Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwendung der Arbeitsentgeltverordnung
Leitsatz (amtlich)
Regelmäßig gezahlte, lohnsteuerfreie Zulagen zum Lohn oder Gehalt sind nicht dem (Arbeits-) Entgelt zuzurechnen, das der Berechnung des Übergangsgeldes nach § 59 AFG zugrunde liegt.
Leitsatz (redaktionell)
Zur Anwendung der Arbeitsentgeltverordnung:
Der allgemeingültige Charakter der ArEV erlaubt es, sie für die Ausfüllung des Arbeitsentgeltbegriffs im Leistungsrecht der Arbeitslosenversicherung entsprechend heranzuziehen, soweit dort nicht ausdrücklich etwas anders bestimmt ist.
Orientierungssatz
Anwendung des § 1 ArEV im Rehabilitationsrecht:
Da der Vereinheitlichung der Berechnung von Geldleistungen in der Rehabilitation Gesichtspunkte der unterschiedlichen Aufgabenzuweisung auf die verschiedenen Versicherungsträger nicht widersprechen, muß ua auch die Vorschrift des § 1 ArEV auf die von der Bundesanstalt für Arbeit vorzunehmende Rehabilitation entsprechend angewendet werden.
Normenkette
AFG § 59 Abs. 2 S. 1; SGB 4 § 17; ArEV § 1; AFG § 59 Abs. 3
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 10.09.1985; Aktenzeichen L 8 Al 96/84) |
SG Würzburg (Entscheidung vom 30.01.1984; Aktenzeichen S 10 Al 97/83) |
Tatbestand
Streitig ist, ob zu dem (Arbeits-) Entgelt, das nach § 59 Abs 2 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) der Bemessung des Übergangsgeldes (Übg) zugrunde liegt, auch eine regelmäßige lohnsteuerfreie Schichtzulage gehört.
Der im Jahr 1942 geborene, von seiner Ehefrau getrennt lebende Kläger, der für ein Kind Regelunterhalt zu zahlen hat, war zuletzt seit dem Jahr 1981 als Tankwart beschäftigt und erzielte im Juli 1982 ein monatliches Entgelt von 1.972,06 DM brutto und 1.442,16 DM netto. Darin war eine lohnsteuerfreie Zulage für geleistete Nacht- und Sonntagsarbeit von 305,-- DM (Schichtzulage) enthalten, die der Kläger während dieser Tätigkeit monatlich regelmäßig erhielt.
Die Beklagte förderte im Rahmen einer Rehabilitationsmaßnahme die am 24. August 1982 beginnende Umschulung des Klägers zunächst zum Datenverarbeitungskaufmann und nach deren Abbruch zum Industriekaufmann. Sie gewährte Übg auf der Grundlage des entgangenen regelmäßigen Nettoarbeitsentgelts, ohne die Schichtzulage von 305,-- DM der Bemessung mit zugrunde zu legen. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos.
Das Sozialgericht (SG) Würzburg hat mit Urteil vom 30. Januar 1984 die Übg-Bescheide geändert und die Beklagte verurteilt, unter Einbeziehung der Schichtzulage in die Bemessung das höhere Übg zu gewähren und die Nachzahlung zu verzinsen; es hat die weitergehende Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten als unbegründet zurückgewiesen und die Revision zugelassen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Die Schichtzulage sei eine laufende, aber lohnsteuerfreie Zuwendung und als solche Entgelt iS des § 59 Abs 2 AFG bzw Arbeitsentgelt iS des § 59 Abs 3 AFG. Die nach § 173a AFG für die Beitragspflicht entsprechende Anwendung der §§ 14 und 17 Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB 4) sei nicht auf das Leistungsrecht des AFG übertragbar. Deshalb sei auch die Vorschrift des § 1 der Verordnung über die Bestimmung des Arbeitsentgelts in der Sozialversicherung (ArEV), wonach laufende lohnsteuerfreie Zulagen nicht dem Arbeitsentgelt zuzurechnen seien, nicht anwendbar.
Mit der Revision trägt die Beklagte vor: Auch im Leistungsbereich des AFG gelte der Entgeltbegriff des SGB 4. Die Bemessungsvorschriften des § 59 AFG entsprächen dem § 13 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG), der nach allgemeiner Auffassung alle Entgeltteile des § 160 Reichsversicherungsordnung (RVO) für die Bemessung des Übg heranziehe; die zuletzt genannte Vorschrift sei durch § 14 SGB 4 und durch die ArEV ersetzt worden. Die Beklagte beantragt, die Urteile der Vorinstanzen zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er führt aus, die Schichtzulage habe seinen Lebensstandard wesentlich beeinflußt und müsse deshalb in das Übg eingehen; die Verbindung zwischen Beitrag und Leistung gelte nicht ausnahmslos.
Die Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheidet.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig. Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen ist die Schichtzulage nicht bei der Bemessung des Übg zu berücksichtigen.
Der Anspruch des Klägers gründet sich auf § 59 AFG. Die Voraussetzungen für die Gewährung des Übg sind, wie das LSG festgestellt hat, gegeben; auch über den - mehrfach geänderten - Vom-Hundert-Satz herrscht Einverständnis unter den Beteiligten. Die Revision bezieht sich allein auf die Grundlage der Bemessung.
Auszugehen ist von einem bestimmten Teil des entgangenen regelmäßigen Entgelts (Regellohn), höchstens jedoch von dem entgangenen regelmäßigen Nettoarbeitsentgelt (§ 59 Abs 2 Satz 1 AFG idF des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes -AFKG- vom 22. Dezember 1981, BGBl I 1497). Für die Berechnung des Regellohnes ist das von dem Behinderten erzielte und um einmalige Zuwendungen verminderte Arbeitsentgelt maßgebend - § 59 Abs 3 Satz 1 AFG idF des RehaAnglG vom 7. August 1974, BGBl I 1881; seit dem HBegleitG 1984 vom 22. Dezember 1983, BGBl I 1532, heißt es statt einmaliger Zuwendungen "einmalig gezahltes Arbeitsentgelt (§ 385 Abs 1a RVO)", das wirkt nicht zurück (vgl BSGE 58, 243, 244 = SozR 2200 § 182 Nr 98). Eine Regelung, daß auch das regelmäßige Nettoarbeitsentgelt um einmalige Zuwendungen zu vermindern sei, enthält das Gesetz nicht. Die Beschränkung des Regellohnes schlägt aber, wie der 4. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) zu der ähnlichen Vorschrift des § 1241 Abs 1 Satz 1 RVO idF des Einführungsgesetzes zum Einkommensteuerreformgesetz (EG-EStRG) vom 21. Dezember 1974 (BGBl I 3656) iVm § 182 Abs 4 Satz 1 RVO aF entschieden hat, durch auf das Nettoarbeitsentgelt (SozR 2200 § 1241 Nr 3 S 2); das gilt auch für § 59 AFG (ebenso Gagel/Steinmeyer, AFG, § 59 Anm 7, und Hennig/Kühl/Heuer, AFG, § 59 Anm 10). Regellohn und Nettoarbeitsentgelt sind in dieser Hinsicht gleich zu berechnen. Beide sind auf den Begriff Entgelt bzw Arbeitsentgelt zurückzuführen. Um die Frage, wie dieser Begriff zu definieren ist, geht der Streit.
Die rechtliche Beurteilung unter Berücksichtigung insbesondere der vom Gesetzgeber angestrebten "Einheit der Rehabilitation" ergibt, daß regelmäßig gezahlte, lohnsteuerfreie Zulagen zum Lohn oder Gehalt nicht dem (Arbeits-) Entgelt zuzurechnen sind, das der Berechnung des Übg nach § 59 Abs 2 AFG zugrunde liegt.
Zwar weist das LSG zutreffend darauf hin, daß § 59 AFG keine derartige Bestimmung enthält und daß die einzige Rechtsnorm über die Behandlung lohnsteuerfreier Zulagen in der Sozialversicherung, die auf der Verordnungsermächtigung des § 17 SGB 4 beruhende ArEV, nach § 1 SGB 4 nur für die gesetzliche Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung einschließlich der Altershilfe für Landwirte gilt und in der Arbeitslosenversicherung nur für die Beitragspflicht entsprechend gilt (§ 173a AFG), so daß an sich der Leistungsbereich des AFG insoweit regelungsfrei geblieben ist.
Dem LSG ist auch darin zu folgen, daß das im Bereich der Sozialversicherung geltende Prinzip der Relation zwischen Beitrag und Versicherungsleistung nicht in dem strengen Sinne gilt, daß sich die Leistungsbemessung ausnahmslos an den Grundlagen für die Beitragsberechnung auszurichten hätte (vgl BSG SozR 2200 § 1241 Nr 18 S 66 mwN). Auch die Ordnung der Arbeitslosenversicherung beruht nicht auf einem ausschließlich auf Schadensvergütung ausgerichteten Versicherungsprinzip; sie wird nicht von der Äquivalenz zwischen Beitrag und Versicherungsleistung beherrscht (BSG SozR 4100 § 112 Nr 25 S 119 mwN).
Diesen Erwägungen steht aber entgegen, daß das RehaAnglG und die auf ihm beruhenden Bestimmungen über Rehabilitationsleistungen in den Gesetzen der einzelnen Versicherungszweige (§ 2 Abs 1 Satz 1) erkennbar das Ziel haben, die Rehabilitation, die auf mehrere Versicherungszweige und Versicherungsträger verteilt ist, so weit wie irgend möglich zu vereinheitlichen, und zwar nicht nur hinsichtlich der Sach-, sondern auch hinsichtlich der Geldleistungen, die nach § 2 Abs 1 Satz 2 nur für behinderte Jugendliche nicht einheitlich gestaltet sind. Das RehaAnglG folgt in der Berechnung des Übg im wesentlichen den Vorschriften der Krankenversicherung, auf die für das Übg der Unfall- und Rentenversicherung verwiesen wird.
Zu den §§ 13 RehaAnglG, 182 RVO und 59 AFG idF des RehaAnglG konnte nicht zweifelhaft sein, daß dort mit der übereinstimmenden Formulierung "des entgangenen regelmäßigen Entgelts (Regellohn)" und dementsprechend mit dem im Bemessungszeitraum erzielten Entgelt hinsichtlich der hier zu entscheidenden Streitfrage von einem einheitlichen Entgeltbegriff ausgegangen wurde. Damit konnte in der Krankenversicherung nur das beitragspflichtige Entgelt gemeint sein, was infolge der Verweisungen auch für die Renten- und Unfallversicherung gilt. Schon deshalb war auch in § 59 AFG nur das beitragspflichtige Entgelt gemeint. Die auch in § 59 Abs 4 AFG angeordnete Begrenzung der Leistung auf die Beitragsbemessungsgrenze bestätigt das. Die späteren Änderungen geben keinen Anhalt, daß der Entgeltbegriff insoweit geändert und für die einzelnen Zweige der Rehabilitation unterschiedlich ausgestaltet werden sollte. Damit ist nicht entschieden, daß auch der Versicherte persönlich beitragspflichtig gewesen sein müßte. Der Harmonisierungsgedanke, der in der Bezeichnung des Gesetzes, aber zB auch in § 5 zum Ausdruck kommt, ergibt sich auch im AFG an mehreren Stellen. Neben der Koordinierungspflicht des Ministers (§ 62 AFG) soll vor allem die Kontinuitätsvorschrift des § 59c AFG, die nur auf der Grundlage eines - bis auf die unterschiedlichen Beitragsbemessungsgrenzen - einheitlichen Entgeltbegriffs sinnvoll erscheint, für eine möglichst weitgehende Vereinheitlichung sorgen. Insbesondere ist aber die Subsidiaritätsbestimmung des § 57 AFG heranzuziehen. Daß der subsidiär zuständige Träger nach anderen Vorschriften Sach- und Geldleistungen gewährt als der primär zuständige, kann nur dann sinnvoll sein, wenn sich das zwingend aus der unterschiedlichen Aufgabenzuweisung ergibt. Seit der Übertragung eines Teiles der Zuständigkeit für die berufliche Rehabilitation von den Trägern der Rentenversicherung auf die Bundesanstalt für Arbeit (BA) durch das Zwanzigste Rentenanpassungsgesetz kann die subsidiäre Zuständigkeit der letzteren davon abhängen, ob der Behinderte eine Versicherungszeit von 180 Kalendermonaten (§ 1236 Abs 1a Satz 1 Halbs 2 RVO) zurückgelegt hat oder nicht. Die Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers nach § 1236 Abs 1a RVO in den entsprechenden Vorschriften der übrigen Rentenversicherungsgesetze für die Versicherten mit einer Versicherungszeit von mindestens 180 Monaten kann im Hinblick auf diese Voraussetzung schwerlich eine Benachteiligung rechtfertigen. Sie würde aber zu einer Benachteiligung führen, wenn steuerfreie Zuschläge das Übg der Arbeitslosenversicherung, nicht aber das der Rentenversicherung erhöhen würde. Mit dem Gedanken der Einheitlichkeit der Rehabilitation wäre es nicht zu vereinbaren, wenn zB die Bemessung des Arbeitsentgelts auch von der Erfüllung der Versicherungszeit sollte beeinflußt werden können.
Da der Vereinheitlichung der Berechnung von Geldleistungen in der Rehabilitation Gesichtspunkte der unterschiedlichen Aufgabenzuweisung auf die verschiedenen Versicherungsträger nicht widersprechen, muß ua auch die Vorschrift des § 1 ArEV auf die von der BA vorzunehmende Rehabilitation entsprechend angewendet werden. Insoweit folgt der Senat der Rechtsprechung des 7. Senats im Urteil vom 19. Februar 1986 - 7 RAr 9/84 - (zur Veröffentlichung vorgesehen), wonach der allgemeingültige Charakter der ArEV es erlaubt, sie für die Ausfüllung des Arbeitsentgeltsbegriffs im Leistungsrecht der Arbeitslosenversicherung entsprechend heranzuziehen, soweit dort nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt ist.
Nur scheinbar im Widerspruch dazu stehen Entscheidungen des BSG zur Frage der Einbeziehung lohnsteuerfreier Zuschläge in die Bemessung des Übg der Unfallversicherung (insbes BSGE 53, 117 = SozR 2200 § 560 Nr 11). Denn diese sind auf die nur für die Unfallversicherung geltende Ausnahmevorschrift des § 3 ArEV gestützt.
Der Kläger weist darauf hin, daß - was das LSG erwogen, aber offen gelassen hat - die Schichtzulage seinen Lebensstandard wesentlich beeinflußt habe. Angesichts der Höhe der Zulage im Verhältnis zum Lohn liegt diese Annahme nahe. Sie vermag aber an der grundsätzlichen Anwendung des § 1 ArEV nichts zu ändern. Wenn das Steuerrecht - hier § 3 EStG - bestimmte Lohnteile nicht zur Steuer heranzieht, unabhängig davon, ob diese den Lebensstandard des Steuerpflichtigen erhöhen oder nur bestimmte wirtschaftliche Nachteile ausgleichen, dann ist das für die ArEV bindend.
Auf die Revision der Beklagten hin waren die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben. Die Klage war in vollem Umfang abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen