Leitsatz (amtlich)
Bei der Entziehung von Arbeitslosenunterstützung nach AVAVG § 177 aF oblag es - abgesehen vom Verbot der Rückforderung einer infolge Rechtsirrtums bewilligten Unterstützung - der Arbeitsverwaltung, in pflichtmäßigem Ermessen festzustellen, ob und inwieweit der Unterstützungsempfänger zu Unrecht erhaltene Beiträge zu erstatten hatte. Eine nachträgliche Umwandlung bereits gezahlter Arbeitslosenunterstützung in Arbeitslosenfürsorgeunterstützung war jedenfalls zulässig, wenn der Unterstützungsempfänger mit dieser Maßnahme ausdrücklich oder den Umständen nach einverstanden war.
Normenkette
AVAVG § 177 Fassung: 1929-10-12
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 28. Juni 1957 wird zurückgewiesen, soweit der Bescheid der Beklagten vom 17. März 1956 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 11. Mai 1956 die Einstellung der Arbeitslosenunterstützung mit Wirkung vom 4. Januar 1956 an betrifft.
2. Das Urteil des Landessozialgerichts vom 28. Juni 1957 wird auf die Revision des Klägers hin aufgehoben, soweit der vorbezeichnete Bescheid der Beklagten die Umwandlung der Arbeitslosenunterstützung in Arbeitslosenfürsorgeunterstützung und die Erstattung von 401,35 DM betrifft. Insoweit wird die Sache zur erneuten Verhandlung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Der am 5. November 1890 geborene Kläger arbeitete vom 20. Juni 1933 bis 2. Januar 1955 als Zimmerer-Polier bei einem Ingenieurbaubetrieb. Auf seine Arbeitslosmeldung hin wurde ihm mit Wirkung vom 10. Januar 1955 an Arbeitslosenunterstützung (Alu) für die Dauer von insgesamt 312 Tagen bewilligt, von denen er zunächst 138 Unterstützungstage verbrauchte. Vom 20. Juni 1955 an war der Kläger wiederum bei seinem früheren Arbeitgeber beschäftigt, wurde jedoch bereits am 10. Dezember 1955 wegen Arbeitsmangels neuerdings entlassen. Beginnend mit dem 14. Dezember 1955 wurde ihm die Alu zunächst weitergezahlt. Da indessen der Kläger in seinem letzten Unterstützungsantrag angegeben hatte, daß er im November 1955 bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) Altersruhegeld beantragt habe, meldete dort das Arbeitsamt unter Hinweis auf § 7 Abs. 4 des Anhangs zur Militärregierungsverordnung Nr. 117 (MRVO Nr. 117) einen Erstattungsanspruch hinsichtlich der dem Kläger zu bewilligenden Rente an. Ende Februar 1956 erkannte die BfA den Anspruch des Klägers auf Altersruhegeld in Höhe von monatlich 167,70 DM mit Wirkung vom 1. Dezember 1955 ab an und benachrichtigte am 15. März 1956 die Beklagte davon, daß dieses vom 1. April 1956 an laufend gewährt werde, während die Nachzahlung (1. Dezember 1955 bis 31. März 1956) in Höhe von insgesamt 670,80 DM bis zur Regelung des Ersatzanspruches der Beklagten vorläufig einbehalten werde.
Durch Bescheid vom 17. März 1956 teilte die Beklagte dem Kläger daraufhin mit, daß sein Anspruch auf Alu mit dem 3. Januar 1956 erschöpft gewesen sei, da ihm eine Unterstützungsdauer über 156 Tage hinaus wegen des Bezugs von Altersruhegeld nicht zustehe. Die ihm vom 4. Januar bis 9. März 1956 bereits gezahlte Alu müsse in Arbeitslosenfürsorgeunterstützung (Alfu) umgewandelt werden, die ihm mit 35,70 DM wöchentlich bis zum 31. März 1956 ausgezahlt werde. Aus der Anrechnung des Altersruhegeldes auf die Alfu ergebe sich, daß er insgesamt 401,35 DM von der Arbeitsverwaltung zu Unrecht erhalten habe. Die Erstattung dieses Betrages werde durch die BfA erfolgen. Auf den Differenzbetrag zwischen ursprünglich gezahlter Alu und ab 4. Januar 1956 umgewandelter Alfu werde verzichtet.
Der von der Beklagten bei der BfA geltend gemachte Ersatzanspruch wurde von dieser aus der dem Kläger zuerkannten Rentennachzahlung mit 401,35 DM befriedigt.
Der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid der Beklagten vom 17. März 1956 blieb erfolglos. Der Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 1956 bestätigte die Einstellung der Alu vom 4. Januar 1956 an, deren Umwandlung in Alfu sowie den Ersatzanspruch. Das Sozialgericht (SG) wies die Klage hiergegen ab (Urteil vom 17. August 1956); die zugelassene Berufung des Klägers wurde vom Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen (Urteil vom 28. Juni 1957). Die Einstellung der Alu sei als Entziehung zu behandeln und rechtmäßig erfolgt; sie habe ihre gesetzliche Grundlage in § 177 Satz 1 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) aF. Auch ein rückwirkender Entzug seit Wegfall der Unterstützungsvoraussetzungen sei zulässig. Aus § 99 Abs. 1 Satz 3 AVAVG aF ergebe sich, daß der Kläger als Rentenbezieher keinen Anspruch auf eine Unterstützungsdauer über 156 Tage hinaus besitze. Die rückwirkende Bewilligung einer Rente stehe dem Bezug vom Anfang an gleich. Bereits bis zum Beginn der Rentenzahlung verbrauchte Unterstützungstage seien auf die Unterstützungsdauer von 156 Tagen anzurechnen. Ein Verstoß der Beklagten gegen Treu und Glauben sei nicht festzustellen. Ein solcher liege insbesondere auch nicht darin, daß sie dem Kläger statt der nicht mehr zustehenden Alu vom 4. Januar 1956 an Alfu bewilligt habe. Der Antrag auf Alu enthalte nämlich jeweils auch den Antrag auf Alfu als Eventualbegehren. Im übrigen wende sich der Kläger zu Unrecht gegen diese Maßnahme, da er hierdurch lediglich begünstigt worden sei; anderenfalls hätte er statt der Überzahlungen an Alfu den weit höheren Betrag der Alu zurückerstatten müssen. Revision wurde zugelassen.
II.
Der Kläger legte gegen das am 25. Juli 1957 zugestellte Urteil des Landessozialgerichts am 15. August Revision ein und begründete diese am 28. August 1957. Er habe unstreitig einen restlichen Anspruch auf 174 Unterstützungstage aus seiner alten Anwartschaft bei der Arbeitslosmeldung am 14. Dezember 1955 gehabt. Daraus könne er neben seinem Rentenbezug die Alu für 156 Tage, nicht nur für 18 Tage, wie die Beklagte zulassen wolle, beanspruchen. Die Rechtswohltat einer gesetzlichen Unterstützungsdauer von 156 Tagen dürfe bei einer alten Anwartschaft nicht anders behandelt werden als bei einer neu erworbenen. Nicht zulässig sei es ferner, die Alu nach der Bewilligung rückwirkend in Alfu ohne Zustimmung des Betroffenen umzuwandeln. Dieser werde sonst rechtlich benachteiligt, weil durch den gesetzlichen Forderungsübergang bei Alfu-Ansprüchen für die Beklagte die Vollstreckung erleichtert werde. Sie sei dann nicht gehalten, die wirtschaftlichen Verhältnisse des Unterstützungsempfängers, wie bei der Rückforderung von Alu, zu berücksichtigen.
Der Kläger beantragte daher,
das Urteil des SG, das Urteil des LSG sowie die Bescheide der Beklagten vom 17. März und 11. Mai 1956 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Alu nach seinem Antrag vom 12. Dezember 1955 für 156 Tage zu gewähren.
Die Beklagte beantragte,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Sie bezog sich auf die ihrer Auffassung nach zutreffenden Entscheidungsgründe sowohl des angefochtenen wie auch des sozialgerichtlichen Urteils. Die Alu sei in Alfu umgewandelt worden, um den Kläger bis zum Beginn der Rentenzahlungen aus der Angestelltenversicherung wirtschaftlich zu sichern. Im übrigen könne jetzt nach geltendem Recht (§ 186 AVAVG nF) der Forderungsübergang durch Anzeige an den Leistungspflichtigen auch für Rückforderungsbeträge aus der Arbeitslosenhilfe geltend gemacht werden.
III.
Die Revision ist statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-). Sie ist auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt sowie begründet worden (§§ 164, 166 SGG) und daher zulässig.
Die Revision des Klägers ist jedoch nur teilweise begründet.
Zutreffend hat das LSG entschieden, daß dem Kläger ein Anspruch auf Alu über 156 Tage hinaus, vom Beginn der Unterstützungszahlung aus der zuletzt erfüllten Anwartschaft an gerechnet, nicht zustand. Rechtsgrundlage für die Bezugsdauer der Alu waren für die Zeit bis einschließlich 31. März 1957 die Vorschriften des § 99 AVAVG aF.
Wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 28. August 1958 - 7 RAr 32/56 - (vgl. BSG 8, 88 ff) festgestellt hat, bestand zwischen § 99 Abs. 1 Sätze 1 und 2 einerseits und Satz 3 aaO andererseits ein wesentlicher Unterschied. Für eine Bezugszeit bis zu 156 Tagen (26 Wochen) war lediglich die Erfüllung der allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen (§ 87 AVAVG aF) gefordert. Dagegen erweiterte Satz 3 aaO die Unterstützungsdauer bis auf höchstens 312 Tage (52 Wochen) nur unter zwei besonderen (zusätzlichen) Bedingungen, nämlich der positiven, daß der Arbeitslose vor der Arbeitslosmeldung mindestens 104 bis 260 Wochen in ununterbrochener versicherungspflichtiger Beschäftigung gestanden hat und der negativen, daß er Rente aus den Rentenversicherungen wegen des Alters oder wegen Invalidität oder Berufsunfähigkeit nicht bezog.
Wie der erkennende Senat in jenem Urteil ferner festgestellt hat, war der Nichtbezug von Rente sowohl anspruchsbegründende als auch anspruchserhaltende Voraussetzung im Hinblick auf die erweiterte Unterstützungsdauer. "Bezieher" einer Rente wird man regelmäßig von dem Tage ab, der im Rentenbescheid als Beginn des Rentenlaufs angegeben ist, auch wenn dieser Zeitpunkt, wie es oft der Fall ist, vor dem Datum des Rentenbescheides liegt. Die erweiterte Unterstützungsdauer nach § 99 Abs. 1 Satz 3 AVAVG aF endete daher regelmäßig mit dem Zeitpunkt, von dem an der Anspruch auf eine Rente aus der Rentenversicherung der Arbeiter, der Rentenversicherung der Angestellten oder der knappschaftlichen Rentenversicherung wegen des Alters oder wegen Invalidität oder Berufsunfähigkeit dem Arbeitslosen gegenüber anerkannt war (vgl. auch BT-Drucks. Nr. 1274 - 2.Wahlperiode S. 127).
Dieser Rechtsfolge unterliegt auch der Anspruch des Klägers auf die erweiterte Unterstützungsdauer. Dabei bleibt ohne Belang, daß er nach Verbrauch eines Teiles seines Alu-Anspruchs - aus der alten Anwartschaft - nochmals versicherungspflichtig beschäftigt gewesen ist; denn hierdurch hat er eine neue Anwartschaft nicht erworben, wie sich aus den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) ergibt. Nach der rückwirkenden Bewilligung des Altersruhegeldes durch die BfA war die Beklagte infolgedessen verpflichtet (vgl. BSG 3, 106, 109), dem Kläger die Alu nach dem 156. Bezugstage - d.i. 3. Januar 1956 - zu entziehen (§ 177 Abs. 1 Satz 1 AVAVG aF). Diesbezüglich war daher die Revision des Klägers zurückzuweisen.
IV.
Andererseits begegnet aber die nach der Rentenbewilligung seitens der BfA durch die Beklagte vorgenommene Umstellung der bereits gewährten Alu in Alfu rechtlichen Bedenken. Auch wenn davon auszugehen ist, daß in der Regel der ursprüngliche Antrag eines Arbeitslosen auf Alu zugleich einen Antrag auf Alfu mit enthält, sofern sein Anspruch auf versicherungsmäßige Leistungen nicht allenthalben erfüllt sein sollte (Grundsatz: de maiore ad minus), und wenn zudem unterstellt wird, daß die Bewilligung von Alfu bis zum Einsetzen anderweiter Rentenzahlungen für den Arbeitslosen eine wirtschaftliche Hilfe bedeutet, war für den Fall einer nachträglichen Umwandlung bereits gezahlter Alu in Alfu unter der Geltung des § 177 AVAVG aF doch der Nachweis zu fordern, daß der Unterstützungsempfänger mit dieser Maßnahme ausdrücklich oder den Umständen nach einverstanden war. Diese Vorschrift sah ihrem Wortlaut und Inhalt nach nämlich aus sich heraus nicht vor, daß zu Unrecht erhaltene Alu-Beträge durch Überleitungsanzeige an Dritte erstattungsfähig waren. Ein solcher Forderungsübergang war vor der Neufassung des AVAVG (1. April 1957) unmittelbar nur hinsichtlich der Rückforderung überzahlter Alfu durch Landes- oder Zonenrecht (hier: § 7 Abs. 4 des Anhangs zur MRVO Nr. 117 für die (ehemalige) britische Besatzungszone) festgelegt, und diesbezüglich bedurfte es kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung der Zustimmung des Arbeitslosen nicht. Deshalb aber muß das wirkliche Verhalten des Klägers zur veränderten Leistungsart - und zwar im Zeitpunkt der Umwandlung der Alu in Alfu - noch geklärt werden.
Ergibt sich danach, daß die Umstellung der Unterstützung seinerzeit mit ausdrücklichem oder mit stillschweigendem Einverständnis des Klägers vollzogen worden ist, weil er sich damals tatsächlich nur gegen die Beschränkung der Alu-Bezugsdauer (Einstellung seiner höheren Alu) gewendet hat, dann sind Umwandlung in Alfu, Anrechnung des Altersruhegeldes dabei und Übergang der Mehraufwendungen nach § 7 Abs. 4 des Anhangs zur MRVO Nr. 117 vom 4. Januar 1956 an zulässig. Anderenfalls sind jene dem Kläger gewährten Unterstützungen als Alu-Zahlungen zu behandeln, auch was die Erstattung und Vollstreckung anbetrifft.
Überdies ist aber auch zu prüfen, ob die Beklagte hinsichtlich des von ihr auf 401,35 DM festgestellten Erstattungsbetrages das ihr bei der Rückforderung obliegende Ermessen in ausreichendem Umfange ausgeübt hat. Hierfür ist, wie der erkennende Senat im Urteil vom 10. Dezember 1959 entschieden hat, nicht mehr § 177 AVAVG aF als ursprüngliche Rechtsgrundlage der Entziehung maßgebend, der lediglich ein Rückforderungsverbot für die wegen Rechtsirrtums erfolgte Überzahlung enthielt, sondern nunmehr die für den Unterstützungsempfänger günstigere Regelung des § 185 Abs. 2 AVAVG nF. Dessen Vorschriften ergreifen alle am Tage ihres Inkrafttretens (1. April 1957) anhängigen Rückforderungsfälle (vgl. BSG in SozR zu § 185 AVAVG nF Bl. Ba 2 Nr. 2). Dem Tatbestand des Berufungsurteils ist hierfür allein zu entnehmen, daß die Beklagte auf den Unterschiedsbetrag zwischen der zunächst weitergezahlten Alu und der dann bewilligten Alfu verzichtete. Der Vorderrichter hat aber zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Klägers (Gesundheitszustand, Familienverhältnisse, andere Verpflichtungen) Näheres nicht festgestellt. Deswegen läßt sich beispielsweise auch nicht beurteilen, ob etwa bei einer Rentennachzahlung von 670,80 DM und bei einem laufenden Altersruhegeld von monatlich 167,70 DM im vorliegenden Fall eine Rückforderung von 401,35 DM vertretbar ist.
V.
Das Urteil des LSG mußte daher aufgehoben werden, soweit es die Umwandlung der Alu in Alfu und die Erstattung (Rückforderung) betrifft. Da hierzu noch tatsächliche Feststellungen nachzuholen sind, konnte der Senat nicht selbst entscheiden; die Sache war deshalb insoweit an das LSG zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 SGG).
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen