Leitsatz (redaktionell)

Nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts dürfen von Anfang an rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte nur dann zurückgenommen werden, wenn das öffentliche Interesse an der Beseitigung des rechtswidrigen Verwaltungsaktes das private Interesse des Begünstigten an dem Bestand des Verwaltungsaktes überwiegt.

Die Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit (ex tunc) setzt grundsätzlich voraus, daß die Ursache der Rechtswidrigkeit bei dem Begünstigten liegt.

Die Rücknahme mit Wirkung für die Zukunft (ex nunc) ist grundsätzlich immer möglich, auch dann, wenn die Rechtswidrigkeit ausschließlich in den Verantwortungsbereich der Behörde fällt.

 

Normenkette

KOVVfG § 41 Fassung: 1955-05-02; BGB § 242

 

Tenor

Auf die Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 14. Juni 1961 aufgehoben.

Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen. Auf die Anschlußberufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg insoweit aufgehoben, als darin die Bescheide der Beklagten vom 26. März 1954 und vom 28. August 1954 aufgehoben worden sind; die Klage wird auch insoweit abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Die Ehe der Klägerin mit W O wurde im März 1942 geschieden; W O wurde für alleinschuldig an der Scheidung erklärt. Er heiratete kurz darauf wieder. Im Juli 1942 starb W. O an den Folgen einer Wehrdienstbeschädigung. Das Versorgungsamt (VersorgA) H bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 28. Januar 1952 Witwenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Das Arbeitseinkommen, das die Klägerin seit 1949 bezog, berücksichtigte es dabei nur insoweit, als es der Klägerin keine Ausgleichsrente gewährte. Durch Bescheid vom 6. März 1954 entzog das VersorgA der Klägerin mit Zustimmung des Landesversorgungsamts (LVersorgA) die Rente mit Ablauf des Monats April 1954, weil sich die Voraussetzungen des Bescheids vom 28. Januar 1952 als unzutreffend erwiesen hätten; es seien bei diesem Bescheid die Vorschriften des § 42 BVG iVm §§ 58 ff des Ehegesetzes (EheG) nicht beachtet worden; der geschiedene Ehemann der Klägerin sei der Klägerin wegen ihres Einkommens nicht unterhaltspflichtig gewesen; die Voraussetzungen für eine Witwenrente nach § 42 BVG seien daher nicht erfüllt gewesen; das VersorgA stützte diesen Bescheid auf die Ziffer 26 der Sozialversicherungsanordnung (SVA) Nr. 11 iVm § 84 Abs. 3 BVG. Den Widerspruch wies das LVersorgA mit Bescheid vom 28. August 1954 zurück. Mit der Klage begehrte die Klägerin, die Bescheide vom 6. März 1954 und 28. August 1954 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr über den 30. April 1954 hinaus die Witwenrente zu gewähren.

Das Sozialgericht (SG) Hamburg hob die Bescheide vom 6. März 1954 und 28. August 1954 auf, im übrigen wies es die Klage ab. Das SG führte aus, die angefochtenen Bescheide seien "aus Rechtsgründen" aufzuheben, die Klägerin habe jedoch keinen Anspruch auf "die seit Ende April 1954 unterbliebenen Leistungen", da ihr keine Witwengrundrente zugestanden habe. Die Klägerin legte Berufung an das Landessozialgericht (LSG) Hamburg ein.

Das VersorgA erließ am 31. März 1958 einen neuen Bescheid ("Berichtigungsbescheid gemäß § 41 des VerwVG vom 2. Mai 1955"); es hieß darin, es verbleibe hinsichtlich der Entziehung der Witwenrente bei der Regelung in dem Bescheid vom 6. März 1954, dieser werde nunmehr auch auf § 41 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) gestützt. Der Bescheid wurde der Klägerin im April 1958 zugestellt. Die Klägerin änderte daraufhin ihren Antrag dahin, die Beklagte zu verurteilen, ihr die Witwenrente über den 30. April 1954 hinaus bis zum 31. Mai 1958 zu gewähren.

Die Beklagte legte mit Schriftsatz vom 14. April 1958 Anschlußberufung ein. Sie beantragte, das Urteil des SG aufzuheben, soweit in diesem Urteil die Bescheide vom 6. April 1954 und vom 18. August 1954 aufgehoben worden sind, und die Klage auch insoweit abzuweisen; die Beklagte beantragte ferner, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen. Die Klägerin beantragte, die Anschlußberufung zurückzuweisen. Das LSG Hamburg entschied mit Urteil vom 4. Juni 1958:

“Auf die Berufung der Klägerin wird die Beklagte unter teilweiser Aufhebung des Urteils des SG verurteilt, der Klägerin Witwenrente auch für die Zeit vom 1. Mai 1954 bis 31. Mai 1958 zu gewähren. Die Anschlußberufung wird zurückgewiesen.„

Das LSG führte aus, für den Bescheid vom 6. März 1954, in dem die Beklagte der Klägerin die Witwenrente entzogen habe, habe zu damaliger Zeit keine Rechtsgrundlage bestanden; die Ziffer 26 der SVA Nr. 11 habe nicht mehr und § 41 VerwVG noch nicht gegolten. Die Rente sei erst durch den Berichtigungsbescheid gemäß § 41 VerwVG vom 31. März 1958 entzogen worden; dieser Bescheid wirke jedoch nur für die Zukunft; der Klägerin sei daher bis zum 31. Mai 1958 die mit dem Bescheid vom 28. Januar 1952 zuerkannte Rente zu gewähren; für die spätere Zeit habe die Klägerin die Rente nicht mehr beansprucht.

Auf die zugelassene Revision der Beklagten hob das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 26. August 1960 das Urteil des LSG Hamburg vom 4. Juni 1958 auf und verwies die Sache zu neuer Entscheidung an das LSG zurück.

Das BSG führte aus, die Auffassung des LSG, der Bescheid vom 6. März 1954 sei schon deshalb rechtswidrig, weil damals keine gesetzliche Grundlage für die Rücknahme eines Rentenbescheids in Kriegsopfersachen bestanden habe, treffe nicht zu; es seien in diesem Falle die Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts über die Rücknahme fehlerhafter Verwaltungsakte anzuwenden; das LSG habe zunächst prüfen müssen, ob der Bescheid vom 6. März 1954 nach diesen Grundsätzen rechtmäßig sei; erst wenn sich danach ergebe, daß der Bescheid vom 6. März 1954 rechtswidrig sei, komme es darauf an, ob der "Berichtigungsbescheid nach § 41" vom 31. März 1958 rechtmäßig sei; nach § 41 VerwVG habe aber die Beklagte den Bewilligungsbescheid nur für die Zeit nach dem 1. April 1955 zurücknehmen dürfen.

Das LSG lud mit Beschluß vom 26. April 1961 die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, zun Verfahren bei.

Die Klägerin beantragte nunmehr, ihr die Witwenrente über den 30. April 1954 hinaus - ohne zeitliche Begrenzung - zu gewähren.

Die Beklagte und die Beigeladene beantragten, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen und die Klage in vollem Umfange abzuweisen.

Das LSG entschied mit Urteil vom 14. Juni 1961:

Unter Abweisung der Berufung der Beklagten werden auf die Berufung der Klägerin der Bescheid der Beklagten vom 31. März 1958 sowie das Urteil des SG Hamburg vom 26. September 1957 abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Witwenrente für die Zeit vom 1. Mai 1954 bis 31. Mai 1958 zu zahlen. Im übrigen wird die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen.

Das LSG führte aus, der Bescheid vom 6. März 1954 sei rechtswidrig, weil der Bescheid vom 28. Januar 1952 "nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts im Sinne des BVG" nicht rücknehmbar gewesen sei. Wenn die Versorgungsverwaltung aus den zutreffenden Angaben der Klägerin in ihrem Versorgungsantrag den Schluß gezogen habe, der Klägerin stehe lediglich keine Witwenausgleichsrente, wohl aber die Witwengrundrente zu und wenn es darauf einen entsprechenden Bewilligungsbescheid erteilt habe, so falle diese Entscheidung allein in den Verantwortungsbereich der Versorgungsbehörde; die Klägerin verfüge auch über kein beträchtliches Vermögen bzw. über kein beträchtliches Einkommen, die Weiterzahlung der Witwengrundrente könne deshalb nicht als unerträgliches soziales Unrecht angesehen werden.

Auch der "Berichtigungsbescheid nach § 41 VerwVG" vom 31. März 1958 sei nicht rechtmäßig; der Bescheid über die Rentenbewilligung sei nicht in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unrichtig; die Beklagte habe einen richtigen Sachverhalt beurteilt, sie habe aus diesem Sachverhalt lediglich falsche rechtliche Schlüsse gezogen. Der Klägerin sei daher die ihr mit dem Bescheid vom 28. Januar 1952 bewilligte Rente noch bis Mai 1958 zu gewähren, wie das LSG bereits in dem Urteil vom 4. Juni 1958 entschieden habe; dagegen könne sie nicht - entsprechend ihrem letzten Antrag - die Rente auch noch für die spätere Zeit beanspruchen, weil sie den Bescheid vom 31. März 1958 nur insoweit angefochten habe, als ihr darin die Rente bis 31. Mai 1958 entzogen worden sei.

Das LSG ließ die Revision zu.

Das Urteil wurde der Beklagten am 12. Juli 1961 und der Beigeladenen am 14. Juli 1961 zugestellt. Die Beklagte legte am 2. August 1961, die Beigeladene am 10. August 1961 Revision ein. Sie beantragten,

das Urteil des LSG Hamburg vom 14. Juni 1961 und das Urteil des SG Hamburg vom 26. August 1960 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid des VersorgA vom 6. März 1954 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. August 1954 abzuweisen.

Die Beklagte und die Beigeladene begründeten ihre Revision am 2. August bzw. 31. August 1961. Sie führten aus, das LSG habe zu Unrecht angenommen, der Bescheid vom 6. März 1954 sei rechtswidrig; dieser Bescheid sei nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts über die Rücknahme fehlerhafter Verwaltungsakte rechtmäßig, da die Rentenbewilligung nur für die Zukunft zurückgenommen worden sei; das LSG habe die Rücknehmbarkeit des Rentenbewilligungsbescheids nicht schon deshalb verneinen dürfen, weil die Versorgungsverwaltung die Rechtswidrigkeit des Bescheids verursacht habe; das LSG habe auch bei der Beurteilung des Bescheids vom 31. März 1958 § 41 VerwVG unrichtig angewandt.

Die Klägerin beantragte,

die Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen zurückzuweisen.

Die Beteiligten erklärten sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung (§§ 124 Abs. 2, 153 Abs. 1, 165 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden.

II

Die Revisionen der Beklagten und der Beigeladenen sind nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft. Die Revisionen sind form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden; sie sind sonach zulässig; sie sind auch begründet.

Das LSG hat den Bescheid vom 6. März 1954 - in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. August 1954 - durch den die Beklagte den Bescheid vom 28. Januar 1952 über die Bewilligung einer Witwengrundrente von 40,- DM monatlich an die Klägerin mit Ende April 1954 zurückgenommen hat, zu Unrecht für rechtswidrig gehalten. Es ist der Meinung gewesen, der Bescheid vom 28. Januar 1952 sei "nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts im Sinne des BVG" nicht rücknehmbar gewesen; die Klägerin habe zu ihrem Antrag auf Witwenrente nach ihrem geschiedenen Ehemann zutreffende Angaben - auch über die Höhe ihres eigenen Einkommens - gemacht; wenn die Beklagte darauf der Klägerin eine Witwengrundrente bewilligt habe, obwohl die Voraussetzungen hierfür nicht vorgelegen hätten, weil der geschiedene Ehemann der Klägerin nach den eherechtlichen Vorschriften der Klägerin keinen Unterhalt habe leisten müssen (§ 42 Abs. 1 BVG idF vor dem ersten Neuordnungsgesetz vom 27. Januar 1960 - aF -; §§ 58 ff EheG), so falle die Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheids allein in den Verantwortungsbereich der Beklagten; das LSG hat angenommen, es sei damit ein Ausnahmefall gegeben, bei dem das Interesse der Klägerin als der Betroffenen an der Aufrechterhaltung des begünstigenden Verwaltungsakts dem öffentlichen Interesse an der Beseitigung des rechtswidrigen Verwaltungsakts überwiege; da die Klägerin weder über ein beträchtliches Einkommen verfüge, sei die Weiterzahlung der Witwengrundrente auch kein unerträgliches soziales Unrecht. Damit hat aber das LSG die Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts über die Rücknehmbarkeit rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte unrichtig angewandt. Die Beklagte hat der Klägerin in dem Bescheid vom 28. Januar 1952 unstreitig eine Rente bewilligt, die ihr nicht zugestanden hat. Der Bescheid ist daher rechtswidrig; dies hat jedoch für sich allein noch nicht die Rücknehmbarkeit des Bescheides zur Folge gehabt; der Bescheid hat vielmehr nur dann zurückgenommen werden dürfen, wenn das öffentliche Interesse an der Beseitigung des rechtswidrigen Verwaltungsakts das private Interesse des Begünstigten an dem Bestand des Verwaltungsakts überwiegt (vgl. insoweit das erste Revisionsurteil in dieser Sache vom 26. August 1960 - 11 RV 732/58 - mit weiteren Hinweisen). Der Bescheid vom 28. Januar 1952, mit dem die Beklagte einen Anspruch der Klägerin auf Rente festgestellt hat, ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung; rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte mit Dauerwirkung sind jedenfalls mit Wirkung für die Zukunft nur ausnahmsweise nicht rücknehmbar; in der Regel überwiegt hier das öffentliche Interesse an der Beseitigung des rechtswidrigen Verwaltungsaktes, das auf dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung beruht, gegenüber dem schutzwürdigen Interesse des Begünstigten auf den Bestand behördlicher Entscheidungen, das aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit herzuleiten ist. In der Regel ist es nicht unzumutbar, wenn sich der Begünstigte damit abfinden muß, daß ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft zurückgenommen wird; andererseits haben Verwaltung und Allgemeinheit in der Regel ein berechtigtes Interesse daran, daß rechtswidrige Verwaltungsakte mit Dauerwirkung nicht in der Zukunft weiter wirken, daß sie diese Verwaltungsakte nicht möglicherweise noch viele Jahre gegen sich gelten lassen und allmonatlich Leistungen erbringen müssen, die entgegen dem Gesetz bewilligt worden sind (Urteil des BVerwG vom 7. Dezember 1960, DVBl 1961, 380 ff unter 4 und 5; BSG 8, 11; 10, 72 ff mit weiteren Hinweisen). Das Interesse der Allgemeinheit daran, daß Leistungen, für die eine materielle Rechtsgrundlage von Anfang an nicht bestanden hat, für die Zukunft in Wegfall kommen, ist in der Regel auch dann höher zu bewerten als das Vertrauensinteresse des Begünstigten auf den Bestand des Bescheids, wenn die Rechtswidrigkeit des Bescheids nicht in den Verantwortungsbereich des Begünstigten fällt. Wenn - wie im vorliegenden Fall - die Klägerin das Zustandekommen des rechtswidrigen Verwaltungsakts nicht selbst zu verantworten oder mitzuverantworten hat, weil sie der Verwaltung einen zutreffenden Sachverhalt zur Entscheidung unterbreitet hat und die Verwaltung allein die Rechtswidrigkeit des begünstigenden Bescheids verursacht hat, weil sie den vorgetragenen und ermittelten Sachverhalt rechtlich unrichtig beurteilt hat, so hat dies allein noch nicht zur Folge gehabt, daß - entgegen dem Interesse der Allgemeinheit an der gesetzmäßigen Verwendung öffentlicher Mittel - die unrechtmäßige Begünstigung als Ausnahme von der Regel auch für die Zukunft aufrecht zu erhalten ist, d. h. daß der Klägerin infolge des Rechtsirrtums, der der Verwaltung bei der Beurteilung des Rentenantrags unterlaufen ist, auch künftig - womöglich lebenslänglich - eine Rente zu gewähren ist, obwohl die gesetzlichen Voraussetzungen nicht gegeben sind. Daß die Ursache der Rechtswidrigkeit bei der Verwaltung und nicht bei dem Begünstigten liegt, schließt nur die Rücknahme ex tunc und die Rückforderung der bereits erbrachten Leistungen aus (BSG 15, 81 und die Urteile des BVerwG vom 12. Mai 1960, BVerwG 10, 308 und vom 21. Dezember 1961, NJW 1962, 1075; Haueisen, Das Problem des Vertrauensschutzes in Maunz-Schraft, Das Selbstverwaltungsrecht in der Sozialversicherung, Bd. 6, Teil D II 6 Vorbem.). Die Beklagte hat danach zwar den Bescheid vom 28. Januar 1952 nicht für die Vergangenheit zurücknehmen dürfen; das hat sie aber auch nicht getan; sie hat die Rente, die sie der Klägerin auf Grund des - von Anfang an rechtswidrigen-Bescheids bis April 1954 gewährt hat, nicht zurückgefordert; soweit danach das öffentliche Interesse an der Wiederherstellung eines gesetzmäßigen Zustandes gegenüber dem Vertrauensinteresse der Klägerin hat zurücktreten müssen, hat die Beklagte dem Rechnung getragen. Sie hat aber wegen des insoweit überwiegenden öffentlichen Interesse den rechtswidrigen Bescheid für die Zukunft zurücknehmen dürfen. Dies muß hier um so mehr gelten, als der rechtswidrige Bescheid über die Rentenbewilligung in der Zeit erlassen worden ist, in der alle Versorgungsfälle nach einem neuen Gesetz - dem BVG - umzustellen gewesen sind; diese Umstellung hat in den ersten Jahren nach dem Inkrafttreten des BVG zu einem außergewöhnlichen Arbeitsanfall der Versorgungsverwaltung geführt, vor allem auch deshalb, weil die Umstellung im Interesse der Versorgungsberechtigten mit größter Beschleunigung durchgeführt worden ist. Wenn unter diesen Umständen der Versorgungsverwaltung im Einzelfall ein Fehler unterlaufen ist, z. B. wenn sie, wie hier, eine neue gesetzliche Vorschrift unrichtig angewandt hat, so ist es dem dadurch zu Unrecht begünstigten Versorgungsberechtigten zuzumuten, daß er sich mit einer Korrektur einer solchen "Fehlentscheidung" und damit mit der Wiederherstellung des gesetzmäßigen Zustands jedenfalls mit Wirkung für die Zukunft abfindet; andererseits ist es der Allgemeinheit nicht zuzumuten, daß sie für solche Fehlentscheidungen, die unter ungewöhnlichen Verhältnissen ergangen sind, für alle Zukunft aufzukommen hat und die Fehlentscheidungen "unantastbar" bleiben; insoweit ist es geboten und gerechtfertigt, auch auf das Interesse an der gleichmäßigen Behandlung aller Staatsbürger durch die Verwaltung Rücksicht zu nehmen (vgl. auch Haueisen, Betrachtungen über Rücknahme fehlerhafter Verwaltungsakte, DVBl 1959, 228, 232).

Auch der Hinweis des LSG, daß die Klägerin weder über ein beträchtliches Vermögen noch über ein beträchtliches Einkommen verfüge, rechtfertigt es nicht, ihr die Rente, die ohne gesetzliche Grundlage bewilligt worden ist, für die Zukunft zu belassen. Es sind zwar Fälle denkbar, in denen wegen der besonderen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des zu Unrecht Begünstigten bei der Abwägung der Interessen der Vertrauensschutz so ins Gewicht fällt, daß es geboten sein kann, die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts mit Dauerwirkung nicht nur für die Vergangenheit, sondern ausnahmsweise auch für die Zukunft zu versagen; das kann etwa dann der Fall sein, wenn die Rente, die der Begünstigte jahrelang bezogen hat, zur wirtschaftlichen Existenzgrundlage geworden ist, der Entzug dieser Rente deshalb zu einer einschneidenden Änderung der Lebensführung zwingt, eine solche Änderung aber wegen des hohen Alters oder der Erwerbsunfähigkeit des Begünstigten nicht mehr zugemutet werden kann (vgl. hierzu die Urteile des BVerwG vom 28. Oktober 1959, DVBl 1960, 138 und vom 30. August 1961, NJW 1962, 335 und des BSG vom 6. September 1961, BSG 15, 81 = DVBl 1962, 88 und dazu Haueisen, NJW 1962, 335 ff unter 4). Ein Ausnahmefall in diesem Sinne liegt aber dann nicht vor, wenn die wesentliche Grundlage der wirtschaftlichen Existenz des Betroffenen in seinen Einkünften aus eigener Erwerbstätigkeit besteht, wie das bei der Klägerin der Fall gewesen ist. Die Klägerin ist jedenfalls seit 1949 berufstätig, ihr Einkommen als Arbeiterin bzw. Verkäuferin ist zwar gering - aber ständig steigend-gewesen, es hat 1951 200,39 DM, 1953/1954 227,16 DM, 1956 315,- DM monatlich brutto betragen; daneben hat die Klägerin aber noch die Witwenrente aus der Sozialversicherung ihres früheren Ehemannes bezogen, diese hat sich im Jahre 1951 auf 44,90 DM belaufen. Diese Einkünfte haben der Klägerin im wesentlichen für den eigenen Lebensunterhalt zur Verfügung gestanden; für ihren Sohn hat sie Waisenrente aus der Sozialversicherung und aus der Kriegsopferversorgung erhalten; sie hat auch die Waisenrente für den Sohn bis zur Beendigung seiner Berufsausbildung erhalten; diese Rente hat im Jahre 1954 - bei einem eigenen Einkommen des Sohnes von 50,- DM monatlich 36,- DM betragen.

Danach sind die wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin zwar so gewesen, daß die "weitere" Rente, nämlich die Witwengrundrente aus der Kriegsopferversorgung von monatlich 40,- DM, die sie etwa zwei Jahre lang - zu Unrecht - bezogen hat, wohl zu einer fühlbaren Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lebensführung beigetragen hat; indes ist der Gesichtspunkt, daß die Klägerin kein "beträchtliches Einkommen" gehabt hat und daß sie deshalb die Rente "noch gut hat gebrauchen können", ohne damit auf ein gutes Einkommen zu kommen, nicht geeignet, dem Schutz des Vertrauens auf die Weitergewährung der - zu Unrecht - bewilligten Rente die überwiegende Bedeutung beizumessen. Die Klägerin hat zur Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lebenshaltung nicht auf die Dauer öffentliche Mittel in Anspruch nehmen dürfen, die ihr nicht zugestanden haben; ihr ist zuzumuten gewesen, ihre Lebenshaltung so einzustellen, wie dies durch den Wegfall der zu Unrecht bewilligten Rente notwendig geworden ist. Unter diesen Umständen hat die Beklagte den "Rentenbewilligungsbescheid" vom 28. Januar 1952 mit dem Bescheid vom 6. März 1954 zu Recht mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen.

Die Revisionen sind sonach begründet. Das LSG hat die Sach- und Rechtslage unzutreffend beurteilt, sein Urteil ist daher aufzuheben. Das BSG hat nach § 170 Abs. 2 Satz 1 SGG selbst zu entscheiden. Da der Bescheid vom 6. März 1954 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. August 1954) nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts über die Rücknahme fehlerhafter Verwaltungsakte rechtmäßig ist, ist die Klage auf Aufhebung dieses Bescheids unbegründet. Auf die Anschlußberufung der Beklagten ist das Urteil des SG insoweit aufzuheben und die Klage auch insoweit abzuweisen. Damit steht auch fest, daß der Klägerin seit Ende April 1954 keine Witwengrundrente mehr zusteht; der Anspruch auf die Rente über den 30. April 1954 hinaus ist daher ebenfalls unbegründet; insoweit ist die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Der "Berichtigungsbescheid gemäß § 41 VerwVG" vom 31. März 1958 bedarf keiner Beurteilung mehr; diesem Bescheid ist die Grundlage entzogen, weil bei seinem Erlaß der "Bewilligungsbescheid", auf den sich der Bescheid vom 31. März 1958 bezieht, nicht mehr bestanden hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2324560

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