Leitsatz (redaktionell)
Unfallversicherungsschutz beim Transport eines Arbeitsgerätes.
Normenkette
RVO § 549 Fassung: 1963-04-30
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 24. Februar 1972 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin war vom 5. Oktober 1967 an bei einer Firma in Hannover beschäftigt. Sie hatte die Gaststätte "L-Stube" in L allein zu führen und an sechs Tagen in der Woche bis nachts ein Uhr geöffnet zu halten. Als Gaststättenruhetag war der Donnerstag vorgesehen. Am 5. Oktober 1967 verzog die Klägerin von B nach L. Dabei wurden zwei ihr gehörende Fahrräder, ein neues und ein altes, vergessen. Diese Fahrräder holte sie am 13. November 1967 (einem Montag) ab. Auf dem Weg nach L kam sie gegen 15.30 Uhr zu Fall. Dadurch zog sie sich einen Bruch des äußeren rechten Schienbeinkopfes zu.
Zur Begründung ihres Entschädigungsanspruches machte die Klägerin geltend, sie habe die Fahrräder für den Geschäftsbetrieb in L benötigt.
Mit Bescheid vom 19. September 1968 lehnte die Beklagte eine Entschädigung ab, weil sich der Unfall auf einem Weg ereignet habe, der ausschließlich eigenwirtschaftlichen Zwecken gedient und mit der Beschäftigung im Betriebe nicht in einem ursächlichen Zusammenhang gestanden habe.
Die Klägerin hat Klage erhoben, die das Sozialgericht mit Urteil vom 12. Januar 1970 mit der Begründung abgewiesen hat, der Hauptzweck der unfallbringenden Tätigkeit habe im privaten Bereich der Klägerin gelegen, da diese die Fahrräder als ihr Eigentum in ihre Wohnung habe holen wollen. Die beabsichtigte Benutzung der Fahrräder für Einkäufe für die Gaststätte habe demgegenüber nur einen unwesentlichen Nebenzweck dargestellt; die Absicht, die Fahrräder zukünftig für etwa notwendige Betriebsfahrten zu benutzen, reiche allein nicht aus, um sie als Arbeitsgeräte im Sinne von § 549 der Reichsversicherungsordnung (RVO) anzusehen.
Auf die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) mit Urteil vom 24. Februar 1972 die Beklagte verurteilt, der Klägerin aus Anlaß des Unfalls vom 13. November 1967 Verletztengeld und Verletztenrente zu gewähren. Das LSG hat u.a. ausgeführt: Die Klägerin habe gemäß §§ 548, 549 RVO unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden, als sie am 13. November 1967 ihre Fahrräder von ihrer früheren Wohnung zur L-Stube geholt habe. Zwar habe sie das ältere der beiden Fahrräder nach ihrem eigenen Vorbringen nicht für betriebliche Zwecke verwenden wollen. Das Abholen dieses Fahrrades falle somit ausschließlich in den unversicherten Bereich. Zumindest gleichwertig habe aber daneben die Beförderung des für betriebliche Zwecke bestimmten Fahrrades gestanden. Der betriebliche Zweck sei hinter dem privaten nicht zurückgetreten, so daß jener als wesentlich zu beurteilen sei. Entgegen der Ansicht der Beklagten sei das Fahrrad der Klägerin auch ein Arbeitsgerät im Sinne von § 549 RVO. Aufgrund des Vorbringens der Klägerin und des Ergebnisses der Beweisaufnahme sei das LSG davon überzeugt, daß die Klägerin beabsichtigt habe, ihr neues Fahrrad für die Dauer der Aufbauphase, also für einen längeren Zeitraum, ganz überwiegend (hauptsächlich) für betriebliche Zwecke zu verwenden. Der Versicherungsschutz sei aber auch deshalb gegeben, weil der Weg der Klägerin von ihrer früheren Wohnung; in Richtung auf die L-Stube wesentlich betrieblichen Zwecken gedient habe, Sie habe das Fahrrad dringend für berufliche Zwecke benötigt.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt. Sie führt aus: Der Sachverhalt als solcher sei unstreitig. Entgegen der Auffassung des LSG sei zwischen dem Versicherungsschutz nach § 548 und nach § 549 RVO zu unterscheiden. Sie verkenne allerdings nicht, daß § 549 RVO nur einen Unterfall des § 548 Abs. 1 Satz 1 RVO regele. Allerdings seien hier die Voraussetzungen beider Vorschriften nicht erfüllt.
Es sei schon zweifelhaft, ob die Klägerin das Fahrrad tatsächlich für ihre betriebliche Tätigkeit benötigte und benutzen wollte. Jedenfalls sei das Fahrrad kein Arbeitsgerät gewesen, solange es noch in der Wohnung in B gestanden habe. Die Klägerin habe nur die Absicht gehabt, das Fahrrad als Arbeitsgerät zu verwenden› Versicherungsschutz nach § 548 RVO sei aber nur bei dem Transport von Betriebsgut, das in den Betrieb gehöre, anzunehmen. Das LSG habe vor allem nicht beachtet, daß die Klägerin selbst dann, wenn sie das eine der beiden Fahrräder demnächst für ihre Arbeitstätigkeit verwenden wollte, doch zwei in ihrem Eigentum stehende Fahrräder von ihrer früheren Wohnung nach L schaffen wollte. Die Klägerin habe nur ihren Umzug abschließen wollen.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung bzw. entsprechender Änderung des angefochtenen Urteils nach den Anträgen in der Vorinstanz, insbesondere auf Klagabweisung, hilfsweise aber auf Zurückverweisung an die Vorinstanz zu erkennen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die zulässige Revision ist nicht begründet.
Es kann dahinstehen, ob - wovon das LSG in erster Linie ausgeht - die Klägerin im Unfallzeitpunkt gemäß § 549 RVO unter Versicherungsschutz gestanden hat. Nach dieser Vorschrift gilt als Arbeitsunfall auch ein Unfall bei einer mit einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten zusammenhängenden Verwahrung, Beförderung, Instandhaltung und Erneuerung des Arbeitsgerätes, auch wenn es von Versicherten gestellt wird. Wie der erkennende Senat in Übereinstimmung mit dem Schrifttum wiederholt entschieden hat, kann auch ein im Eigentum des Versicherten stehendes Beförderungsmittel ein Arbeitsgerät im Sinne des § 549 RVO sein (siehe u.a. BSG 24, 243 , 246; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 7.Aufl., S. 482f; Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3.Aufl., § 549 Anm. 8 - jeweils mit weiteren Nachweisen). Es ist jedoch zu berücksichtigen, daß die Klägerin das Fahrrad noch nicht als Arbeitsgerät eingesetzt, sondern es geholt hatte, um es für betriebliche Zwecke zu verwenden. Das erstmalige Anschaffen eines Werkzeuges in der Absicht, es für die versicherte Tätigkeit zu verwenden, unterliegt nach einer vor allem im Schrifttum vertretenen Auffassung nicht dem Versicherungsschutz nach § 549 RVO (s. Bayer.LVAmt EuM 31, 213; Brackmann aaO S. 482f II; Lauterbach aaO § 549 Anm. 7; Gunkel/Jegust, Der Arbeitsunfall, 3. Aufl. 1965, S. 87; Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, 3. Aufl. 1968, Kennzahl 060, S. 4; Vollmar, Sozialversicherung 1958, 322, 324). Es bedarf jedoch keiner Entscheidung, ob dieser Auslegung des § 549 RVO zu folgen ist und ob insoweit das Heranschaffen eines im Eigentum des Versicherten stehenden Beförderungsmittels in der Absicht, es als Arbeitsgerät zu verwenden, dem Ankauf eines Arbeitsgerätes gleichzustellen ist. Entfällt ein Versicherungsschutz nach dieser Vorschrift, so kann der Versicherte bei seiner Tätigkeit nach § 548 RVO versichert sein (Brackmann aaO). Das ist hier der Fall. Die Klägerin hat nach den von der Revision nicht mit wirksamen Verfahrensrügen angegriffenen und den Senat deshalb bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG das neue Fahrrad dringend für betriebliche Zwecke benötigt. Sie wollte nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG das neue Fahrrad auch nach dem Heranschaffen unmittelbar dafür verwenden. Der Weg zu ihrer früheren Wohnung und zurück diente deshalb nicht, wie die Revision meint, wesentlich allein eigenwirtschaftlichen Zwecken, dem Herbeischaffen dem beim Umzug vergessenen Gegenstände, sondern zumindest wesentlich auch dem Zweck, das neue Fahrrad als Beförderungsmittel für das Geschäft zur Verfügung zu haben. Der Umstand, daß die Klägerin bei dieser Gelegenheit auch eigenwirtschaftliche Interessen mitverfolgt hat, schließt den Kausalzusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem zurückgelegten Weg nicht aus (vgl. BSG 3, 240, 245; 20, 215, 217; Brackmann aaO S. 482g). Soweit die Revision Bedenken gegen die tatsächlichen Feststellungen des LSG vorbringt, laufen ihre Ausführungen nur darauf hinaus, das von LSG gewonnene Ergebnis freier richterlicher Überzeugungsbildung für unzutreffend zu halten. Eine Überschreitung der gesetzlichen Grenzen des Rechts auf freie richterliche Beweiswürdigung hat sie nicht dargelegt. Der Weg der Klägerin hat deshalb aufgrund der den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG im ursächlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit gestanden. Das LSG hat demnach im Ergebnis zu Recht den Unfall der Klägerin als Arbeitsunfall gewertet und die Beklagte als den zuständigen Unfallversicherungsträger zur Entschädigung verurteilt. Die Revision der Beklagten war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen