Leitsatz (amtlich)
Die Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsaktes (Entziehung der Kassenzulassung wegen gröblicher Pflichtverletzung) ist nicht allein auf Grund der von den Zulassungsinstanzen zur Begründung der Entziehung angeführten Tatsachen zu prüfen. Entscheidend ist, ob der Verwaltungsakt nach dem gesamten tatsächlich vorliegenden Sachverhalt - jedenfalls soweit er zum Bereich der den Verwaltungsakt tragenden Gründe - gehört - gerechtfertigt ist. Die Gerichte der ersten und zweiten Instanz haben daher ihre Ermittlungen - im Rahmen des von den Beteiligten durch den Verwaltungsakt und die nachfolgende Klage bestimmten Streitgegenstandes - von Amts wegen auf alle von ihnen als erheblich angesehenen Umstände zu erstrecken.
Orientierungssatz
Eine Zurückverweisung an die Verwaltung ist im sozialgerichtlichen Verfahren grundsätzlich unzulässig.
Normenkette
RVO § 368a Abs. 6 Fassung: 1955-08-17; SGG § 54 Fassung: 1953-09-03, § 103 Fassung: 1953-09-03, § 157 Fassung: 1953-09-03, § 159 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03; ZÄZG BY § 25 Nr. 3
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 16. Mai 1957 aufgehoben und der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Der 1903 geborene Kläger bestand die staatliche Prüfung als Dentist im Dezember 1931 und war zunächst zehn Jahre lang in H... als Krankenkassendentist zugelassen. Nach dem Kriege übernahm er in Passau eine kassendentistische Praxis und wurde später Kassenzahnarzt. Im Januar 1953 beantragte die Allgemeine Ortskrankenkasse P... beim Zulassungsausschuß für Zahnärzte und Dentisten im Registerbezirk Niederbayern, dem Kläger die Zulassung zu entziehen, weil sich bei 39 der nachuntersuchten Patienten im 3. Vierteljahr 1950 und im 1. Vierteljahr 1952 Beanstandungen ergeben hätten. Meist habe es sich um Feststellungen gehandelt, daß der Zahn gefehlt habe oder überkront gewesen sei. Auch bei weiteren Nachuntersuchungen hätten sich Beanstandungen ergeben. Am 4. März 1953 entzog der Zulassungsausschuß dem Kläger die Zulassung zur kassenzahnärztlichen Tätigkeit, weil er seine kassendentistischen Pflichten gröblich verletzt habe (§ 25 Nr. 3 des Bayerischen Gesetzes über die Zulassung von Zahnärzten und Dentisten zur Tätigkeit bei den Krankenkassen vom 14. Juni 1949), denn bei 155 überprüften Behandlungsfällen hätten sich 125 Beanstandungen ergebene Die Patienten sind in dem Beschluß namentlich genannt und die Beanstandungen mit abgekürzten Bemerkungen fachlicher Art in 77 Fällen angedeutet. Sieben Fälle, die namentlich genannt sind, seien vom Kläger zu seinen Gunsten geklärt worden. Es verblieben aber noch 118 Beanstandungen, in denen die Leistungen verrechnet, aber nicht ausgeführt oder unwirtschaftlich gewesen seien. Der Kläger habe ferner nicht abgeschlossene Behandlungen abgerechnet. Der Berufungsausschuß für Zahnärzte und Dentisten - Landesregisterbezirk Bayern - verwies am 31. Juli 1955 den Streit zur nochmaligen Nachprüfung an den Zulassungsausschuß zurück, denn er könne nach der Gegendarstellung des Klägers noch kein abschließendes Urteil fällen; es sei nicht ausgeschlossen, daß sich bei weiteren Ermittlungen für den Kläger ein noch günstigeres Bild ergebe. Eigene Feststellungen hat der Berufungsausschuß in diesem Beschluß nicht getroffen. Nach weiteren vertrauensärztlichen Nachuntersuchungen am 5. und 6. Oktober 1953 durch Dr. G... entzog der Zulassungsausschuß den Kläger am 5. Januar 1954 noch einmal die Zulassung und legte dieser Entscheidung die im Beschluß vom 4. März 1953 festgestellten Beanstandungen auf Grund der vertrauensärztlichen Nachuntersuchungen vom 20. und 21. Oktober 1952, vom 9. Dezember 1952 und vom 19. Februar 1953 zugrunde. Die Behauptungen des Klägers könnten nicht mehr nachgeprüft werden und die Bekundungen der Patienten hätten gegenüber den vertrauensärztlichen Feststellungen keinen großen Beweiswert. Bei den Nachuntersuchungen vom 5. und 6. Oktober 1953 hätten sich bei 15 von 49 nachuntersuchten Versicherten die gleichen Mängel ergeben wie bei den früheren Nachuntersuchungen. Der Kläger habe außerdem, wie sich bei der Nachuntersuchung herausgestellt habe, bei elf Versicherten in mehreren aufeinanderfolgenden Vierteljahren je einen Krankenschein abgerechnet, obwohl am Ende des ersten Vierteljahres die Behandlung noch nicht abgeschlossen gewesen sei. Nicht ausgeführte Leistungen seien berechnet, ebenso unsachgemäß ausgeführte Kleinstfüllungen. Im übrigen seien wegen der inzwischen verflossenen Zeit keine weiteren Nachuntersuchungen möglich. Die wiederholte Berufung des Klägers wies der Berufungsausschuß am 12. November 1954 zurück und beschloß, der Kläger könne drei Monate nach Zustellung des Beschlusses seine Wiedereintragung in das Zahnarztregister beantragen. Ein nicht unwesentlicher Teil der vom Zulassungsausschuß dem Kläger zur Last gelegten "Fälle verrechneter, in Wirklichkeit nicht ausgeführter Leistungen" sei nicht ausreichend bewiesen. Nach dem Grundsatz "im Zweifel für den Beschuldigten" habe sich die Zahl der wirklich nachweisbaren Verfehlungen erheblich vermindert. Immer wieder entständen beim Vergleich der einzelnen Beanstandungen mit den Krankenblättern Zweifel, ob die für nicht gelegte Füllungen angerechneten Verfehlungen als bewiesen behandelt werden könnten. Die Zahl der heraus gefallenen Füllungen habe immerhin ein solches Ausmaß gezeigt, daß der Vorwurf unwirtschaftlicher Behandlungsweise nicht ungerechtfertigt sei. Der Kasse könne nicht zugemutet werden, jede unwirtschaftliche Behandlung zur Honorierung zu übernehmen. Die übrig bleibenden Verfehlungen seien gröbliche Verletzung der Vertragspflichten. Nach verhältnismäßig kurzer Sperre biete der Kläger jedoch die Gewähr für weitere vertrauenswürdige Kassenbehandlung; nach drei Monaten könne er sich wieder um Zulassung bewerben.
Das Sozialgericht München hat durch Urteil vom 13. September 1955 die Entscheidungen des Zulassungsausschusses vom 5. Januar 1954 und des Berufungsausschusses vom 12. November 1954 aufgehoben, den Kläger jedoch verurteilt, der Beklagten die Kosten zu erstatten, die ihr durch die Bevollmächtigung des Rechtsanwalts Dr. P... entstanden sind. In 12 Fällen sei nachgewiesen, daß der Kläger nicht ausgeführte Leistungen in Rechnung gestellt habe, die Zahl der übrigen Verfehlungen des Klägers sei aus dem Beschluß des Berufungsausschusses nicht zu ersehen. Um aus alledem eine gröbliche Pflichtverletzung mit ihren weittragenden Folgen herleiten zu können, hätte es genauerer und konkreter Feststellungen bedurft, um so mehr, als die Kassenpraxis des Klägers - gemessen an der Gesamtzahl seiner Abrechnungen - nicht gerade klein gewesen sein könne. Es bestehe der Eindruck, daß der Kläger Zähne gefüllt habe, obwohl dies vom medizinischen Standpunkt aus nicht tunlich gewesen sei. Das Gericht habe jedoch diese Verfehlungen nicht als gröblich betrachten können. Für die Annahme eines gröblichen Verstoßes seien konkrete unwiderlegbare Feststellungen erforderlich. Es liege ein Grenzfall vor. Der Kläger habe durch sein Verhalten das Zulassungsentziehungsverfahren veranlaßt und müsse deshalb die der Kassenärztlichen Vereinigung entstandenen Kosten tragen.
Auf die Berufung der Beklagten, damals noch der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Bayerns und des Landesverbands der Ortskrankenkassen Bayerns, die beantragt haben, das Urteil des Sozialgerichts München aufzuheben und die Klage abzuweisen, hat das Landessozialgericht durch Urteil vom 16. Mai 1957 das Urteil des Sozialgerichts München vom 13. September 1955 wie folgt geändert:
1. Der Beschluß des Berufungsausschusses für Zahnärzte und Dentisten - Landesregisterbezirk Bayern - vom 12. November 1954 wird aufgehoben; im übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Berufungen werden im übrigen zurückgewiesen.
3. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Zum Verständnis dieser Urteilsformel ist in den Gründen des Urteils folgendes ausgeführt:
"Da auf Grund der Entscheidung des Senats allein der Beschluß des Berufungsausschusses aufgehoben ist, wird das Verfahren in die Lage zurückversetzt, in der es sich befunden hat, bevor der rechtswidrige Beschluß des Berufungsausschusses vom 12. November 1954 ergangen ist. Dies hat nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (zu vergleichen Amtsblatt des Bayer. Staatsministeriums für Arbeit und soziale Fürsorge 1956 Teil B S. 127, 131) zur Folge, daß der Berufungsausschuß über die vom Kläger seinerzeit gegen die Entscheidung des Zulassungsausschusses vom 5. Januar 1954 eingelegte Berufung erneut zu befinden haben wird."
Das Berufungsgericht führt in den Gründen weiter aus, es müsse - unabhängig von der Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch die Zulassungsinstanzen - prüfen, ob die von diesen als vorliegend erachteten Verfehlungen erwiesen sind und ob es sich um eine gröbliche Verletzung der kassenzahnärztlichen Pflichten handele. Soweit die Entscheidungen der Zulassungsinstanzen darin nicht übereinstimmten, auf Grund welchen Sachverhalts eine gröbliche Verletzung der kassenzahnärztlichen Pflichten anzunehmen sei, habe das Gericht den Beschluß des Zulassungsausschusses nur insoweit nachzuprüfen, als er vom Berufungsausschuß bestätigt worden sei, während im übrigen allein die Feststellungen des Berufungsausschusses Gegenstand des sozialgerichtlichen Verfahrens seien. Neue Tatbestände, die von den Zulassungsinstanzen nicht ihren Entscheidungen zugrunde gelegt worden seien, dürfe das Gericht nicht einbeziehen. Gegenstand der Nachprüfung sei also der Beschluß des Zulassungsausschusses, soweit er vom Berufungsausschuß bestätigt worden sei. Um die Nachprüfung zu ermöglichen, müßten die Umstände, die den Sachverhalt zu beweisen vermögen, die Einwendungen des Zahnarztes und die sonstigen für die Entscheidung maßgebenden Gründe im angefochtenen Verwaltungsakt aufgeführt sein. Im Beschluß des Zulassungsausschusses sei zwar das Ergebnis der vertrauensärztlichen Untersuchungen in zahlreichen Einzelfällen und die Einwendungen des Klägers niedergelegt, der Berufungsausschuß habe indessen die Beanstandungen als weitgehend entkräftet angesehen. Dabei sei nicht zu ersehen, welcher Teil der Verfehlungen nach Ansicht des Berufungsausschusses bewiesen sei. Der Beschluß enthalte keine Darstellung der Tatumstände im einzelnen, die in ihrer Gesamtheit als gröbliche Pflichtverletzung im Sinne des § 25 Nr. 3 Bayer. Zulassungsgesetz anzusehen seien, er enthalte nicht mit genügender Deutlichkeit die Zahl der erwiesenen Beanstandungen, die Arten der Verfehlungen, die Zahl der Doppelverrechnungen und der Verrechnung nicht bewirkter Leistungen. Eindeutig sei aus dem Beschluß des Berufungsausschusses nur zu entnehmen, daß die hohe Zahl der herausgefallenen Füllungen als unwirtschaftliche Behandlungsweise angesehen werde. Es sei aber nicht einmal die genaue Zahl der ausgefallenen Füllungen angegeben. Unter diesen Umständen sei eine gerichtliche Nachprüfung, ob der Kläger seine kassenärztlichen Pflichten gröblich verletzt habe, nicht möglich. Das Urteil des Sozialgerichts sei wenigstens im Ergebnis insoweit nicht zu beanstanden, als es den Beschluß des Berufungsausschusses als rechtswidrig aufgehoben habe. Es sei nicht recht erklärlich, wieso das Sozialgericht angenommen habe, daß zwölf Fälle nachgewiesen seien, in denen der Kläger "nicht ausgeführte Leistungen" verrechnet habe; aus den Beschluß des Berufungsausschusses könne das nicht entnommen werden. Daß der Kläger, um nach seiner Behauptung weitere Untersuchungskosten zu vermeiden, 24 Beanstandungen zugegeben habe, sei nicht entscheidend. Das Sozialgericht habe daher zu Recht den Beschluß des Berufungsausschusses als rechtswidrig aufgehoben, weil dessen Begründung eine gerichtliche Nachprüfung ausschließe; der Berufungsausschuß hätte den Sachverhalt in tatsächlicher und rechtlicher Beziehung neu prüfen müssen. Das Sozialgericht hätte die Entscheidung des Zulassungsausschusses nur aufheben dürfen, wenn keine Gründe für eine Entziehung der Zulassung vorgelegen hätten. Da auf Grund der Entscheidung des Landessozialgerichts nur der Beschluß des Berufungsausschusses aufgehoben sei, so werde das Verfahren in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor dem rechtswidrigen Beschluß des Berufungsausschusses befunden habe; der Berufungsausschuß müsse also über die vom Kläger gegen die Entscheidung des Zulassungsausschusses vom 5. Januar 1954 eingelegte Berufung noch einmal befinden. Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen.
Mit der am 23. August 1957 eingelegten und am 23. August 1957 begründeten Revision beantragt der Kläger,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts in München vom 16. Mai 1957 in Ziffer 1 und 3 aufzuheben und die Berufungen der Beklagten in vollem Umfange zurückzuweisen "bei Kostenlast der Berufungskläger".
Der Kläger rügt, das Berufungsgericht habe die verfahrensrechtlichen Bestimmungen der §§ 157 und 159 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) verletzt. Es habe nach § 157 SGG den Streitfall in gleichem Umfang wie das Sozialgericht zu prüfen. Die Entscheidung des Berufungsgerichts könne nur auf Zurückweisung der Berufungen oder auf Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts unter Abweisung der Klage oder in den Fällen des § 159 SGG auf Zurückverweisung an die erste Instanz lauten. Eine Zurückverweisung an die Verwaltungsinstanz - an den Berufungsausschuß - und damit unter Umständen die Möglichkeit der Einführung eines anderen Sachverhalts zur Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes in das Verfahren und die erneute Klage des Betroffenen vor den Verwaltungsgerichten sei im Sozialgerichtsgesetz nicht vorgesehen. Das ergehe sich als Umkehrschluß aus § 159 SGG. Wenn die Verwaltungsakte keinen eindeutigen Sachverhalt feststellten und somit nicht gerechtfertigt seien, so sei die Klage begründet, wie das Sozialgericht entschieden habe. Daher wären - meint der Kläger - die Berufungen zurückzuweisen gewesen. Das Berufungsgericht habe jedoch die nach § 157 SGG vorgeschriebene Prüfung nicht vorgenommen und habe im Ergebnis eine Zurückverweisung an die Verwaltungsinstanz ausgesprochen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die Revision für unzulässig. Die Sozialgerichte hätten nicht die Aufgabe, Beweise zu erheben, die die rechtliche Unterlage für eine Ermessensentscheidung bildeten, die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit könnten nur die Rechtsanwendung durch die Verwaltungsbehörden nachprüfen.
II
Da das Prozeßführungsrecht in Zulassungsstreitigkeiten jedenfalls seit Inkrafttreten des Gesetzes über Kassenarztrecht allein dem Berufungsausschuß zusteht (BSG. 6 S. 278/279), hat der Senat mit Zustimmung der Beteiligten nur den Berufungsausschuß als Beklagten und die bisherigen Beklagten als weitere Beteiligte angesehen und demgemäß im Urteilskopf aufgeführt.
Der Kläger hat die Revision rechtzeitig und in der richtigen Form eingelegt und fristgemäß begründet. Obgleich das Landessozialgericht die Revision nicht zugelassen hat, ist sie nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft, weil das angefochtene Urteil auf einem von dem Kläger gerügten wesentlichen Mangel des Verfahrens beruht. Das Landessozialgericht meint, es dürfe bei der Nachprüfung einer nach § 25 Nr. 3 des Bayerischen Zulassungsgesetzes ausgesprochenen Entziehung der Kassenzulassung nur solche Tatsachen berücksichtigen, auf die sich die Verwaltung selbst zur Begründung ihrer Entscheidung berufen habe. Da aus dem Beschluß des Berufungsausschusses nicht klar zu ersehen sei, auf Grund welcher Tatsachen dem Kläger die Zulassung entzogen werden solle, könne der Beschluß nicht gerichtlich nachgeprüft werden. Er müsse daher aufgehoben werden, damit der Berufungsausschuß nunmehr die erforderlichen Tatsachen feststelle. Dieser Auffassung könnte der Senat selbst dann nicht folgen, wenn mit dem Berufungsgericht anzunehmen wäre, daß sich die Nachprüfung eines Entziehungsbescheides allein auf die von der Verwaltung angeführten Tatsachen erstrecken dürfe. Denn auch von diesem Rechtsstandpunkt aus hätte das Berufungsgericht den Beschluß des Berufungsausschusses nicht ohne weiteres wegen fehlender oder unklarer Tatsachenfeststellungen aufheben dürfen, sondern hätte die Beteiligten, besonders den Berufungsausschuß, der zum Verfahren hinzuzuziehen gewesen wäre (BSG. 6, 278), befragen und den Sachverhalt klarstellen müssen (§ 106 SGG). Daß die Verwaltung grundsätzlich befugt ist, auch während des gerichtlichen Verfahrens noch neue Tatsachen zur Begründung ihrer Entscheidung "nachzuschieben", ist in Rechtsprechung und Lehre anerkannt (vgl. BSG. 7, 257 [261 f.] mit weiteren Nachweisen).
Es bedarf indessen keines näheren Eingehens auf diese Fragen, da die Auffassung des Berufungsgerichts schon im Ausgangspunkt nicht gebilligt werden kann. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit sind bei der Nachprüfung einer Zulassungsentziehung weder auf die von der Verwaltung in dem Entziehungsbeschluß angeführten noch auf die später von ihr "nachgeschobenen" Entziehungstatsachen beschränkt. Eine solche Begrenzung der Tätigkeit der Gerichte wäre unvereinbar mit ihrer Pflicht, den Sachverhalt im Rahmen des von den Beteiligten durch den Verwaltungsakt und die nachfolgende Anfechtungsklage bestimmten Streitgegenstandes von Amts wegen zu erforschen (§ 103 SGG). Dabei macht es keinen Unterschied, ob die vom Gericht ermittelten Tatsachen dem Kläger oder der beklagten Verwaltung günstig sind. Ebenso wie die beklagte Verwaltung sich unter Umständen damit abfinden muß, daß erst die Tätigkeit des Gerichts einer zunächst ungenügend begründeten Klage zum Erfolg verhilft, muß sich auch der Kläger gefallen lassen, daß der angefochtene Verwaltungsakt erst auf Grund eines vom Gericht näher aufgeklärten Sachverhalts Bestand erhält. Die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes, um die die Beteiligten im Anfechtungsprozeß streiten, hängt nicht davon ab, ob die von der Verwaltung angeführten Tatsachen die getroffene Regelung rechtfertigen; entscheidend ist vielmehr, ob der Verwaltungsakt nach dem tatsächlich vorliegenden Sachverhalt begründet ist. Grundsätzlich hat hiernach das Gericht erster Instanz- und nach §§ 153, 157 SGG auch das Berufungsgericht - alle Tatsachen, die für die Beurteilung des Verwaltungsaktes erheblich sind, von Amts wegen aufzuklären (§ 103 SGG). Damit ist für die Gerichte zwar unter Umständen eine nicht unerhebliche Belastung verbunden, besonders wenn die Verwaltung, wie hier, den Sachverhalt nur mangelhaft geklärt oder überhaupt keine eindeutigen Feststellungen getroffen hat. Diese Mehrbelastung der Gerichte muß indessen im Interesse eines beschleunigten und wirksamen verwaltungsgerichtlichen Schutzes in Kauf genommen werden. Die Gerichte dürfen sich ihrer Aufgabe nicht durch eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren grundsätzlich unzulässige Zurückverweisung der Sache an die Verwaltung entziehen (BSG. 2, 94 und 5, 116 [120], BVerwG 2, 135).
Recht und Pflicht der Gerichte zur vollständigen Aufklärung des Sachverhalts finden allerdings dort eine Grenze, wo das Ermessen der Verwaltung berührt oder die Identität des angefochtenen Verwaltungsaktes geändert würde. Im ersten Falle könnten die Gerichte unter Umständen mit der eigenmächtigen Heranziehung neuer Tatsachen in den der Verwaltung vorbehaltenen Ermessensspielraum eindringen. Die gerichtliche Aufklärungspflicht erstreckt sich ferner nicht auf solche Tatsachen, die den angefochtenen Verwaltungsakt auf eine neue Grundlage stellen, im Rechtssinne also zu einem anderen Verwaltungsakt machen würden. Denn damit würden die Gerichte, da die Aufrechterhaltung eines Verwaltungsaktes mit einer völlig neuen tatsächlichen Begründung dem Erlaß eines neuen Verwaltungsaktes gleichkommt, entgegen dem Gründsatz der Gewaltentrennung selbst aktiv in das Verwaltungsgeschehen eingreifen. Außerdem würde dem Rechtsstreit gleichsam von Amts wegen ein anderer Streitgegenstand gegeben, was auch in Verfahren mit Untersuchungsmaxime grundsätzlich nicht zulässig ist (vgl. § 123 SGG). Wo hier im Einzelfall die Grenze der gerichtlichen Aufklärungspflicht verläuft, mag - ebenso wie in der ähnlichen Frage, inwieweit die beklagte Behörde neue Tatsachen zur Begründung des Verwaltungsaktes "nachschieben" darf (vgl. BSG. 7, 257 [261 f.],- zuweilen zweifelhaft sein. Auf jeden Fall sind die Gerichte nicht nur befugt, sondern auch verpflichtet, ihre Ermittlungen von Amts wegen auf alle Tatsachen auszudehnen, die zum Bereich der den Verwaltungsakt tragenden Gründe ("Motivationsbereich" im Sinne von Reuß, DVBl. 1954 S. 593, 595) gehören.
Die Klage richtet sich nicht gegen eine Ermessensentscheidung, da § 25 Nr. 3 des Bayerischen Zulassungsgesetzes den Zulassungsinstanzen die Entziehung der Kassenzulassung unter den dort genannten Voraussetzungen zur Pflicht macht. Auch die Identität des Verwaltungsaktes wird durch die vom Berufungsgericht noch als aufklärungsbedürftig angesehenen Tatsachen nicht berührt: zu dem - den angefochtenen Verwaltungsakt rechtfertigenden - Sachverhalt gehört das gesamte bei der Einleitung des Entziehungsverfahrens und in seinem späteren Verlauf dem Kläger zum Vorwurf gemachte Verhalten, soweit es die Behandlung von Kassenpatienten und die Abrechnung kassenärztlicher Leistungen betrifft,- mag es sich hierbei auch um einen weitläufigen Komplex von Tatsachen handeln. Das Landessozialgericht hätte daher, statt den Beschluß des Berufungsausschusses aufzuheben, die seiner Ansicht nach noch erforderlichen Feststellungen selbst treffen müssen (§§ 103, 153, 157 SGG). Da es dies auf Grund eines Irrtums über seine prozessualen Pflichten unterlassen hat, leidet sein Verfahren an einem - vom Revisionskläger gerügten - wesentlichen Mangel. Die nicht zugelassene Revision ist daher nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft und auch begründet. Das angefochtene Urteil mußte aufgehoben und der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen werden, weil der Senat wegen Fehlens der zur Entscheidung erforderlichen tatsächlichen Feststellungen nicht in der Sache selbst entscheiden konnte (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG). Das Landessozialgericht hat nunmehr die erforderlichen Feststellungen über die für die Entscheidung erheblichen Umstände zu treffen und alsdann zu prüfen, ob nach den getroffenen Feststellungen die Entziehung der Zulassung des Klägers rechtlich zu beanstanden ist.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Endurteil vorbehalten.
Fundstellen