Leitsatz (amtlich)
1. Die Übernahme der Kosten für Unterkunft und Verpflegung während einer Rehabilitationsmaßnahme in einer Werkstatt für Behinderte nach § 56 Abs 3 Nr 3a AFG setzt voraus, daß der Behinderte außerhalb eines weiterbestehenden eigenen Haushalts oder außerhalb des elterlichen Haushalts, dessen Angehöriger er bleibt, untergebracht ist.
2. Ein Anspruch aus § 56 Abs 3 Nr 3a AFG besteht nicht, wenn die Unterbringung unabhängig von der Teilnahme an der Maßnahme erfolgt.
Normenkette
AFG § 56 Abs 3 Nr 3a Fassung: 1981-12-22
Verfahrensgang
Tatbestand
Streitig ist die Erstattung von Kosten für Unterbringung und Verpflegung, die das klagende Land aufgrund des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) getragen hat.
Der 1964 geborene Beigeladene ist geistig behindert. Er steht unter Vormundschaft. Seit 1972 lebt er in Heimen, seit November 1979 in einem Heim in H. Dort besuchte er vom 5. Januar 1982 bis zum 5. Juli 1983 auf Kosten der Beklagten einen Einführungskurs in der Werkstatt für Behinderte im Rahmen der Arbeitsförderungsmaßnahmen für Behinderte im Trainingsbereich und wechselte danach in den Produktionsbereich über. Für die Zeit vom 1. August 1982 bis zum 4. Juli 1983 erhielt er von der Beklagten ein Ausbildungsgeld.
Die Übernahme auch der Kosten für Unterkunft und Verpflegung gemäß § 56 Abs 3 Nr 3a des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) lehnte die Beklagte gegenüber dem klagenden Land, das den Anspruch gemäß § 90 BSHG auf sich übergeleitet hatte, ab, weil der Beigeladene in der Lage sei, im Haushalt seiner Mutter zu wohnen und von dort aus an Maßnahmen im Arbeitstrainingsbereich einer Werkstatt für Behinderte teilzunehmen; auch sei die Ausbildung für die Heimunterbringung nicht kausal (Bescheid vom 12. Januar 1983; Widerspruchsbescheid vom 29. März 1983).
Das Sozialgericht (SG) hat den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Kosten für Unterkunft und Verpflegung zu tragen (Urteil vom 18. Juni 1984). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 22. März 1985). Es hat verneint, daß f ü r die Teilnahme an der Maßnahme eine Unterbringung außerhalb des eigenen oder des elterlichen Haushaltes wegen der Art oder Schwere der Behinderung oder zur Sicherung des Erfolges der Rehabilitation notwendig gewesen sei, wie das § 56 Abs 3 Nr 3a AFG voraussetze. Der Beigeladene bedürfe für dauernd einer Betreuung in einem Heim; seine Unterbringung sei nicht erfolgt, um ihm die Teilnahme an der berufsfördernden Maßnahme zu eröffnen. Die Maßnahme sei nicht für die Heimunterbringung kausal gewesen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt das klagende Land Verletzung des § 56 Abs 3 Nr 3a AFG. Wenn das Berufungsgericht aus dem Wortlaut "f ü r die Teilnahme an der Maßnahme" im Sinne eines "nur für" eine notwendige alleinige Kausalität herauslese, sei dies mit der amtlichen Begründung nicht zu vereinbaren.
Das klagende Land beantragt, das Urteil des LSG vom 22. März 1985 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 18. Juni 1984 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Der Beigeladene hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Entscheidungsgründe
Die Revision war zurückzuweisen.
Das LSG hat angenommen, der Erstattungsanspruch richte sich nach den §§ 102 ff Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB 10), von denen nur § 104 als Anspruchsgrundlage in Betracht komme. Mit diesen zum 1. Juli 1983 eingeführten Bestimmungen hat der Gesetzgeber die Erstattungsansprüche der Leistungsträger untereinander neu geregelt. Nach Art 2 § 21 des Gesetzes vom 4. November 1982 sind bereits begonnene Verfahren nach diesen Vorschriften zu Ende zu führen, was nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) auch für noch nicht zu Ende geführte Gerichtsverfahren gilt (vgl SozR 1300 § 105 Nr 1 und die dort angeführten Entscheidungen des 1., 7. und 9a Senats). Nach Auffassung des erkennenden Senats sind die §§ 102 ff SGB 10 ab dem 1. Juli 1983 auch dann allein für die Rechtsbeziehungen zwischen den Leistungsträgern maßgebend, wenn ein Leistungsträger einen Sozialleistungsanspruch vor dem 1. Juli 1983 nach § 90 BSHG aF auf sich übergeleitet und diesen im anhängigen Verfahren geltend gemacht hatte (SozR 4100 § 58 Nr 16). Der 7. Senat hat dem entgegengehalten, daß die Überleitungsanzeige mit dem Inkrafttreten der §§ 102 ff SGB 10 nicht wirkungslos geworden sei, so daß der Versicherte nach § 75 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beigeladen werden müsse (Urteil vom 23. Oktober 1985 - 7 RAr 30/85 -). Jedoch schließt die Wirksamkeit der Überleitungsanzeige, die dem Versicherten das Recht entzieht, es nicht aus, daß für die Rechtsbeziehungen zwischen den beiden Leistungsträgern nicht mehr der übergeleitete Anspruch, sondern allein die Vorschriften des SGB 10 maßgebend sind. Die Frage kann hier offen bleiben, da der Versicherte beigeladen ist. Da die Beklagte nach § 56 AFG zur Tragung der streitigen Kosten für Unterkunft und Verpflegung nicht verpflichtet war, kommt weder ein Erstattungsanspruch noch eine Inanspruchnahme aus dem übergeleiteten Anspruch in Betracht.
Einen Anspruch des Beigeladenen auf Übernahme der Kosten für Unterkunft und Verpflegung für die streitige Zeit vom 5. Januar 1982 bis zum 4. Juli 1983 hat das LSG zu Recht aufgrund des § 56 Abs 3 Nr 3a AFG in der zum 1. Januar 1982 in Kraft getretenen Fassung durch das Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetz (AFKG) verneint. Danach sind die Kosten für Unterkunft und Verpflegung von der Beklagten zu tragen, wenn ua eine Unterbringung außerhalb des eigenen oder des elterlichen Haushalts erfolgt. Auch die zuvor geltende Fassung durch das Haushaltsstrukturgesetz-AFG (HStruktG-AFG) vom 18. Dezember 1975 enthielt schon diese Voraussetzung. Zu ihr hat der 7. Senat in einem Urteil vom 10. Dezember 1980 (FEVS 29 (1981), 463, 473 f, insoweit in SozR 1500 § 75 Nr 33 nicht abgedruckt) ausgeführt, es reiche nicht aus, daß der Haushalt, in dem der Behinderte während der Maßnahme untergebracht sei, weder ein eigener noch der elterliche sei; der § 56 Abs 3 Nr 3a AFG solle die besonderen Aufwendungen des Behinderten abdecken, die durch die Maßnahmen entstehen und daher von dem Behinderten nicht aus den Mitteln bestritten werden sollen, die ihm zur allgemeinen Lebenshaltung gewährt werden. Eine Unterbringung außerhalb des eigenen oder des elterlichen Haushalts liege daher nur vor, wenn der Behinderte außerhalb eines weiterbestehenden eigenen Haushalts oder außerhalb des elterlichen Haushalts, dessen Angehöriger er bleibt, untergebracht sei. Dem tritt der Senat bei. Die Neufassung der Bestimmung durch das AFKG gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß die unverändert übernommene Formulierung "außerhalb des eigenen oder des elterlichen Haushalts" eine andere Bedeutung erhalten sollte. Hieran fehlt es. Der Beigeladene gehörte nicht zum Haushalt seiner Eltern, konnte also auch nicht außerhalb dieses Haushalts untergebracht sein. Er war auch nicht außerhalb des eigenen Haushalts untergebracht. Dabei kann dahinstehen, ob der Beigeladene in dem Heim, in dem er vor, während und nach der Maßnahme wohnte, einen eigenen Haushalt hatte. Denn gleichgültig, ob ein eigener Haushalt fehlte oder ob der Beigeladene im Heim in einem eigenen Haushalt lebte, in beiden Fällen war er nicht außerhalb eines eigenen Haushalts untergebracht. Schon deshalb bestand kein Anspruch.
Dem LSG ist aber auch darin zuzustimmen, daß nach § 56 Abs 3 Nr 3a AFG ein Anspruch nicht in Betracht kommt, wenn die Unterbringung unabhängig von der Teilnahme an der Maßnahme erfolgt. Nach § 56 Abs 3 Nr 3a AFG nF (durch das AFKG) sind die erforderlichen Kosten zu übernehmen, wenn für die Teilnahme an der Maßnahme eine Unterbringung außerhalb des eigenen oder des elterlichen Haushalts wegen Art oder Schwere der Behinderung oder zur Sicherung des Erfolges der Rehabilitation notwendig ist. Nach der zuvor geltenden Fassung durch das HStruktG-AFG (aF) waren die Kosten zu übernehmen, wenn die Teilnahme mit einer Unterbringung außerhalb des eigenen oder des elterlichen Haushaltes verbunden ist. Die Revision verkennt nicht, daß nach dem Urteil des 7. Senats vom 9. November 1983 (SozR 4100 § 56 Nr 14) die Beklagte nicht leistungspflichtig war, wenn die Unterbringung unabhängig von der Teilnahme an der Maßnahme erfolgte. Das Revisionsvorbringen, der mit der Neuformulierung geforderte Bezug zwischen Unterbringung und Maßnahme sei erfüllt, verkennt, daß die Formulierung in § 56 AFG nF, wenn für die Teilnahme eine Unterbringung notwendig ist, im Vergleich mit der Formulierung in § 56 AFG aF, wenn die Teilnahme mit einer Unterbringung verbunden ist, strengere Anforderungen stellt. Das bestätigt die amtliche Begründung, in der es heißt, eine auswärtige Unterbringung verursache erhebliche zusätzliche Aufwendungen für Unterkunft und Verpflegung; deshalb sollten die Kosten für eine auswärtige Unterbringung nur übernommen werden, wenn dies wegen Art oder Schwere der Behinderung oder zur Sicherung des Erfolges der Rehabilitation notwendig sei (BT-Drucks 9/846 auf S 40). Auch danach genügt es für die Kostenübernahme nicht, daß eine Heimunterbringung wegen Art oder Schwere der Behinderung notwendig ist, es muß vielmehr aus diesen Gründen eine "auswärtige Unterbringung" notwendig sein. Auch nach der in der amtlichen Begründung verwandten Formulierung ist damit wie nach dem Gesetzeswortlaut erforderlich, daß der Behinderte wegen seiner Behinderung die Maßnahme nicht von seiner bisherigen Wohnung oder seinem bisherigen Heimplatz aus besuchen kann und deshalb eine auswärtige Unterbringung erforderlich ist. Auch die Neufassung hat nichts an dem allgemeinen Grundsatz geändert, daß die Beklagte für die berufliche Bildung und nicht für die soziale Betreuung und Persönlichkeitsbildung zuständig ist (vgl zur Berufsausbildung Urteil des Senats vom 28. November 1985 - 11b/7 RAr 103/84 - SozR 4440 § 16 Nr 4). Das Revisionsvorbringen, die Unterbringung sei zur Sicherung des Erfolges der Rehabilitation notwendig gewesen, wie in einem vorliegenden Gutachten ausgeführt, widerspricht den Feststellungen des LSG. Nach diesen Feststellungen erfolgte die Heimunterbringung unabhängig von der Maßnahme und wurde nach deren Beendigung aufrechterhalten, wobei sich das LSG mit dem entgegenstehenden Gutachten auseinandersetzt. Hiergegen wendet die Revision zu Unrecht ein, es sei kein Beleg für den mangelnden Bezug zur beruflichen Rehabilitation, daß die Heimunterbringung über das Ende der Maßnahme andauere, da der Wechsel in den Arbeitsbereich der Behindertenwerkstatt nur der Abschluß eines Abschnittes der beruflichen Rehabilitation sei, die auch im Arbeitsbereich weitergeführt werde. Denn hiermit setzt die Revision der Tatsachenfeststellung nur eine andere Beweiswürdigung entgegen, greift diese aber nicht in zulässiger Weise mit Verfahrensrügen an.
Schließlich rügt die Revision zu Unrecht, das LSG habe den Gesetzeswortlaut "für die Teilnahme" im Sinne von "nur für die Teilnahme" verstanden. Da nach den Feststellungen des LSG die Unterbringung unabhängig von der Teilnahme erfolgte und damit jeder Zusammenhang zwischen der Maßnahme und der Teilnahme fehlte, kam es für das LSG nicht darauf an, ob die Vorschrift im Sinne von "nur für die Teilnahme" oder "auch für die Teilnahme" zu lesen ist.
Die Revision des klagenden Landes war daher mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.
Fundstellen