Leitsatz (amtlich)
1. Die in AFuU § 5 Abs 2 und A Reha § 26 Abs 2 geforderte Verbindung von Fernunterricht mit ergänzendem Nahunterricht hält sich im Rahmen der Ermächtigung des AFG § 39.
2. AFG § 56 enthält für die Berufsförderung Behinderter einen allgemeinen Grundsatz, nach welchem die Bundesanstalt für Arbeit auch bei dem Erlaß von Anordnungen nach AFG § 39 verpflichtet ist, die besonderen Verhältnisse der Behinderten zu berücksichtigen.
Leitsatz (redaktionell)
1. Die in AFuU § 5 Abs 2 Fassung: 1969-12-18 und in RehaAnO § 26 Abs 2 getroffene Regelung, nach der die Teilnahme an einem Fernunterricht nur gefördert wird, wenn dieser mit ergänzendem Nahunterricht verbunden wird, verletzt kein höherrangiges Recht. Grundsätzlich bestehen keine Bedenken, auch bei der Berufsförderung Behinderter (AFG §§ 56 ff) eine Verbindung von Fernunterricht mit ergänzendem Nahunterricht zur Voraussetzung der Förderungsfähigkeit der Teilnahme an einem solchen Lehrgang zu machen. Bürdet die Teilnahme am Nahunterricht dem Behinderten jedoch Belastungen auf, die ihm im Hinblick auf seine Behinderung nicht zuzumuten sind, so ist ein Fernunterricht auch ohne ergänzenden Nahunterricht oder ein Fernunterricht mit einem anderen für den Behinderten zumutbaren begleitenden Unterricht zu fördern, wenn der Fernunterricht die für die Förderung der Teilnahme erforderlichen objektiven Zugangsvoraussetzungen der beruflichen Fortbildung iS des AFG § 41 Abs 1 erfüllt.
2. Zur Förderung von Fernunterricht für Schwerbehinderte.
Normenkette
AFG §§ 39, 41, 56, 58 Abs. 1; RehaAnO § 26 Abs. 2 Fassung: 1970-07-02; AFuU § 5 Abs. 2 Fassung: 1969-12-18; BBiG § 48 Fassung: 1969-08-14, § 49 Fassung: 1969-08-14
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 16. November 1972 aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Der Rechtsstreit betrifft die Förderung der Teilnahme eines Schwerbehinderten an einem Fernlehrgang, der nicht mit Nahunterricht verbunden ist.
Der Kläger (geboren am 6. Oktober 1922) ist wegen der Folgen einer Kinderlähmung auf die Benutzung eines Krankenfahrstuhles angewiesen. Seit dem 30. Mai 1960 arbeitet er bei der Firma K, R Werke GmbH in G. Über seine Vorbildung und Berufstätigkeit in der davor liegenden Zeit sind bisher keine Feststellungen getroffen worden. Bei der Firma K war er zunächst als Wareneingangsprüfer tätig. Nachdem er erfolgreich an einem Fernlehrgang für Radiotechnik des E-Instituts teilgenommen hatte, wurde er am 14. April 1969 in das Platinenprüffeld des Werkes versetzt.
Am 22. April 1970 beantragte der Kläger die Förderung eines Fernlehrgangs für Transistorentechnik, der ebenfalls vom E-Institut K angeboten wurde. Dieser Lehrgang begann am 20. Mai 1970. Die Firma K teilt zu der Teilnahme an diesem Lehrgang in einem Zwischenzeugnis vom 13. Juli 1971 folgendes mit:
"Die Teilnahme an diesem Fernlehrgang würde ohne ergänzenden Nahunterricht erfahrungsgemäß nicht den Transistorentechniker heranbilden, den wir uns wünschen. Die ideale Lösung fanden wir darin, daß Herr E mit der Aufgabe betraut wurde, in Platinen, welche auf Grund der fortschreitenden Technik ausschließlich mit Transistoren bestückt sind, Fehler zu suchen und zu beheben. Dies erfordert ständige Beaufsichtigung und Unterrichtung des Umschülers, um die im Fernkurs erworbenen Kenntnisse mit der Praxis in Einklang zu bringen.
Mit dieser ergänzenden Ausbildung haben wir sehr guten Erfolg erzielt. Wir können Herrn E schon heute bescheinigen, daß seine Leistungen den Anforderungen entsprechen."
Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers ab. Der Widerspruch hatte keinen Erfolg. Das Arbeitsamt war der Auffassung, daß nach § 5 Abs. 2 der Anordnung über die individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung vom 18. Dezember 1969 (AFuU) die Förderung von Fernunterricht nur unter der Voraussetzung möglich sei, daß diese Unterrichtsform mit ergänzendem Nahunterricht von angemessener Dauer gekoppelt sei.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 4. Mai 1971 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung des Klägers das angefochtene Urteil sowie den Bescheid aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Fortbildung des Klägers zum Transistorentechniker durch Fernunterricht zu fördern (Urteil vom 16. November 1972). Es hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe gegen übergeordnetes Recht verstoßen, indem sie in ihren Anordnungen die Förderung eines Fernunterricht von der Koppelung mit Nahunterricht abhängig gemacht habe. Nahunterricht und Fernunterricht seien zwei sich ausschließende Begriffe. Wenn § 34 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) die Förderung von Fernunterricht vorsehe, so bedeute das, daß die Teilnahme am Fernunterricht zu fördern sei, ohne daß es zugleich der Vermittlung des Lehrstoffs durch Nahunterricht bedürfe. Auch die übrigen Voraussetzungen lägen vor. Der Kläger sei geeignet; die Förderung sei auch arbeitsmarktpolitisch zweckmäßig. Die Maßnahme lasse nach ihrer Methode und Gestaltung einen Erfolg erwarten. Dies habe die Firma K durch ihr Zwischenzeugnis vom 13. Juli 1971 bescheinigt.
Mit der zugelassenen Revision vertritt die Beklagte die Auffassung, daß § 5 Abs. 2 AFuU 1969 das Gesetz sachgerecht konkretisiere. Nach § 34 Satz 2 AFG setze die Förderung der Teilnahme voraus, daß die Maßnahme eine erfolgreiche berufliche Bildung erwarten lasse. Es könne zwar nicht generell gesagt werden, daß Fernunterricht nur zusammen mit Nahunterricht erfolgreich sein könne. In jedem Falle werde aber durch die Verbindung mit Nahunterricht eine höhere Effektivität erreicht. Im übrigen sei für die Förderung Voraussetzung, daß der Fernunterricht und der Nahunterricht von einem einheitlichen Träger ausgehen, da nur auf diese Weise die für den Erfolg notwendige enge Koordinierung möglich sei.
Der Kläger habe auch durchaus die Möglichkeit gehabt, einen geeigneten und förderungswürdigen Fernlehrgang zu besuchen. So werde z. B. von der I S-L V mbH, P, ein kombinierter Lehrgang angeboten, der alle Voraussetzungen erfülle.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 16. November 1972 aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 4. Mai 1971 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er bezieht sich im wesentlichen auf das Urteil des LSG.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist insoweit begründet, als sie zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG führt. Ob dem Kläger die begehrte Förderung zusteht, konnte der Senat wegen nicht ausreichender Feststellungen des LSG nicht abschließend entscheiden.
Im vorliegenden Fall finden die Vorschriften über die Förderung Behinderter Anwendung (§§ 56 ff. AFG und die Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit über die Arbeits- und Berufsförderung Behinderter - A-Reha - vom 2. Juli 1970). Da der Kläger infolge seines Leidens an einen Rollstuhl gefesselt ist, ist er dem Kreise der Behinderten zuzuordnen (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 28. Februar 1974 - 7 RAr 27/72).
Dem LSG ist darin zuzustimmen, daß die Förderung des gewählten Fernlehrgangs nur unter dem Gesichtspunkt der Fortbildung in Betracht kommt (§§ 58/41 AFG). Die Förderung als Ausbildung scheidet entgegen der Ansicht des Klägers deshalb aus, weil nach § 40 AFG - abgesehen von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen - die Beklagte nur eine Lehrberufliche Ausbildung in Betrieben oder überbetrieblichen Einrichtungen fördert. Der Umstand, daß der Kläger neben dem von ihm gewählten Fernunterricht zur Ergänzung durch praktische Unterweisung in seinem Beschäftigungsbetriebe die erworbenen theoretischen Kenntnisse am Arbeitsplatz anzuwenden lernt, führt im vorliegenden Fall nicht dazu, die Bildungsmaßnahme als "berufliche Ausbildung" gemäß § 40 Abs. 1 AFG einzuordnen. Die Maßnahme wird dadurch nicht in "Betrieben oder überbetrieblichen Einrichtungen" vollzogen. Tatsächlich will der Kläger durch den von ihm gewählten Fernunterricht bereits vorhandene berufliche Kenntnisse erweitern, sie der technischen Entwicklung anpassen, wobei es auch offenbar sein Ziel ist, beruflich aufzusteigen. Insoweit hat der Fernunterricht objektiv - und hier zusätzlich auch für den Kläger subjektiv - das Ziel, welches nach § 41 Abs. 1 AFG für eine berufliche Fortbildung bezeichnet wird. Ferner scheidet eine Förderung der Teilnahme am Fernunterricht als Umschulung aus (§§ 58/47 AFG), weil dieser nicht das Ziel hat, dem Kläger den Übergang in eine - gegenüber seiner bisherigen Tätigkeit - inhaltlich andere berufliche Tätigkeit zu ermöglichen (§ 47 Abs. 1 AFG).
Soweit das LSG einen Anspruch des Klägers auf Förderung seiner beruflichen Fortbildung in Form der Teilnahme an einem Fernlehrgang (Fernunterricht) ohne ergänzenden Nahunterricht schlechterdings mit der Begründung bejaht, die in § 5 Abs. 2 AFuU 1969 (ANBA 1970, 85) und § 26 Abs. 2 A-Reha getroffene Regelung sei wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht unwirksam, sind diese Ausführungen rechtlich nicht unbedenklich. Es ist zwar richtig, daß die Anordnungen nach § 39 AFG als unter dem Gesetz stehende materiell-rechtliche Normen dann und soweit für das Gericht nicht verbindlich sind, als sie gegen höherrangiges Recht verstoßen (BSGE 35, 164); jedoch verletzen § 5 Abs. 2 AFuU 1969 und § 26 Abs. 2 A-Reha kein höherrangiges Recht. Nach diesen Bestimmungen wird die Teilnahme an Maßnahmen zur beruflichen Fortbildung ... gefördert, wenn der Fernunterricht mit ergänzendem Nahunterricht ... verbunden ist. Diese Ausgestaltung des Nahunterrichts konnte im Rahmen der Anordnungsermächtigung des § 39 AFG vorgenommen werden. Nach § 34 Satz 2 AFG wird die Förderung davon abhängig gemacht, daß die Maßnahme nach Dauer, Gestaltung des Lehrplans, Unterrichtsmethode, Ausbildung und Berufserfahrungen des Leiters und der Lehrkräfte eine erfolgreiche berufliche Bildung erwarten läßt. Die Ermächtigung der Beklagten nach § 39 AFG, die "Voraussetzungen" der Förderung näher zu konkretisieren (§ 39 AFG), umfaßt auch diese Merkmale. Die Verbindung von Fernunterricht mit ergänzendem Nahunterricht in § 5 Abs. 2 AFuU 1969 und § 26 Abs. 2 A-Reha ist weder willkürlich, noch - wie das LSG meint - unlogisch. Bei der Anordnung über die näheren Voraussetzungen darüber, wann die Maßnahme "Fernunterricht" nach Unterrichtsmethode und Lehrplan einen erfolgreichen Abschluß verspricht, hat sich die Beklagte offenbar an den Ergebnissen der pädagogischen Wissenschaft und Erfahrung orientiert (vgl. u. a. Dohmen, Das Fernstudium, Quelle und Meier, Heidelberg 1967, S. 63 ff.; Fernstudium im Medienverbund, Beltz, Weinheim 1970 S. 68 ff.; ferner Dohmen u. a. Fernstudium-Medienverbund-Erwachsenenbildung, Westermann, Taschenbuch Nr. 71).
Diese hat ihren Niederschlag auch in den Richtlinien des Bundesinstituts für Berufsbildungsforschung für die Überprüfung berufsbildender Fernlehrgänge vom 21. Juni 1971 gefunden (abgedruckt bei Herkert, Berufsbildungsgesetz, § 60 Anm. 15). Diesen fachkundigen Untersuchungen kann entnommen werden, daß in der Regel ein mit ergänzendem Nahunterricht verbundener Fernunterricht in höherem Maße geeignet ist, das jeweils beabsichtigte Bildungsziel zu erreichen, als der alleinige Fernunterricht. Da die nach dem AFG zu fördernden Bildungsmaßnahmen möglichst umfassend sein sollen, um dem Berechtigten eine "erfolgreiche berufliche Bildung" zur Sicherung des Arbeitsplatzes und Verbesserung der beruflichen Beweglichkeit zu geben, ist es sachgerecht, wenn die Beklagte unter Berücksichtigung der pädagogisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse die Förderung der Teilnahme an einem Fernunterricht von seiner Verbindung mit ergänzendem Nahunterricht abhängig macht. Hierbei sei noch vermerkt, daß der Auffassung des Instituts für Berufsbildungsforschung deshalb besondere Bedeutung zukommt, weil dieses Institut aufgrund einer Verwaltungsvereinbarung die Aufgaben des "Beirats für berufliche Bildung durch Fernunterricht" nach § 35 AFG übernommen hat (Runderlaß 437/71 vom 25. November 1971, Dienstbl. A 1971 S. 1107). Die Förderungsfähigkeit der Teilnahme an einem Fernunterricht hängt im übrigen davon ab, daß die Maßnahme selbst, also der Lehrgang, bereits den Nahunterricht vorsieht.
Die in § 5 Abs. 2 AFuU 1969 getroffene Regelung, wonach die Teilnahme an einem Fernunterricht nur gefördert wird, wenn dieser mit ergänzendem Nahunterricht verbunden wird, ist wörtlich in § 26 Abs. 2 A-Reha übernommen worden. Grundsätzlich bestehen keine Bedenken, auch bei der Berufsförderung Behinderter (§ 56 ff. AFG) eine Verbindung von Fernunterricht mit ergänzendem Nahunterricht zur Voraussetzung der Förderungsfähigkeit der Teilnahme an einem solchen Lehrgang zu machen. Auch und gerade den Behinderten soll eine möglichst wirksame berufliche Förderung zuteil werden. Allerdings sind dabei die besonderen Verhältnisse, die sich aus der körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung ergeben, im einzelnen zu berücksichtigen. Dies folgt schon aus § 56 AFG. Danach hat die Beklagte bei ihren Maßnahmen die besonderen Verhältnisse der körperlich, geistig oder seelisch Behinderten zu berücksichtigen. Dieser Verpflichtung unterliegt die Beklagte auch bei dem Erlaß von Anordnungen im Rahmen der beruflichen Rehabilitation.
Der Begriff Maßnahme wird im AFG in den verschiedensten Bedeutungen verwendet. Er muß deshalb für jede einzelne Bestimmung besonders ausgelegt werden. Die Stellung des § 56 AFG am Anfang des sechsten Unterabschnitts über die "Arbeits- und Berufsförderung Behinderter" deutet bereits darauf hin, daß er nicht nur eine Detailregelung für Maßnahmen (Lehrgänge) enthält, die die Beklagte selbst ausrichtet, sondern einen für die berufliche Rehabilitation allgemeinen Grundsatz ausspricht. Diese Auslegung wird bestätigt durch §§ 48/49 Berufsbildungsgesetz (BBiG), die zum Ausdruck bringen, daß es ein zentrales Anliegen des Gesetzgebers gewesen ist, den besonderen Belangen der Behinderten bei der beruflichen Förderung in weitem Umfange Rechnung zu tragen. Wenn in den §§ 48, 49 BBiG vorgesehen ist, von Ausbildungsanforderungen und Prüfungsvorschriften Abstand zu nehmen, soweit Art und Schwere der Behinderung es erfordern, so gibt diese Regelung einen Hinweis darauf, wie und in welchem Maße die "besonderen Verhältnisse" der Behinderten bei der beruflichen Bildung Berücksichtigung finden sollen. Wenn das BBiG auch nicht unmittelbar für das AFG wirksam ist, so können doch zumindest die oben genannten Grundgedanken über die Ausgestaltung der beruflichen Bildung Behinderter für ihre Berufsförderung entsprechend herangezogen werden. Das bedeutet, daß die Bundesanstalt für Arbeit bei ihren "Maßnahmen" im weitesten Sinne und somit auch bei dem Erlaß von Anordnungen nach § 39 AFG die besonderen Verhältnisse des Berechtigten, welche sich aus einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung ergeben, zu berücksichtigen hat. Insoweit sind dabei also Überlegungen erforderlich, wie bei der Aufstellung von Voraussetzungen i. S. des § 34 Satz 2 AFG eine gegenüber dem Nichtbehinderten andere oder andersartige Gestaltung des Lehrplanes, der Unterrichtsmethode oder der Dauer der Bildungsmaßnahme notwendig ist, um dem Behinderten nach seinen körperlichen, geistigen und seelischen Verhältnissen eine gleichwertige berufliche Förderung zukommen zu lassen. Dieser sich aus § 56 AFG ergebenden Verpflichtung ist die Beklagte jedoch bei der Regelung des § 26 Abs. 2 A-Reha nicht nachgekommen. Die schlichte Übernahme des § 5 Abs. 2 AFuU 1969 (für Nichtbehinderte) in § 26 Abs. 2 A-Reha berücksichtigt nicht, daß es einzelnen Behinderten - durch ihre Behinderung bedingt - unmöglich sein kann oder es ihnen zumindest erschwert ist, neben dem - für sie wegen ihrer Behinderung möglicherweise gerade für das Bildungsziel idealen - Fernunterricht einen vom Wohn- oder Beschäftigungsort entfernt abgehaltenen ergänzenden Nahunterricht zu besuchen. Dadurch, daß solche Erwägungen im Rahmen des § 26 Abs. 2 A-Reha offensichtlich nicht angestellt worden sind - anders kann seine wörtliche Übereinstimmung mit § 5 Abs. 2 AFuU 1969 nicht gedeutet werden -, wird diese Bestimmung allerdings nicht unwirksam. Sie behält ihre Wirksamkeit für die Fälle, bei denen der Behinderte trotz seiner Behinderung in der Lage ist, an dem mit dem Fernunterricht verbundenen ergänzenden Nahunterricht ohne größere Schwierigkeiten teilzunehmen. Für denjenigen Behinderten jedoch, welcher infolge der besonderen körperlichen, geistigen oder seelischen Verhältnisse gehindert ist, an dem ergänzenden Nahunterricht teilzunehmen, ist der § 26 Abs. 2 A-Reha im Wege der Ausfüllung im Rahmen der gerichtlichen Entscheidung zu ergänzen. Solange die Beklagte die notwendige besondere Regelung insoweit nicht getroffen hat, ist diese dem § 56 AFG unmittelbar zu entnehmen. Das bedeutet, die Beklagte hat Fernunterricht auch ohne ergänzenden Nahunterricht oder Fernunterricht mit einem anderen für die Behinderung zumutbaren begleitenden Unterricht zu fördern, wenn die Teilnahme am Nahunterricht dem Behinderten Belastungen aufbürdet, die ihm im Hinblick auf seine Behinderung nicht mehr zuzumuten sind. Es ist nämlich denkbar, daß der Behinderte wegen der bei ihm vorliegenden besonderen Verhältnisse einen Fernlehrgang ohne Nahunterricht wählt oder der vorgesehene Nahunterricht durch eine andere Form begleitenden Unterrichts ersetzt wird, wie z. B. durch eine betriebliche Anleitung, oder der Behinderte verbindet einen Fernlehrgang ohne Nahunterricht mit einer individuellen Anleitung. Wenn die Beklagte hinsichtlich der Verbindung von Fernunterricht mit ergänzendem Nahunterricht darauf hinweist, daß beide Unterrichtsarten in der Hand desselben Maßnahmeträgers liegen müssen, so kann offenbleiben, ob diese Auffassung zutrifft. Abgesehen davon, daß eine sachliche Notwendigkeit hierfür im Hinblick auf die Erreichung des beabsichtigten Bildungszieles nicht ohne weiteres ersichtlich ist, kann für den Kreis der Behinderten eine solche Einheit des Maßnahmeträgers nicht verlangt werden, sofern und soweit der Behinderte durch seine besonderen Verhältnisse nicht in der Lage ist, den vom Träger des Fernunterrichts gleichzeitig angebotenen Nahunterricht zu besuchen. Wesentlich ist allerdings, daß die auf die Behinderung des Berechtigten in ihrer Gestaltung ausgerichtete Bildungsmaßnahme zu einem gleichwertigen oder doch annähernd gleichwertigen Ergebnis wie für Nichtbehinderte führt.
Hiervon ausgehend fehlt es für eine abschließende Entscheidung an ausreichenden Feststellungen darüber, ob im vorliegenden Fall Art und Schwere der Behinderung des Klägers die Teilnahme an einem Fernlehrgang mit Nahunterricht nicht zumutbar war. Hierzu sind vom LSG noch weitere Feststellungen zu treffen.
Das LSG hat im übrigen auch keine Feststellungen dazu getroffen, ob die von dem Kläger gewählte Maßnahme - der Euratele-Fernkurs - die für die Förderung der Teilnahme erforderlichen objektiven Zugangsvoraussetzungen der beruflichen Fortbildung i. S. des § 41 Abs. 1 AFG erfüllt, d. h., ob sie eine abgeschlossene Berufsausbildung oder eine angemessene Berufserfahrung voraussetzt (BSGE 36, 48). Diese Zugangsvoraussetzungen werden allgemein (institutionell) verlangt, um die Teilnahme an der beruflichen Fortbildung fördern zu können. Nach dem jetzigen Wortlaut des § 41 Abs. 1 iVm § 58 Abs. 1 AFG erscheint es nicht möglich, insoweit die besonderen Belange Behinderter zu berücksichtigen. § 58 AFG bestimmt nämlich uneingeschränkt die Anwendbarkeit der Vorschriften des vierten Unterabschnitts, also auch des § 41 AFG. Diese uneingeschränkte - also nicht nur entsprechende - Anwendung des § 41 Abs. 1 AFG kann zur Folge haben, daß ein Behinderter, der nicht am ergänzenden Nahunterricht teilnehmen kann, eine Fortbildung aber durch Fernunterricht anstrebt, nicht gefördert werden kann, weil diese Bildungsmaßnahme - der alleinige Fernunterricht - von dem Teilnehmer keine abgeschlossene Berufsausbildung oder angemessene Berufserfahrung verlangt. In diesen Fällen wird es im Rahmen des § 56 AFG Aufgabe der Beklagten sein, dem Behinderten die Möglichkeit zu verschaffen, an einer dem gewünschten Ziel entsprechenden Fortbildungsmaßnahme, die die Voraussetzungen des § 41 Abs. 1 AFG erfüllt, teilzunehmen. Der in § 56 AFG der Beklagten zugewiesenen Verpflichtung, bei ihren Maßnahmen die besonderen Verhältnisse der geistig, körperlich und seelisch Behinderten zu berücksichtigen, entspricht es nämlich, diesen Personenkreis in höherem Maße zu beraten als nichtbehinderte Berechtigte und ihnen zu einer Berufsförderung zu verhelfen; in dieser Beziehung besteht eine erhöhte Sorgfaltspflicht, so daß es im Einzelfall geboten sein kann, sich nicht damit zu begnügen, einen von einem Behinderten gestellten Antrag abzulehnen, weil bei dem gewählten Fernunterricht bestimmte Voraussetzungen - etwa die Zugangsvoraussetzungen des § 41 Abs. 1 AFG - nicht erfüllt sind. Welche Folgerungen dann zu ziehen wären, wenn die Beklagte dieser Verpflichtung nicht ordnungsgemäß nachkommen sollte, braucht der Senat im vorliegenden Fall nicht zu entscheiden. Der Kläger macht nämlich insoweit weder einen Anspruch geltend, noch ist in dieser Beziehung irgend etwas vorgetragen worden.
Nach allem ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen, welches auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden hat.
Fundstellen
Haufe-Index 1646806 |
BSGE, 229 |