Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Urteil vom 09.06.1964) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 9. Juni 1964 wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 20. September 1961 ab 1. Juli 1961 das Altersruhegeld. Der Kläger focht den Bescheid an und begehrte eine höhere Rente, weil bei der Berechnung der Rente nicht von der entsprechend § 32 Abs. 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes neue Fassung (AVG nF) auf 10.800 DM begrenzte Bemessungsgrundlage ausgegangen werden dürfe, sondern eine Bemessungsgrundlage von 13.527,63 DM zugrunde zu legen sei. Das Sozialgericht (SG) Mannheim wies die Klage durch Urteil vom 27. Februar 1962 ab. Die Berufung wurde durch Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Baden-Württemberg vom 9. Juni 1964 zurückgewiesen. Die Revision wurde nicht zugelassen.
Der Kläger legte Revision ein und beantragte,
das Urteil des LSG aufzuheben und den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen
mit der Begründung, das Verfahren des LSG leide an wesentlichen Mängeln, die Revision sei deshalb zulässig; sie sei auch begründet, weil die Begrenzung der persönlichen Bemessungsgrundlage in § 32 Abs. 1 AVG nF gegen das Grundgesetz (GG) verstoße, diese Vorschrift verletze den Gleichheitssatz (Art. 3 GG) und die Garantie des Eigentums (Art. 14 GG).
Die Beklagte beantragte,
die Revision als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist zwar form- und fristgerecht eingelegt, sie ist aber nicht statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-); die Verfahrensmängel, die der Kläger rügt, liegen nicht vor.
- Der Kläger sieht einen Mangel in dem Verfahren des LSG darin, daß das LSG die Frage, ob die Begrenzung der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage durch § 32 Abs. 1, 2. Halbsatz AVG nF verfassungswidrig sei, nicht als eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung angesehen habe; das LSG habe willkürlich die Revision nicht zugelassen. Diese Rüge greift nicht durch. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts -BSG- (vgl. zB Urteile des BSG vom 29. November 1955, BSG 2, 81 ff., vom 6. September 1956, BSG 3, 275 ff.; Beschluß des BSG vom 30. September 1963, SozR Nr. 175 zu § 162 SGG) betrifft die Entscheidung des LSG über die Zulassung oder Nichtzulassung der Revision nicht mehr das Verfahren des LSG, also nicht mehr den Weg, auf dem das LSG zu seiner Entscheidung gekommen ist; auch wenn das LSG die Revision zu Unrecht nicht zugelassen hätte, wäre die Revision deshalb nicht nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft. Die Entscheidung, die das LSG im vorliegenden Falle dahin getroffen hat, daß die Revision nicht zuzulassen sei, ist für das BSG bindend (vgl. BSG aaO). Ob das BSG auch an eine offensichtlich gesetzwidrige Nichtzulassung der Revision gebunden wäre (vgl. dazu die Urteile des BSG vom 30. Juli und vom 27. Oktober 1959, BSG 10, 240 ff., 269 ff.), kann hier dahingestellt bleiben. Das LSG hat die Nichtzulassung der Revision damit begründet, das BSG habe mehrfach entschieden, daß die Begrenzung der persönlichen Bemessungsgrundlage nicht grundgesetzwidrig sei; wenn es im Hinblick hierauf davon abgesehen hat, dem Kläger den Zugang zur Revisionsinstanz zu ermöglichen, so ist diese Erwägung nicht willkürlich und die Nichtzulassung der Revision damit nicht gesetzwidrig.
- Der Kläger trägt weiter vor, er habe schon im Verfahren des SG beantragt, das Verfahren auszusetzen und nach Art. 100 GG eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) über die Nichtigkeit des § 112 Abs. 2 AVG (gemeint ist: § 32 Abs. 1 AVG, 2. Halbsatz) herbeizuführen, dies habe er auch in der mündlichen Verhandlung des LSG vorgetragen, das LSG habe sich zu Unrecht in dem Urteil zu diesem Aussetzungsantrag nicht geäußert, nötigenfalls habe es ihn zur Stellung eines förmlichen Aussetzungsantrages veranlassen müssen, es habe insoweit gegen die §§ 139, 148, 551 Nr. 7 der Zivilprozeßordnung (ZPO) i.V.m. § 202 SGG verstoßen. Diese Rügen sind nicht begründet. Ein Verstoß gegen § 148 ZPO i.V.m. § 202 SGG liegt schon deshalb nicht vor, weil es sich bei § 148 ZPO um eine Kannvorschrift im Hinblick auf die Vorgreiflichkeit eines bereits bei einem anderen Gericht schwebenden Verfahrens handelt, nicht aber um die durch Art. 100 GG begründete Vorlagepflicht im Hinblick auf die Grundgesetzwidrigkeit einer in dem anhängigen Rechtsstreit anzuwendenden Rechtsvorschrift. Ein Verstoß gegen § 139 ZPO (für das sozialgerichtliche Verfahren im wesentlichen ersetzt durch § 106 Abs. 1 SGG) oder gegen § 551 Nr. 7 ZPO i.V.m. § 202 SGG liegt ebenfalls nicht vor. Nach der Niederschrift über die mündliche Verhandlung des LSG hat der Kläger – hilfsweise – beantragt, „den Rechtsstreit dem BVerfG vorzulegen”, dieser protokollierte Antrag hat den Antrag, das anhängige Verfahren zur Herbeiführung einer Entscheidung des BVerfG auszusetzen, mit eingeschlossen, das LSG hat deshalb nicht auf einen förmlichen Aussetzungsantrag hinwirken müssen. Das LSG hat in den Urteilsgründen eingehend dargelegt, warum es die Vorschrift des § 32 Abs. 1 AVG, 2. Halbsatz nicht für verfassungswidrig und deshalb eine Vorlage an das BVerfG nicht für geboten halte; es hat damit, auch wenn dies nicht ausdrücklich geschehen ist, auch die Aussetzung des Verfahrens abgelehnt; zur Aussetzung des Verfahrens und zur Vorlage an das BVerfG wäre es nur verpflichtet gewesen, wenn es die anzuwendende Vorschrift für verfassungswidrig gehalten hätte; verfahrensrechtlich wäre die Entscheidung des LSG nur zu beanstanden, wenn das LSG die Verfassungswidrigkeit bejaht, trotzdem aber nicht das durch Art. 100 GG gebotene Verfahren eingeschlagen hätte. Auch insoweit liegt ein Mangel in dem Verfahren des LSG nicht vor.
- Der Kläger hält schließlich das Verfahren des LSG vor allem deshalb für fehlerhaft, weil die mündliche Verhandlung des LSG am 9. Juni 1964 unter dem Vorsitz des erblindeten Landessozialgerichtsrats Dr. K stattgefunden habe; er rügt sinngemäß, das LSG sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, weil ein Blinder überhaupt nicht als Richter an einer Verhandlung mitwirken könne, keinesfalls aber als Vorsitzender; der Kläger meint, die Besetzung des LSG habe nicht den §§ 34 Abs. 1, 36, 25, 202 SGG und den §§ 62, 66 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) i.V.m. Art. 101 und 103 GG entsprochen. Auch dies trifft nicht zu. Ein Verstoß des LSG gegen die §§ 62, 66 GVG liegt schon deshalb nicht vor, weil die Frage des Vorsitzes in einem Senat eines LSG abschließend im SGG (§ 34) geregelt ist; § 34 SGG ist auch nicht verletzt worden; denn die Mitwirkung des LSG-Rats Dr. K hat, wie der Kläger selbst vorträgt, dem Geschäftsplan des LSG für das Jahr 1964 entsprochen. Fraglich ist nur, ob die im Geschäftsplan des LSG vorgesehene Regelung, nach der LSG-Rat Dr. K in der Verhandlung am 9. Juni 1964 als Vertreter des ordentlichen Vorsitzenden mitzuwirken gehabt hat, gesetzwidrig gewesen ist, weil das Präsidium des LSG – wie der Kläger meint – im Geschäftsplan dem Senat einen blinden Richter überhaupt nicht, erst recht nicht als Vertreter des ordentlichen Vorsitzenden hat zuteilen dürfen. Der Kläger beruft sich zwar insoweit zu Unrecht auf die §§ 36, 25 SGG, die nur die Zusammensetzung und die Aufgaben des Präsidiums betreffen, er hat die Rüge aber auch auf § 551 Nr. 1 ZPO i.V.m. § 202 SGG gestützt, er hat zudem zur Begründung seiner Rüge Tatsachen und Beweismittel vorgetragen, die Rüge entspricht daher den Formerfordernissen des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG. Auch diese Rüge greift jedoch nicht durch.
Zwar ist ein als Tatsacheninstanz erkennendes Kollegialgericht auch im sozialgerichtlichen Verfahren dann nicht vorschriftsmäßig besetzt, wenn ein nach dem Geschäftsplan mitwirkender Richter infolge physischer Gebrechen „verhandlungsunfähig”, d.h. unfähig ist, die ihm obliegenden Funktionen des Wahrnehmens und Urteilens ordnungsgemäß auszuüben. Für den Fall der Blindheit gilt dies jedoch im sozialgerichtlichen Verfahren wie in Verfahren vor Gerichten der Zivilgerichtsbarkeit und der anderen Gerichtsbarkeiten nur dann, wenn bei der Verhandlung und Entscheidung des Kollegialgerichts die Unfähigkeit eines blinden Richters, Personen, Sachen (insbesondere auch Urkunden, Skizzen), Orte zu besichtigen, für die Feststellung und Würdigung der Tatsachen erheblich gewesen ist oder doch erheblich hat sein können, wenn es also zu einer Beweisaufnahme durch Augenschein im Sinne der optischen Wahrnehmung kommt, möglicherweise auch dann, wenn es auf das äußere Verhalten eines Zeugen oder eines am Verfahren Beteiligten (etwa für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit) entscheidend ankommt; das ist hier vom Kläger nicht behauptet worden. Der erkennende Senat befindet sich mit dieser Auffassung in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) zum Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (vgl. teilweise RGZ 124, 153 ff., 154, 155; Beschluß des BGH vom 17. Dezember 1962, NJW 1963, 1010, 1011; ebenso Rosenberg, Lehrbuch des Zivilprozeßrechts, 8. Aufl., § 21 III 3 b; Baumbach-Lauterbach, ZPO, 27. Aufl., Anm. 2 § 551; Wieczorek, ZPO Anm. B I b 2 zu § 551) und zum Strafverfahren (vgl. insbesondere die Urteile des 5. Strafsenats, BGHSt 4, 191 ff. = NJW 53, 1115; BGHSt 5, 354, 355 = NJW 54, 932; Beschluß des 5. Strafsenats BGHSt 11, 74, 78 = NJW 58, 31, 32; Urteil des 4. Strafsenats BGHSt 18, 51 ff.; im Schrifttum zustimmend Schwarz-Kleinknecht StPO, 23. Aufl., § 338 Anm. 2 B; ablehnend Eb. Schmidt, StPO, § 338 Anm. 14; Schwarz StPO, 22. Aufl. § 338 Anm. 2 B; Wimmer in JZ 1953, 671, 672; Schorn in JR 1954, 299; Siegert in NJW 1957, 1622). Gegen die Mitwirkung eines blinden Richters in der mündlichen Verhandlung eines als Tatsacheninstanz entscheidenden Kollegialgerichts bestehen im sozialgerichtlichen Verfahren wie auch in Verfahren vor Gerichten der Zivilgerichtsbarkeit und der anderen Gerichtsbarkeiten nicht die gleichen Bedenken wie im Strafprozeß. Im Strafprozeß darf der Richter sich seine Überzeugung nur aus dem „Inbegriff der (Haupt-)Verhandlung (§ 261 StPO) bilden; im sozialgerichtlichen Verfahren entscheidet das Gericht in der Regel zwar auch „auf Grund mündlicher Verhandlung” (§ 124 Abs. 1 SGG); im Einverständnis mit den Beteiligten kann es aber auch ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG) und unter den Voraussetzungen des § 126 SGG kann es nach Lage der Akten entscheiden; es entscheidet stets nach seiner aus dem „Gesamtergebnis des Verfahrens” (§ 128 Abs. 1 SGG) gewonnenen Überzeugung. Soweit für die Entscheidung Ergebnisse des Verfahrens, die außerhalb der mündlichen Verhandlung oder ohne mündliche Verhandlung gewonnen worden sind, erheblich sind, befindet sich der blinde Richter nicht in einer wesentlich anderen Lage als der sehende Richter, weil ihm der Inhalt der Akten durch eine geeignete Hilfskraft vermittelt werden kann; auch das Ergebnis der mündlichen Verhandlung – abgesehen von den Fällen der Beweisaufnahme durch „Augenschein” – ist dem blinden Richter im wesentlichen ebenso zugänglich wie dem sehenden Richter; nach der Lebenserfahrung ist bei Blinden, in aller Regel der Verlust des Augenlichts bis zu einem gewissen Grade durch die Stärkung und Verfeinerung anderer Sinne und die auf ständiger Übung beruhende Zunahme des Gedächtnisses ausgeglichen. An der für die richterliche Entscheidung ausschlaggebenden geistigen Verarbeitung des im Verfahren mündlich erörterten oder schriftlich vorgetragenen Streitstoffes ist der blinde Richter damit auch im sozialgerichtlichen Verfahren regelmäßig durch sein Gebrechen nicht so behindert, daß er allgemein als verhandlungs- oder entscheidungsunfähig angesehen werden darf (vgl. auch Beschluß des BGH vom 17. Dezember 1962, aaO und die oben zitierten Entscheidungen des 5. Strafsenats des BGH).
Dies gilt auch dann, wenn ein blinder Richter ausnahmsweise – als Vertreter des verhinderten ordentlichen Vorsitzenden – den Vorsitz in einem Kollegialgericht zu führen hat, auch in diesem Falle ist das Kollegialgericht nicht ohne weiteres vorschriftswidrig besetzt. Der Vorsitzende hat zwar in der mündlichen Verhandlung weitergehende Aufgaben als die beisitzenden Richter, er hat im sozialgerichtlichen Verfahren die mündliche Verhandlung zu eröffnen und zu schließen, er hat den Beteiligten das Wort zu erteilen und zu entziehen, das Streitverhältnis mit den Beteiligten zu erörtern, die Beteiligten zu fragen oder durch Beisitzer fragen zu lassen (§ 112 SGG); für diese Aufgaben ist ein blinder Vorsitzender – wenn auch möglicherweise mit zulässiger praktischer Hilfe durch die sehenden Mitglieder des Kollegialgerichts, wie etwa bei Vorhaltungen aus den Akten – auf Grund des ihm akustisch zugänglichen Geschehens in der mündlichen Verhandlung und auf Grund des ihm bekannten Akteninhalts aber auch nicht mehr behindert als ein blinder beisitzender Richter. Ob ein blinder Richter deshalb auch ständiger Vorsitzender eines Kollegialgerichts in den Tatsacheninstanzen sein kann, ist hier nicht zu entscheiden; insoweit ist noch zu bedenken, daß der ständige Vorsitzende einen richtungsweisenden Einfluß auf die gesamte Rechtsprechung des Kollegialgerichts ausüben soll (vgl. Beschluß des BVerfG von 3. Februar 1965, DRiZ 1965, 164 ff.), daß er deshalb auch mindestens 75 % seiner Aufgaben als Vorsitzender selbst wahrnehmen muß (vgl. Beschluß des Großen Senats für Zivilsachen vom 19. Juni 1962, DRiZ 1962, 331 = BGHZ 37, 210) und mithin nicht z.B. in all den Fällen von vornherein an der Mitwirkung verhindert sein darf, in denen es auf optische Eindrücke ankommt. Dieses Bedenken kann gegenüber dem Vertreter des Vorsitzenden nicht in gleichem Umfang Platz greifen. Die Behinderung des Vertreters des Vorsitzenden durch Blindheit hat schon entsprechend dem geringeren Ausmaß, in dem hier eine Betätigung als Vorsitzender in Betracht kommt, nicht die Bedeutung wie eine gleiche Behinderung des ordentlichen Vorsitzenden, zumal die Führung des Senats dem ordentlichen Vorsitzenden vorbehalten bleibt.
Es trifft schließlich auch nicht zu, daß durch die Mitwirkung eines blinden Richters den Beteiligten das rechtliche Gehör (Art. 103 GG, § 62 SGG) nicht in gebotenem Umfang gewährt werde. Der Anspruch auf rechtliches Gehör bedeutet, daß den Beteiligten im Verfahren Gelegenheit gegeben werden muß, sich zu Tatsachen und Beweismitteln, die für die Entscheidung erheblich sein können, mündlich oder im sozialgerichtlichen Verfahren auch schriftlich (§ 62 SGG, 2. Halbsatz) zu äußern; mündliche Äußerungen kann auch ein blinder Richter in jedem Falle entgegennehmen; was in schriftlichen Äußerungen enthalten ist, kann er über zuverlässige Hilfskräfte oder über die mitwirkenden Richter erfahren. Der Kläger meint zwar, auch die Gewährung des rechtlichen Gehörs setze bei mündlicher Verhandlung voraus, daß es dem Gericht und vor allem seinem Vorsitzenden möglich sei, den Beteiligten „selbst in die Augen zu schauen”, weil das gesamte Erscheinungsbild der Beteiligten von erheblicher Bedeutung sein könne und der Vorsitzende in der Lage sein müsse, dieses Bild selbst ohne Unterstützung oder „verdolmetschende” Mithilfe eines anderen Mitglieds des Gerichts wahrzunehmen. Dieser Einwand bezieht sich aber nicht auf die „Anhörung”, sondern auf die Würdigung dessen, was der Anzuhörende mündlich oder schriftlich vorbringt, also auf die Beweiswürdigung und Tatsachenfeststellung durch einen blinden Richter; unter diesem Gesichtspunkt ist ein blinder Richter – auch als Vertreter des ordentlichen Vorsitzenden – aber an der Mitwirkung nur in den Fällen verhindert, in denen es entscheidend auf das „Erscheinungsbild” eines Beteiligten, Zeugen oder Sachverständigen ankommt; nur in solchen Fällen wäre das Gericht, wenn ein blinder Richter mitwirkt, vorschriftswidrig besetzt. Solche Fälle bilden aber nicht die Regel; auch insoweit ist von Bedeutung, daß ein Blinder infolge der Verfeinerung seines Gehörs Eindrücke von den ihm gegenübertretenden Personen zu gewinnen vermag, die dem Sehenden optisch vermittelt werden, und die diesen optischen Eindrücken gleichwertig sind; es ist sogar denkbar, daß der Blinde „Nuancen” der Ausdrucksweise wahrnimmt, die dem Sehenden entgehen; schließlich ist auch nicht ausgeschlossen, daß ein sehendes Mitglied eines Gerichts optische Eindrücke, die etwa für die Glaubwürdigkeit eines Beteiligten oder Zeugen erheblich sein können, nicht wahrnimmt und diese Eindrücke deshalb von ihm nicht gewürdigt werden. In dem Urteil BGHSt 4, 191 ff. ist zutreffend darauf hingewiesen, daß an der „Verhandlungsfähigkeit” des sehenden Richters auch dann nicht gezweifelt wird, wenn seine Aufnahmefähigkeit für äußere Eindrücke nicht dem „Wunschbild” eines Richters entspricht, und daß deshalb auch daraus, daß einem blinden Richter nicht alle Eindrücke zugänglich sind, die der sehende Richter beobachten kann, nicht allgemein die „Verhandlungsunfähigkeit” des blinden Richters hergeleitet werden kann. Dasselbe gilt, wenn ein blinder Richter ausnahmsweise den Vorsitz in einer Verhandlung führt. Die Besetzung des Senats des LSG in der Verhandlung vom 9. Juni 1964 ist deshalb unter keinem der vom Kläger vorgetragenen Gesichtspunkte zu beanstanden.
Da die Verfahrensrügen des Klägers nicht durchgreifen, ist die Revision nicht nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft. Sie ist deshalb als unzulässig zu verwerfen (§ 169 Satz 2 SGG). Auf das sachlich-rechtliche Vorbringen des Klägers darf damit nicht eingegangen werden.
Die Entscheidung über die Kosten ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 913610 |
BSGE, 184 |
NJW 1965, 2422 |