Beteiligte
Klägerin und Revisionsklägerin |
Beklagte und Revisionsbeklagte |
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darum, ob die Klägerin zur Nachentrichtung von Beiträgen berechtigt ist.
Die 1923 geborene Klägerin ist israelische Staatsangehörige und lebt in Israel. Sie beantragte am 30. April 1985, ohne bis dahin der deutschen Rentenversicherung angehört gehabt zu haben, u.a. die Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 12 der Durchführungsvereinbarung (DV) zum Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit (DISVA) : Die Frist zur Antragstellung sei zwar abgelaufen. Sie habe aber erst vor wenigen Wochen von der Nachentrichtungsmöglichkeit erfahren und bitte, im Rahmen des Herstellungsanspruchs Nachsicht zu gewähren. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 17. Juli 1985 und Widerspruchsbescheid vom 21. Februar 1986 ab.
Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Klage durch Urteil vom 19. Dezember 1986 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) Berlin hat die Berufung der Klägerin durch Urteil vom 8. September 1987 zurückgewiesen: Die Antragsfrist sei versäumt. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand scheide aus. Eine etwaige Verletzung der allgemeinen Aufklärungspflicht begründe keinen Herstellungsanspruch. Gegen das Urteil des LSG richtet sich die - vom Senat zugelassene - Revision der Klägerin, mit der sie geltend macht: Sie habe von dem Nachentrichtungsrecht vor Fristablauf keine Kenntnis gehabt. Das könne als höhere Gewalt angesehen werden und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen. Jedenfalls beruhe die Unkenntnis auf einer mangelnden Aufklärung durch die Beklagte nach § 13 des Sozialgesetzbuchs - Allgemeiner Teil (SGB I). Das begründe den Herstellungsanspruch. Wer wie sie (die Klägerin) bisher keine Verbindung zur deutschen Rentenversicherung gehabt habe, hätte, auch um die sozialen Rechte solcher Personen möglichst weitgehend zu verwirklichen (vgl. § 2 Abs. 2 SGB I), durch Aufklärungsmaßnahmen angesprochen werden müssen; anderenfalls hätte sie nicht auf den Gedanken kommen können, sich bei entsprechenden Stellen nach Nachentrichtungsmöglichkeiten zu erkundigen. Wenn tatsächlich fristgerecht Anträge gestellt worden seien, beruhe das auf privaten Informationen und nicht auf Aufklärungsmaßnahmen der Beklagten.
Die Klägerin beantragt:das Urteil des LSG vom 8. September 1987 und das des SG vom 19. Dezember 1986 aufzuheben sowie die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17. Juli 1985 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Februar 1986 zu verurteilen, sie zur Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 12 DV/DISVA zuzulassen.
Die Beklagte beantragt:die Revision zurückzuweisen.
Sie hält sich zwar grundsätzlich zur Aufklärung auch gegenüber Ausländern im Ausland für verpflichtet. Hier habe die Aufklärungspflicht jedoch nach Abkommensrecht die israelische Nationalversicherungsanstalt als Verbindungsstelle in Israel gehabt. Sie (die Beklagte) habe dennoch freiwillig zur Aufklärung der Bevölkerung in Israel beigetragen. Dazu habe sie zusammen mit der Landesversicherungsanstalt Rheinprovinz umfangreiches Informationsmaterial nach Israel gesandt. Daß das Nachentrichtungsrecht in Israel bekannt gewesen sei, zeigten rund 37.000 von dort gestellte Anträge auf Nachentrichtung nach Art 12 DV/DISVA. Jedenfalls begründe eine etwaige Verletzung der Aufklärungspflicht keinen Herstellungsanspruch.
Der Senat hat den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung dazu gehört, welche Bedeutung die Vertragspartner der allgemeinen Aufklärungspflicht der Verbindungsstellen (Art 2 DV/DISVA) bezüglich der Nachentrichtungsregelung in Art 12 DV/DISVA beigemessen und ob sie insoweit Abreden getroffen hätten. Nach Auskunft des Ministers ist Art 2 DV/DISVA bei den Vertragsverhandlungen weder Gegenstand besonderer Erörterungen gewesen noch sind dazu besondere Abreden getroffen worden. Art 2 DV/DISVA erweitere die Aufklärungspflicht nach § 13 SGB I auf die Rechte und Pflichten nach dem Abkommen; sie gelte auch gegenüber den im anderen Vertragsstaat lebenden Personen, begründe für sie aber keine einklagbaren Rechte.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, daß die angefochtenen Bescheide nicht rechtswidrig sind. Die Klägerin ist nicht zur Nachentrichtung nach Art 12 DV/DISVA berechtigt.
In der deutschen Angestelltenversicherung konnten nach Maßgabe der Absätze 2 und 3 des Art 2 § 49a des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) Personen, die nach § 10 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) zur freiwilligen Versicherung berechtigt waren, auf Antrag Beiträge für die Zeit vom 1. Januar 1956 bis zum 31. Dezember 1973 nachentrichten. Diese Regelung war durch Art 2 § 2 Nr. 14 des Rentenreformgesetzes (RRG) vom 16. Oktober 1972 (BGBl. I 1965) eingeführt worden und am 19. Oktober 1972 in Kraft getreten. Da die Frist für den Antrag auf Nachentrichtung am 31. Dezember 1975 ablief (Art 2 § 49a Abs. 3 Satz 1 AnVNG), stand den nach § 10 AVG i.d.F. des RRG zur freiwilligen Versicherung Berechtigten, d.h. im wesentlichen allen Personen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland sowie Deutschen im Ausland, für die Antragstellung ein Zeitraum von mehr als drei Jahren zur Verfügung. Israelische Staatsangehörige, die sich gewöhnlich in Israel aufhielten, wurden deutschen Staatsangehörigen durch Art 3 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel über Soziale Sicherheit (DISVA) vom 17. Dezember 1973 (BGBl. 1975 II 246) gleichgestellt und damit ebenfalls nachentrichtungsberechtigt. Ihnen stand jedoch, weil das Abkommen laut Bekanntmachung vom 2. April 1975 (BGBl. 1975 II 443) erst am 1. Mai 1975 in Kraft trat, für eine rechtzeitige Antragstellung bis zum 31. Dezember 1975 nur ein Zeitraum von acht Monaten zur Verfügung. Doch wurde ihnen in Art 12 Satz 1 der Durchführungsvereinbarung (DV) vom 20. November 1978 (BGBl. 1980 II 575) zum Abkommen ein Nachentrichtungsrecht entsprechend den genannten Vorschriften erneut eingeräumt. Der Antrag war nach Art 12 Satz 3 DV/DISVA binnen drei Jahren nach dem Inkrafttreten der DV/DISVA zu stellen, so daß nunmehr israelischen Staatsangehörigen in Israel ein etwa gleich langer Antragszeitraum zur Verfügung stand, wie ihn früher die innerstaatliche Regelung vorgesehen hatte. Da die DV/DISVA laut Bekanntmachung vom 1. Juli 1980 (BGBl. 1980 II 851) am 12. Juni 1980 in Kraft trat, endete die Antragsfrist am Montag, dem 13. Juni 1983.
Die Klägerin hat diese Frist versäumt. Sie hat den Antrag erst am 30. April 1985 und damit um fast zwei Jahre verspätet gestellt. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist ihr deswegen nicht zu gewähren. Auch wenn die Wiedereinsetzungsregelung des § 27 des Sozialgesetzbuchs - Verwaltungsverfahren - (SGB X) auf die Antragsfrist anzuwenden wäre (vgl. dazu BSGE 64, 153 = SozR 1300 § 27 Nr. 4), konnte im April 1985 die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt und auch die versäumte Handlung (Antragstellung) nicht mehr nachgeholt werden, weil seit dem Ende der Frist am 13. Juni 1983 mehr als ein Jahr verstrichen war. Der Klägerin war ein Antrag auf Wiedereinsetzung oder Nachentrichtung vor Ablauf der Jahresfrist auch nicht infolge höherer Gewalt unmöglich (vgl. § 27 Abs. 3 SGB X); denn die Unkenntnis der in Jerusalem lebenden Klägerin von der Regelung in Art 12 DV/DISVA wäre bei Anwendung der ihr zuzumutenden größtmöglichen Sorgfalt vermeidbar gewesen. Auch eine Nachsichtgewährung kommt bei einer Versäumung der Frist um mehr als ein Jahr in der Regel - so auch hier - nicht in Betracht (vgl. BSG SozR 5750 Art 2 § 51a Nr. 49), sofern für sie neben einer Anwendung des § 27 SGB X auf Antragsfristen überhaupt noch Raum sein sollte.
Die Klägerin kann die Versäumung der Frist auch nicht mit einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch überwinden. Insofern ist davon auszugehen, daß sie sich erstmals mit dem Antrag vom April 1985 an einen deutschen Rentenversicherungsträger gewandt hat, vorher also keine Verbindung zur deutschen Rentenversicherung hatte. Die Verletzung eines Anspruchs auf Beratung nach § 14 SGB I oder auf Auskunft nach § 15 SGB I scheidet damit von vornherein aus. Die Klägerin macht auch lediglich geltend, sie habe von dem Recht zur Beitragsnachentrichtung innerhalb der Frist keine Kenntnis gehabt, weil die Beklagte die Bevölkerung in Israel nicht hinreichend aufgeklärt habe. Dieses Vorbringen begründet, selbst wenn die Beklagte zur Aufklärung in Israel verpflichtet gewesen sein sollte und sie diese Pflicht verletzt hätte, keinen Anspruch der Klägerin, so gestellt zu werden, als hätte sie die Beitragsnachentrichtung rechtzeitig beantragt (Herstellungsanspruch).
Die nach den Vorschriften des Grundgesetzes (GG) zustande gekommenen Gesetze werden im Bundesgesetzblatt (BGBl) verkündet (Art 82 Abs. 1 Satz 1 GG). Das gilt auch für Gesetze, mit denen völkerrechtliche Verträge, wie hier das DISVA und die DV/DISVA, in innerstaatliches Recht transformiert werden, und damit für den Inhalt dieser Verträge selbst. Anders als für staatliche Verwaltungsakte oder gerichtliche Entscheidungen, die regelmäßig nur einzelne Bürger betreffen und ihnen dann individuell bekanntzugeben sind (für Verwaltungsakte im Bereich des Sozialrechts vgl. § 39 Abs. 1 SGB X), genügt für die Bekanntmachung von Gesetzen, die sich an einen unbestimmten Kreis von Personen richten, die Verkündung im BGBl. (Prinzip der formellen Publikation oder Publizität, vgl. - jeweils m.w.N. - BSGE 3, 161, 166 = SozR Nr. 1 zu Art 19 der Ersten VereinfachungsVO und Maurer in der Zweitbearbeitung des Bonner Kommentars zum GG, Art 82 Rdnrn. 90, 91).
Mit der Verkündung im BGBl. - sie besteht in der "Ausgabe" des betreffenden Stücks des BGBl, d.h. seiner Auslieferung durch die Post (vgl. Maurer a.a.O. Rdnrn. 98 ff. und BSGE a.a.O.) - gelten die Gesetze grundsätzlich allen Normadressaten als bekannt, ohne Rücksicht darauf, ob und wann sie von ihnen tatsächlich Kenntnis erlangt haben. Demgemäß können neue Vorschriften bereits mit ihrer Verkündung in Kraft treten, sofern das Gesetz dies bestimmt. Ohne eine solche Bestimmung treten sie mit dem 14. Tage nach Ablauf des Tages in Kraft, an dem das betreffende Stück des BGBl. ausgegeben worden ist (Art 82 Abs. 2 Satz 2 GG). Auch in diesem Falle ist es unerheblich, ob die genannte Frist zur Kenntnisnahme ausgereicht hat und genutzt worden ist. Zustimmungsgesetze zu völkerrechtlichen Verträgen sehen dabei in der Regel vor, daß auch der Zeitpunkt, an dem der Vertrag nach der Ratifikation in Kraft getreten und damit sein Inhalt in innerstaatliches Recht transformiert worden ist, im BGBl. bekanntzugeben ist (zur Rechtsnatur einer solchen Bekanntgabe Langner NJW 1962, 228 ff.; Wengler NJW 1962, 231 ff.). So war es auch bei der DV/DISVA. Für sie war die Bekanntmachung ihres Inkrafttretens im BGBl. in Art 3 Abs. 2 des Zustimmungsgesetzes vom 9. April 1980 (BGBl. 1980 II 574) vorgesehen. Das Inkrafttreten am 12. Juni 1980 ist durch die bereits erwähnte Bekanntmachung vom 1. Juli 1980 verlautbart worden. Das Datum des Inkrafttretens legte gleichzeitig den Beginn der dreijährigen Frist für den Antrag auf Beitragsnachentrichtung (Art 12 Satz 3 DV/DISVA) und mittelbar deren Ende fest.
Von weiteren als den dargelegten Voraussetzungen hängt das Wirksamwerden verfassungsmäßig zustande gekommener Gesetze und völkerrechtlicher Verträge nicht ab. Das gilt auch, soweit darin Rechte eingeräumt werden und zugleich deren Ausübung befristet wird. Es ist daher für den Ablauf einer solchen Frist grundsätzlich nicht entscheidend, ob in der Öffentlichkeit über die Neuregelung berichtet wird, Behörden die Bevölkerung über sie aufklären und ob ein Berechtigter von dem Recht vor Fristablauf erfahren hat oder auch nur erfahren konnte. In Art 12 Satz 3 DV/DISVA war allerdings die Frist für einen Antrag auf Beitragsnachentrichtung mit drei Jahren nach Inkrafttreten der Vereinbarung so großzügig bemessen, daß sich die Kenntnis von der Regelung auch in Israel hinreichend verbreiten konnte, zumal die Beitragsnachentrichtung dort die dargelegte Vorgeschichte hatte.
Aufklärungsmaßnahmen liegen gleichwohl im öffentlichen Interesse, weil sie die Gesetzeskenntnis verbreitern und vielfach die einzige Informationsquelle für die interessierten und betroffenen Bürger bilden (so zutreffend Maurer a.a.O. Rdnr. 93). Das gilt in besonderem Maße bei Sozialgesetzen. Sie enthalten zumeist Regelungen, die der Existenzsicherung weiter Kreise der Bevölkerung dienen, andererseits oft unübersichtlich und außerdem häufigen Änderungen unterworfen sind. Um einem hier bestehenden besonderen Informationsbedürfnis Rechnung zu tragen, hat bei den Gesetzesberatungen zu §§ 13 bis 15 des SGB I der zuständige Ausschuß "eine Intensivierung der Aufklärungs-, Beratungs- und Auskunftstätigkeit in der Sozialverwaltung im Interesse der ratsuchenden Bürger" für erforderlich gehalten und beschlossen, die Leistungsträger ausdrücklich hierzu zu verpflichten (BT-Drucks 7/3786, S. 3; vgl. auch die Begründung zu § 13 SGB I in BT-Drucks 7/868, S. 25). Demgemäß ist nicht nur eine Pflicht zur Beratung und Auskunft (§§ 14, 15 SGB I) statuiert worden, sondern es sind die Leistungsträger, ihre Verbände und die sonstigen in diesem Gesetzbuch genannten öffentlich-rechtlichen Vereinigungen außerdem verpflichtet worden, im Rahmen ihrer Zuständigkeit die Bevölkerung über die Rechte und Pflichten nach diesem Gesetzbuch aufzuklären (§ 13 SGB I). Hierfür sollen nach der Begründung a.a.O. alle geeigneten Möglichkeiten genutzt werden wie z.B. Merkblätter, Broschüren und Veranstaltungen. Die insoweit der Verwaltung auferlegten Informationspflichten sind ernst zu nehmen; ihrer Erfüllung kommt, besonders was den Ablauf von Fristen betrifft (vgl. Hauck/Haines/Preuß, SGB I K § 13 Rdnr. 6), für die Verwirklichung der sozialen Rechte der Bürger (§ 2 Abs. 2 SGB I) erhebliche Bedeutung zu. Das hat gerade der erkennende Senat seit der grundlegenden Entscheidung zur Aufklärung und Beratung der Antragsteller im Beitragsnachentrichtungsverfahren (BSGE 50, 16, 18 = SozR 5750 Art 2 § 51a Nr. 36) wiederholt betont.
Dennoch erwächst dem einzelnen aus der allgemeinen Aufklärungspflicht der Verwaltung nach § 13 SGB I grundsätzlich, d.h. von Ausnahmen abgesehen, kein im Klagewege verfolgbarer Anspruch auf Erfüllung der Aufklärungspflicht und deshalb - im Falle einer unterbliebenen oder ungenügenden Aufklärung - auch kein Anspruch auf Herstellung des Zustandes, der bei gehöriger Aufklärung bestanden hätte.
Gegen einen solchen Herstellungsanspruch, über den hier allein zu entscheiden ist, spricht schon der Wortlaut des § 13 SGB I. Denn diese Vorschrift verpflichtet die Verwaltung zur Aufklärung nur der "Bevölkerung", d.h. einer unbestimmten Vielzahl von Personen, die als solche nicht Träger von Rechten und Pflichten sein kann. Damit unterscheidet sie sich von der folgenden Vorschrift in § 14 SGB I, wonach "jeder", d.h. jeder einzelne Bürger, ausdrücklich einen Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten hat.
Gegen einen Herstellungsanspruch wegen unterbliebener oder ungenügender Erfüllung der Aufklärungspflicht spricht ferner, daß, wäre er zu bejahen, die Verbindlichkeit gesetzlicher Fristvorschriften, über deren ausreichende Aufklärung Streit besteht, solange in der Schwebe bliebe, bis die Frage durch die Gerichte endgültig geklärt ist. Würde sie nämlich verneint, so hätte dies nicht nur für den entschiedenen Fall Bedeutung, sondern würde die Verwaltung nötigen, auch bereits wegen Fristversäumnis abgelehnte Anträge wieder aufzugreifen. Darüber hinaus müßte sie im Anschluß an eine nachzuholende Aufklärung innerhalb einer nunmehr neu zu bestimmenden Frist auch neue Anträge zulassen. Daß der Gesetzgeber diese Rechtsfolgen erkannt und in seinen Willen aufgenommen hätte, ist insbesondere für den Bereich der Beitragsnachentrichtung und die insoweit gesetzlich bestimmten Fristen nicht anzunehmen. Das gilt jedenfalls, wenn die Befristung von Nachentrichtungsanträgen, wie bei den hier in Rede stehenden, mindestens auch dem Zweck dient, die Versichertengemeinschaft vor Nachteilen zu bewahren, die für sie mit der verspäteten Einleitung und Durchführung von Nachentrichtungsverfahren verbunden sind.
Ließe sich eine Fristversäumung hier durch einen auf Aufklärungsmängel gestützten Herstellungsanspruch überwinden, wäre dies im übrigen kaum vereinbar mit Regelungen oder Vorkehrungen, die gerade für den Fall einer Fristversäumnis getroffen oder von der Rechtsprechung entwickelt worden sind. So war nach früheren Entscheidungen des Senats bei unverschuldeter Versäumung von Nachentrichtungsfristen unter bestimmten weiteren Voraussetzungen Nachsicht zu gewähren. Das gleiche gilt nach dem Inkrafttreten des § 27 SGB X für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, sofern die fragliche Fristvorschrift eine Wiedereinsetzung nicht ausdrücklich oder sinngemäß ausschließt (BSGE 64, 153 = SozR 1300 § 27 Nr. 4). Dabei kann Wiedereinsetzung, wenn sie später als ein Jahr nach Fristablauf beantragt wird, nur gewährt werden, wenn höhere Gewalt vorliegt, der Säumige also selbst bei Anwendung größtmöglicher Sorgfalt die Frist nicht einhalten konnte. Diesen vom Gesetz vorgezeichneten Weg zur Wiedereröffnung versäumter Fristen, für den der Gesetzgeber je nach Dauer der Fristüberschreitung unterschiedlich strenge Anforderungen stellt, in jedem Falle aber eigene Schuldlosigkeit fordert, bräuchte nicht zu beschreiten, wer das gleiche Ziel auch über den Herstellungsanspruch erreichen könnte, wenn dieser - ohne Rücksicht auf eigenes Verschulden - lediglich verlangt, daß die Verwaltung ihrer Aufklärungspflicht nicht in ausreichendem Maße nachgekommen ist. Ein Herstellungsanspruch müßte hier möglicherweise selbst dann Erfolg haben, wenn der Gesetzgeber eine Wiedereinsetzung wegen Fristversäumnis ausdrücklich ausgeschlossen hätte. Ein solches Ergebnis erscheint dem Senat für den Anwendungsbereich des § 13 SGB I nicht systemgerecht und auch aus den anderen genannten Gründen nicht hinnehmbar. Ob es im Falle der Verletzung einer Beratungspflicht der Verwaltung (§ 14 SGB I) hingenommen werden müßte, ist hier nicht zu entscheiden; insofern hat der Gesetzgeber dem einzelnen Bürger ausdrücklich einen Anspruch auf Beratung zugebilligt. Demgegenüber ist jedenfalls dem § 13 SGB I nach Wortlaut und Sinn nicht zu entnehmen, daß dem einzelnen ein vergleichbarer Anspruch auf Aufklärung und im Falle seiner nicht gehörigen Erfüllung ein Herstellungsanspruch zustehen soll.
Mit einer ähnlichen Begründung hat schon das Reichsgericht (RGZ 138, 165, 170 f.) und später auch der Bundesgerichtshof es abgelehnt, aus der Nichterfüllung einer im öffentlichen Interesse auferlegten Pflicht einen Schadensersatzanspruch für einen Dritten abzuleiten: Ein Schutzgesetz i.S. des § 823 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) sei hier nicht verletzt. Dafür genüge es nicht, daß die jeweilige Norm "im allgemeineren Sinn" Schutz und Förderung einzelner Bürger oder bestimmter Personenkreise bewirke oder bezwecke; vielmehr müsse die Schaffung eines individuellen Schadensersatzanspruches erkennbar vom Gesetzgeber erstrebt sein oder zumindest im Rahmen des haftpflichtrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheinen (NJW 1976, 2129, unter II 1 b; dem folgend Palandt-Thomas, Komm zum BGB, 49. Aufl., § 823 Anm. 9b).
Der bisherigen Rechtsprechung des BSG ist nicht zu entnehmen, daß ein Herstellungsanspruch auch auf ungenügende Aufklärung der Bevölkerung über gesetzliche Fristen gestützt werden kann. So hat der 3. Senat des BSG mit Urteil vom 28. September 1976 (BSGE 42, 224 = SozR 2200 § 1324 Nr. 3 = SGb 1977, 355 mit Anm. Rüfner) entschieden, daß ein Versicherter die Verletzung der allgemeinen Aufklärungspflicht des Rentenversicherungsträgers nach § 103 Satz 1 AVG a.F. nicht mit der (Popular-) Klage geltend machen kann. Im Urteil des 11. Senats vom 18. August 1983 (BSGE 55, 257, 261 = SozR 1200 § 13 Nr. 2) ist offengeblieben, ob die Verletzung der allgemeinen Aufklärungspflicht einen Herstellungsanspruch rechtfertigen kann; bei bevorstehenden Rechtsänderungen müsse es genügen, daß der Staat seine Bürger darüber durch Verkündung des Gesetzes im BGBl. unterrichte, gerade dieses Verkündungserfordernis würde entwertet, wenn man zusätzlich eine weitere generelle Information durch die Versicherungsträger für geboten halte. Der erkennende Senat hat in den Urteilen vom 28. Oktober 1981 (SozR 5070 § 10 Nr. 19) und vom 19. Juni 1986 (SozR 5428 § 4 Nr. 10) zwar einen Herstellungsanspruch wegen nicht hinreichender Aufklärung in Erwägung gezogen. In beiden Fällen waren die Ausführungen dazu indes nicht tragend; im ersten Fall wurde die Frage ausdrücklich unentschieden gelassen und nur die Gewährung von Nachsicht geprüft, im zweiten hatte der Kläger Informationsmängel nicht behauptet. Bejaht hat der erkennende Senat einen Herstellungsanspruch mit einer die Entscheidung tragenden Begründung bisher nur, wenn eine Antragstellung aufgrund einer "fehlerhaften Allgemeininformation (§ 13 SGB I) des zuständigen Versicherungsträgers, z.B. in einem von ihm herausgegebenen Merkblatt", unterblieben war (Urteil vom 15. Dezember 1983 - 12 RK 6/83). Um eine unrichtige oder auch nur mißverständliche Allgemeininformation oder um Beratungsfehler oder -mängel geht es im vorliegenden Fall jedoch nicht. Auch lag hier keine zu enge Interpretation des Kreises der nachentrichtungsberechtigten Personen durch einen Versicherungsträger vor, durch die Berechtigte von der rechtzeitigen Antragstellung abgehalten worden waren oder hätten abgehalten werden können (vgl. zu Fällen dieser Art die Entscheidungen des Senats in SozR 5070 § 10a Nrn. 2, 6 und 12, vgl. auch die Bekanntmachung der Beklagten in DAngVers 1986, 313).
Im Schrifttum sind die Meinungen darüber, ob der einzelne auf die Aufklärung der Bevölkerung nach § 13 SGB I einen Anspruch hat und das Unterlassen einer gebotenen Aufklärung für ihn einen Herstellungsanspruch begründet, geteilt; überwiegend wird die Frage jedoch verneint, wobei Ausnahmen, wie etwa bei fehlerhafter Aufklärung, für denkbar gehalten werden (vgl. u.a. Bley in SGB-SozVers-GesKomm, § 13 SGB I Anm. 10b mit zahlreichen weiteren Nachweisen aus der Literatur, ferner Seewald im Kasseler Kommentar, § 13 SGB I Rdnr. 14 und Vorbem vor §§ 38 bis 47 SGB I Rdnr. 36). Soweit die gegenteilige Ansicht (vgl. Gagel, Komm zum AFG, vor § 142 Rdnr. 25; Rüfner in Anm. SGb 1977 a.a.O.) damit begründet wird, der Gesetzeszweck erfordere es, daß der Betroffene von den eröffneten Rechten erfahre, damit er von ihnen Gebrauch machen könne, und weiter das Rechts- und das Sozialstaatsprinzip angeführt wird, so mag dies zwar das Motiv für die Regelung in § 13 SGB I gewesen sein. Aus ihr kann jedoch nach Ansicht des Senats nicht entnommen werden, der Gesetzgeber habe es in die Hand jedes einzelnen legen wollen, selber die Erfüllung der den Versicherungsträgern auferlegten Aufklärungspflicht entsprechend den jeweiligen individuellen Bedürfnissen der Bürger einzufordern oder auch nur mittelbar über den Herstellungsanspruch zu erzwingen. Das kann um so weniger angenommen werden, als damit das formelle Publizitätsprinzip für Gesetze, dessen Strenge durch § 13 SGB I zwar gemildert, das aber auch für den Bereich des Sozialrechts bisher nicht grundsätzlich aufgegeben worden ist, hier praktisch weitgehend durch das - eine tatsächliche Kenntnis der Gesetze fordernde - Prinzip der materiellen Publizität ersetzt würde. Hat aber der einzelne keinen eigenen Anspruch auf Aufklärung nach § 13 SGB I, so kann auch eine Verletzung der Aufklärungspflicht es ihm gegenüber nicht als treuwidrig erscheinen lassen, wenn sich der Versicherungsträger auf den Fristablauf beruft.
War nach allem die Versäumung der Antragsfrist durch die Klägerin um fast zwei Jahre nicht mit dem Herstellungsanspruch zu überwinden, so konnte der Senat offen lassen, ob die Aufklärungspflicht in Israel nicht oder nicht nur den beklagten deutschen Versicherungsträger traf, sondern allein oder auch die israelische Nationalversicherungsanstalt als Verbindungsstelle. Nach Art 2 DV/DISVA oblag den Verbindungsstellen im Rahmen ihrer Zuständigkeit die allgemeine Aufklärung der versicherten Bevölkerung über die Rechte und Pflichten nach dem Abkommen (und wohl auch nach der DV). Sollte in Israel der dortige Versicherungsträger zur Aufklärung verpflichtet gewesen sein, wäre zweifelhaft, inwieweit die Beklagte als deutscher Versicherungsträger für eine unzureichende Aufklärung einzustehen hätte. Schließlich ist nicht mehr entscheidend, ob die Aufklärung der israelischen Bevölkerung tatsächlich unzureichend war. Wenn der Vortrag der Beklagten zutrifft, wonach immerhin rund 37.000 Nachentrichtungsanträge nach Art 12 DV/DISVA aus Israel fristgerecht gestellt worden sind, so läßt das auf einen erheblichen Bekanntheitsgrad der Regelung in Israel schließen.
Die Revision der Klägerin erwies sich hiernach als unbegründet und war deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen
BSGE, 90 |
NVwZ-RR 1991, 646 |
NVwZ 1992, 207 |