Orientierungssatz
1. In der bis zum 1959-11-30 geltenden Fassung des AVAVG § 90 wurde für den Entgeltbegriff auf RVO § 160 Bezug genommen. Wenn diese Bezugnahme seither auch nicht mehr ausdrücklich ausgesprochen ist, so gilt sie grundsätzlich doch über die Beitragsvorschrift des AVAVG § 164 Abs 2 iVm RVO § 1385 Abs 3 und AVG § 112 Abs 3 inhaltlich weiter. Maßgebend für den Entgeltcharakter einer Leistung ist hiernach der nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vergleiche BSG 1957-10-15 3 RK 80/55 = BSGE 6, 47, 51; BSG 1961-12-20 3 RK 59/57 = BSGE 16, 91, 94; BSG 1964-11-25 3 RK 32/60 = BSGE 22, 106) auch heute noch geltendes Recht darstellende RMF/RAM-Erl 1944-09-10 (AN 1944, 281), wonach die Beiträge zur Sozialversicherung grundsätzlich von dem Betrag zu berechnen sind, der für die Berechnung der Lohnsteuer maßgebend ist. Insoweit ist das Sozialversicherungsrecht seither weitgehend vom jeweils geltenden Steuerrecht abhängig.
2. Zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine gezahlte Trennungsentschädigung Arbeitsentgelt darstellt.
Normenkette
AVAVG § 90 Abs. 1 Fassung: 1957-04-03, § 164 Abs. 2 Fassung: 1966-12-23; RVO § 160 Fassung: 1961-07-12, § 1385 Abs. 3 Fassung: 1965-06-09; AVG § 112 Abs. 3 Fassung: 1965-06-09
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 30. Oktober 1969 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind unter den Beteiligten nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der im Jahre 1911 geborene, in K/Hunsrück wohnhafte Kläger war vom 1. Juli 1965 an als Bautechniker bei der F V mbH in L W beschäftigt. Er erhielt neben einem Bruttogehalt von 750,- DM monatlich eine Trennungsentschädigung von 250,- DM. Im Februar 1967 kündigte die Arbeitgeberin das Beschäftigungsverhältnis fristgemäß zum 31. März 1967. Das über die Wirksamkeit der Kündigung geführte arbeitsgerichtliche Verfahren wurde am 17. August 1967 durch eine Vereinbarung abgeschlossen, wonach u.a. das Arbeitsverhältnis erst am 30. Juni 1967 endete und die Arbeitgeberin dem Kläger für die Zeit vom 1. April bis zu diesem Zeitpunkt "sein Gehalt" in Höhe von monatlich 1.000,- DM zu zahlen hatte. Mit Verfügung vom 5. September 1967 bewilligte das Arbeitsamt (ArbA) dem Kläger ab 26. Juli 1967 für 156 Wochentage Arbeitslosengeld (Alg) nach einem monatlichen Arbeitsentgelt von 750,- DM in Höhe von 15,80 DM täglich. Die zunächst vorläufig getroffene Bemessung wurde mit Verfügung vom 13. November 1967 als endgültig bestätigt. Der gegen diese Bemessung gerichtete Widerspruch des Klägers wurde durch Bescheid vom 5. Januar 1968 mit der Begründung zurückgewiesen, die Berechnung sei richtig erfolgt, da hierbei nur das versicherungspflichtige Entgelt von monatlich 750,- DM berücksichtigt werden könne.
Das Sozialgericht (SG) hat nach Beiziehung der arbeitsgerichtlichen Vorgänge und Vernehmung des Geschäftsführers der früheren Arbeitgeberin des Klägers die Beklagte unter Aufhebung ihrer angefochtenen Bescheide verurteilt, das Alg des Klägers nach einem monatlichen Entgelt von 1.000,- DM zu berechnen. Es hat die Entscheidung damit begründet, daß die vereinbarungsgemäß auch für die Monate April bis Juni zu zahlende Trennungsentschädigung von 250,- DM für diesen Zeitraum, in dem der Kläger nicht mehr für seine Arbeitgeberin tätig gewesen sei, sich vielmehr zu Hause aufgehalten habe, als Arbeitsentgelt anzusehen und bei der Bemessung des Alg zu berücksichtigen sei. Das SG hat die Berufung zugelassen.
Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt: Nach § 90 Abs. 2 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) idF des am 1. April 1967 in Kraft getretenen Siebten Änderungsgesetzes - 7. ÄndG/AVAVG - vom 10. März 1967 (BGBl I, 266) könne der Zeitraum vom 1. April bis zum 30. Juni 1967 als Bemessungszeitraum für das Alg nicht herangezogen werden. Zwar sei das Beschäftigungsverhältnis des Klägers erst am 30. Juni 1967 beendet worden. Abgerechnet sei bis zu diesem Zeitpunkt aber erst der bis zum 31. März 1967 laufende Lohnabrechnungszeitraum gewesen. Die Abrechnung für die verlängerte Beschäftigungszeit sei erst auf Grund des später am 17. August 1967 geschlossenen Vergleichs erfolgt. Das ArbA habe die Bezüge des Klägers für diesen Zeitraum zu Recht nicht berücksichtigt, da es nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes in der hier maßgebenden Fassung auf den am Tage des Ausscheidens abgerechneten Zeitraum ankomme. Das müsse insbesondere auch für die nachträgliche Erhöhung des Arbeitsentgeltes für einen bereits abgelaufenen Zeitraum gelten, die hier deshalb vorliege, weil die Trennungsentschädigung für die Zeit, in der dem Kläger kein trennungsbedingter Aufwand mehr entstanden sei, als Arbeitsentgelt zu bewerten sei. Für die Zeit vorher, auf die es hier ankomme, sei sie hingegen als Erstattung der ihm durch die auswärtige Beschäftigung entstandenen Auslagen anzusehen.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision des Klägers wird unrichtige Anwendung des § 90 AVAVG gerügt. Das LSG sei zu Unrecht davon ausgegangen, daß die das Gehalt von 750,- DM übersteigende Entschädigung in Höhe von 250,- DM für die Zeit vor dem 1. April 1967 kein sozialversicherungspflichtiges Entgelt gewesen sei. Dagegen spreche die Vereinbarung in dem Vergleich, daß dem Kläger noch "sein Gehalt" in Höhe von 1.000,- DM für die Monate April bis Juni 1967 gezahlt werden solle. Zwar sei in der Arbeitsbescheinigung des Arbeitgebers vom 24. Oktober 1967 dieser Betrag dadurch aufgeteilt worden, daß ein Teilbetrag von 250,- DM als Trennungsentschädigung bezeichnet worden sei; das bedeute aber nicht, daß dieser Gehaltsteil kein steuer- oder sozialversicherungspflichtiges Entgelt darstelle. Schon das Reichsversicherungsamt (RVA) habe Trennungsentschädigungen grundsätzlich als sozialversicherungspflichtiges Entgelt angesehen (EuM 23, 128). Auch das Steuerrecht stelle Leistungen dieser Art nur steuerfrei, wenn sie mit Reisekosten, Umzugskosten und Auslösungen zusammenhingen. Auslösungen würden üblicherweise gezahlt, wenn der Arbeitnehmer für einen gewissen Zeitraum an einem anderen als dem Hauptbeschäftigungsort tätig sei. Im vorliegenden Fall handele es sich aber nicht um eine vorübergehende Abordnung; der Kläger habe vielmehr vom Beginn seiner letzten Tätigkeit an in L gearbeitet. Von diesem Zeitpunkt an sei ihm auch fortlaufend der Betrag von 250,- DM zusätzlich gezahlt worden. Dieser Betrag sei daher steuer- wie auch sozialversicherungsrechtlich dem Gehalt zuzurechnen. Da der Kläger also schon vor dem 1. April 1967 ein sozialversicherungspflichtiges Entgelt von 1.000,- DM monatlich gehabt habe, müsse die Beklagte hiervon bei der Bemessung seines Alg ausgehen. Dabei sei es ohne Bedeutung, daß für den Teilbetrag von 250,- DM tatsächlich keine Beiträge zur Arbeitslosenversicherung entrichtet worden seien.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Koblenz vom 13. Januar 1969 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für richtig. Das LSG sei zu Recht von der vor dem 1. April 1967 liegenden Zeit als Bemessungszeitraum ausgegangen. Es habe auch zutreffend festgestellt, daß bis dahin die Trennungsentschädigung zur Erstattung der dem Kläger durch die auswärtige Beschäftigung entstandenen Auslagen gezahlt worden sei; sie könne daher nicht als Arbeitsentgelt bei der Bemessung des Alg berücksichtigt werden.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden.
II
Die Revision ist nicht begründet. Das LSG hat zutreffend entschieden, daß der Kläger keinen Anspruch auf ein höheres als das ihm bewilligte Alg hat.
Nach § 90 Abs. 1 AVAVG bemißt sich der Hauptbetrag des Alg nach dem im Bemessungszeitraum erzielten Arbeitsentgelt. Nach Absatz 2 dieser Vorschrift idF des am 1. April 1967 in Kraft getretenen 7. ÄndG/AVAVG sind Bemessungszeitraum die letzten, am Tage des Ausscheidens des Arbeitnehmers aus dem Beschäftigungsverhältnis abgerechneten, insgesamt zwanzig Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt umfassenden Lohnabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigung, durch die die Anwartschaftszeit erfüllt wird. Da es im vorliegenden Fall um die Bemessung von Alg für die Zeit vom 26. Juli 1967 an geht, ist § 90 Abs. 2 AVAVG in der neuen Fassung hier anzuwenden; sie unterscheidet sich von der vorher geltenden Fassung im wesentlichen dadurch, daß nicht mehr die letzten Lohnabrechnungszeiträume schlechthin, sondern die letzten am Tage des Ausscheidens bereits abgerechneten Lohnabrechnungszeiträume für die Bemessung maßgebend sind. Obwohl nach der zwischen dem Kläger und seiner letzten Arbeitgeberin vergleichsweise getroffenen Vereinbarung das Beschäftigungsverhältnis am 30. Juni 1967 beendet worden und der Kläger somit erst an diesem Tage aus dem Beschäftigungsverhältnis ausgeschieden ist, können daher für die Bemessung des Alg nur vor dem 31. März 1967 liegende Lohnabrechnungszeiträume berücksichtigt werden; die anschließenden Lohnabrechnungszeiträume von April bis Juni 1967 konnten erst mit der Vereinbarung vom 17. August 1967 abgerechnet werden.
Mit der Revision wendet sich der Kläger auch nicht mehr gegen die zutreffende Auffassung des LSG, daß für die Bemessung seines Alg von den für die Zeit vor dem 1. April 1967 liegenden, zur Zeit seines Ausscheidens bereits abgerechneten Lohnabrechnungszeiträumen auszugehen sei. Jedoch kann der Revision auch nicht darin gefolgt werden, daß schon die dem Kläger in dieser maßgebenden Zeit gezahlte Trennungsentschädigung von 250,- DM als Arbeitsentgelt anzusehen und demgemäß bei der Bemessung des Alg zu berücksichtigen sei. In der bis zum 30. November 1959 geltenden Fassung des § 90 AVAVG wurde für den Entgeltbegriff auf § 160 der Reichsversicherungsordnung (RVO) Bezug genommen. Wenn diese Bezugnahme seither auch nicht mehr ausdrücklich ausgesprochen ist, so gilt sie grundsätzlich doch über die Beitragsvorschrift des § 164 Abs. 2 AVAVG i.V.m. § 1385 Abs. 3 RVO und § 112 Abs. 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) inhaltlich weiter. Maßgebend für den Entgeltcharakter einer Leistung ist hiernach der nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG 6, 47/51; 16, 91/94; 22, 106) auch heute noch geltendes Recht darstellende Gemeinsame Erlaß des Reichsministers der Finanzen und des Reichsarbeitsministers vom 10. September 1944 (AN 1944, 281) wonach die Beiträge zur Sozialversicherung grundsätzlich von dem Betrag zu berechnen sind, der für die Berechnung der Lohnsteuer maßgebend ist. Insoweit ist das Sozialversicherungsrecht seither weitgehend vom jeweils geltenden Steuerrecht abhängig. Der von der Revision angezogenen älteren Entscheidung des RVA vom 4. Juli 1928 käme schon aus diesem Grunde keine wesentliche Bedeutung mehr zu; sie betrifft aber auch inhaltlich den anders liegenden Fall der Erstattung von Fahrtkosten zur Arbeitsstätte.
Nach § 4 der zeitlich hier maßgebenden Lohnsteuer-Durchführungsverordnung idF vom 22. November 1965 (BGBl I 1830) gehören nicht zum steuerpflichtigen Arbeitslohn u.a. die aus öffentlichen Kassen gezahlten Reisekostenvergütungen und Umzugskostenvergütungen sowie die Beträge, die den im privaten Dienst angestellten Personen für Reisekosten und für dienstlich veranlaßte Umzugskosten gezahlt werden, soweit sie die durch die Reise oder den Umzug entstandenen Mehraufwendungen nicht übersteigen. Da die im öffentlichen Dienst gewährten Trennungsentschädigungen und Beschäftigungsvergütungen im Rahmen des Umzugskosten- und des Reisekostenrechts geregelt sind (§ 15 des Bundesumzugskostengesetzes vom 8. April 1964 und § 22 des Bundesreisekostengesetzes vom 20. März 1965), werden sie - und das muß entsprechend auch für die Zahlungen dieser Art an private Arbeitnehmer gelten - hier miterfaßt. Dementsprechend sehen die Lohnsteuerrichtlinien idF vom 19. April 1966 (Beilage zum Bundesanzeiger Nr. 79) in Abschnitt 22 die Steuerfreiheit von "Auslösungen bei privaten Arbeitnehmern" für Fälle vor, in denen die tatsächliche und die regelmäßige Arbeitsstätte des Arbeitnehmers zusammenfallen, die Arbeitsstätte vom Wohnsitz des Arbeitnehmers aber mehr als 40 km entfernt ist. Hierbei kommen als "Trennungsentschädigung" ein Übernachtungsgeld bis zu 5,- DM und - in der untersten Gruppe - ein Verpflegungszuschuß bis zu 9,- DM täglich sowie Fahrtkostenerstattung für eine Familienheimfahrt wöchentlich in Betracht. Die dem Kläger gezahlte Entschädigung liegt noch erheblich unter diesen Sätzen; es besteht auch kein Anlaß zu der Annahme, sein trennungsbedingter Mehraufwand sei während der Zeit, in der er in L beschäftigt war, tatsächlich geringer gewesen.
Das LSG ist somit zutreffend davon ausgegangen, daß die dem Kläger während der Zeit seiner tatsächlichen Beschäftigung in L gezahlte Trennungsentschädigung kein Arbeitsentgelt darstellt und daher bei der Bemessung des Alg nicht zu berücksichtigen ist.
Die Revision des Klägers ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen