Verfahrensgang

Hessisches LSG (Urteil vom 25.04.1957)

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 25. April 1957 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

I.

Der Kläger war als Bahnarbeiter bei der Butzbach-Licher Eisenbahn beschäftigt, die mit ihrem Unternehmen der beklagten Berufsgenossenschaft angehört.

Der Kläger wurde am Donnerstag, dem 31. März 1955, kurz nach 20.00 Uhr auf dem Wege vom Bahnhof Butzbach-Ost nach seinem Wohnort Griedel bei Butzbach von einem Kraftwagen angefahren und schwer verletzt.

Die Beklagte hat die Entschädigungsansprüche des Klägers durch Bescheid vom 15. Oktober 1955 abgelehnt. Zur Begründung ist im Bescheid ausgeführt: Der Verletzte habe am Unfalltag seinen Dienst auf dem Bahnhof Steinfurth um 19.07 Uhr beendet und sei danach mit dem Zug über Griedel hinaus nach Butzbach-Ost weitergefahren. In Butzbach-Ost habe er seine Ehefrau an ihrem Verkaufsstand aufgesucht und außerdem in der Wohnung des Bahnverwalters über die Möglichkeit der Lösung seines Arbeitsverhältnisses eine Besprechung gehabt. Der mit der Arbeit bei der Eisenbahn zusammenhängende Weg von der Arbeitsstätte nach Hause habe in Griedel geendet. Der Weg darüber hinaus habe rein eigenwirtschaftlichen Zwecken gedient und damit den Zusammenhang mit der Tätigkeit im Betrieb gelöst. Der Kläger habe daher auf diesem Weg ebensowenig unter Versicherungsschutz gestanden wie auf dem Weg nach Erledigung der eigenwirtschaftlichen Angelegenheit nach Hause, d. h. von Butzbach-Ost nach Griedel.

Gegen diesen Bescheid hat der Kläger Klage beim Sozialgericht (SG.) in Gießen erhoben. Das SG. hat diese Klage durch Urteil vom 22. März 1956 abgewiesen. Zur Begründung hat das SG. ausgeführt: Die beabsichtigte Kündigung habe im persönlichen und wirtschaftlichen Interesse des Klägers gelegen, da er eine besser bezahlte Stellung in einem anderen Unternehmen habe annehmen wollen. Der Umstand, daß der Kläger verpflichtet gewesen sei, bei einer Kündigung bestimmte Formen und Fristen zu wahren 9 begründe keinen Zusammenhang des Weges mit der versicherten Tätigkeit im Sinne von § 543 Reichsversicherungsordnung (RVO). Ein Weg im Interesse des Betriebes sei nur anzunehmen, wenn der Weg dem Unternehmen förderlich und dienlich sei.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung beim Hessischen Landessozialgericht (LSG.) eingelegt. In tatsächlicher Beziehung hat er ergänzend ausgeführt, er habe sich im Dienstgebäude in Butzbach auch darüber unterrichten müssen, wann er am nächsten Tag, dem 1. April 1955, habe Dienst machen müssen; der Dienstplan für den kommenden Monat sei auf der Dienststelle im Bahnhof Steinfurth noch nicht eingetroffen gewesen, habe aber in Butzbach bereits ausgelegen.

Das LSG. hat durch Urteil vom 25. April 1957 das Urteil des SG. und den Bescheid der Beklagten aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Unfall des Klägers vom 31. März 1955 als Arbeitsunfall zu entschädigen. Zur Begründung hat das LSG. ausgeführt: Der Weg zum Zwecke der Kündigung sei schon deshalb der betrieblichen Tätigkeit zuzurechnen, weil in diesem Zeitpunkt das Beschäftigungsverhältnis noch bestehe. Der innere Zusammenhang einer Kündigung mit der versicherten Tätigkeit ergebe sich auch eindeutig aus ihrer rechtlichen Wirkung auf das bestehende Arbeitsverhältnis. Die Kündigung habe für beide Teile so enge Beziehung zu dem Arbeitsverhältnis und auf dessen Abwicklung solchen Einfluß, daß ein innerer Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit bejaht werden müsse. Es komme nicht darauf an, wessen Interessen durch die Kündigung berührt werden und ob sie dem Betrieb dienlich sei oder im persönlichen Interesse des Versicherten liege. Der Weg nach Butzbach sei ein versicherter Betriebsweg gewesen. Ob der Kläger die Kündigung ausgesprochen oder seine vorgesetzte Dienststelle nur davon in Kenntnis gesetzt habe, daß er das Dienstverhältnis zu lösen wünsche, und die Kündigung zu einem der Zentralverwaltung genehmen Zeitpunkt aussprechen wollte, sei ohne Belang. Der Rückweg von diesem Betriebsweg zum Wohnort sei gleichfalls versichert. Die Unterbrechung an dem Verkaufsstand der Ehefrau habe keine Lösung herbeigeführt. Eine Klärung des Vorbringens des Klägers, daß er am Unfalltag den Dienstplan habe einsehen müssen, sei infolgedessen nicht erforderlich.

Die Revision ist vom LSG. zugelassen worden.

Gegen das Urteil des LSG., das den Beteiligten am 24. Mai 1957 zugestellt worden ist, hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 4. Juni 1957, der beim Bundessozialgericht (BSG.) am 6. Juni 1957 eingegangen ist, Revision eingelegt und die Revision zugleich begründet.

Sie beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils in Zurückweisung der Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 22. März 1956 unter Wiederherstellung des Bescheids der Beklagten vom 15. Oktober 1955 die Klage abzuweisen,

hilfsweise:

das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und die Sache an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Revision ist der Auffassung, daß eine vom Arbeitnehmer in seinem eigenen Interesse ausgesprochene Kündigung außer Zusammenhang mit der versicherten Arbeitstätigkeit stehe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts aufrechtzuerhalten und die Revision kostenpflichtig abzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist zugelassen (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes SGG). Sie ist in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden und somit zulässig.

Die Revision wendet sich dagegen, daß das LSG. den Weg des Klägers von seiner Dienststelle, dem Bahnhof Steinfurth, zum Bahnhof Butzbach-Ost noch der versicherten Tätigkeit des Klägers im Unternehmen der Butzbach-Licher Eisenbahn zugerechnet hat.

Bei der Entscheidung dieser Frage hat das LSG. mit Recht darauf abgestellt, daß sich die Verpflichtung, eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses ordnungsmäßig unter Einhaltung der hierfür geltenden Frist durch eine Kündigung herbeizuführen, unmittelbar aus dem bestehenden Arbeitsvertrag ergibt. Ein Weg, dessen Zweck die Erfüllung dieser Vertragspflicht ist, gehört schon aus diesem Grund unmittelbar zu den im Rahmen des versicherten Beschäftigungsverhältnisses verrichteten Tätigkeiten. Entgegen der Auffassung der Revision kommt es dabei, wie das LSG. zutreffend ausgeführt hat, nicht darauf an, in wessen Interesse die Beendigung des Arbeitsverhältnisses lag. Die Revision übersieht im übrigen auch, daß der Arbeitgeber in jedem Fall ein wesentliches Interesse an einer ordnungsmäßigen Kündigung und insbesondere an einer Einhaltung der Kündigungsfrist hat. Der Weg des Klägers zum Bahnhof Butzbach-Ost diente nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des LSG. (vgl. § 163 SGG) unzweifelhaft dem Zweck, eine Lösung des Arbeitsverhältnisses herbeizuführen. Das LSG. hat es mit Hecht als unerheblich angesehen, ob der Kläger gegenüber dem Betriebsleiter in Butzbach-Ost eine Kündigung ausgesprochen oder ihn nur von der Kündigungsabsicht unterrichtet hat, um durch seine Vermittlung eine Vereinbarung über eine vorzeitige Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu einem der Zentralverwaltung der Bahn genehmen Zeitpunkt herbeizuführen. Der Weg zum Bahnhof nach Butzbach-Ost gehörte infolgedessen noch zu der Arbeitstätigkeit des Klägers im Unternehmen der Butzbach-Licher Eisenbahn und stand als Betriebsweg unter Versicherungsschutz (§ 542 RVO).

Die versicherte Arbeitstätigkeit des Klägers war erst mit dem Gespräch über die Kündigung im Bahnhof Butzbach-Ost beendet. Infolgedessen hat das LSG. mit Recht auch für den anschließenden Heimweg des Klägers nach seinem Wohnort Griedel den Versicherungsschutz bejaht (§ 543 RVO).

Die Revision ist unbegründet und war infolgedessen zurückzuweisen (§ 170 SGG).

Die Kostenentscheidung ergeht auf Grund des § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI926314

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