Verfahrensgang
SG Stuttgart (Urteil vom 22.02.1991) |
Tenor
Die Sprungrevision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 22. Februar 1991 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt von der Beklagten Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit (BU, EU) ab April 1988.
Der 1931 geborene Kläger war von November 1960 bis Mai 1972 in der Bundesrepublik Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt. Im Juni 1972 kehrte er nach Griechenland zurück. Dort arbeitete er – mit längeren Unterbrechungen – bis Dezember 1987 als Maurer. Vom 25. Dezember 1987 bis 21. Februar 1988 bezog er Leistungen wegen Arbeitslosigkeit und vom 22. Februar 1988 bis 4. März 1988 Krankengeld. Der griechische Sozialversicherungsträger gewährte ihm ab 10. März 1988 eine Anpassungszulage wegen allgemeiner Krankheit. Die griechische Sozialversicherungsanstalt (IKA) leitete den Rentenantrag zusammen mit einem Arztbericht an die Beklagte weiter. Der Grad der Leistungsminderung wurde nach griechischem Recht mit 51% angegeben.
Die Beklagte lehnte den Rentenantrag ab (Bescheid vom 7. April 1989). Der Kläger sei zwar seit dem 10. März 1988 erwerbsunfähig. Er habe aber in den letzten 60 Kalendermonaten vor Eintritt des Versicherungsfalles nicht mindestens 36 Kalendermonate mit Beiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung belegt. Im Zeitraum vom 1. März 1983 bis 29. Februar 1988 habe der Kläger nur 11 Beitragsmonate zurückgelegt.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 22. Februar 1991) und die Sprungrevision zugelassen. Es hat im wesentlichen ausgeführt: Anhaltspunkte dafür, daß die EU des Klägers schon vor dem 10. März 1988 eingetreten sei, lägen nicht vor. Der maßgebende Zeitraum der 60 Kalendermonate, innerhalb derer mindestens 36 Pflichtbeitragsmonate liegen müßten, bemesse sich bei einer EU ab März 1988 zunächst vom 1. März 1983 bis 28. Februar 1988. Er sei um 3 Monate zu verlängern, da der Kläger in der Zeit vom 25. Dezember 1987 bis 21. Februar 1988 Leistungen wegen Arbeitslosigkeit in Griechenland erhalten habe. Die 36 Kalendermonate an Pflichtbeiträgen müßten deshalb in der Zeit vom 1. Dezember 1982 bis 28. Februar 1988 zurückgelegt worden sein. So viele Monate (36 Monate) habe der Kläger indessen nicht mit Pflichtbeiträgen belegt. Nach seinen eigenen Angaben sei der Kläger von 1980 bis 1984 nicht beschäftigt gewesen, er sei in den Jahren 1985 bis 1987 18 Monate versichert gewesen. Nach Dezember 1987 habe er nicht mehr gearbeitet.
Der Kläger rügt mit der von ihm eingelegten Sprungrevision eine Verletzung der Art 3 und 14 Grundgesetz (GG) sowie des § 1247 Reichsversicherungsordnung (RVO). Das Haushaltsbegleitgesetz 1984 (HBegleitG) hätte eine Regelung treffen müssen, welche den Versicherten, die vor dem 1. Januar 1984 die Wartezeit erfüllt hatten, dann in ihr Heimatland, zB nach Griechenland, zurückgekehrt seien, die Möglichkeit eröffne, in einem Zeitraum von 5 Jahren freiwillig Beiträge zur Rentenversicherung nachzuentrichten. Die neuen Regelungen seien in Griechenland nicht ausreichend bekannt gemacht worden.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ab Antragstellung Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren;
hilfsweise,
die Sache dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen.
Die Beklagte beantragt,
die Sprungrevision zurückzuweisen.
Sie trägt vor: Der griechischen Regierung seien zumindest seit Anfang 1984 die Vorschriften des HBegleitG 1984 hinsichtlich der erschwerten Anspruchsvoraussetzungen für Renten wegen BU und EU bekannt gewesen. Anläßlich der deutsch-griechischen Verbindungsstellenbesprechung vom 10. bis 14. September 1984 in Athen seien die griechischen Träger der Rentenversicherung und Verbindungsstellen ua über die erschwerten Anspruchsvoraussetzungen für Renten wegen BU und EU informiert worden. Den griechischen Verbindungsstellen sowie aus Griechenland anfragenden Versicherten seien zweisprachige Merkblätter mit den geänderten Rechtsvorschriften zur Verfügung gestellt worden.
Entscheidungsgründe
II
Die Sprungrevision des Klägers ist unbegründet. Wie das SG richtig entschieden hat, steht dem Kläger kein Anspruch auf Rente wegen EU zu.
Auf den Fall des Klägers ist noch die RVO anzuwenden, da der Kläger seinen Anspruch bereits vor dem 1. Januar 1992 geltend gemacht hat (§ 300 Abs 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch ≪SGB VI≫).
Nach den gemäß § 161 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht angreifbaren Tatsachenfeststellungen des SG, ist der Kläger seit dem 10. März 1988 erwerbsunfähig. Eine Rente wegen EU kann er nach den §§ 1247 Abs 2a, 1246 Abs 2a RVO nur erhalten, wenn von den letzten 60 Kalendermonaten vor Eintritt der EU mindestens 36 Kalendermonate mit Beiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung belegt sind. Das ist nach den unangreifbaren Tatsachenfeststellungen des SG beim Kläger nicht der Fall. Vom 10. März 1988 als Zeitpunkt des Eintretens der EU rückgerechnet ist die Zeit vom 1. März 1983 bis 28. Februar 1988 der maßgebliche Zeitraum. Dieser Zeitraum ist um 3 Monate zu verlängern, da der Kläger vom 25. Dezember 1987 bis 21. Februar 1988 Leistungen wegen Arbeitslosigkeit in Griechenland erhalten hat (§§ 1247 Abs 2a; 1246 Abs 2a Satz 2 Nr 2; 1259 Abs 1 Nr 3 RVO; § 9a EWG-VO 1408/71). In dieser Zeit hat der Kläger nicht 36 Kalendermonate versicherungspflichtig gearbeitet, nach der Berechnung der Beklagten 11 Monate, nach seinen eigenen Angaben und nach der Feststellung des SG höchstens 18 Monate.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat bereits entschieden, daß die Regelungen des HBegleitG 1984, welche die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug der EU-Rente erschweren, mit dem GG vereinbar sind, soweit danach Versicherte, die vor dem 1. Januar 1984 eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt haben, ihre Anwartschaften nur durch Weiterzahlung von Beiträgen aufrechterhalten können (BVerfG Beschluß vom 8. April 1987; BVerfGE 75, 78 ff; SozR 2200 § 1246 Nr 142).
Für Wanderarbeitnehmer, die in ihre Heimatländer zurückgekehrt sind, kann nichts anderes gelten. Sie sind, soweit es ihre Rechte aus der Sozialversicherung angeht, ebenso den deutschen Gesetzen unterworfen – dh durch sie begünstigt und auch von Einschränkungen betroffen – wie Arbeitnehmer, die weiterhin in Deutschland arbeiten. Es sind keine Gründe erkennbar, sie wegen ihrer Rückwanderung gegenüber hier lebenden Versicherten zu privilegieren.
Abgesehen davon, daß die Beklagte alles in ihrer Macht stehende getan haben dürfte, um die Versicherten über die Gesetzesänderungen zu unterrichten, die in Deutschland vorgenommen worden sind, könnte der Kläger aus dem Mangel einer solchen Bekanntmachung keine persönlichen Rechte herleiten. Die Verletzung der allgemeinen Aufklärungspflicht iS des § 13 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) durch Anerkennung von Herstellungsansprüchen unter Sanktion zu stellen, würde zu einer Aushöhlung des „formellen Publizitätsprinzips” führen, wonach ordnungsgemäß verkündete Gesetze grundsätzlich allen Normadressaten als bekannt gelten, ohne Rücksicht darauf, ob und wann sie tatsächlich davon Kenntnis erlangt haben. Dies hat das Bundessozialgericht schon wiederholt entschieden (vgl BSGE 67, 90 = SozR 3-1200 § 13 Nr 1 mwN; Urteil vom 25. Oktober 1990 – 12 RK 29/88 –). Nur die Verletzung einer dem Einzelnen gegenüber bestehenden Pflicht des Sozialversicherungsträgers kann zu einem Herstellungsanspruch führen. Dafür, daß die Beklagte eine ihr dem Kläger gegenüber bestehende Pflicht verletzt hat, liegen weder Feststellungen noch Anhaltspunkte vor.
Zu einer Vorlage der Sache an den Europäischen Gerichtshof besteht bei dieser Sach- und Rechtslage kein Anlaß.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen