Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschluß eines freiwilligen Mitgliedes von der Ersatzkassen-Mitgliedschaft. Grundsatz der objektiven Beweislast
Leitsatz (amtlich)
1. Die Bestimmung einer Ersatzkassensatzung über die Möglichkeit zum Ausschluß eines Mitgliedes bei mindestens dreimonatigem Beitragsverzug verstößt jedenfalls dann nicht gegen höherrangiges Recht, wenn der Kasse insoweit ein Ermessensspielraum eingeräumt ist.
2. Ersatzkassen können in ihren Versicherungsbedingungen die Aufrechnung gegen Beitragsforderungen ausschließen.
Leitsatz (redaktionell)
Nur eine "qualifizierte" Mahnung kann zum Ausschluß aus der Ersatzkassen-Mitgliedschaft führen.
Orientierungssatz
1. Die Grundsätze der objektiven Beweislast dürfen erst angewandt werden, wenn sich trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten die rechtserheblichen Tatsachen nicht feststellen lassen (vgl BSG vom 29.6.1967 2 RU 198/64 = BSGE 27, 40, 42).
2. Steht trotz Ausschöpfung aller Beweismöglichkeiten nicht fest, ob ein Mahnschreiben dem Mitglied mit oder ohne den Hinweis auf die Rechtsfolgen der Nichtzahlung von Beiträgen zugegangen ist, so geht dies nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast (vgl die Urteile des BSG vom 24.10.1957 10 RV 945/55 = BSGE 6, 70, 72; vom 26.9.1961 2 RU 191/59 = BSGE 15, 112, 114; vom 29.3.1963 2 RU 75/61 = BSGE 19, 52, 53) zu Lasten des Krankenversicherungsträgers.
Normenkette
SVAufbauV 12 Art. 2 § 2 Abs. 2 Fassung: 1937-04-01, § 4 Abs. 2 Fassung: 1935-12-24; RVO § 511 Abs. 2; GG Art. 20 Abs. 1, Art. 28
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 17.10.1984; Aktenzeichen L 4 Kr 16/82) |
SG Hannover (Entscheidung vom 04.01.1982; Aktenzeichen S 11 Kr 82/77) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte den Kläger zu Recht als Mitglied ausgeschlossen hat.
Der seit 1970 bei der Beklagten versicherte Kläger beantragte am 14. Juli 1976 eine Rente aus der Angestelltenversicherung. Aufgrund seiner Meldung nach § 317 Abs 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zur Krankenversicherung der Rentner (KVdR) stufte die Beklagte ihn ab 9. September 1976 als Mitglied in die Beitragsklasse 800 mit einem Monatsbeitrag von 46,-- DM ein. Mit Schreiben vom 26. Januar 1977 wies sie den Kläger darauf hin, daß er - nach Aufrechnung mit rückständigem Krankengeld aus der Zeit vom 1. bis zum 8. September 1976 - noch einen Beitragsrest für die Zeit vom 9. September 1976 bis zum 31. Januar 1977 in Höhe von 84,93,-- DM sowie einen Beitragsrest aus der Zeit vom 7. bis zum 31. Mai 1976 in Höhe von 38,33,-- DM zu entrichten habe. Da der Kläger die genannten Beträge nicht zahlte, mahnte ihn die Beklagte mit Zahlungsaufforderungen vom 14. Februar, 16. März und 5. April 1977 wegen des Beitragsrestes für die Zeit vom 7. Mai bis zum 31. Mai 1976 in Höhe von 38,33 DM und von Dezember 1976 bis Februar 1977 in Höhe von 130,93 DM und schloß ihn mit Bescheid vom 22. Juni 1977 mit Wirkung vom 24. Juni 1977 von der weiteren Mitgliedschaft aus.
Widerspruch, Klage und Berufung hatten keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, nach ihren Versicherungsbedingungen (VB), die mit dem geltenden Recht in Einklang ständen, könne die Beklagte ein freiwilliges Mitglied von der Mitgliedschaft ausschließen, wenn es seine Pflichten verletze. Zwar habe der erkennende Senat in einem Parallel-Rechtsstreit durch das rechtskräftige Urteil vom 13. Mai 1981 - L 4 Kr 46/79 - festgestellt, daß der Kläger gegen die Beklagte noch einen Anspruch auf Krankengeld habe. Für die Frage, ob der Ausschluß aus der Mitgliedschaft rechtmäßig sei, spiele das aber keine Rolle. Denn dem Kläger habe in der Zeit vom 16. September 1976 bis zum 31. Januar 1977 kein Krankengeld zugestanden, so daß er in diesem Zeitraum auch nicht von Beitragszahlungen für seinen Krankenversicherungsschutz befreit gewesen sei. Die Beklagte habe den Kläger auch ordnungsgemäß gemahnt. Zur Abwendung mitgliedschaftsrechtlicher Nachteile habe er entweder den ihm aufgegebenen Betrag von 172,66 DM zahlen oder in anderer Weise um Zahlungsaufschub nachsuchen müssen. Ausweislich der Beitragsakten sei dies jedoch nicht geschehen. Der Kläger habe sich im Jahre 1977 bis zur Ausschlußentscheidung der Beklagten vom 22. Juni 1977 als Beitragsschuldner überhaupt nicht geäußert. Nach § 4 Abs 5 Buchst a VB sei der am 22. Juni 1977 ausgesprochene Ausschluß rechtmäßig gewesen, weil der Kläger zu dieser Zeit mindestens drei Monate rückständige Beiträge geschuldet habe und zuvor unter Hinweis auf die Rechtsfolgen zur Zahlung gemahnt worden sei. Der Kläger könne hiergegen nicht erfolgreich einwenden, daß der Sachbearbeiter in dem Mahnschreiben vom 14. Februar 1977 auf der Rückseite den Passus mit dem Hinweis auf den Kassenausschluß gestrichen habe. Der Senat sehe es nicht als erwiesen an, daß diese Streichung von der Beklagten vorgenommen worden sei. Der weitere Einwand des Klägers, er sei niemals in Beitragsverzug geraten, weil er seine Beitragsschuld gegen zu erwartende Krankengeldzahlungen aufgerechnet habe, gehe ebenfalls fehl. Eine Aufrechnung mit vom Versicherungsträger bestrittenen Leistungsansprüchen sei nach den VB der Beklagten ausgeschlossen.
Mit der - vom Senat zugelassenen - Revision rügt der Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Er macht ua geltend, das LSG habe die ihm nach § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) obliegende Aufklärungspflicht verletzt. Zwischen den Beteiligten sei streitig, ob er, der Kläger, vor dem Ausschluß aus der Mitgliedschaft qualifiziert gemahnt worden sei. Als qualifizierte Mahnung komme nur das Schreiben der Beklagten vom 14. Februar 1977 in Betracht. Das verwendete Formular enthalte zwar einen Hinweis auf die Möglichkeit des Ausschlusses aus der Mitgliedschaft. Dieser Hinweis sei aber in dem Schreiben vom 14. Februar 1977 gestrichen. Gleichwohl habe das LSG angenommen, daß die Voraussetzungen für den Ausschluß aus der Mitgliedschaft vorgelegen hätten. Es habe in diesem Zusammenhang einen von ihm, dem Kläger, am 17. Oktober 1984 gestellten Beweisantrag, den zuständigen Sachbearbeiter K. als Zeugen zu vernehmen, übergangen, ohne hierfür eine Begründung zu geben. Darin liege ein Verstoß gegen § 103 SGG; denn das LSG hätte sich gedrängt fühlen müssen, diesem Beweisantrag zu entsprechen, weil es die Frage, ob der Passus auf der Rückseite des Mahnschreibens vom 14. Februar 1977 durchgestrichen gewesen sei oder nicht, selbst für rechtlich bedeutsam gehalten habe. Ein weiterer Verfahrensfehler liege darin, daß das Berufungsgericht den Grundsatz über die objektive Beweislast unrichtig angewendet habe. Wenn nicht festgestellt werden könne, ob das Schreiben vom 14. Februar 1977 ohne Streichung des Hinweises auf die Ausschlußmöglichkeit ihm, dem Kläger, zugegangen sei, so müsse dies zu Lasten der Beklagten gehen. Schließlich habe das LSG § 103 SGG auch dadurch verletzt, daß es davon ausgegangen sei, daß er sich im Jahre 1977 bis zur Ausschlußentscheidung vom 22. Juni 1977 als Beitragsschuldner überhaupt nicht geäußert habe. Diese Feststellung stehe im Widerspruch zu den Gerichtsakten. Im übrigen verstoße der Ausschluß aus der Mitgliedschaft wegen einer angeblichen Beitragsschuld von 172,66,-- DM gegen das Übermaßverbot und das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes (GG) und widerspreche der Fürsorgepflicht der Beklagten als Sozialversicherungsträger.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 17. Oktober 1984 und das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 4. Januar 1982 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. Juni 1977 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. August 1977 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG, weil dessen Feststellungen zur abschließenden Entscheidung nicht ausreichen.
Rechtsgrundlage für den Ausschluß eines Mitglieds der Beklagten wegen Nichtzahlung von Beiträgen ist § 4 Abs 5 Buchst a VB. Nach dieser Vorschrift kann der Ausschluß erfolgen, wenn ein Mitglied Beiträge mindestens drei Monate schuldet, obwohl es unter Hinweis auf die Rechtsfolgen gemahnt worden ist. Bei den - hier idF des 17. Nachtrags anwendbaren - VB handelt es sich um Satzungsrecht. Die Befugnis der Beklagten, Satzungsbestimmungen zu erlassen, ergibt sich aus Art 2 § 2 Abs 2 der Zwölften Verordnung zum Aufbau der Sozialversicherung -12. Aufbau-VO- vom 24. Dezember 1935 (RGBl I, 1537 idF des Art 1 Nr 1 der 15. Aufbau-VO vom 1. April 1937 RGBl I, 439) iVm dem Gesetz über die Beaufsichtigung der privaten Versicherungsunternehmungen und Bausparkassen (VAG) vom 12. Mai 1901 (RGBl I, 139) (für den vorliegenden Rechtsstreit maßgeblich: Fassung vom 5. März 1937 - (RGBl I, 269) - nebst aller einschließlich durch Gesetz vom 18. Dezember 1975 erfolgten Änderungen) (vgl dazu Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung, 2. Aufl, Anm 2 vor § 503 RVO) und - soweit es sich um die nichtversicherungspflichtigen Mitglieder handelt - aus Art 2 § 4 Abs 2 12. Aufbau-VO (vgl BSGE 25, 195, 197). Eine Gestaltungsfreiheit besteht für die Ersatzkassen allerdings nur, soweit das Gesetz keine Regelung vorsieht; die den Ersatzkassen aufgrund ihrer Satzungsautonomie zustehende Rechtsetzungsbefugnis wird nämlich eingeschränkt durch höherrangiges Recht. Ihre Satzungsbestimmungen dürfen deshalb nicht gegen das GG oder einfaches Gesetzesrecht verstoßen (vgl dazu BSGE 25, 195, 197; 33, 26, 27; 48, 134, 136).
Der erkennende Senat darf selbst den Inhalt der VB feststellen und prüfen, ob die Beklagte ihr Satzungsrecht richtig angewendet hat; denn die VB gelten über den Bezirk eines Berufungsgerichts hinaus und sind daher revisibel (vgl dazu BSGE 13, 189, 191; Meyer-Ladewig, SGG, Komm, 2. Aufl, § 162 Anm 5 mwN). Daß das BSG auch die Vereinbarkeit mit dem GG und mit einfachen Bundesgesetzen nachprüfen muß, selbst wenn die VB der Beklagten irrevisibel wären, folgt schon daraus, daß bei der Anwendung von Satzungsrecht Bundesrecht verletzt werden kann (vgl dazu BSG, Urteile vom 8. Mai 1956 - 1 RA 147/55 - und vom 17. Februar 1956 - 6 RKa 14/55 - SozR § 162 SGG Nr 23b und Nr 51).
Es kann hier dahinstehen, ob der Kläger - wie das LSG meint - ab 9. September 1976 als freiwilliges Mitglied bei der Beklagten geführt worden ist oder ob er weiterhin versicherungspflichtig war. § 4 Abs 5 Buchst a VB gilt für versicherungspflichtige und für freiwillige Mitglieder. Die Vorschrift verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Nach § 20 Satz 3 VAG endigt die Mitgliedschaft, soweit die Satzung nichts anderes bestimmt, wenn das Versicherungsverhältnis aufhört. Die Ausschlußmöglichkeit eines Mitglieds ist durch das VAG nicht eingeschränkt. Dagegen sieht § 511 Abs 2 RVO eine gesetzliche Einschränkung der Ausschlußmöglichkeit wegen des Verzugs in der Beitragsleistung vor. Nach dieser Vorschrift darf ein versicherungspflichtiges Mitglied nur ausgeschlossen werden, wenn es mit der Zahlung mindestens drei Monate in Rückstand ist. § 4 Abs 5 Buchst a VB stimmt mit § 511 Abs 2 RVO überein. Denn auch die Satzungsbestimmung macht den Ausschluß eines Mitglieds davon abhängig, daß ein Beitragsrückstand von mindestens drei Monaten besteht. Die 12. Aufbau-VO enthält demgegenüber keine Bestimmungen, die die Satzungsautonomie im Hinblick auf den Ausschluß freiwilliger Mitglieder begrenzen.
Die Regelung des § 4 Abs 5 Buchst a VB steht auch nicht in Widerspruch zum Verfassungsrecht. Sie verstößt insbesondere nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Übermaßverbot. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Übermaßverbot ergeben sich zwingend aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art 20 und 28 GG) und haben Verfassungsrang (BVerfGE 23, 127, 133 unter Hinweis auf BVerfGE 6, 389, 439; 16, 194, 201 f; 17, 108, 117 f). Ein solcher Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Übermaßverbot liegt nur vor, wenn das gewählte Mittel und der gewollte Zweck nicht in einem vernünftigen Verhältnis zueinander stehen (vgl BVerfGE 10, 89, 117; 35, 382, 401), und der Gesetzgeber auf andere Weise mit einem ebenfalls geeigneten, aber milderen Mittel das erstrebte Ziel erreichen könnte (vgl dazu Leibholz/Rinck, GG, Komm, 6. Aufl, Art 20 Anm 27). Die Möglichkeit, ein Mitglied wegen der Nichtzahlung von Beiträgen nach § 4 Abs 5 Buchst a VB auszuschließen, steht in einem vernünftigen Verhältnis zu dem damit erstrebten Zweck. Die Ersatzkasse muß im Interesse einer geordneten Finanzplanung Klarheit darüber haben, mit welchen Beiträgen sie rechnen kann (vgl dazu BSGE 39, 83, 85). Es würde einer geordneten Finanzplanung widersprechen, wenn die Beklagte hinnehmen müßte, daß Mitglieder über längere Zeit ihre Beiträge nicht entrichten und gleichwohl Leistungen in Anspruch nehmen. Da § 4 Abs 5 Buchst a VB eine Ermessensvorschrift ("kann") enthält, ist die Beklagte nicht gezwungen, in jedem Falle ein Mitglied auszuschließen, wenn es Beiträge mindestens drei Monate schuldet. Sie ist vielmehr verpflichtet, bei ihrer Entscheidung die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Gerade im Hinblick darauf, daß der Beitragsverzug nicht zwangsläufig zum Ausschluß aus der Mitgliedschaft führt, kann keine Rede davon sein, daß die genannte Satzungsbestimmung gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit oder gegen das Übermaßverbot verstößt.
§ 4 Abs 5 Buchst a VB steht aber auch in Einklang mit dem Sozialstaatsprinzip. Durch dieses Prinzip wird der Gesetzgeber ermächtigt, unter Beachtung des Gleichheitssatzes sozialpolitische Entscheidungen zu treffen. Seine Entscheidungsfreiheit ist lediglich insoweit eingeschränkt, als die einzelne Entscheidung den Anforderungen sozialer Gerechtigkeit genügen muß (vgl dazu BVerfGE 40, 121, 133 f; BSG in SozR 2200 § 1268 Nr 6; BSGE 43, 128, 133). Aber selbst wenn eine Regelung im Einzelfalle zu Härten und Unbilligkeiten führt, kann nicht im Hinblick auf das Sozialstaatsprinzip verlangt werden, daß diese Regelung modifiziert werden müßte (BVerfGE 26, 44, 62; 34, 118, 136; BSGE 45, 114, 118). § 4 Abs 5 Buchst a VB gibt der Beklagten durch die Einräumung eines Ermessensspielraums die Möglichkeit, Härten und Unbilligkeiten weitgehend zu vermeiden. Die Regelung steht schon deshalb nicht im Widerspruch zum Sozialstaatsprinzip.
Ob die Voraussetzungen für einen Ausschluß des Klägers aus der Mitgliedschaft vorgelegen haben, läßt sich nach den bisherigen Feststellungen des LSG nicht abschließend entscheiden.
Zwar schuldete der Kläger der Beklagten zum Zeitpunkt des Ausschlusses im Juni 1977 Beiträge für mindestens drei Monate. Nach den - insoweit mit der Revision nicht angegriffenen und daher für den Senat bindenden (§ 163 SGG) - Feststellungen des LSG waren die Beiträge für die Zeit vom 16. September 1976 bis zum 31. Januar 1977 bei Erlaß des Ausschlußbescheides vom 22. Juni 1977 noch nicht entrichtet. Der Kläger war in dem genannten Zeitraum auch nicht beitragsfrei. Denn nach § 9 Abs 12 Satz 1 VB ist ein Mitglied, das - wie der Kläger - in die Beitragsklasse 800 eingestuft ist, nur beitragsfrei, solange Anspruch auf Krankengeld besteht. Der Kläger hatte aber - wie das LSG Niedersachsen in seinem rechtskräftigen Urteil vom 13. Mai 1981 - L Kr 46/79 - festgestellt hat - in der Zeit vom 16. September bis zum 31. Januar 1977 keinen Anspruch auf Krankengeld.
Der Kläger kann auch nicht mit Erfolg einwenden, daß er mit Ansprüchen auf Krankengeld gegen den Beitragsanspruch der Beklagten aufgerechnet habe. Die Aufrechnung gegen eine Forderung der Beklagten aus der Beitragspflicht ist durch § 26 Abs 3 VB ausgeschlossen. Diese Satzungsbestimmung steht ebenfalls im Einklang mit höherrangigem Recht. Für die versicherungspflichtigen Mitglieder enthält § 26 VAG eine entsprechende Bestimmung, für die nichtversicherungspflichtigen Mitglieder sieht Art 2 § 4 der 12. Aufbau-VO keine Einschränkung der Satzungsautonomie vor. Auch aus § 395 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) kann nicht hergeleitet werden, daß die Beklagte gehindert wäre, ein Aufrechnungsverbot in ihre VB aufzunehmen. Die Vorschrift beschränkt die Aufrechnung gegen Forderungen öffentlich-rechtlicher Körperschaften über § 387 BGB - Erfordernis der Gegenseitigkeit - hinaus, schließt aber nicht aus, daß das öffentliche Recht die Aufrechnung gegen öffentlich-rechtliche Forderungen anders regelt, zB teilweise untersagt (vgl dazu Heinrich in Palandt, BGB, Komm, 43. Aufl, § 395 Anm 2).
Soweit das LSG in seiner Entscheidung davon ausgeht, daß nicht festgestellt werden kann, ob der Kläger unter Hinweis auf die Möglichkeit des Ausschlusses von der Mitgliedschaft gemahnt worden ist, hat die Revision zu Recht einen Verstoß gegen § 103 SGG gerügt. Das Berufungsgericht durfte die Grundsätze der objektiven Beweislast erst anwenden, wenn sich trotz Ausschöpfung aller Ermittlungsmöglichkeiten die rechtserheblichen Tatsachen nicht hätten feststellen lassen (vgl BSGE 27, 40, 42). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Das LSG konnte sich nicht damit begnügen, lediglich die Streichung im Schreiben vom 14. Februar 1977 und die Tatsache der sehr späten Vorlage der Rückseite dieses Schreibens zu beurteilen und daraus Schlüsse zu ziehen. Es hätte sich vielmehr gedrängt fühlen müssen, den oder die für die Abfassung solcher Mahnschreiben zuständigen Sachbearbeiter der Beklagten als Zeugen zu vernehmen. Denn es ist durchaus möglich, daß bei der Beklagten Streichungen in Formularschreiben unterschiedlich vorgenommen werden und daß der Bearbeiter des Schreibens vom 14. Februar 1977 möglicherweise Streichungen anders vornimmt oder damals vorgenommen hat, als dies von dem Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 17. Oktober 1984 als allgemein üblich behauptet worden ist. Das LSG durfte daher auch nicht die von dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers zu Protokoll gegebene Erklärung unbeachtet lassen. Diese Erklärung hätte nur unberücksichtigt bleiben können, wenn es auf die ungeklärte Tatsache nicht ankommt, wenn sie also als wahr unterstellt werden kann oder wenn das Beweismittel völlig ungeeignet oder unerreichbar ist (Meyer-Ladewig, § 103 Anm 8). Hiervon kann aber im vorliegenden Fall keine Rede sein. Selbst wenn man davon ausgeht, daß der als Zeuge benannte Mitarbeiter K. das Schreiben vom 14. Februar 1977 nicht unterschrieben hat, so hätte sich dies bei seiner Vernehmung herausgestellt und möglicherweise zur Vernehmung weiterer Mitarbeiter der Beklagten Anlaß gegeben. Im übrigen war die vom Prozeßbevollmächtigten des Klägers abgegebene Erklärung nicht auf die Abfassung des Schreibens vom 14. Februar 1977 beschränkt, sondern betraf die Üblichkeit von Streichungen in Schreiben der Beklagten.
Da hinsichtlich der Frage, ob der Kläger "qualifiziert" iS von § 4 Abs 5 Buchst a VB gemahnt worden ist, der erkennende Senat an die Feststellungen des LSG nach § 163 SGG nicht gebunden ist, weil die Revision hierzu zulässige und begründete Revisionsrügen vorgebracht hat, und es auch nach Auffassung des erkennenden Senats auf entsprechende Feststellungen ankommt, diese aber in der Revisionsinstanz nicht nachgeholt werden können, muß der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen werden.
Das LSG wird versuchen müssen, durch Vernehmung von Zeugen weiter aufzuklären, ob die Streichung in dem Mahnschreiben vom 14. Februar 1977 durch einen Mitarbeiter der Beklagten erfolgt ist. Sollte sich dies nicht klären lassen, steht also trotz Ausschöpfung aller Beweismöglichkeiten nicht fest, ob das Mahnschreiben dem Kläger mit oder ohne den Hinweis auf die Rechtsfolgen der Nichtzahlung zugegangen ist, so geht dies nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast (BSGE 6, 70, 72; 15, 112, 114; 19, 52, 53) zu Lasten der Beklagten. Denn nur wenn der Kläger "qualifiziert" gemahnt worden ist, durfte er gemäß § 4 Abs 5 Buchst a VB aus der Mitgliedschaft ausgeschlossen werden. Aus der behaupteten "qualifizierten" Mahnung leitet die Beklagte nämlich eine für sie günstige Rechtsfolge her.
Ferner wird das LSG feststellen müssen, ob die Beklagte bei der Anwendung des § 4 Abs 5 Buchst a VB das ihr eingeräumte Ermessen ausgeübt hat. Das Formularschreiben vom 22. Juni 1977 enthält keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß eine Ermessensentscheidung getroffen wurde. Der Widerspruchsbescheid vom 15. August 1977 könnte möglicherweise eine Ermessensentscheidung zum Inhalt haben, die allerdings in diesem Bescheid als solche nicht hinreichend deutlich wird. Nur wenn im erst- oder zweitinstanzlichen Verfahren weitere Gründe für den Ausschluß des Klägers aus der Mitgliedschaft nachgeschoben worden sein sollten, die als Gründe für eine Ermessensentscheidung anzusehen sind, könnten die angefochtenen Verwaltungsakte - wenn die Beklagte bei Ausübung des Ermessens den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet haben sollte (vgl dazu Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, Komm, 3. Aufl, § 40 Anm 21; Meyer-Ladewig, § 54 Anm 30) - uU Bestand haben. Es sei aber darauf hingewiesen, daß die nachgeschobenen Gründe schon beim Erlaß des angefochtenen Bescheides vorgelegen haben müssen und daß dieser durch sie nicht in seinem Wesen verändert und der Kläger nicht in seiner Rechtsverfolgung beeinträchtigt werden dürfen (BSGE 9, 232, 235; 27, 34, 38; BVerwGE 14, 356, 359; vgl auch Meyer-Ladewig, § 54 Anm 35). Ergeben die weiteren Feststellungen des LSG, daß eine Ermessensentscheidung nicht ergangen ist, so liegt ein Fall der Ermessensunterlassung vor, der die Bescheide rechtswidrig macht (BVerwGE 3, 297, 302; 48, 81, 84; Kopp, § 40 Anm 15; Meyer-Ladewig, § 54 Anm 30 unter Hinweis auf BFH in DStR 77, 21) ohne Rücksicht darauf, ob der Kläger "qualifiziert" gemahnt worden ist oder nicht.
Im übrigen sollte das LSG nochmals überprüfen, ob der Kläger im Zeitpunkt des Ausschlusses aus der Mitgliedschaft im Juni 1977 der Beklagten tatsächlich Beiträge für mindestens drei Monate schuldete und wie hoch der Beitragsrückstand war. Die Angaben im angefochtenen Urteil, in den Mahnschreiben und den Bescheiden vom 22. Juni und 15. August 1977 stimmen teilweise nicht überein.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen