Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 20.05.1955) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Schleswig vom 20. Mai 1955 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander Kosten nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
I Der 1910 geborene Kläger ist von Beruf Schlosser. Er bezog seit 1948, wiederholt unterbrochen durch Zeiten wechselnder Beschäftigung als Drescharbeiter, Tiefbauarbeiter und durch Hilfsarbeiten anderer Art, Arbeitslosenfürsorgeunterstützung (Alfu).
Von der Nebenstelle Tellingstedt des Arbeitsamts Heide wurde dem Kläger am 18. August 1953 Arbeit als Drescharbeiter bei dem Lohndruschunternehmer J. angeboten. Er lehnte diese Arbeit mit der Erklärung ab, daß „T. ihm gegenüber kein Arbeitgeber und demzufolge auch nicht tarifgebunden” sei.
Daraufhin sperrte das Arbeitsamt Heide dem Kläger mit Verfügung vom 20. August 1953 den Unterstützungsbezug, da er ohne berechtigten Grund trotz Belehrung über die Rechtsfolgen die Annahme der angebotenen Arbeit verweigert habe.
II Der vom Kläger hiergegen eingelegte Einspruch wurde durch Entscheidung des Spruchausschusses des Arbeitsamts Heide vom 17. September 1953 zurückgewiesen. Die Berufung des Klägers vom 7. Oktober 1953 an das Oberversicherungsamt Schleswig ging mit dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Klage auf das Sozialgericht Schleswig über. Das Sozialgericht wies die Klage mit Urteil vom 1. Februar 1955 ab, ließ indessen die Berufung zu.
III Der Kläger legte Berufung ein und machte geltend, es sei ihr kein genügend bestimmtes Arbeitsangebot gemacht worden. Nicht der Lohndruschunternehmer T. sondern dessen jeweilige, ihm nicht benannte Auftraggeber seien für das vorgesehene Arbeitsverhältnis die tatsächlichen Arbeitgeber gewesen. Deswegen habe er nicht erkennen können, an wen er sich wegen Erfüllung seiner arbeitsrechtlichen Ansprüche zu halten hatte.
Das Landessozialgericht wies mit Urteil vom 20. Mai 1955 die Berufung zurück, ließ aber seinerseits die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage zu, ob ein sogenanntes „konkretes Arbeitsangebot” vorgelegen habe. Zur Begründung seines Urteils führte das Landessozialgericht u. a. aus, dem Kläger sei T. als Arbeitgeber benannt und dabei auch Tariflohn und Arbeitszeit bezeichnet worden. Durch diese Angaben sei das Arbeitsverhältnis hinreichend konkretisiert gewesen, zumal der Kläger, der schon wiederholt als Drescharbeiter beschäftigt war, über die örtlichen sowie fachlichen Bedingungen selbst Bescheid gewußt habe und sich über nähere Einzelheiten leicht hatte unterrichten können. T. betreibe ein Lohndruschunternehmen, indem er mit eigener Dreschmaschine während der Saison Aufträge der einzelnen Bauern und Landwirte ausführe. Die hierfür beantragten Arbeitskräfte stelle er persönlich ein, bestimme ihre Verwendung, regle die Arbeitseinteilung, zahle ihnen die Löhne und führe die Sozialversicherungsbeiträge für sie ab.
IV Der Kläger legte mit Schriftsatz vom 28. Juli 1955 (eingegangen am 29. Juli) gegen das am 2. Juli 1955 zugestellte Urteil Revision ein und beantragte,
unter Aufhebung der Urteile des Landessozialgerichts Schleswig vom 20. Mai 1955 und des Sozialgerichts Schleswig vom 1. Februar 1955 sowie der Entscheidung des Spruchausschusses vom 17. September 1953 und des Bescheids des Arbeitsamts vom 20. August 1953 die Revisionsbeklagte zu verurteilen, dem Revisionskläger vom 18. August bis 15. September 1953 die ungekürzte Arbeitslosenfürsorgeunterstützung zu gewähren.
Er begründete die Revision am 18. August 1955 (eingegangen am 19. August) damit, es habe kein wirksames Arbeitsangebot seitens des Arbeitsamts vorgelegen, da über die Person des tatsächlichen Arbeitgebers, über den Arbeitsplatz und über sonstige Arbeitsbedingungen Unklarheiten bestanden hätten. Das Gesetz erfordere, daß dem Arbeitslosen eine bestimmte Arbeit angeboten werde. Im vorliegenden Falle aber sei der Kläger lediglich an einen „fiktiven” Arbeitgeber verwiesen worden, von dem er nicht gewußt habe, wo dieser ihn einsetzen und ob er die Bedingungen des Arbeitsvertrages erfüllen werde. Nach der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung jenes Bezirks werde, wie dem Kläger bekannt gewesen sei, in der Hegel der den Dreschauftrag erteilende Bauer oder Landwirt als Arbeitgeber angesehen. Auf entsprechende Entscheidungen des Arbeitsgerichts habe sich der Kläger verlassen können, und deshalb sei ihm jedenfalls ein entschuldbarer Irrtum zuzubilligen, falls seine Weigerung als unberechtigt erachtet wurde.
Die Beklagte machte geltend, daß nach den tatsächlichen Umständen des Falles der Arbeitgeber bestimmt bezeichnet sowie die Arbeitsbedingungen für das Arbeitsverhältnis bei ihm genügend bestimmbar gewesen seien. Sie beantragte, da das Arbeitsangebot des Arbeitsamts den gesetzlichen Vorschriften entspreche, die Weigerungsgründe des Klägers aber unberechtigt seien,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Im einzelnen wird auf die Schriftsätze Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
V Die Revision ist zulässig, aber nicht begründet.
§ 90 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) hat seinen Platz im „Dritten Abschnitt” („Arbeitslosenversicherung”) Unterabschnitt B („Versicherungsleistungen”). Daraus folgt, daß es sich um eine Vorschrift versicherungsrechtlichen Charakters handelt. Ihrem Inhalt nach regelt sie die Unterstützungssperre bei Verweigerung der Arbeitsaufnahme. Sie befaßt sich insoweit also lediglich mit der Anbahnung eines „faktischen Arbeitsverhältnisses”, nicht aber mit dem Abschluß eines „Arbeitsvertrages” als der das Rechtsverhältnis begründenden und gestaltenden Willenseinigung der Parteien (vgl. zu diesen Begriffen Hueck – Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 6. Auflage, I. Band S. 104 ff). Deshalb ist die Anwendung des § 90 AVAVG auch nicht auf die Einzelheiten der privatrechtlichen Beziehungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber abgestellt. Aus seinem Wortlaut ist aber zu entnehmen, daß dem Arbeitslosen eine bestimmte Arbeit, d. h. Gelegenheit geboten werden muß, an einer bestimmten Stelle, zu bestimmten Sätzen und Zeiten als Arbeitnehmer tätig zu werden. Diese gesetzliche Voraussetzung ist als erfüllt anzusehen und ein Arbeitsangebot dann als ausreichend bestimmt zu erachten, wenn es dem Arbeitslosen die eigene Prüfung darüber ermöglicht, ob ihm einer der in § 90 Abs. 2 AVAVG aufgeführten Ablehnungsgründe zur Seite steht oder nicht. Zu den gleichen. Folgerungen aus Wortlaut und Inhalt dieser gesetzlichen Vorschrift war schon das Reichsversicherungsamt in seinen Grundsätzlichen Entscheidungen Nr. 3363 (AN 1929 S. IV 81) und Nr. 3713 (AN 1930 S. IV 190) gelangt.
Bei Anwendung dieses Maßstabes ergeben sich keine Bedenken, das Arbeitsangebot der Nebenstelle Tellingstedt des Arbeitsamts Heide vom 18. August 1953 an den Kläger als dem Gesetz entsprechend anzuerkennen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts enthielt es die Benennung des Arbeitgebers mit Angabe seines Wohnortes, die Bezeichnung der vorgesehenen Tätigkeit des Klägers als Arbeitnehmer, die Bezifferung des Barlohnes mit der Angabe, daß es sich um den Tariflohn handele, sowie die Bemessung der wöchentlichen Arbeitszeit in Stunden. Durch diese Angaben war der Kläger von Seiten des Arbeitsamts jedenfalls so ausreichend darüber unterrichtet, welche Arbeitsbedingungen in Frage standen, daß er sich über etwaige Ablehnungsgründe schlüssig werden konnte. Demzufolge war das Arbeitsangebot genügend konkretisiert. Tatsächlich hat der Kläger diese Angaben im Arbeitsangebot des Arbeitsvermittlers auch benutzt, um seine Ablehnungsgründe daraus herzuleiten, von denen er für die Revision den aufrecht erhielt, daß ihm lediglich ein „fiktiver” Arbeitgeber benannt worden sei und er daher nicht gewußt habe, gegen welchen wirklichen Arbeitgeber sich seine tariflichen Ansprüche richteten.
VI Diese Einwendungen des Klägers sind jedoch unberechtigt. Nach den Feststellungen, die das Berufungsgericht auf Grund eingehender Beweisaufnahme – ohne Verstoß gegen Denkgesetze oder Lebenserfahrungen – getroffen hat und an die der erkennende Senat gebunden ist (§ 163 SGG), war T. Besitzer der Dreschmaschine und erledigte auf eigene Rechnung sowie in eigener Verantwortung die ihm erteilten Dreschaufträge der verschiedenen Bauern und Landwirte. Der Zweck seines Betriebes bestand in der gewerblichen Ausnutzung seiner Dreschmaschine. Das wirtschaftliche Ergebnis dieses Betriebs gereichte ihm persönlich zum Vorteil oder Nachteil. Mithin ist an seiner Eigenschaft als Unternehmer nicht zu zweifeln (vgl. hierzu Kommentar der Mitglieder des Reichsversicherungsamts zu § 633 RVO, Anm. 1a u. 4). Weiterhin hat das Berufungsgericht festgestellt, daß T. nicht nur im eigenen Namen jeweils die Arbeitskräfte für die Lohndreschsaison anstellte, für sie die Entlohnung und die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge durchführte, sondern auch laufend ihren Arbeitseinsatz bestimmte. Diesen besonderen Umständen zufolge war T. nicht bloß Führer des Dreschsatzes oder Maschinenmeister, vielmehr ist er – jedenfalls im Sinne der hier anzuwendenden Bestimmungen des Rechts der Arbeitslosenversicherung – wirklicher Arbeitgeber. Das Vorbringen des Klägers, daß es sich bei T. lediglich um einen „fiktiven” Arbeitgeber gehandelt habe und daß er nur als Stellvertreter oder in Geschäftsführung der dahinterstehenden Landwirte oder Bauern aufgetreten sei, wird also durch die tatsächlichen Verhältnisse widerlegt. T. hat weder die Arbeitskräfte als „Zwischenperson” oder „Mittelsmann” für andere angefordert, noch sind Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß die Anstellung jener Arbeiter Rechtsbeziehungen zu Dritten begründete. Deshalb scheidet auch die Rechtskonstruktion eines „mittelbaren” Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnisses hier aus (vgl. Dersch „Das mittelbare Beschäftigungsverhältnis in der Sozialversicherung” in „Wege zur Sozialversicherung” 1951 S. 205 ff.).
VII Nach objektiver Sachlage waren im vorliegenden Falle ferner keine Anzeichen dafür gegeben, daß spätere Lohnansprüche des Klägers gegen T. nicht hätten verwirklicht werden können, d. h. daß dieser nicht willens oder fähig gewesen wäre, Lohn und Nebenleistungen in der tariflichen bezw. orts- oder bezirksüblichen Höhe zu gewähren (zu vgl. RVA. Grundsätzliche Entscheidung Nr. 3178 in AN 1928 S. IV 199 und Urteil des LSGer. Nordrhein-Westfalen vom 21.6.1955 in Breithaupt 1956 S. 171 ff.). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war dem Kläger die nach den bezirklichen Lohnvereinbarungen zuständige Entlohnung ausdrücklich zugesichert worden. Gegenteiliges ist weder vorgetragen noch sonstwie erkennbar geworden, Daher ergab sich auch nach der Auffassung des erkennenden Senats insoweit für den Kläger kein berechtigter Grund, die angebotene Arbeit bei T. zu verweigern.
VIII Schließlich konnte der Kläger nicht darauf fußen, daß er sich subjektiv in einem entschuldbaren Irrtum befunden habe, weil nach der Rechtsprechung des zuständigen Arbeitsgerichts in ihm bekannt gewordenen anderen Fällen die beteiligten Landwirte als Arbeitgeber gegolten hätten. Angesichts des klaren Arbeitsangebots trug allein der Kläger das Risiko, wenn er sich auf Urteile zu stützen versuchte, die nach seiner eigenen Angabe in einem anderen Rechtsbereich ergangen waren. Das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, das – insbesondere auch im Interesse der Arbeitslosen – eine ordnungsmäßige Arbeitsvermittlung sichern und deshalb die Möglichkeit von Einwendungen gegen Arbeitsangebote beschränken muß, stellt in § 90 Abs. 2 nur auf die objektive Berechtigung der Arbeitsablehnungsgründe ab. In gleicher Weise hat schon das Reichsversicherungsamt mehrfach entschieden, daß es nicht darauf ankomme, ob der Arbeitslose den unberechtigten Ablehnungsgrund schuldlos oder schuldhaft vorbringt (zu vgl. RVA. Grundsätzliche Entscheidungen Nr. 3288 in AN 1928 S. IV 347 und Nr. 3328 in AN 1929 S. IV 26).
IX Nach alledem war die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen