Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Klägerin werden die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 19. April 1990 und des Sozialgerichts Lübeck vom 11. April 1989 geändert.
Der Bescheid der Beklagten vom 15. März 1988 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 26. September 1988 wird insoweit aufgehoben, als darin über die Anrechnung und Bewertung der Kindererziehungszeit für den Leistungsfall entschieden worden ist.
Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die 1960 geborene Klägerin war von 1975 bis zum 1. Oktober 1985 und ist wieder seit dem 10. Dezember 1985 versicherungspflichtig beschäftigt. Wegen der Geburt ihres Sohnes Christopher – am 14. Oktober 1985 – befand sie sich vom 2. April bis zum 9. Dezember 1985 in Mutterschaftsurlaub. Seitdem beschäftigte sie als Alleinerziehende eine Tagesmutter.
Am 7. März 1988 beantragte die Klägerin bei der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) die Feststellung von Zeiten der Kindererziehung. Mit (einer Anlage zum) Bescheid vom 15. März 1988 erstellte die Beklagte gemäß § 104 Abs 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) einen Versicherungsverlauf. Sie führte aus, geprüft zu haben, ob Zeiten der Kindererziehung zu berücksichtigen seien, und anerkannte die Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Oktober 1986 „als Zeit der Versicherungspflicht”, die vorangegangene Zeit vom 1. November bis zum 31. Dezember 1985 „als Versicherungszeit”. Außerdem wies sie darauf hin, daß die berücksichtigungsfähigen Kalendermonate und der für die anerkannten Kindererziehungszeiten maßgebende Versicherungszweig sich aus dem Versicherungsverlauf ergebe; über die Bewertung der anerkannten Zeiten werde erst in einem späteren Rentenverfahren, über die Anrechnung und Bewertung der im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten erst bei Feststellung einer Leistung entschieden.
Den Widerspruch, den die Klägerin damit begründete, daß die Kindererziehungszeiten keine wertmäßige Berücksichtigung gefunden hätten und derzeit auch keine Aussetzung des Verfahrens oder die Vorlage beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Betracht komme, wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 26. September 1988): Die Berücksichtigung der Kindererziehung wirke sich lediglich durch den Monat November 1988 auf die Rentenhöhe aus; hinsichtlich der Monate Dezember 1985 bis Oktober 1986 ergebe sich keine Rentenerhöhung, weil die Klägerin durch Pflichtbeiträge bereits 75 vom Hundert des jeweiligen durchschnittlichen Bruttoarbeitsentgeltes aller Versicherten erreicht habe (Hinweis auf §§ 32a Abs 5 und 2a AVG).
Klage und Berufung mit dem Antrag, die Beklagte unter Abänderung ihrer Bescheide zu verurteilen, mit einem neuen Bescheid die Zeit vom 10. Dezember 1985 bis zum 31. Oktober 1986 als Kindererziehungszeit zusätzlich zur Pflichtbeitragszeit rentensteigernd zu berücksichtigen, blieben ohne Erfolg (Urteile des Sozialgerichts Lübeck -SG- vom 11. April 1989 und des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts … -LSG- vom 19. April 1990). Das LSG hat ausgeführt, maßgebend für die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide sei § 32a Abs 5 AVG, wonach sich Kindererziehungszeiten nur rentensteigernd auswirkten, wenn sie mit ua Beitragszeiten nicht zusammenträfen oder der Wert dieser Zeiten unter 6,25 liege. Beides sei nicht der Fall, wie auch die Klägerin einräume, jedoch meine, die Regelung benachteilige sie in einer mit Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) unvereinbaren Weise. Dieser Einwand mit dem Hinweis auf die besondere Lage Alleinerziehender könne zwar nicht ohne weiteres von der Hand gewiesen werden; das reiche aber zur Annahme eines Verstoßes gegen das Willkürverbot des Art 3 Abs 1 GG nicht aus.
Die Klägerin hat zur Begründung ihrer – vom LSG zugelassenen – Revision vorgetragen, § 32a Abs 5 AVG sei mit Art 3 Abs 1 GG nicht vereinbar, soweit er Alleinerziehende betreffe, weil diese, um in den Genuß rentensteigender Kindererziehungszeiten zu kommen, Sozialhilfe in Anspruch nehmen müßten. Der Gesetzgeber habe ausschließlich die Erziehung in einer Familie im Auge gehabt.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 19. April 1990 und des Sozialgerichts Lübeck vom 11. April 1989 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 15. März 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. September 1988 zu verurteilen, mit einem neuen Bescheid die Zeit vom 10. Dezember 1985 bis zum 31. Oktober 1986 als Kindererziehungszeit zusätzlich zur Pflichtbeitragszeit rentensteigernd zu berücksichtigen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist zum Teil begründet; denn die Vorinstanzen haben nicht beachtet, daß, wie darzulegen sein wird, die Beklagte mehr – nämlich über Faktoren der Rentenhöhe – entschieden hat, als sie (derzeit) entscheiden durfte. Die weitergehende Revision ist dagegen unbegründet. Die Klägerin kann nicht verlangen, daß die Beklagte mit einem neuen Bescheid die streitige Zeit „als Kindererziehungszeit zusätzlich zur Pflichtbeitragszeit rentensteigernd zu berücksichtigen” hat; insoweit fehlt es – wie ebenfalls auszuführen sein wird – schon am Rechtsschutzinteresse für eine Klage.
Zutreffend, wenngleich stillschweigend, ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß die Klägerin mit dem prozessualen Begehren neben der Anfechtungsklage gegen den Bescheid der Beklagten vom 15. März 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. September 1988 eine Verpflichtungsklage erhoben hat (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG). Denn sie begehrt den Erlaß eines Verwaltungsaktes bestimmten Inhalts, nicht Leistung unmittelbar. Ein Leistungsverfahren (Leistungsfeststellungsverfahren) ist auch von der Beklagten nicht durchgeführt worden; vielmehr hat diese, wie auch der Bescheid vom 15. März 1988 ausdrücklich festhält, im Rahmen des Kontenklärungsverfahrens über die Anerkennung der Kindererziehungszeiten durch einen sog Vormerkungsbescheid iS von § 104 Abs 3 Satz 1 AVG in der am 1. Januar 1987 in Kraft getretenen Fassung des Siebten Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes (7. RVÄndG) vom 19. Dezember 1986 (BGBl I 2586) entschieden. Dazu war sie berechtigt, obgleich sie nach dieser Vorschrift unter bestimmten weiteren Voraussetzungen nur Daten durch Bescheid feststellen muß, „die länger als sechs Kalendermonate zurückliegen”. Hat aber der Versicherungsträger – wie im vorliegenden Fall – antragsgemäß ein Vormerkungsverfahren im Hinblick auf solche Daten eingeleitet, muß er einen inhaltlich zutreffenden Vormerkungsbecheid erlassen (vgl das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des Senats vom 28. Februar 1991 – 4 RA 76/90). Hiernach ist mit Bescheid vom 15. März 1988 die gesamte Kindererziehungszeit von November 1985 bis Oktober 1986 anerkannt worden, und zwar bis Dezember 1985 als Versicherungszeit nach § 27 Abs 1 Buchst c, § 28a AVG, danach als Zeit der Versicherungspflicht nach § 2a AVG. Diese unstreitige Vormerkung entspricht dem Regelungsinhalt des § 104 Abs 3 Satz 1 AVG, der nicht mehr und nicht weniger als die Feststellung erfaßt, daß ein bestimmter Tatbestand – hier also eine Versicherungszeit (besonderer Art) und eine Beitragszeit – vorliegt.
Das anhängige Verfahren wird aber nicht um die ohnehin anerkannte Zeit der Kindererziehung als solche geführt, sondern um deren „rentensteigernde”) Bewertung. Das ist erstmals in der Begründung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 15. März 1988 deutlich geworden. Demzufolge hat das LSG Abs 5 des § 32a AVG (Überschrift: Bewertung beitragsloser Zeiten) als Anspruchsgrundlage für Kindererziehungszeiten vor 1986 untersucht und hätte folgerichtig, was die Zeit ab dem 1. Januar 1986 anlangt, auch Abs 6a des § 32 AVG prüfen müssen, der allerdings in seinem Satz 2 für den Fall des Zusammentreffens einer ua Beitragszeit mit einer Zeit der Kindererziehung die mit § 32a Abs 5 Satz 2 AVG identische Regelung enthält, die Werte der ua Beitragszeit seien auf den Wert 6,25 anzuheben.
Unerörtert hat das LSG jedoch § 104 Abs 3 Satz 2 AVG gelassen, wonach – entsprechend dem Sinn und Regelungszweck des Vormerkungsbescheides – „über die Anrechnung und Bewertung der im Versicherungsverlauf enthaltenen Daten… erst bei Feststellung einer Leistung entschieden” wird. Diese Vorschrift kann nur so verstanden werden, daß der Rentenversicherungsträger nicht verpflichtet, aber auch nicht berechtigt ist, gleichwohl eine solche Entscheidung zu treffen. Es soll vermieden werden, bereits Anrechnungs- und Bewertungselemente für eine nur möglicherweise später einmal zu gewährende Leistung festzulegen. Dem Gebot der tatbestandsmäßigen Feststellung einer Beitrags-, Versicherungs-, Ersatz- oder Ausfallzeit steht das Verbot gegenüber, auch schon einen Teil der Rentenberechnung vor(weg)zunehmen und eine gerichtliche Überprüfung zu ermöglichen, die angebrachtermaßen erst nach einem Leistungsfeststellungsverfahren stattfinden sollte, zumal dann uU andere gesetzliche Bestimmungen über die Berechnung und Bewertung gelten können.
An diese Grenzen der Entscheidungsbefugnis hat sich die Beklagte auch im Bescheid vom 15. März 1988 strikt gehalten, sie indessen im Widerspruchsbescheid überschritten und nunmehr Ausführungen gemacht, inwieweit sich die Zeiten der Kindererziehung auf die (fiktive!) Rentenhöhe auswirken würden und für welche Monate dies nicht der Fall sei. Damit hat sie, jedenfalls aus der Sicht der Klägerin, hierüber eine Entscheidung getroffen. Daß dies erst im Widerspruchsbescheid geschah, ist für die Klagebefugnis unerheblich. Denn (ursprünglicher) Verwaltungsakt und Widerspruchsbescheid bilden eine Einheit; die Klage richtet sich gegen den Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat (§ 95 SGG).
Die Bescheide der Beklagten sind daher rechtswidrig, soweit über die „rentensteigernde” Bewertung der Kindererziehungszeiten eine Entscheidung getroffen wurde, wobei es unerheblich ist, daß diese Bewertung zuträfe, wäre der Streitgegenstand im jetzigen Zeitpunkt die Höhe der Leistung. Hiernach muß, da die Klägerin wegen dieser Entscheidung beschwert ist, die Anfechtungsklage Erfolg haben.
Andererseits kann die Klägerin mit ihrer weitergehenden Klage nicht durchdringen. Das ergibt sich bereits aus dem Vorhergesagten. Wenn die Beklagte nicht berechtigt ist, über die Bewertung der streitigen Zeit schon jetzt – vor der Feststellung einer Leistung – überhaupt zu entscheiden, dann kann erst recht nicht verlangt werden, daß ein neuer Bescheid mit einer bestimmten Bewertung zu erlassen sei. Es fehlt am Rechtsschutzbedürfnis; die Verpflichtungsklage ist daher unzulässig.
Auch wenn der geltend gemachte prozessuale Anspruch in eine Feststellungsklage umgedeutet wird, ändert sich nichts am Ergebnis. Nach § 55 Abs 1 Nr 1 SGG kann mit der Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden; nach Abs 2 aaO fällt darunter auch die Festellung, in welchem Umfang Beiträge zu berechnen oder anzurechnen sind. Selbst wenn man unterstellt, der Regelungsinhalt des § 32 Abs 6a AVG und, etwas ferner liegend, auch der des § 32a Abs 5 AVG könnten unter Beitragsberechnung oder -anrechnung iS des § 55 Abs 2 SGG subsumiert werden, geht jedoch insoweit § 104 Abs 3 Satz 2 AVG als spätere Spezialnorm hier vor. Es kann auch nicht Gegenstand einer Feststellungsklage sein, wofür aufgrund einer materiell-rechtlichen Sondervorschrift die Verpflichtungsklage ausgeschlossen ist. Im übrigen müßte eine Feststellungsklage auch scheitern, weil es am berechtigten Interesse an der baldigen Feststellung iS von § 55 Abs 1 SGG fehlt. Denn es ist nicht ersichtlich, ob und wie die streitige Zeit noch (künftige) Entschlüsse der Klägerin hinsichtlich der Gestaltung ihres Versicherungsverhältnisses sollte beeinflussen können (vgl hierzu BSG SozR 1500 § 55 Nr 25 S 19); auch in diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, daß sich der prozessuale Anspruch auf die Höhe einer später nur möglicherweise zu gewährenden Leistung bezieht und dann mit der Leistungsklage geltend gemacht werden könnte.
Der verfassungsrechtliche Aspekt, um den es hier im Kern geht, bestätigt dies. Das BVerfG hat zu Verfassungsbeschwerden gegen ein gerichtliches Urteil ausgeführt, daß zwar der Beschwerdeführer durch ein Urteil in der Regel beschwert sei, dies jedoch bei gerichtlicher Überprüfung eines Verwaltungsaktes anders sein könne, dessen Erlaß der Beschwerdeführer provoziert habe, um im Gerichtszug im Wege der Inzidentkontrolle eine Norm auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüfen zu lassen, und so die Möglichkeiten zu erweitern, durch die eine verfassungsgerichtliche Normprüfung im Wege der Verfassungsbeschwerde erreicht werden könne (BVerfG, Beschluß vom 12. Februar 1986 – 1 BvR 1578/82 = SozR 2200 § 1248 Nr 45 unter Hinweis auf BVerfGE 60, 360, 369f). Dies sei aber, ebenso wie bei der unmittelbar gegen gesetzliche Vorschriften gerichteten Verfassungsbeschwerde, nur zulässig, wenn der Beschwerdeführer durch die Norm selbst unmittelbar und gegenwärtig betroffen werde. (In jenem Rechtsstreit wurde die Verfassungsbeschwerde gegen eine gerichtliche Entscheidung, mit der ein Versicherter die Feststellung der Verfassungswidrigkeit des § 25 Abs 3 AVG wegen Unvereinbarkeit mit Art 3 Abs 2 GG nach einem provozierten Verwaltungsakt schon vor Vollendung des 60. Lebensjahres begehrt hatte, mangels Rechtsschutzinteresses als unzulässig angesehen). Gleiches muß hier für die Zulässigkeit der Feststellungsklage (vgl aaO S. 113) gelten, wo die Aussetzung des Verfahrens nach Art 100 GG in Frage stünde. Denn auch insoweit muß es bei der konkreten Entscheidung auf die Gültigkeit der Norm ankommen. Dies ist nicht der Fall, wenn der Kläger im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung noch nicht von der für grundgesetzwidrig gehaltenen Norm betroffen wird und zweifelhaft ist, ob er je betroffen sein wird (vgl im einzelnen aaO S. 112).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Der Senat hat sich nicht dazu verstehen können, der Beklagten einen Teil der Kosten aufzuerlegen. Wer einen (rechtswidrigen) Verwaltungsakt provoziert, ohne eine Chance zu haben, mit seinem eigentlichen Anspruch durchzudringen, kann keine Kostenerstattung für das von ihm in Gang gesetzte Verfahren erwarten, auch wenn der provozierte Versicherungsträger die Überschreitung der Grenzen seiner Entscheidungsbefugnis hätte erkennen müssen.
Fundstellen