Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachentrichtung von Beiträgen nach Eintritt des Versicherungsfalles der Berufsunfähigkeit, der Erwerbsunfähigkeit oder des Todes

 

Orientierungssatz

Nur durch "angemessene" Teilzahlungsfristen konnte den finanziell weniger gut gestellten Versicherten die Beitragsnachentrichtung nach AnVNG Art 2 § 49a Abs 2 (= ArVNG Art 2 § 51a) real ermöglicht werden. Die Einräumung solcher Teilzahlungsfristen kann aber ihr Ziel, den sozial Schwächeren gleiche Versicherungsmöglichkeiten einzuräumen, nur erreichen, wenn die Streckung der Zahlung nicht durch den Eintritt von Versicherungsfällen bedroht wird. Andernfalls würde die mit der Einräumung von Teilzahlungsfristen verbundene Wohltat in einem sehr wesentlichen Punkt wieder zurückgenommen. Dafür enthält das Gesetz keinen Anhalt.

 

Normenkette

AnVNG Art 2 § 49a Abs 3 Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art 2 § 51a Abs 3 Fassung: 1972-10-16; AVG § 10 Abs 2a Fassung: 1972-10-16; RVO § 1233 Abs 2a Fassung: 1972-10-16; AVG § 140 Abs 2 Fassung: 1947-02-23; RVO § 1418 Abs 2 Fassung: 1957-02-23; AVG § 141 Abs 2 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1419 Abs 2 Fassung: 1957-02-23

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Entscheidung vom 25.07.1978; Aktenzeichen L 12 An 159/77)

SG Berlin (Entscheidung vom 05.10.1977; Aktenzeichen S 8 An 826/76)

 

Tatbestand

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob Beiträge nach Art 2 § 49a des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) auch nach dem Tode des Berechtigten noch entrichtet werden können, wenn dieser vorher einen entsprechenden Antrag gestellt hatte, dem der Versicherungsträger durch einen Bescheid über die Nachentrichtung von bestimmten Beiträgen stattgegeben hatte.

Die Beklagte ließ auf Antrag des Ehemannes der Klägerin mit Bescheid vom 19. Juli 1973 die Nachentrichtung von Beiträgen im Gesamtbetrage von 27.507,-- DM zu. Der Bescheid enthält die Aufforderung "die Nachentrichtung - möglichst in einem Betrag - ....... innerhalb eines Monats nach Empfang dieses Bescheides vorzunehmen". Er enthält ferner den Hinweis, daß bei späterer Entrichtung der Beiträge die Entgegennahme möglicherweise nicht mehr zu den angegebenen Beitragsklassen geschehen kann und daß auch nach Eintritt der Berufsunfähigkeit oder der Erwerbsunfähigkeit nachentrichtete Beiträge nur für einen späteren Versicherungsfall angerechnet werden können. Die Nachentrichtung sei auch in Teilbeträgen möglich, müsse aber spätestens innerhalb von fünf Jahren nach Zustellung des Bescheides abgeschlossen sein.

Der Ehemann der Klägerin entrichtete daraufhin in Anlehnung an den im Antrag enthaltenen Zahlungsplan im Dezember 1973 Beiträge in Höhe von 7.344,-- DM und im Dezember 1974 Beiträge in Höhe von 6.480,-- DM an die Beklagte. Am 22. September 1975 ist der Ehemann der Klägerin verstorben. Die Klägerin bot daraufhin mit Schreiben vom 17. Oktober 1975 die sofortige Entrichtung des Restbetrages von 13.680,-- DM an. Die Beklagte lehnte dies jedoch mit der Begründung ab, daß eine Entrichtung der Beiträge nach dem Tode des Versicherten nicht mehr möglich sei (Bescheid vom 20. November 1975). Widerspruch und Klage blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 7. April 1976; Urteil des Sozialgerichts -SG- Berlin vom 5. Oktober 1977).

Das Landessozialgericht (LSG) Berlin hat die Bescheide der Beklagten und das Urteil des SG aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die von der Klägerin angebotenen restlichen Beiträge entgegenzunehmen (Urteil vom 25. Juli 1978). Das LSG hat die Auffassung vertreten, daß in den Fällen, in denen dem Versicherten die Nachentrichtung durch Bescheid zugestanden worden sei, in entsprechender Anwendung von § 141 Abs 2 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) die Witwe berechtigt sei, in angemessener Frist die Beiträge zu leisten. Eine andere Auslegung würde die Zielvorstellung des Gesetzgebers vereiteln. Durch die Nachentrichtungsmöglichkeit nach Art 2 § 49a AnVNG solle nicht nur dem Versicherten selbst, sondern auch den Hinterbliebenen ein wirksamer Versicherungsschutz ermöglicht werden. Der notwendige Zusammenhang zwischen dem Anerbieten eines Beitrages und der tatsächlichen Zahlung werde hier dadurch gewahrt, daß der Versicherungsträger nach Art 2 § 49a Abs 3 AnVNG Teilzahlungen zulasse. Da die Witwe hier binnen angemessener Frist nach dem Tode die Beiträge entrichtet habe, sei die Beklagte verpflichtet, diese Beiträge entgegenzunehmen und noch bei der Berechnung der Hinterbliebenenrente zu berücksichtigen.

Mit der Revision macht die Beklagte geltend, daß die Auffassung des LSG und auch die im Urteil des erkennenden Senats vom 13. September 1979 (12 RK 47/78) in dieser Frage getroffene Entscheidung vor allem dem Versicherungsgedanken widerspreche. Den übrigen Argumenten komme demgegenüber eine geringe Bedeutung zu. Ein Grundprinzip jeder Versicherung bestehe darin, daß ein Versicherungsschutz nicht mehr begründet werden könne, wenn der Schaden bereits eingetreten sei. Ausnahmen seien nur in einem engen Rahmen vertretbar und nur dort, wo sie das Gesetz ausdrücklich vorsehe. Die hiervon abweichende Auffassung des erkennenden Senats berücksichtige nicht, daß durch die damit eröffnete Möglichkeit, Zahlungen während der gesamten Teilzahlungsfrist unabhängig vom Eintritt eines Versicherungsfalles zu leisten, dem Versicherten an die Hand gegeben werde, die Entwicklung seines Gesundheitszustandes zu beobachten und erst bei Eintritt der Erwerbsunfähigkeit oder Berufsunfähigkeit Beiträge zu entrichten, bei günstiger Prognose jedoch hierauf zu verzichten. Es sei immerhin zu bedenken, daß es sich um freiwillige Beiträge handele, zu deren Entrichtung der Versicherte nicht gezwungen werden könne.

Die Unzulässigkeit der Nachentrichtung nach Eintritt des Versicherungsfalles ergebe sich im übrigen aus Wortlaut, Systematik und Zweck des Gesetzes. In Art 2 § 49a AnVNG werde lediglich eine Abweichung von § 140 AVG zugelassen; § 141 AVG werde hingegen nicht erwähnt. Dies weise im Rahmen einer systematischen Betrachtung darauf hin, daß der Gesetzgeber eine Abweichung von § 141 AVG nicht habe vorsehen wollen. Bestätigt werde dies durch die Gesetzesentwicklung; denn der Gesetzgeber habe bei Neufassung der Vorschrift durch das 20. Rentenanpassungsgesetz (RAG), obwohl das hier anstehende Problem inzwischen hinlänglich bekannt gewesen sei, keinen Hinweis auf § 141 Abs 2 AVG in Art 2 § 49a Abs 3 AnVNG aufgenommen. Der Zweck der Teilzahlungsklausel sei es gewesen, den Versicherten Gelegenheit zu geben, sich das für die Nachentrichtung notwendige Kapital zu beschaffen und die Zahlungen zeitlich nach steuerlichen Gesichtspunkten zu verteilen. Diese Zwecksetzung habe nichts mit der Frage der Entrichtungsmöglichkeit nach Eintritt von Versicherungsfällen zu tun. Entgegen der Auffassung des erkennenden Senats könne auch nicht davon ausgegangen werden, daß eine lediglich teilweise Entrichtung der angebotenen Beiträge für den Versicherten nicht rentabel sei. Das Gegenteil sei regelmäßig der Fall. Im Rahmen des Absatzes 1 könnten zunächst die weiter zurückliegenden Zeiträume belegt werden, was zur Folge habe, daß diese Nachentrichtung rentabler sei als die Leistung von Beiträgen für spätere Zeiten. Im Rahmen des Absatzes 2 bestehe zwar das sogenannte Belegungsgebot. Immerhin sei aber zu beachten, daß auch die für kurz zurückliegende Zeiträume nachentrichteten Beiträge eine größere Rentabilität aufwiesen als laufende Beiträge. Demgegenüber ergebe sich aus der Auffassung des 12. Senats eine nicht zu rechtfertigende Einschränkung des dem Versicherungsträger in Artikel 2 § 49a Abs 3 Satz 2 AnVNG eingeräumten weiten Ermessensspielraums. Dieser Ermessensspielraum diene dazu, zur Erleichterung der Bewältigung von Massengeschäften generell Teilzahlungen zuzulassen. Es müsse als selbstverständlich angenommen werden, daß mit einer solchen Entscheidung nicht ein zusätzliches Risiko hinsichtlich des zwischenzeitlichen Eintritts eines Versicherungsfalles übernommen werde. Eine andere Interpretation der Ermessensentscheidung müsse als unvereinbar mit den Interessen der Versichertengemeinschaft gewertet werden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 25. Juli 1978 aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 5. Oktober 1977 zurückzuweisen.

Die Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist unbegründet.

Wie der erkennende Senat bereits mehrfach entschieden hat, gilt § 141 AVG auch für die Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 2 § 49a AnVNG, soweit in dieser Vorschrift nichts anderes bestimmt ist. Die allgemeinen Vorschriften über die Beitragsnachentrichtung für Zeiten vor Eintritt des Versicherungsfalles (§ 141 AVG und - für Zeiten vor Beginn des Altersruhegeldes - § 10 Abs 2a AVG) sind grundsätzlich auch dort anzuwenden, wo das Gesetz eine besondere Nachentrichtungsmöglichkeit vorsieht (BSGE 42, 197, 198; SozR 5750 Art 2 § 51a Nrn 7 S. 13 und 18 S. 28; ferner BSGE 40, 251, 253 und Urteile vom 1. Februar 1979 - 12 RK 31/77 - und vom 13. September 1979 - 12 RK 47/78 -). Dementsprechend ist hier auch § 141 Abs 1 AVG zu beachten, der vorschreibt, daß freiwillige Beiträge nach Eintritt des Todes für Zeiten vorher nicht mehr entrichtet werden dürfen. § 141 Abs 1 AVG wird im vorliegenden Fall aber durch die Ausnahme des § 141 Abs 2 AVG verdrängt. Dort ist vorgesehen, daß auch nach dem Tode eine Entrichtung von freiwilligen Beiträgen für Zeiten vorher möglich ist, wenn sich der Versicherte vor seinem Tode zur Beitrags(nach)entrichtung bereit erklärt hat und die (Nach)Entrichtung in angemessener Frist (nach der Bereiterklärung) erfolgt (Urteil des erkennenden Senats vom 13. September 1979 - 12 RK 47/78 -).

Diese Voraussetzungen sind im Falle der Klägerin gegeben. Ihr verstorbener Ehemann hatte sich vor seinem Tode zur Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 2 § 49a Abs 2 AnVNG in einem bestimmten Umfang bereit erklärt. Die Beiträge wären, wenn die Beklagte das Angebot der Klägerin angenommen hätte, auch in angemessener Frist entrichtet worden.

Die Bereiterklärung zur Beitragsentrichtung liegt hier in dem (im einzelnen konkretisierten) Antrag auf Nachentrichtung von Beiträgen nach Art 2 § 49a AnVNG. Die Bereiterklärung setzt weder eine Bereitstellung der Beiträge noch eine Erklärung über den Zahlungsmodus voraus, sondern lediglich die erkennbare Bekundung des Willens, konkret bestimmbare Beiträge nachzuentrichten (BSGE 10, 264, 268; BSG Urteil vom 16. Januar 1968 - 11 RA 84/67 - SGb 1968, 102). Der Antrag des Ehemannes der Klägerin erfüllt diese Voraussetzungen, denn er enthält eine genaue Bezeichnung der Beiträge und zugleich die Kundgabe des Willens, von der beantragten Nachentrichtung auch Gebrauch zu machen.

Die angemessene Frist für die tatsächliche Entrichtung der Beiträge umfaßte im vorliegenden Fall fünf Jahre, weil die Beklagte in dem Bescheid vom 19. Juli 1973 dem Ehemann der Klägerin eine über diesen Zeitraum ausgedehnte Teilzahlung eingeräumt hatte. Auf die Frage, wie im allgemeinen die Dauer der "angemessenen Frist" im Rahmen von § 141 Abs 2 AVG zu bestimmen ist, braucht im vorliegenden Fall nicht eingegangen zu werden; denn die Dauer der "angemessenen Frist" im Sinne von § 141 Abs 2 AVG ist in Art 2 § 49a AnVNG durch besondere Bestimmungen näher abgegrenzt worden. Für diejenigen Personen, die einen Antrag auf Leistungen aus der Stiftung für die Alterssicherung älterer Selbständiger gestellt hatten, lief die Frist auf jeden Fall bis zum 31. August 1978 (Art 2 § 49a Abs 3 Satz 4 AnVNG idF des Gesetzes vom 27. Juni 1977, BGBl I, 1040). Darüber hinaus ist der Rentenversicherungsträger ermächtigt worden, die Frist für die Entrichtung der Beiträge durch Verwaltungsakt in den Grenzen eines Fünfjahreszeitraumes festzulegen (Art 2 § 49a Abs 3 Satz 3 AnVNG). Dabei kann hier dahinstehen, ob damit der Beklagten das Recht eingeräumt war, ohne nähere Prüfung in jedem Fall Teilzahlungen über einen Zeitraum von fünf Jahren zuzubilligen; denn im Falle des Ehemannes der Klägerin ist dies jedenfalls bindend geschehen. Damit war für ihn die Frist des § 141 Abs 2 AVG auf fünf Jahre festgelegt.

Die Auffassung der Beklagten, daß die Bestimmungen über die Zahlungsfristen in Art 2 § 49a Abs 3 Sätze 3 und 4 AnVNG nur die Abwicklung der Zahlung regelten, nicht aber die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen betreffen, ist unrichtig. Dies zeigt ein Vergleich mit den §§ 140 und 141 AVG. Diese für den Regelfall geltenden Vorschriften des AVG enthalten zwei verschiedene Arten von Fristen. Die Fristen des § 140 AVG bestimmen, für welche Zeit rückwirkend überhaupt Beiträge entrichtet werden dürfen. Die Frist des § 141 Abs 2 AVG legt demgegenüber fest, in welcher Frist Beiträge nach einer Bereiterklärung beigebracht werden müssen, um wirksam zu sein, oder - anders ausgedrückt - um der Bereiterklärung rechtliche Wirkung zu verleihen. Die gleiche Systematik findet sich in Art 2 § 49a AnVNG wieder. Die Fristen des § 140 AVG sind in Art 2 § 49a Abs 1 und 2 AnVNG durch die Zeit vom 1. Januar 1956 bis 31. Dezember 1973 ersetzt worden. Daneben bestimmt Art 2 § 49a Abs 3 in den Sätzen 3 und 4 AnVNG, innerhalb welcher Fristen die Beiträge zu zahlen sind. Diese auffällige Parallele berechtigt zu der Annahme, daß diese weiteren Fristenbestimmungen die gleiche Funktion haben wie die Beibringungsfrist in § 141 Abs 2 AVG.

Nur eine solche Auslegung führt auch zu sachlich gerechtfertigten Ergebnissen, die den Gesetzeszweck gleichmäßig verwirklichen. Derjenige, der sich entschließt, Beiträge nachzuentrichten und deshalb einen Antrag stellt, dies in bestimmtem Umfang tun zu dürfen, muß - besonders, wenn ein so langer Nachentrichtungszeitraum zur Disposition steht - Berechnungen anstellen, wie sich die Nachentrichtung für ihn auswirkt. Diese Berechnungen können regelmäßig nur zum erstrebten Ziele führen, wenn die Nachentrichtung in vollem Umfang erfolgt. Eine nur teilweise Erfüllung der geplanten Nachentrichtung könnte sogar zu Rentenminderungen führen. Der Berechtigte hat deshalb, gerade auch wegen der hohen Beitragssummen, die zB auch im vorliegenden Fall in Betracht kommen, ein erhebliches Interesse daran, daß seine Kalkulation nicht durch spätere Ereignisse gestört wird. Eine solche Störung läßt sich zwar durch sofortige Entrichtung aller Beiträge, also der gesamten Nachentrichtungssumme, vermeiden. Diese Möglichkeit steht aber nur denjenigen Personen offen, die über einen erheblichen finanziellen Rückhalt verfügen. Der Gesetzgeber wollte aber - wie aus der Einrichtung der Stiftung für die Alterssicherung älterer Selbständiger und aus der Einführung von Zahlungsfristen ersichtlich ist - gerade auch den sozial Schwächeren die Chance der Nachentrichtung eröffnen. Dieses Ziel, der schlechteren finanziellen Situation vieler Berechtigter Rechnung zu tragen, könnte aber nur unvollkommen erreicht werden oder würde gar in sein Gegenteil verkehrt, wenn die Zahlungsstreckung mit dem Risiko des § 141 Abs 1 AVG verbunden wäre. Diese Folge wird indes vermieden, wenn man erkennt, daß die Fristbestimmung des Art 2 § 49a AnVNG der Systematik der §§ 140 und 141 AVG entsprechen. Die Sätze 3 und 4 des Art 2 § 49a Abs 3 AnVNG sind deshalb als besondere Vorschriften anzusehen, die für ihren Anwendungsbereich die allgemeine Regelung über die Beibringungsfrist des § 141 Abs 2 AVG ersetzen.

Diese Grundsätze hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 13. September 1979 - 12 RK 47/79 - dargelegt. Die gegen dieses Urteil erhobenen Bedenken der Beklagten (s. auch Finke, DangVers 80, 54) greifen nicht durch. Es trifft zwar zu, daß die Regelung des Art 2 § 49a AnVNG so, wie sie der erkennende Senat ausgelegt hat, das Versicherungsprinzip durchbricht. Das allein stellt die Auslegung des Senats jedoch nicht in Frage, weil die Begründung des oben zitierten Urteils an § 141 Abs 2 AVG anknüpft, der eine gesetzlich geregelte Durchbrechung des Versicherungsprinzips enthält. Diese Durchbrechung rechtfertigt sich daraus, daß vor Eintritt eines Versicherungsfalles die Absicht bekundet worden ist, Beiträge zu entrichten, und der Versicherte keinen Nachteil erleiden soll, wenn er in der Zeit, die für die Verwirklichung dieser Absicht einzuräumen ist, von diesem Versicherungsfall überrascht wird. Der Gesetzgeber hat sich bei Abwägung der Gründe, die dafür sprechen, die Versichertengemeinschaft mit dem Risiko des zwischenzeitlichen Eintritts von Versicherungsfällen zu belasten, und den Gründen, die dafür sprechen, den Versicherten zu belasten, zugunsten des Versicherten entschieden. Auch die Auffassung des Senats, daß die "angemessene Frist" des § 141 Abs 2 AVG im Rahmen von Art 2 § 49a AnVNG durch die von der Beklagten eingeräumte Teilzahlungspflicht ersetzt wird, ist von den Grundgedanken der Regelung des § 141 Abs 2 AVG gedeckt. Zwar ist die Zeitspanne, wenn der gesamte Teilzahlungszeitraum von 5 Jahren ausgeschöpft wird, erheblich und länger, als in den Regelfällen des § 141 AVG zugebilligt wird. Dies entspricht aber dem in der Rechtsprechung zu § 141 Abs 2 AVG immer wieder hervorgehobenen Grundsatz, daß die "angemessene Frist" keine starre Frist ist, sondern sich nach den Besonderheiten des Einzelfalles, insbesondere auch dem Umfang der zu entrichtenden Beiträge, richtet (RVA AN 42, 398; BSGE 10, 264, 268; 19, 247, 249; Verbandskommentar § 1419 Reichsversicherungsordnung -RVO- Anm 5). Wenn der Gesetzgeber bei einer Nachentrichtungsmöglichkeit wie der des Art 2 § 49a AnVNG, die sich auf den Zeitraum von 1956 bis 1973, also auf 18 Jahre erstreckt und weit über 40.000,-- DM umfassen kann, der Beklagten überläßt, diese Frist in einem Rahmen bis zu 5 Jahren festzulegen, so enthält dies eine angemessene Umsetzung der Gedanken des § 141 Abs 2 AVG auf die Erfordernisse der besonderen Nachentrichtungsmöglichkeit des Art 2 § 49a AnVNG.

Wenn die Beklagte demgegenüber meint, bei einer solchen Auslegung belaste sie die Einräumung von Teilzahlungsfristen mit zusätzlichen Risiken und beschränke sie zu sehr in ihrer Praxis, (aus verwaltungstechnischen Gründen) den Eingang der Zahlungen durch längere Teilzahlungsfristen zu strecken, so ist dem entgegenzuhalten, daß sich aus dem Gesetz und seiner Vorgeschichte eine solche allein an Verwaltungsvereinfachungsgründen orientierte Begründung nicht herleiten läßt. Gründe der Verwaltungsvereinfachung mögen bei der Ermächtigung der Beklagten, nach ihrem Ermessen Teilzahlungsfristen zu bewilligen, mitgespielt haben; entscheidend aber ist, daß nur durch "angemessene" Teilzahlungsfristen den finanziell weniger gut gestellten Versicherten die Beitragsnachentrichtung real ermöglicht werden konnte. Die Einräumung solcher Teilzahlungsfristen kann aber - wie oben schon ausgeführt wurde - ihr Ziel, den sozial Schwächeren gleiche Versicherungsmöglichkeiten einzuräumen, nur erreichen, wenn die Streckung der Zahlung nicht durch den Eintritt von Versicherungsfällen bedroht wird. Andernfalls würde die mit der Einräumung von Teilzahlungsfristen verbundene Wohltat in einem sehr wesentlichen Punkt wieder zurückgenommen. Dafür enthält das Gesetz keinen Anhalt. Wenn die Beklagte es aus verwaltungstechnischen Gründen für zweckmäßig hält, längere Teilzahlungsfristen ohne Rücksicht darauf zu bewilligen, ob dies im Einzelfall dem Umfang der angebotenen Beiträge und der Situation des Versicherten entspricht, so mag das zulässig sein. Sie muß jedoch dabei selbst abwägen, ob sie die damit eröffneten Risiken einer sozial inadäquaten Ausnutzung der Teilzahlungsfristen tragen kann. Die Auslegung des Gesetzes wird dadurch nicht bestimmt; denn sie erfolgt unabhängig von der Verwaltungspraxis der Beklagten.

Die Beklagte meint allerdings ferner, daß längere, sich unter Umständen über Jahre erstreckende Teilzahlungsfristen zu Mißbräuchen führen könnten. Diese Gefahren dürfen jedoch nicht überschätzt werden. Die Beklagte befürchtet einen Mißbrauch vor allem bei Erwerbsunfähigkeitsrenten und Berufsunfähigkeitsrenten durch eine bewußte Verschiebung der Zahlung. Hierzu ist zunächst darauf hinzuweisen, daß eine Verschiebung nur begrenzt - für die Dauer der Teilzahlungsfrist - möglich ist. Kurz vor Ende dieser Frist muß der Versicherte in jedem Falle die Beiträge entrichten, will er sie angerechnet haben. Im übrigen ist der Nachteil, der der Versichertengemeinschaft insoweit entstehen könnte, daß nämlich der Versicherte seine Zahlung solange wie möglich zurückhält, von vornherein in der Zulassung langer Teilzahlungsfristen angelegt.

Ein weiterer Nachteil für die Versichertengemeinschaft könnte darin liegen, daß der Versicherte die Möglichkeit hat, bis zum Ende des Teilzahlungszeitraums abzuwarten, ob überhaupt ein Versicherungsfall eintritt, und es von dessen Eintritt abhängig zu machen, ob er die angebotenen Beiträge in vollem Umfang einzahlt. Diese Möglichkeit der Manipulation kann jedoch nicht unbedingt als ein prägendes Motiv für das Verhalten der Versicherten angesehen werden; im übrigen muß sie im Interesse der den sozial Schwachen vom Gesetzgeber zugedachten Wohltaten in Kauf genommen werden. In der Regel wird ein Versicherter, der einen Nachentrichtungsantrag stellt, auch beabsichtigen, die Beiträge zu entrichten; er wird lediglich die Zahlung auf verschiedene Zeiträume verteilen oder aufschieben wollen. Es kann nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß sich eine beachtliche Zahl Versicherter zunächst zur Nachentrichtung bereiterklärt, um alsdann zu warten, ob innerhalb der nächsten 5 Jahre ein Versicherungsfall eintritt, und je nachdem auf die Nachentrichtung zu verzichten, sie nur in geringerem oder vollem Umfang vorzunehmen. Aber selbst wenn solche Fälle in größerer Zahl zu erwarten gewesen wären, so wäre es Sache des Gesetzgebers gewesen, zu bestimmen, ob er es wegen dieser Manipulationsmöglichkeiten für geboten hielt, die für die sozial Schwachen getroffene Teilzahlungsregelung einzuschränken. Ob in extremen Fällen eindeutigen Mißbrauchs nicht schon nach dem geltenden Recht eine Einschränkung möglich ist, kann hier dahinstehen. In Fällen planmäßig betätigten Zahlungswillens - wie im vorliegenden Fall - besteht jedenfalls kein Anlaß zu erörtern, unter welchen Voraussetzungen Mißbräuchen entgegengetreten werden kann.

Daß der Versicherte oder seine Hinterbliebenen auch die Möglichkeit haben, noch den vollen verbleibenden Rest der Teilzahlungsfrist verstreichen zu lassen, bevor die Beiträge gezahlt werden, belastet die Versichertengemeinschaft ebenfalls nicht in einer den Gesetzeszweck widersprechenden Weise. Selbst wenn es zuträfe - was hier nicht zu entscheiden ist -, daß auch die später entrichteten Beiträge ab Eintritt des Versicherungsfalles rentensteigernd zu berücksichtigen wären, läge, entgegen der Auffassung der Beklagten, grundsätzlich kein Mißbrauch vor, wenn der Versicherte die ihm eingeräumte Teilzahlungsfrist ausnutzt, weil er sie zur Aufbringung der Mittel benötigt. Im übrigen wäre zu erwägen, ob die Beklagte nicht bei zwischenzeitlichem Eintritt des Versicherungsfalles die Dauer der Teilzahlungsfrist überprüfen und sie unter Umständen, wenn die bisher eingeräumte Dauer im Einzelfall nicht (mehr) gerechtfertigt ist, einschränken darf.

Nicht folgen kann der Senat der Kritik der Beklagten auch insoweit, als es sich um die Einhaltung des Nachentrichtungsplans handelt, den der Versicherte durch seinen Antrag und die Beklagte durch ihren Bescheid vorgegeben haben. Beitragsnachentrichtungen mögen zwar, von wenigen Ausnahmen abgesehen, stets für den Versicherten rentabel sein. Das ändert aber nichts daran, daß der Entschluß des Versicherten, Nachentrichtungen im bestimmten Umfang vorzunehmen, seine volle Rentabilität erst bei völliger Erfüllung des Nachzahlungsplans gewinnt, und daß die volle Erfüllung dieses Planes grundsätzlich entscheidend für den Entschluß zur Nachentrichtung gewesen ist; anderenfalls hätte der Versicherte sich in der Regel nicht zur Nachentrichtung in diesem Umfang entschlossen.

Nicht durchgreifend sind ferner die Einwendungen der Beklagten, die sich auf die Systematik des Gesetzes stützen. Wenn nach Art 2 § 49a Abs 1 AnVNG der Eintritt des Versicherungsfalles des Alters vor dem 1. Januar 1973 der Nachentrichtung von Beiträgen nicht entgegensteht, so hat dies nichts mit § 141 AVG zu tun; denn die Auswirkungen des Versicherungsfalls des Alters auf die Zulässigkeit der freiwilligen Beitragsentrichtung sind nicht dort, sondern in § 10 Abs 2a AVG geregelt. Außerdem betrifft dieser Teil des Art 2 § 49a Abs 1 AnVNG nicht die Entrichtung von Beiträgen nach Eintritt eines Versicherungsfalles während des Laufes der Teilzahlungsfrist, sondern den Eintritt von Versicherungsfällen in der Zeit vor und unmittelbar nach Inkrafttreten des Gesetzes.

Der Hinweis der Beklagten, daß in Art 2 § 49a Abs 1 und 2 AnVNG lediglich eine Abweichung von § 140 AVG geregelt werde, hingegen in Abs 3 keine besondere Regelung zu § 141 AVG getroffen worden sei, spricht ebenfalls nicht mit der von ihr angenommenen Deutlichkeit für ihre Auffassung; denn § 140 AVG regelt nicht die Frage der Beitragsnachentrichtung nach Eintritt eines Versicherungsfalles. Das einzige Argument, daß sich aus dieser Betrachtung gewinnen läßt, ist, daß es immerhin auffällt, daß der in diesem Zusammenhang naheliegende Ausschluß des § 141 Abs 1 AVG für die Dauer der Teilzahlungsfrist nicht erwähnt wird. Daraus allein läßt sich jedoch angesichts der übrigen für eine besondere Konkretisierung des § 141 Abs 2 AVG in Art 2 § 49a Abs 3 AnVNG sprechenden Argumente nicht die Folgerung ziehen, im Gesetz sei die volle Anwendbarkeit von § 141 Abs 1 AVG vorgesehen.

Im übrigen wäre der Hinweis der Beklagten, daß zwar in Art 2 § 49a Abs 1 und 2 AnVNG der § 140 AVG erwähnt sei, nicht aber der § 141 Abs 2 AVG in Art 2 § 49a Abs 3 AnVNG, nur dann verständlich, wenn die Beklagte der Ansicht wäre, daß § 141 Abs 2 AVG im Rahmen der Nachentrichtungsregelung des Art 2 § 49a AnVNG überhaupt nicht anzuwenden sei, also auch dann nicht, wenn der Tod des Berechtigten und die Beitragszahlung durch die Hinterbliebenen innerhalb einer - von der Beklagten als "angemessen" angesehenen - Frist von 3 Monaten nach Stellung des Nachentrichtungs antrages erfolgt. Eine solche Auffassung wird jedoch von der Beklagten selbst nicht vertreten (vgl ihren Schriftsatz vom 10. November 1978 Blatt 3 unten). Ihr geht es offenbar nur darum, die Nachbringungsfrist auf einen möglichst kurzen Zeitraum zu begrenzen, jedenfalls nicht bis zum Ende der Teilzahlungsfrist zu erstrecken. Damit wird von der Beklagten die grundsätzliche Anwendbarkeit des § 141 Abs 2 AVG im Rahmen des Art 2 § 49a AnVNG nicht geleugnet, sondern gerade vorausgesetzt.

Nicht überzeugend ist schließlich das Argument der Beklagten, der Gesetzgeber habe bei Neufassung des Art 2 § 49a Abs 3 Satz 4 und des Abs 4 AnVNG durch das 20. RAG Gelegenheit gehabt, das inzwischen bekannte Problem des Eintritts von Versicherungsfällen während der Teilzahlungsfrist zu regeln. Die Gründe, die den Gesetzgeber veranlassen, nur eine bestimmte Frage zu regeln und andere Fragen trotz Kenntnis der Probleme nicht einzubeziehen, sind vielfältig und von Außenstehenden schwer zu durchschauen. Aus diesem Grunde kann aus dem Schweigen des Gesetzgebers nicht ohne weiteres ein Schluß gezogen werden, wenn nicht in den Motiven konkrete Anhaltspunkte vorhanden sind, daß dieses Schweigen als Bestätigung einer bisherigen Praxis verstanden werden soll (vgl BSG, Großer Senat, SozR 2200 § 1265 Nr 41 S 140 mwN).

Die Auslegung des Senats verstößt auch nicht gegen bisher vorliegende Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Die von der Beklagten zitierte Entscheidung SozR 5750 Art 2 § 51a Nr 5 (Urteil vom 22. September 1976 - 1 RA 133/75 -) befaßt sich mit einem Sachverhalt, der dadurch gekennzeichnet ist, daß der Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit bereits vor Stellung des Antrags auf Nachentrichtung von Beiträgen eingetreten war. In diesem Fall hat der 1. Senat entschieden, daß § 141 Abs 1 AVG zu beachten ist (eine Auffassung, die vom erkennenden Senat geteilt wird). Die allgemeinen Ausführungen zu der Geltung von § 141 Abs 1 AVG beziehen sich auch nur auf die in Art 2 § 49a Abs 1 AnVNG angesprochene Frage, welche Wirkung der Eintritt von Versicherungsfällen vor dem Inkrafttreten des Gesetzes hat. Gerade der Hinweis des 1. Senats, daß die Bedeutung des Eintritts des Versicherungsfalles in den einzelnen Sondervorschriften unterschiedliche Bedeutung hat, deutet darauf hin, daß der 1. Senat die hier anstehende Frage nicht entscheiden wollte.

Abschließend ist festzuhalten, daß sich somit aus dem Vortrag der Beklagten kein Anhaltspunkt ergibt, der es erlaubt, zu einer anderen Risikoverteilung zu kommen als in der Entscheidung des Senats vom 13. September 1979. Die Darlegungen der Beklagten und auch die Ausführungen von Finke (DAngVers 80, 54) leiden darunter, daß sie ausschließlich die Interessen der Versichertengemeinschaft zum Maßstab nehmen und die gebotene Abwägung mit dem Risiko des Versicherten vermissen lassen, das - würde es ihm für die Dauer der Teilzahlungsfrist aufgebürdet - die Erreichung des mit Art 2 § 49a AnVNG verfolgten Gesetzeszweck gefährden würde.

Die Revision konnte deshalb keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1657517

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