Entscheidungsstichwort (Thema)

Klärung von Rechtsfragen zum Versicherungsverlauf

 

Leitsatz (amtlich)

Der Versicherte, der die Richtigkeit und/oder Vollständigkeit seines Versicherungsverlaufs beanstandet, kann zur Klärung des Inhalts des Versicherungsverlaufs Feststellungsklage erheben.

 

Orientierungssatz

Erst im potentiellen Leistungsfall, dh nach Eintritt des Versicherungsfalles, sind mit dem Inhalt des Versicherungsverlaufs im Zusammenhang stehende Rechtsfragen nach dem zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls geltenden Recht zu entscheiden.

 

Normenkette

SGG § 55 Abs 1 Nr 1 Fassung: 1953-09-03; SGG § 55 Abs 2 Fassung: 1953-09-03; DEVO 2 § 17 Abs 2 Fassung: 1980-05-29; RVO § 1325 Fassung: 1972-10-16

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 06.10.1980; Aktenzeichen L 2 J 113/80)

SG Koblenz (Entscheidung vom 08.01.1980; Aktenzeichen S 6 J 158/79)

 

Tatbestand

Der im Jahr 1920 geborene Kläger war seit 1956 als Arbeiter bei Firmen beschäftigt, die Bimsbaustoffprodukte herstellen. In diesem Industriezweig wird nach dem Vortrag des Klägers im Winter aus technischen Gründen die Produktion für die Dauer von etwa drei Monaten eingestellt, die Saison-Arbeitskräfte werden dann entlassen, gelegentlich aber zu Aushilfsbeschäftigungen gegen eine wöchentliche Entlohnung von durchschnittlich 10,-- bis 15,-- DM herangezogen. Während derartiger Zeiten der Arbeitslosigkeit will der Kläger in der Zeit von Dezember 1958 bis März 1972 verschiedentlich auf diese Art aushilfsweise tätig gewesen sein; Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung der Arbeiter seien jeweils vom Arbeitgeber abgeführt worden.

Auf den Antrag des Klägers erteilte die Beklagte am 26. Januar 1979 eine Rentenauskunft, der ein Versicherungsverlauf und eine Rentenberechnung beigefügt waren. Diese Rentenauskunft übersandte sie dem Kläger zusammen mit einem Schreiben vom 5. Februar 1979, in dem sie erläuternd ausführte, daß die Berücksichtigung von Pflichtbeiträgen, die während einer Ausfallzeit entrichtet worden seien, sich nach den zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls geltenden gesetzlichen Bestimmungen und der Gesetzesauslegung richte. Derzeit verträten die Rentenversicherungsträger die Auffassung, daß Pflichtbeiträge, die während der Zeit einer Arbeitslosigkeit entrichtet worden seien, eine Berücksichtigung der Zeit der Arbeitslosigkeit als Ausfallzeit ausschlössen; abschließend folgt ein Hinweis auf die Möglichkeit, sich mit einer Feststellungsklage an das Sozialgericht (SG) zu wenden.

Im Klageverfahren hat der Kläger beantragt, die Landesversicherungsanstalt zu verpflichten, die in der Klageschrift im Zeitraum von 1958 bis 1972 angegebenen Einzelzeiten der Arbeitslosigkeit als beitragsfreie Zeiten anzusehen, hilfsweise, sie als Ausfallzeiten anzuerkennen und die in diesen Zeiten entrichteten Beiträge als Beiträge zur Höherversicherung zu bewerten. Das SG Koblenz hat mit Urteil vom 8. Januar 1980 den "Bescheid der Beklagten vom 5. Februar 1979 (Rentenauskunft)" abgeändert und festgestellt, daß die genannten Einzelzeiten der Arbeitslosigkeit des Klägers Ausfallzeiten und die in diesen Zeiten geleisteten Beiträge Beiträge zur Höherversicherung seien.

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz mit Urteil vom 6. Oktober 1980 unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Der vom Kläger vor dem SG gestellte Hauptantrag falle dem Berufungsgericht nicht an. Lediglich zur Klarstellung müsse ausgesprochen werden, daß der Hauptantrag abgewiesen werde. Das vom Hilfsantrag gekennzeichnete Begehren sei unzulässig. Für eine Verpflichtungsklage fehle das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis; ein den Kläger beschwerender Verwaltungsakt sei von der Beklagten nicht erlassen worden. Auch eine Feststellungsklage sei unzulässig; sie beträfe reine Rechtsfragen zu Rentenberechnungsfaktoren, die kein Rechtsverhältnis iS von § 55 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) begründen könnten. Aus § 55 Abs 2 SGG lasse sich die Zulässigkeit der Feststellungsklage nicht herleiten; streitig müßten dann die Beiträge selbst sein. Das sei hier jedoch nicht der Fall.

Mit der Revision trägt der Kläger vor: Er greife mit seiner Klage eine Rentenauskunft an; dabei handele es sich nicht um einen Verwaltungsakt. Er könne seine Rechte aber im Wege einer Feststellungsklage verfolgen. Er wolle festgestellt wissen, in welchem Umfang Ausfallzeiten oder Beiträge anzurechnen seien. Das dazu erforderliche Feststellungsinteresse sei zu bejahen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des LSG Rheinland-Pfalz vom 6. Oktober 1980 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Koblenz vom 8. Januar 1980 zurückzuweisen.

Die Beklagte schließt sich der Revision dahingehend an, daß ein Feststellungsinteresse bestehe, und beantragt im übrigen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist im Sinne der Zurückverweisung an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

Entgegen der vom LSG vertretenen Rechtsauffassung ist die Klage als Feststellungsklage nach § 55 Abs 1 Nr 1 iVm Abs 2 SGG zulässig. Nach § 55 Abs 1 Nr 1 SGG kann mit der (Feststellungs-) Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat; darunter fällt nach § 55 Abs 2 SGG auch die Feststellung, in welchem Umfange Beiträge zu berechnen oder anzurechnen sind.

Der Kläger wendet sich gegen die Art der Anrechnung bestimmter Versicherungszeiten in dem der Rentenauskunft beigefügten Versicherungsverlauf. Es geht ihm darum, in dem - seiner Auffassung nach zu berichtigenden - Versicherungsverlauf Zeiten, für die Pflichtbeiträge angerechnet worden sind, als Ausfallzeiten auszuweisen, und die entrichteten Pflichtbeiträge gegebenenfalls als Höherversicherungsbeiträge zu bewerten. Zu Unrecht geht das LSG davon aus, mit diesem Begehren werde - unzulässigerweise - die Entscheidung reiner Rechtsfragen zu Rentenberechnungsfaktoren erstrebt. In Frage steht insoweit allein der Inhalt des Versicherungsverlaufs; der Versicherungsverlauf dient aber nur als Nachweis für die gespeicherten Daten (vgl die Definition in § 17 Abs 1 Satz 1 der Datenerfassungsverordnung -DEVO- vom 24. November 1972 - BGBl I, 2159 -, die mit Wirkung vom 1. Januar 1981 durch die 2. DEVO vom 29. Mai 1980 - BGBl I, 539 - abgelöst worden ist). Erst im potentiellen Leistungsfall, dh nach Eintritt des Versicherungsfalles, sind mit dem Inhalt des Versicherungsverlaufs im Zusammenhang stehende Rechtsfragen nach dem zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls geltenden Recht zu entscheiden; das entspricht der in dem Begleitschreiben zur Rentenauskunft vom 5. Februar 1979 wiedergegebenen Rechtsauffassung der Beklagten. Für das Begehren des Klägers, das auf die Berichtigung bzw Ergänzung der gespeicherten Daten abzielt, steht diesem aber die Feststellungsklage zur Verfügung; dementsprechend hatte auch die Beklagte in dem Begleitschreiben vom 5. Februar 1979 auf die Möglichkeit, Feststellungsklage zu erheben, hingewiesen.

Das für eine zulässige Feststellungsklage nach § 55 Abs 1 SGG weiterhin erforderliche Feststellungsinteresse wird bereits durch die in § 17 DEVO bzw 2.DEVO getroffenen Regelungen begründet. Nach § 17 Abs 2 Satz 1 DEVO bzw 2. DEVO sind die Versicherten nämlich gehalten, den Versicherungsverlauf auf Richtigkeit und Vollständigkeit hin zu überprüfen; etwaige Mängel sollen dem Rentenversicherungsträger innerhalb von drei Monaten unter Beifügung geeigneter Beweismittel mitgeteilt werden (§ 17 Abs 2 Satz 2 iVm Satz 3 DEVO bzw 2. DEVO). Daraus folgt, daß der Versicherte die Richtigstellung des Versicherungsverlaufs fordern kann, wenn er der Auffassung ist, dieser enthalte unrichtige Angaben. Im Beanstandungsfalle und einer notwendig werdenden gerichtlichen Klärung wird damit dem Versicherten ein Interesse an der Richtigkeit und Vollständigkeit seines Versicherungsverlaufs bereits durch die Rechtsverordnung unterstellt.

Da das LSG die erhobene Klage, soweit über sie noch zu entscheiden war, für unzulässig erachtet und von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig keinerlei Tatsachenfeststellungen über die im Versicherungsverlauf streitigen Zeiten getroffen hat, wird es diese für eine Sachentscheidung notwendigen Feststellungen nachzuholen haben. Das LSG wird dabei zunächst einmal aufzuklären haben, ob der Kläger in den streitigen Zeiten arbeitslos war und ob für ihn in diesen Zeiten zu Recht oder zu Unrecht Pflichtbeiträge entrichtet worden sind. Erst danach läßt sich ermitteln, ob die Angaben im Versicherungsverlauf zutreffend sind oder nicht, wobei auch noch die Regelung des § 1423 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung eine Bedeutung gewinnen könnte.

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Breith. 1983, 456

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge