Leitsatz (redaktionell)
Ein Unterhaltsbeitrag, den der Versicherte der früheren Ehefrau zur Zeit seines Todes aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder den er im letzten Jahr vor seinem Tode geleistet hat, kann grundsätzlich nur dann als Unterhalt iS des RVO § 1265 angesehen werden, wenn durch ihn etwa 25 % des notwendigen Mindestbedarfs für den Unterhalt gedeckt werden.
Normenkette
RVO § 1265 S. 1 Alt. 3 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1265 S. 1 Alt. 2 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 8. Juni 1961 mit den ihm zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
Die Klägerin begehrt Hinterbliebenenrente gemäß §§ 1265, 1268 Abs. 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Ihre Ehe mit dem Versicherten, W K, wurde am 22. Juli 1948 aus dessen Alleinverschulden geschieden. Am 25. August 1948 heiratete er die Beigeladene. Durch Urteil des Amtsgerichts (AG) Spandau vom 31. Januar 1949 wurde er verurteilt, der Klägerin eine monatliche Unterhaltsrente von 20 DM zu zahlen. Er zahlte der Klägerin bis Mai 1958 laufend monatlich 20 DM. In diesem Monat wurde er in das Krankenhaus aufgenommen, wo er am 4. September 1958 gestorben ist. Die Klägerin beantragte am 6. Oktober 1958, ihr Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres früheren Ehemannes zu gewähren. Diesen Antrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 27. April 1960 ab. Die gegen den Bescheid erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) nach Beiladung der Witwe des Versicherten durch Urteil vom 12. September 1960 abgewiesen. Durch Bescheid vom 20. Oktober 1960 hat die Beklagte der beigeladenen Witwe ab 1. September 1958 Witwenrente bewilligt.
Das Landessozialgericht (LSG) hat - unter Zulassung der Revision - das Urteil des SG und den Bescheid der Beklagten vom 27. April 1960 aufgehoben und diese verurteilt, der Klägerin anteilsmäßige Rente nach § 1265 RVO seit dem 1. Oktober 1958 zu gewähren. Gegen das Urteil hat die Beklagte Revision eingelegt. Sie rügt unrichtige Anwendung des § 1265 RVO und beantragt sinngemäß,
das Urteil des LSG Berlin vom 8. Juni 1961 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Berlin vom 12. September 1960 zurückzuweisen,
hilfsweise, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beigeladene beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 8. Juni 1961 aufzuheben und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Revision ist insoweit begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist.
Der Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenrente beurteilt sich nach § 1265 Satz 1 RVO (i. d. F. des Rentenversicherungs-Änderungsgesetzes - RVÄndG - vom 9. Juni 1965 - BSG I Seite 476). Da der Versicherte eine Witwe hinterlassen hat, der Witwenrente nach § 1264 RVO zu gewähren ist, scheidet § 1265 Satz 2 RVO als Anspruchsgrundlage aus.
Nach § 1265 Satz 1 RVO wird einer früheren Ehefrau des Versicherten, deren Ehe mit dem Versicherten geschieden, für nichtig erklärt oder aufgehoben ist, nach dem Tode des Versicherten Rente gewährt, wenn ihr der Versicherte zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes oder aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder wenn er im letzten Jahr vor seinem Tode Unterhalt geleistet hat. Das LSG hat den Anspruch der Klägerin für begründet gehalten, weil es angenommen hat, daß sowohl die Voraussetzungen der 2. (Unterhaltspflicht des Versicherten zur Zeit seines Todes nach dem Ehegesetz) als auch die Voraussetzungen der 3. Alternative dieser Vorschrift (Unterhaltsleistung des Versicherten im letzten Jahr vor seinem Tode) erfüllt seien. Diese Ansicht vermochte der Senat nicht zu teilen. Dies schon deshalb nicht, weil Unterhaltsbeiträge von monatlich 20 DM, die der Versicherte der geschiedenen früheren Ehefrau zur Zeit seines Todes aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder die er ihr im letzten Jahr vor seinem Tod tatsächlich geleistet hat, keine Leistungen von "Unterhalt" im Sinne des § 1265 RVO darstellen.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts beurteilt sich die Frage, ob für den Unterhalt bestimmte Zuwendungen als "Unterhalt" im Sinne des § 1265 RVO zu bewerten sind, nicht nach den Vorschriften des Ehegesetzes. Das Bundessozialgericht (BSG) hat vielmehr bereits ausgesprochen, daß es für die Auslegung des Begriffs "Unterhalt" im Sinne des § 1265 Satz 1 RVO - der in den drei Alternativen der Vorschrift einheitlich verwendet und aufzufassen ist - nicht entscheidend darauf ankommt, was unter "Unterhalt" im Sinne des bürgerlichen Rechts im allgemeinen und des Ehegesetzes im besonderen zu verstehen ist (BSG Urt. vom 27. Oktober 1964 in BSG 22, 44 = SozR RVO § 1265 Nr. 26). Dieser Auffassung schließt sich der Senat an. Mit dem Sinn und Zweck des § 1265 RVO wäre es - wie das BSG bereits ebenfalls dargelegt hat - nicht zu vereinbaren, wenn der früheren geschiedenen Ehefrau des Versicherten wegen jeder noch so geringfügigen, nach dem bürgerlichen Recht oder dem Ehegesetz aber als Unterhalt geltenden Unterhaltsleistung eine lebenslange Hinterbliebenenrente zugebilligt und dadurch auch der Anspruch der Witwe des Versicherten auf Witwenrente gemäß § 1268 Abs. 4 RVO wesentlich beeinträchtigt würde (BSG 22, 44, 47 und die dort angeführte Rechtsprechung des 1., 5. und 11. Senats des BSG). Unterhaltsbeiträge, die wegen ihrer Geringfügigkeit für die Lebensführung der früheren Ehefrau ohne nennenswerte Bedeutung sind, scheiden als Unterhalt i. S. des § 1265 Satz 1 RVO aus. Deshalb kann ein Unterhaltsbetrag, den der Versicherte der früheren geschiedenen Ehefrau zur Zeit seines Todes aus sonstigen Gründen zu leisten hatte oder den er im letzten Jahr vor seinem Tod tatsächlich geleistet hat, als Unterhalt im Sinne des § 1265 Satz 1 RVO nur angesehen werden, wenn durch ihn etwa 25 % des notwendigen Mindestbedarfs für den Unterhalt gedeckt werden. Dieser bereits vom 4. Senat des BSG vertretenen Auffassung schließt der Senat, sich ebenfalls an (BSG 22, 44 ff = SozR RVO § 1265 Nr. 26).
Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer monatlichen Unterhaltsrente von 20 DM auf Grund des Urteils des Amtsgerichts Spandau vom 31. Januar 1949 genügt aus diesen Gründen nicht für die Erfüllung der Voraussetzung, daß der Versicherte der Klägerin zur Zeit seines Todes Unterhalt aus sonstigen Gründen zu leisten hatte. Auch die Tatsache, daß der Versicherte der Klägerin bis Mai 1958 laufend monatlich 20 DM gezahlt hat, erfüllt die Voraussetzungen der 3. Alternative des § 1265 Satz 1 RVO nicht. Der Unterhaltsbeitrag von 20 DM monatlich war nicht geeignet, etwa 25 % des notwendigen Mindestbedarfs für den Unterhalt der Klägerin zu decken, auch wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse in den Jahren 1957 und 1958, also im letzten Jahr vor dem Tode und zur Zeit des Todes des Versicherten, berücksichtigt werden.
Da es mithin schon daran fehlt, daß der Versicherte der Klägerin zur Zeit seines Todes aus sonstigen Gründen Unterhalt im Sinne des § 1265 Satz 1 RVO zu leisten hat, oder ihr im letzten Jahr vor seinem Tode tatsächlich Unterhalt im Sinne dieser Vorschrift geleistet hat, sind die Voraussetzungen der 2. und 3. Alternative des § 1265 Satz 1 RVO im Gegensatz zu der Auffassung des Berufungsgerichts nicht erfüllt. Der Senat braucht daher nicht dazu Stellung zu nehmen, ob dem Urteil des AG Spandau vom 31. Januar 1949 unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BSG überhaupt noch die Bedeutung eines sonstigen Grundes im Sinne des § 1265 Abs. 1 RVO zukommt (vgl. Großer Senat, Beschluß vom 27. Juni 1963 in BSG 20, 1 = SozR RVO § 1265 Nr. 17) und ob es für die Erfüllung der 3. Alternative des § 1265 Satz 1 RVO genügt, wenn der Versicherte der Klägerin Unterhaltsleistungen gewährt hat, die sich zeitlich auf weniger als ein Jahr vor seinem Tode erstrecken (BSG 20, 252 = SozR RVO § 1265 Nr. 18).
Der Senat hatte aber weiterhin zu prüfen, ob der Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenrente auf Grund der 1. Alternative des § 1265 Satz 1 RVO begründet ist, ob also dessen Voraussetzungen insoweit erfüllt sind, daß der Versicherte der Klägerin zur Zeit seines Todes Unterhalt nach den Vorschriften des Ehegesetzes zu leisten hatte. Für den am 4. September 1958 eingetretenen Versicherungsfall kommt das Unterhaltsrecht des Ehegesetzes von 1946 zur Anwendung (BSG 5, 275 ff). Entscheidend ist, ob der Versicherte zur Zeit seines Todes zur Unterhaltsleistung an die Klägerin fähig und ob sie selbst unterhaltsbedürftig gewesen ist (BSG 3, 197 ff). Für die Beurteilung der Unterhaltspflicht des Versicherten zur Zeit seines Todes nach dem Ehegesetz fehlt es jedoch in dem angefochtenen Urteil an den notwendigen tatsächlichen Feststellungen. Das Berufungsgericht hat in dem angefochtenen Urteil zwar festgestellt, daß der Versicherte zur Zeit des Erlasses des Unterhaltsurteils vom 31. Januar 1949 ein monatliches Einkommen von 190 DM hatte, daß die Klägerin damals einer eigenen Berufstätigkeit nicht nachgehen konnte und daß der Versicherte seit 25. August 1948 wieder verheiratet war. Darüber aber, wie die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Versicherten, seiner zweiten Ehefrau und der Klägerin zur Zeit seines Todes gestaltet waren, enthält das angefochtene Urteil keine tatsächlichen Feststellungen; das Berufungsgericht hatte hierzu auch keinen Anlaß, da es die Voraussetzungen der 2. und 3. Alternative des § 1265 Satz 1 RVO bejaht hat. Das LSG wird die insoweit erforderlichen tatsächlichen Feststellungen noch zu treffen haben. Das angefochtene Urteil muß aus diesen Gründen aufgehoben und die Sache an das LSG zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes).
Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das LSG auch zu prüfen haben, ob der der Beigeladenen am 20. Oktober 1960 erteilte Bescheid über die Gewährung der Witwenrente vom 1. September 1958 an ebenfalls Gegenstand des Verfahrens ist. Es wird hierbei die Grundsätze zu berücksichtigen haben, die das BSG in seinen Urteilen vom 25. Oktober 1963 (SozR RVO § 1268 Nr. 3) und vom 23. Juni 1964 (BSG 21, 125 = SozR RVO § 1268 Nr. 8) ausgesprochen hat.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen