgesprochenen Bewilligung noch materiell auf einem gesetzlichen Anspruch des Empfängers beruht. Ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht ist hiernach nicht nur eine Sozialleistung, die trotz rechtmäßiger Aufhebung der Bewilligung weitergezahlt worden ist (vgl BSG vom 9.9.1986 11a RA 2/85 = BSGE 60, 239 = SozR 1300 § 45 Nr 26); auch Doppelzahlungen auf bewilligte Sozialleistungen sind hier zu nennen, zB wenn eine Rente ganz oder teilweise ein weiteres Mal ausgezahlt wird.
Normenkette
SGB 10 § 45 Abs 2 S 3 Nr 3, § 50 Abs 2 S 1, § 50 Abs 2 S 2, § 45 Abs 3 S 2, § 45 Abs 4 S 1, § 45 Abs 4 S 2
Verfahrensgang
LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 05.08.1988; Aktenzeichen L 6 Ar 65/88) |
SG Koblenz (Entscheidung vom 05.04.1988; Aktenzeichen S 7 Ar 437/87) |
Tatbestand
Die Klägerin, die 1981/82 arbeitslos war, bezog seit September 1981 Arbeitslosenhilfe (Alhi). 1982 hob das Arbeitsamt Neuwied für die Zeit vom 2. Juli bis 26. August 1982 wegen des Eintritts einer Sperrzeit die Bewilligung der Alhi auf und forderte von der Klägerin die Erstattung der für diese Zeit gezahlten 1.351,68 DM (Bescheid vom 19. November 1982). Diesen Bescheid hob das Arbeitsamt auf den Widerspruch der Klägerin wieder auf; gleichzeitig teilte das Arbeitsamt der Klägerin mit, der Nachzahlungsbetrag werde in den nächsten Tagen überwiesen (Bescheid vom 22. März 1983). Tatsächlich erhielt die Klägerin daraufhin 1.351,68 DM, obwohl sie eine Summe gleicher Höhe während der "Sperrzeit" bezogen und diese dem Arbeitsamt aufgrund des Bescheids vom 19. November 1982 nicht erstattet hatte.
Im Frühjahr 1987 wurde im Arbeitsamt dieser Sachverhalt erkannt. Daraufhin forderte das Arbeitsamt von der Klägerin 1.351,68 DM zurück, wobei es sich auf § 50 Abs 2 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) berief; eine nähere Begründung wurde nicht gegeben (Bescheid vom 17. Juli 1987). Den Widerspruch der Klägerin wies das Arbeitsamt zurück (Widerspruchsbescheid vom 5. November 1987). Im Widerspruchsbescheid ist ua ausgeführt worden, der Abhilfebescheid vom 22. März 1983 werde nach pflichtgemäßer Prüfung des Ermessens nach § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X insoweit zurückgenommen, als der Klägerin zu Unrecht ein Nachzahlungsbetrag zuerkannt worden sei. Die Klägerin könne sich nicht darauf berufen, auch insoweit auf die Rechtmäßigkeit des Abhilfebescheids vertraut zu haben. Da die Alhi in gleichbleibender Höhe gezahlt worden sei, müsse der Klägerin bekannt gewesen sein, daß ihr im Zusammenhang mit der Stattgabe des Widerspruchs gegen den Sperrzeitbescheid kein Nachzahlungsbetrag zugestanden habe. Die wirtschaftliche Belastung, die mit der Erstattung der zu Unrecht gezahlten 1.351,68 DM verbunden sei, rechtfertige unter Berücksichtigung der Einkommensverhältnisse der Klägerin kein Absehen von der rückwirkenden Aufhebung. Das Interesse der Allgemeinheit auf Herstellung eines rechtmäßigen Zustands sei höher als das finanzielle Interesse der Klägerin zu bewerten, zumal diese die Unrechtmäßigkeit der Zahlung erkannt habe bzw unbedingt habe erkennen müssen. Die Jahresfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X sei eingehalten; das Arbeitsamt habe erst aufgrund einer Mitteilung der Kasse des Landesarbeitsamts vom 21. April 1987 von der Doppelzahlung und der Rechtswidrigkeit des Abhilfebescheids Kenntnis erlangt. Da die Entscheidung über den Nachzahlungsbetrag zurückgenommen sei, habe die Klägerin den zu Unrecht gezahlten Betrag zu erstatten.
Das Sozialgericht (SG) hat den Bescheid vom 17. Juli 1987 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. November 1987 aufgehoben; es hat die Berufung zugelassen (Urteil vom 5. April 1988). Dieses von der Beklagten eingelegte Rechtsmittel hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen (Urteil vom 5. August 1988).
Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, Rechtsgrundlage könne nur § 50 Abs 2 SGB X sein. Hiernach seien Leistungen zu erstatten, soweit sie ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden seien; dabei gelten die §§ 45 und 48 SGB X entsprechend. Da die Rückforderung einer schon bei Zahlung eines Rechtsgrundes entbehrenden Leistung der Rücknahme eines von Anfang an rechtswidrigen Verwaltungsaktes vergleichbar sei, sei § 45 SGB X entsprechend anzuwenden, und zwar insoweit, als dort die Rücknahme für die Vergangenheit geregelt sei. Entsprechend anwendbar sei hiernach auch § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X, wonach die Behörde den rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakt innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen zurücknehmen müsse, welche die Rücknahme für die Vergangenheit rechtfertigten. Diese Jahresfrist sei abgelaufen gewesen, als der Bescheid vom 17. Juli 1987 ergangen sei; sie habe nämlich im März 1983 zu laufen begonnen. Zwar habe der Große Senat des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zu der § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X gleichlautenden Vorschrift des § 48 Abs 4 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) entschieden, die Jahresfrist werde nicht in Lauf gesetzt, bevor sich die Behörde der Notwendigkeit bewußt geworden sei, wegen der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts über die Rücknahme entscheiden zu müssen. Diese Entscheidung sei jedoch auf starke Kritik gestoßen. Sie möge für weite Bereiche der öffentlichen Hand angezeigt sein, wo typischerweise Sachbearbeiter die unterschiedlichsten Aufgaben erledigten, ohne eine fachspezifische Ausbildung zu haben; denn für sie werde häufig nicht schon die Kenntnis der die Aufhebung rechtfertigenden Tatsachen Anlaß sein, eine Aufhebung und Rückforderung zu prüfen. Für die Sozialverwaltung gelte dies indessen nicht, da diese in Fachbehörden gegliedert sei, deren Sachbearbeiter in den einzelnen Leistungsbereichen gut ausgebildet seien. Würde auf die Erkenntnis der Rechtswidrigkeit abgestellt, könnte die Behörde diesen Zeitpunkt durch weitere Ermittlungen manipulieren und damit den Beginn der Frist beliebig hinauszögern. Nach der Rechtsprechung des BVerwG laufe die Jahresfrist weitgehend leer, so daß es angezeigt sei, dem BVerwG bis zu einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe nicht zu folgen. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei auch nicht die Kenntnis des für die ursprüngliche Bewilligung oder die Rücknahme zuständigen Sachbearbeiters maßgebend, sondern die Kenntnis der Behörde. Das sei die überschaubare Funktionseinheit oder Dienststelle der Körperschaft, die zuständig sei für die Bearbeitung der Angelegenheit, die Gegenstand des aufzuhebenden Bescheides sei. Kenntnis des zuständigen Sachbearbeiters sei nicht zu fordern; denn dies würde den Nachlässigen privilegieren und auch die Körperschaft, die keine ausreichende Information zwischen einzelnen Unterabteilungen sicherstelle. Im vorliegenden Falle wäre es für den Sachbearbeiter bei der Vorbereitung des Bescheids vom 22. März 1983 und bei der Veranlassung der Doppelzahlung im selben Monat ohne Schwierigkeiten feststellbar gewesen, daß die Klägerin die geforderte Rückerstattung nicht erbracht habe, die zweite Zahlung mithin zu Unrecht erhalten würde. Die 1987 ausgesprochene Rückforderung sei daher wegen Ablaufs der Einjahresfrist nicht mehr zulässig. Ob die sonstigen Voraussetzungen der Aufhebungsvorschrift vorlägen, brauche nicht mehr geprüft zu werden.
Die Beklagte rügt mit der Revision eine Verletzung des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X. Sie macht geltend, das Urteil des LSG widerspreche der höchstrichterlichen Rechtsprechung. Entsprechend der Entscheidung des Großen Senats des BVerwG (BVerwGE 70, 356) setze der Fristbeginn das Erkennen der für eine sachgerechte Ermessensausübung erforderlichen Gesichtspunkte voraus. Die Frist sei keine Bearbeitungsfrist, sondern eine Handlungsfrist, deren Lauf erst beginne, wenn der zuständige Amtswalter die Rechtswidrigkeit erkannt habe und ihm außerdem die rechtserheblichen Tatsachen bekannt seien. Hierzu gehörten nicht nur die dem Tatbestand des § 45 SGB X zuzuordnenden Tatsachen, sondern auch die Ermessenstatsachen der Rechtsfolgenseite. Dieser Auffassung habe sich auch das BSG angeschlossen (BSGE 60, 239). Einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe bedürfe es nicht. Es sei daher nicht entscheidend, ob die erfolgte Doppelzahlung bereits im März 1983 hätte vermieden werden können. Vielmehr komme es allein darauf an, daß die Kenntnis des zuständigen Sachbearbeiters von den Tatsachen, die die Rückforderung der durch die Doppelzahlung erbrachten Leistung rechtfertigten, erst im Monat Mai 1987 vorgelegen habe, als anläßlich einer internen Überprüfung die Doppelzahlung erkannt worden sei. Im gleichen Monat habe die Beklagte durch den streitbefangenen Bescheid die erforderlichen Konsequenzen gezogen. Die Jahresfrist sei damit gewahrt. Da das LSG die sonstigen Voraussetzungen für die Rückforderung ungeprüft gelassen habe, sei die Revision im Sinne einer Zurückverweisung an das LSG begründet.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung des LSG für zutreffend. Es treffe nicht zu, daß das BSG in BSGE 60, 239 einen Sachverhalt entschieden habe, der auf den hier zu entscheidenden zu übertragen sei. Weder mit dem Wortlaut des § 45 SGB X noch mit der Intention des SGB lasse sich vereinbaren, unberücksichtigt zu lassen, daß das Arbeitsamt im März 1983 die Doppelzahlung hätte vermeiden können.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist im wesentlichen im Sinne der Zurückverweisung begründet.
Zu entscheiden ist über eine Anfechtungsklage. Diese richtet sich gegen den Bescheid vom 17. Juli 1987, und zwar in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid vom 5. November 1987 gefunden hat (§ 95 SGG). In diesem Widerspruchsbescheid hat das Arbeitsamt nicht nur die Erstattung von 1.351,68 DM bestätigt, die mit dem Bescheid vom 17. Juli 1987 geltend gemacht worden war, sondern zusätzlich unter Berufung auf § 45 SGB X den Abhilfebescheid vom 22. März 1983 zurückgenommen, soweit der Klägerin hierdurch ein Nachzahlungsbetrag zuerkannt worden sei. Die Klage richtet sich daher nicht nur, wie die Vorinstanzen angenommen haben, allein gegen eine Erstattungsforderung, sondern auch gegen die - in solchen Fällen gegenüber der Rückforderung im allgemeinen vorgreifliche - Rücknahme der Zuerkennung eines Nachzahlungsbetrages.
Soweit der angefochtene Bescheid in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat, den Abhilfebescheid vom 22. März 1983 zurückgenommen hat, kann er keinen Bestand haben. Denn mit dem in diesem Bescheid enthaltenen Satz "Der Nachzahlungsbetrag wird Ihnen in den nächsten Tagen überwiesen" ist keine Regelung getroffen worden, durch die ein Recht oder ein rechtlich erheblicher Vorteil begründet oder bestätigt worden ist, der gemäß § 45 Abs 1 SGB X zurückgenommen werden könnte. Mit dem Abhilfebescheid hat das Arbeitsamt den Bescheid vom 19. November 1982 beseitigt, durch den das Arbeitsamt wegen eines angeblichen Sperrzeittatbestands die Alhi-Bewilligung rückwirkend für acht Wochen aufgehoben hatte. Schon die Beseitigung des Bescheids vom 19. November 1982 stellte aber die ausgesprochene Alhi-Bewilligung mit der Folge wieder her, daß - soweit noch nicht geschehen - der Klägerin ohne weiteres Alhi für die acht Wochen auszuzahlen war (vgl BSGE 48, 33, 34 = SozR 4100 § 44 Nr 19; BSGE 49, 197, 198 f). Mit dem zitierten Satz in dem Abhilfebescheid, demzufolge der Nachzahlungsbetrag in den nächsten Tagen überwiesen werde, hat das Arbeitsamt eine Auskunft bezüglich des irrtümlich veranlaßten Auszahlungsverfahrens erteilt, nicht aber ein zweites Mal Alhi bewilligt. In diesem Umfange ist der angefochtene Bescheid vom 17. Juli 1987 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. November 1987 im Ergebnis zu Recht von den Vorinstanzen aufgehoben worden. Die Revision muß insoweit daher ohne Erfolg bleiben.
Im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet ist die Revision dagegen, soweit das Arbeitsamt von der Klägerin 1.351,68 DM erstattet verlangt.
Da § 50 Abs 1 SGB X entfällt und andere Rechtsgrundlagen nicht ersichtlich sind, kann sich das Verlangen des Arbeitsamts nur auf § 50 Abs 2 SGB X stützen. Nach dieser Vorschrift sind Leistungen zu erstatten, soweit sie ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind (Satz 1). § 45 und § 48 SGB X gelten entsprechend (Satz 2 in der seit dem 1. Juli 1983 geltenden Fassung des Art II § 17 Nr 5 des Gesetzes vom 4. November 1982, BGBl I 1450). Ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht ist eine Leistung immer dann, wenn sie weder formell auf einer ausgesprochenen Bewilligung noch materiell auf einem gesetzlichen Anspruch des Empfängers beruht. Ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht ist hiernach nicht nur eine Sozialleistung, die trotz rechtmäßiger Aufhebung der Bewilligung weitergezahlt worden ist (vgl BSGE 60, 239 = SozR 1300 § 45 Nr 26); auch Doppelzahlungen auf bewilligte Sozialleistungen sind hier zu nennen, zB wenn eine Rente ganz oder teilweise ein weiteres Mal ausgezahlt wird (vgl BSG SozR 1300 § 45 Nr 12). So liegt der Fall auch hier, indem das Arbeitsamt der Klägerin im März bzw April 1983 ein zweites Mal die bewilligte Alhi für die Zeit vom 2. Juli bis 26. August 1982 ausgezahlt hat. Da aufgrund dieser Bewilligung, die auch für die Klägerin bindend ist (§ 77 SGG), feststeht, daß der Klägerin nicht mehr an Alhi zugestanden hat, als ihr bewilligt worden ist, besteht hiernach kein Zweifel, daß die 1.351,68 DM an Alhi im März bzw April 1983 ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind.
Entgegen dem Wortlaut des § 50 Abs 2 Satz 1 SGB X ist der Erstattungsanspruch damit noch nicht begründet. Das folgt aus § 50 Abs 2 Satz 2 SGB X, wonach (in der seit dem 1. Juli 1983 geltenden Fassung) die §§ 45, 48 SGB X entsprechend gelten. Hiernach ist der Erstattungsanspruch im wesentlichen von den gleichen Voraussetzungen wie die Rücknahme eines schon bei Erlaß rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes abhängig (BSGE 55, 250, 251 f = SozR 1300 § 50 Nr 3; SozR 1300 § 45 Nr 12), und zwar soweit dort die Rücknahme für die Vergangenheit geregelt ist; denn bei der Erstattung nach § 50 Abs 2 SGB X handelt es sich ausschließlich um bereits erbrachte Leistungen (BSGE 60, 239, 240 = SozR 1300 § 45 Nr 26). Ein Erstattungsanspruch besteht daher nur in den den Tatbeständen von § 45 Abs 2 Satz 3 und Abs 3 Satz 2 SGB X entsprechenden Fällen (§ 45 Abs 4 Satz 1 SGB X) und muß von der Behörde entsprechend § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen geltend gemacht werden, "welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen" (vgl BSGE 60, 239, 240 = SozR 1300 § 45 Nr 26; SozR 1300 § 45 Nr 44). Schließlich steht die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs - entgegen dem Wortlaut des § 50 Abs 2 Satz 1 SGB X - wie die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts im Ermessen der Behörde (BSGE 55, 250, 251 f = SozR 1300 § 50 Nr 3; SozR 1300 § 45 Nr 12; BSGE 60, 239, 241 = SozR 1300 § 45 Nr 26); ein Erstattungsbescheid ist daher rechtswidrig, wenn die Behörde ihr Ermessen überhaupt nicht ausgeübt hat oder von dem Ermessen unter Überschreitung der gesetzlichen Grenzen der Ermessensermächtigung oder in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.
Das LSG, das diese Zusammenhänge nicht verkannt hat, hat offen gelassen, ob die Klägerin entsprechend § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X die Rechtsgrundlosigkeit (Rechtswidrigkeit) der Überweisung der 1.351,68 DM kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte, wie das Arbeitsamt meint. Es hat den angefochtenen Bescheid schon deshalb für rechtswidrig gehalten, weil die Jahresfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X abgelaufen gewesen sei, da sie im März 1983 begonnen habe. Letzteres hat es damit begründet, daß es für den Sachbearbeiter des Arbeitsamtes bei der Vorbereitung des Bescheids vom 22. März 1983 und bei der Veranlassung der Doppelzahlung im selben Monat ohne Schwierigkeiten feststellbar gewesen sei, daß die Klägerin die zweite Zahlung zu Unrecht erhalten würde. Das reicht hier jedoch nicht aus. Die Jahresfrist beginnt nämlich nicht schon mit der Kenntnis von Tatsachen, aus deren Verknüpfung sich die Rechtsgrundlosigkeit der Leistungserbringung ergibt.
Nach § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X läuft die Jahresfrist seit Kenntnis der Tatsachen, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen. Hierzu gehört zunächst zwar die Kenntnis der Tatsachen, die die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes ergeben. Nach dem Wortlaut des Gesetzes genügt die Kenntnis dieser Tatsachen für den Fristbeginn jedoch nicht. Das Gesetz stellt nämlich auf die Kenntnis der Tatsachen ab, die die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen. Folglich müssen der Behörde auch die Tatsachen bekannt sein, die § 45 Abs 2 Satz 3 oder Abs 3 Satz 2 SGB X voraussetzt; denn nur in diesen Fällen ist die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes mit Wirkung für die Vergangenheit zugelassen (§ 45 Abs 4 Satz 1 SGB X). Die Frist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X wird daher nicht schon durch die bloße Kenntnis der Tatsachen ausgelöst, die die Rechtswidrigkeit des begünstigenden Verwaltungsaktes begründen, wie das Bundessozialgericht (BSG) in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Großen Senats des BVerwG zu § 48 Abs 4 Satz 1 VwVfG (vgl BVerwGE 70, 356) bereits entschieden hat (BSGE 60, 239, 240 f = SozR 1300 § 45 Nr 26; SozR 1300 § 45 Nr 45; vgl BSGE 62, 103, 108 = SozR 1300 § 48 Nr 39). Dem hat sich der erkennende Senat angeschlossen (Urteil vom 15. Februar 1990 - 7 RAr 28/88 - zur Veröffentlichung vorgesehen).
Für die entsprechende Anwendung des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X im Rahmen des § 50 Abs 2 SGB X gilt nichts anderes. Die Jahresfrist beginnt in diesen Fällen mithin nicht schon, wenn die Behörde die Tatsachen kennt, die die Rechtsgrundlosigkeit (Rechtswidrigkeit) der Leistungserbringung ergeben, ihr die Tatsachen aber noch unbekannt sind, die darüber hinaus gegeben sein müssen, um einen Erstattungsanspruch nach § 50 Abs 2 Satz 2 SGB X zu begründen.
Da das Arbeitsamt nach Lage des Sachverhalts den zu Unrecht gezahlten Betrag von der Klägerin nur zurückverlangen kann, wenn ein § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X entsprechender Fall gegeben ist, setzt der Beginn der Jahresfrist vorliegend die Kenntnis des Arbeitsamtes voraus, daß die Klägerin die Rechtsgrundlosigkeit (Rechtswidrigkeit) der Leistungserbringung kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Daß das Arbeitsamt vor Frühjahr 1987, etwa im März/April 1983, über Kenntnisse bezüglich der "Bösgläubigkeit" der Klägerin verfügte, ist vom LSG jedoch nicht festgestellt worden. Solche Kenntnisse können nach Lage des Falles auch nicht vor Frühjahr 1987 vorgelegen haben. Denn das Arbeitsamt hat erst 1987 die Doppelzahlung erkannt. Erst zu diesem Zeitpunkt hatte es Veranlassung, sich über die etwaige "Bösgläubigkeit" der Klägerin Kenntnis zu verschaffen. Daß das Arbeitsamt sich diese Kenntnis früher hätte verschaffen können, ist für den Beginn der Jahresfrist unerheblich; denn § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X stellt auf die positive Kenntnis der Behörde ab, nicht darauf, daß die Behörde die erforderlichen Tatsachen hätte kennen können oder müssen.
Für den Beginn der Jahresfrist genügt im vorliegenden Falle mithin nicht, daß ein aufmerksamer Sachbearbeiter die Rechtsgrundlosigkeit der "Nachzahlung" im März/April 1983 hätte erkennen können oder sogar müssen, wie das LSG dem Arbeitsamt vorhält. Ungeachtet der Frage, ob der Beginn der Jahresfrist neben der Kenntnis der bezeichneten Tatsachen allgemein auch die Erkenntnis der Behörde voraussetzt, daß die Leistungserbringung rechtswidrig war (vgl dazu - bejahend - BVerwGE 70, 356, 358 f; zweifelnd BSG SozR 1300 § 45 Nr 45), hat jedenfalls hier die Jahresfrist nicht begonnen, bevor das Arbeitsamt die Doppelzahlung erkannt hat, weil es vorher auch keine Kenntnis der etwaigen "Bösgläubigkeit" der Klägerin haben konnte. Infolgedessen hat die Jahresfrist nicht vor Frühjahr 1987 begonnen. Sie war demnach nicht abgelaufen, als das Arbeitsamt mit dem angefochtenen Bescheid vom 17. Juli 1987 die Erstattung geltend machte.
Die Revision beanstandet die Entscheidungsgründe des LSG deshalb zu Recht. Die vom LSG bestätigte Aufhebung des angefochtenen Bescheides bezüglich der Rückforderung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar.
Wie schon erwähnt, besteht die Erstattungsforderung vorliegend nur dann, wenn ein § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X entsprechender Fall gegeben ist (§ 50 Abs 2, § 45 Abs 4 Satz 1 SGB X), die Klägerin die Rechtsgrundlosigkeit (Rechtswidrigkeit) der Leistungserbringung also kannte oder nur infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Davon kann das Revisionsgericht indes nicht ausgehen; denn das LSG hat keine diesbezüglichen Feststellungen getroffen, wozu es aufgrund seiner Rechtsansicht zum Lauf der Jahresfrist auch keine Veranlassung hatte.
Die Rückforderung ist auch nicht aus anderen Gründen schon jetzt als rechtswidrig anzusehen. Aufgrund der bisher getroffenen Feststellungen hat das Arbeitsamt nicht verkannt, daß die Geltendmachung der Erstattung von ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbrachten Leistungen nach § 50 Abs 2 SGB X in seinem Ermessen steht. Es hat Ermessenserwägungen angestellt, wenn auch erst aufgrund des Widerspruchs der Klägerin. Letzteres mag zu beanstanden sein, führt indes nicht zur Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes. Denn hat ein Vorverfahren stattgefunden, ist Gegenstand der Klage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat (§ 95 SGG). Mängel, die dem ursprünglichen Verwaltungsakt anhaften, können durch das Widerspruchsverfahren geheilt werden. Das gilt auch bei anfänglicher Nichtausübung des Ermessens oder wenn die Begründung des ursprünglichen Verwaltungsakts entgegen § 35 Abs 1 Satz 3 SGB X nicht die Gesichtspunkte erkennen ließ, von denen die Behörde bei der Ausübung des Ermessens ausgegangen ist. Ausdrücklich sieht § 41 Abs 1 Nr 2 SGB X vor, daß eine Verletzung der Begründungspflicht unbeachtlich ist, wenn die erforderliche Begründung nachträglich gegeben wird. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Begründung bis zum Abschluß des Vorverfahrens nachgeholt wird (§ 41 Abs 2 SGB X).
Rechtswidrig ist die Geltendmachung der Erstattungsforderung ferner nicht deshalb, weil die Doppelzahlung nicht von der Klägerin verschuldet ist, sondern ursächlich auf das Arbeitsamt zurückzuführen ist, wie auch von der Revision nicht in Zweifel gezogen wird. Nach § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X kann sich der Begünstigte auf Vertrauen schon dann nicht berufen, soweit er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (Nr 3). Wie im Bereich des Arbeitsförderungsrechts schon nach dem bis zum SGB X geltenden Recht (vgl § 152 Abs 1 Nr 2 AFG aF), ist in diesen Fällen der Erstattung weder zusätzlich erforderlich, daß der Begünstigte die - rechtswidrige - Leistung (zB durch unrichtige Angaben) verursacht oder gar verschuldet hat, noch daß die Behörde für die Überzahlung kein Verschulden trifft (anders § 1301 RVO in der früher geltenden Fassung). Die Behörde kann zwar im Rahmen des Ermessens eigenes Verschulden zugunsten des Leistungsempfängers berücksichtigen. Daraus folgt aber nicht, das Ermessen könne nur dahin ausgeübt werden, auf die Geltendmachung der Erstattung zu verzichten, weil die Doppelzahlung allein auf das Arbeitsamt zurückzuführen ist.
Schließlich sind die angestellten Ermessenserwägungen im Ergebnis nicht zu beanstanden, soweit dies der Senat überprüfen kann. Wenn im Widerspruchsbescheid bei der Interessenabwägung darauf abgestellt wird, daß die Klägerin die Rechtswidrigkeit erkannt habe bzw unbedingt hätte erkennen müssen, hat das Arbeitsamt allerdings übersehen, daß dieser Gesichtspunkt die Erstattung begründet, mithin nicht noch im Rahmen der Ermessenserwägung der Klägerin vorzuhalten ist. Nicht zu beanstanden ist, daß das Arbeitsamt seine Ermessensentscheidung an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Klägerin ausgerichtet hat. Der Senat hat schon darauf hingewiesen, daß gerade in den Fällen des § 45 SGB X die im Einzelfalle eintretenden wirtschaftlichen Folgen der Rücknahme eines Verwaltungsaktes für den Betroffenen derart sein können, daß sie bei sachgerechter Ermessensausübung gleichwohl zu keiner oder zu einer differenzierten Rücknahmeentscheidung führen (BSGE 59, 157, 171 = SozR 1300 § 45 Nr 19). Für Rückforderungen nach § 50 Abs 2 SGB X gilt nichts anderes. Ob dem Arbeitsamt bei der Berücksichtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Klägerin Fehler unterlaufen sind, ist in Ermangelung tatsächlicher Feststellungen vom Senat nicht zu entscheiden. Daß dem Gesichtspunkt des Verschuldens keine Bedeutung beigemessen wurde, ist nicht ermessensfehlerhaft. Grundsätzlich gilt, daß die Behörde im Rahmen des Zwecks des Ermessens selbst bestimmt, auf welche - sachgerechten - Gesichtspunkte sie abstellen will, wenn und soweit das Gesetz die zu berücksichtigenden Gesichtspunkte nicht ausdrücklich nennt, wie das hier der Fall ist. Daß das Arbeitsamt das Verschulden hätte berücksichtigen können, bedeutet nicht, daß es diesen Gesichtspunkt auch hätte berücksichtigen müssen. Das gilt jedenfalls in dem hier allein in Betracht kommenden Fall des § 45 Abs 2 Satz 3 Nr 3 SGB X, in dem die Kenntnis bzw das Kennenmüssen der Rechtsgrundlosigkeit der Leistung den eigentlichen Grund dafür abgibt, daß der Begünstigte die ohne Rechtsgrund erbrachte Leistung nicht behalten darf; denn wenn der Begünstigte den Fehler der Behörde erkannt hat oder hätte erkennen müssen, erscheint ein Verzicht auf die Erstattung allein wegen dieses Verwaltungsfehlers als sachfremd.
Das Berufungsurteil kann hiernach bezüglich der Rückforderungen keinen Bestand haben. Die noch zu treffende Entscheidung hängt vielmehr in erster Linie davon ab, ob die Klägerin die Rechtsgrundlosigkeit der Zahlung kannte oder kennen mußte. Ist das der Fall, ist die Klage nur dann begründet, wenn die Erwägung des Arbeitsamtes, daß der Klägerin unter Berücksichtigung ihrer Einkommensverhältnisse die Rückzahlung zugemutet werden kann, als fehlerhafte Ermessensausübung zu beanstanden ist. Da es in beiden Punkten an Feststellungen fehlt, muß das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden, das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben wird.
Fundstellen