Orientierungssatz

1. Es kann offen bleiben, ob Beschwerdeentscheidungen der Oberversicherungsämter nach SVwG § 14 Abs 8 bis zum Inkrafttreten des SGG - als Verwaltungsakte - vor den allgemeinen Verwaltungsgerichten angefochten werden konnten, oder ob sie - als Akte der Rechtsprechung - der weiteren Anfechtung entzogen werden.

2. Die gemäß SGG § 215 Abs 7 und SGG § 215 Abs 8 auf die Landessozialgerichte übergegangenen Streitsachen sind, sofern die Berufung nicht nach dem SGG ausgeschlossen ist, als zulässige Berufungen anzusehen, auch wenn sie nach früherem Recht - abgesehen von der Einhaltung der im Zeitpunkt der Einlegung geltenden Form- und Fristvorschriften - nicht lässig waren (vgl BSG 1955-06-16 3 RJ 83/54 = BSGE 1, 82 und BSG 1955-10-27 4 RJ 105/54 = BSGE 1, 283).

 

Normenkette

SVwG § 14 Abs. 8; SGG § 215 Abs. 7-8

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 28.06.1956)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 28. Juni 1956 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Die Gebühr für die Berufstätigkeit des Rechtsanwalts Dr. W. F, vor dem Bundessozialgericht wird auf ... DM festgesetzt.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Das Versicherungsamt A ordnete durch Beschluß vom 20. Januar 1953 auf Grund des § 14 Abs. 5 des Selbstverwaltungsgesetzes in der Fassung vom 13. August 1952 (BGBl. I S. 427) an, daß bestimmte Gruppen von Versicherten der klagenden Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK.) auf die beklagte Innungskrankenkasse (IKK.) zu überführen seien. Die hiergegen von der AOK. eingelegte Beschwerde wies das Oberversicherungsamt (OVA.) K durch Beschluß vom 27. März 1953 zurück. Auch die nunmehr von der AOK. beim Bezirksverwaltungsgericht Koblenz erhobene Anfechtungsklage wurde durch Vorbescheid vom 28. Juli 1953 abgewiesen. Da die Klägerin gegen den Vorbescheid Antrag auf mündliche Verhandlung stellte, blieb die Sache zunächst weiter beim Bezirksverwaltungsgericht anhängig und ging mit dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Berufung auf das Landessozialgericht (LSG.) Rheinland-Pfalz über (§ 215 Abs. 7 SGG). Dieses verwarf durch Urteil vom 28. Juni 1956 die Berufung gegen den Beschluss des OVA. als unzulässig: Der Beschluß sei als ein Akt der Rechtsprechung anzusehen, den der Gesetzgeber der weiteren Anfechtung wirksam entzogen habe (§ 14 Abs. 8 GSv.). Auch durch den Übergang der Sache auf die Sozialgerichtsbarkeit sei kein neuer Rechtszug eröffnet worden; eine Durchbrechung der Rechtskraft früherer Entscheidungen habe der Gesetzgeber - auch bei Übergangsfällen nach § 215 Abs. 7 SGG - nur unter den besonderen, hier nicht gegebenen Voraussetzungen des § 214 Abs. 1 SGG zugelassen. Das LSG. hat seine eigene Entscheidung als endgültig bezeichnet und demgemäß eine Rechtsmittelbelehrung nicht erteilt.

Mit der gleichwohl eingelegten Revision wendet sich die Klägerin in erster Linie gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, das OVA. habe im Beschwerdeverfahren nach § 14 Abs. 8 GSv. rechtsprechende Tätigkeit ausgeübt; im übrigen sei die Berufung nach den Übergangsvorschriften des SGG statthaft gewesen.

II

Die vom LSG. nicht zugelassene Revision ist zulässig. Die Revisionsklägerin hat die Revision - trotz Überschreitung der in § 164 Abs. 1 SGG bestimmten Frist - rechtzeitig begründet, da das angefochtene Urteil sich zu Unrecht als endgültig bezeichnet hat (§ 66 Abs. 2 SGG). Die Vorschrift des § 214 Abs. 5 SGG, auf die das Berufungsgericht die Unanfechtbarkeit seiner Entscheidung stützt, ist hier nicht anwendbar, weil das LSG. weder in einem Falle des § 214 Abs. 1 SGG noch in einem Falle des § 214 Abs. 4 SGG entschieden hat. Die Revision ist mithin, ebenso wie in sonstigen Fällen, in denen sie vom LSG. nicht zugelassen ist, nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG bei Rüge eines wesentlichen Mangels des Berufungsverfahrens statthaft.

Im vorliegenden Rechtsstreit hätte das LSG., wie die Revision mit Recht rügt, die Berufung nicht als unzulässig verwerfen dürfen. Dabei kann offenbleiben, ob Beschwerdeentscheidungen der Oberversicherungsämter nach § 14 Abs. 8 GSv. bis zum Inkrafttreten des SGG - als Verwaltungsakte - vor den allgemeinen Verwaltungsgerichten angefochten werden konnten, oder ob sie - als Akte der Rechtsprechung - der weiteren Anfechtung entzogen waren. Selbst wenn die Auffassung des LSG. zuträfe, daß das OVA. hier als besonderes Verwaltungsgericht in letzter Instanz entschieden habe, wäre die Berufung gegen den Beschluß des OVA. jedenfalls seit Inkrafttreten des SGG auf Grund des § 215 Abs. 7 SGG zulässig. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG.) sind die gemäß § 215 Abs. 7 und 8 SGG auf die Landessozialgerichte übergegangenen Streitsachen, sofern die Berufung nicht nach dem SGG ausgeschlossen ist, als zulässige Berufungen anzusehen, auch wenn sie nach früherem Recht - abgesehen von der Einhaltung der im Zeitpunkt der Einlegung geltenden Form- und Fristvorschriften - nicht zulässig waren (BSG. 1, 82 (87 f.) und 283 (286) sowie 2 RU 284/55 mit weiteren Nachweisen). Die Frage, ob die Berufung nach dem SGG ausgeschlossen ist, beantwortet sich allein nach den §§ 143 ff. SGG; die Vorschrift des § 214 SGG hat dabei - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - außer Betracht zu bleiben (BSG. 1, 82 (87)). Im vorliegenden Falle sind Gründe, die die Berufung nach §§ 144 ff. SGG ausschließen könnten, nicht gegeben. Das LSG. hätte daher, da auch die ursprüngliche Klage beim Bezirksverwaltungsgericht form- und fristgerecht erhoben ist, über die Berufung der Klägerin sachlich entscheiden müssen.

Die Revision ist somit statthaft und begründet. Da Feststellungen, die dem Revisionsgericht eine eigene Sachentscheidung ermöglichen würden, fehlen, war die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Für das weitere Verfahren wird das Berufungsgericht zu beachten haben, daß als Beklagter hier nur das Versicherungsamt in Betracht kommt, das die streitige Überführungsanordnung erlassen hat, oder, falls dieses nach Landesrecht nicht fähig sein sollte, am sozialgerichtlichen Verfahren teilzunehmen (§ 70 Nr. 3 SGG), die für das Versicherungsamt zuständige Trägerkörperschaft (vgl. die Entscheidung des erkennenden Senats vom 9.5.1957, 3 RK 5/54).

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2290866

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