Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 27.07.1987) |
Tenor
Auf die Revision der Beigeladenen wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. Juli 1987 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte zu genehmigen hat, daß der Versicherte M. … E. … seine Ansprüche auf Beitragserstattung gegen die Beklagte an den Kläger abgetreten habe.
Nach den bisherigen Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) gewährte der Kläger dem türkischen Versicherten M. … E. … am 10. März 1982 ein Darlehen in Höhe von 30.000,– DM. Es war nach dem Vortrag des Klägers dazu bestimmt, dem Versicherten den Bau eines Hauses in der Türkei zu ermöglichen. Der Versicherte war mit der Ehefrau des Klägers seit Jahren befreundet und dem Kläger gut bekannt. Der Versicherte war von Mai 1968 bis Juni 1983 in der Bundesrepublik erwerbstätig und anschließend bis März 1984 arbeitslos gewesen. Mit Ratenkreditvertrag vom 13. Mai 1983 gewährte ihm die beigeladene Bank ein Darlehen. Nachdem der Versicherte mit der Rückzahlung der Raten in Verzug geraten war, kündigte sie den Kreditvertrag am 9. Februar 1984. Am 24. Februar 1984 verließ der Versicherte die Bundesrepublik Deutschland. Drei Tage vor seiner Abreise, am 21. Februar 1984, gab er vor einem Notar die schriftliche Erklärung ab, daß er seine Beitragserstattungsansprüche gegen die Beklagte in voller Höhe an den Kläger abtrete. Am 22. Februar 1984 beantragte er bei der Beklagten die Rückerstattung der von ihm entrichteten Rentenversicherungsbeiträge. Er reichte zugleich die Abtretungserklärung zu den Verwaltungsakten der Beklagten und beantragte die Überweisung des Erstattungsbetrages auf das Konto der Ehefrau des Klägers.
Mit Beschluß vom 16. Mai 1984 ordnete das Landgericht (LG) Bayreuth wegen des Restanspruchs der Beigeladenen gegen den Versicherten den dinglichen Arrest in das Vermögen des Versicherten an und pfändete anteilmäßig den Erstattungsanspruch des Versicherten gegen die Beklagte. Mit Beschluß des Amtsgerichts (AG) Bayreuth vom 22. November 1985 wurde aufgrund eines Versäumnisurteils des LG Münster die gepfändete Forderung der Beigeladenen zur Einziehung überwiesen.
Die Beklagte teilte mit Bescheid vom 8. Juli 1985 dem Versicherten mit, daß Beiträge in Höhe von 32.501,48 DM erstattet würden. Im Hinblick auf den zugunsten der Beigeladenen angeordneten dinglichen Arrest könne der Erstattungsbetrag jedoch nicht an ihn ausgezahlt werden.
Mit Bescheid vom 28. Oktober 1985 erklärte die Beklagte gegenüber dem Kläger, die Abtretungserklärung liege nicht im wohlverstandenen Interesse des Versicherten und sei daher unwirksam. Über die bloße Kreditgewährung hinaus habe der Versicherte keine Vorteile erlangt, die ein besonderes Interesse im Sinne des § 53 des Sozialgesetzbuches – Allgemeiner Teil – (SGB 1) begründen könnten.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 22. Oktober 1986). Das LSG hat das Urteil des SG abgeändert und die Beklagte verurteilt, die Abtretung des Beitragserstattungsanspruchs des Versicherten an den Kläger vom 21. Februar 1984 zu genehmigen (Urteil vom 27. Juli 1987). Es hat im wesentlichen ausgeführt: In der Literatur werde zwar die Meinung vertreten, der bloße Ausgleich von Schulden aus der Vergangenheit reiche nicht aus, ein wohlverstandenes Interesse zu bejahen. Doch habe der Versicherte ein Interesse daran gehabt, den Kläger wegen seiner Darlehensforderung sicherzustellen. Denn auf diese Weise habe er verhindert, daß der Kläger gegen ihn einen persönlichen Arrest erwirkt und möglicherweise seine – des Versicherten Rückkehr in die Türkei verzögert hätte.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beigeladene eine Verletzung des § 53 SGB 1. Die Abtretung habe nicht im wohlverstandenen Interesse des Versicherten gelegen.
Die Beigeladene beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 22. Oktober 1986 zurückzuweisen.
Die Beklagte stellt keinen Antrag.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beigeladenen ist zulässig und im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet.
Nach § 75 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann der Beigeladene – innerhalb der Anträge der Hauptbeteiligten – selbständig Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend machen. Er kann damit zwar nicht dem Prozeß einen anderen Inhalt und eine andere Richtung geben als von den Hauptbeteiligten gewollt (BSGE 8, 293). Doch kann er gegen ein Urteil Rechtsmittel einlegen, wenn es ihn beschwert, also seine rechtlichen Interessen beeinträchtigt. Das ist bei der Beigeladenen der Fall. Wenn die Abtretung der Beitragserstattungsforderung des Versicherten an den Kläger wirksam wird, kann der Schutz der Beigeladenen, den sie durch die Pfändung der Beitragserstattungsforderung erlangt hat, beeinträchtigt werden.
Die Revision der Beigeladenen führt auch zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG. Die Zurückverweisung ist geboten, weil gemäß § 75 Abs 2 SGG die Beiladung des Versicherten, der die Beitragserstattungsansprüche gegen die Beklagte an den Kläger abgetreten hat, notwendig ist. Die Entscheidung, ob die zurückzuerstattenden Beiträge dem Kläger als Abtretungsgläubiger oder der beigeladenen Bank zustehen, die den Anspruch hat pfänden und an sich überweisen lassen, kann auch im Verhältnis zu dem abtretenden Versicherten (Zedenten) nur einheitlich ergehen (vgl Urteil des Bundessozialgerichts -BSG- vom 2. November 1988 – 8/5a RKn 11/85 –).
Das Unterlassen einer notwendigen Beiladung nach § 75 Abs 2 SGG ist bei einer zulässigen Revision von Amts wegen als Verfahrensmangel zu beachten (BSG in SozR 1500 § 75 Nrn 1 und 20). Da die Beiladung in der Revisionsinstanz nicht nachgeholt werden kann (§ 168 SGG), ist eine Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG geboten.
Die vom LSG vertretene und an sich nicht zu beanstandende Rechtsauffassung, daß die Abtretung eines Beitragsanspruchs zur Vermeidung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen im wohlverstandenen Interesse des Berechtigten iS des § 53 Abs 2 Nr 2 SGB 1 liegen kann, setzt allerdings – was das LSG ohne nähere Prüfung unterstellt hat – die Rechtswirksamkeit sowohl des Darlehens als auch des Abtretungsvertrages voraus. Aufgrund des bisher festgestellten Sachverhalts bestehen indes Anzeichen dafür, daß es sich hierbei um nichtige Scheingeschäfte (vgl § 117 Bürgerliches Gesetzbuch) gehandelt hat, durch die sich der Versicherte die Beitragserstattung trotz seiner Verschuldung bei der Beigeladenen erhalten wollte. Dafür spricht, daß der Kläger über die Hergabe eines Darlehens von 30.000,– DM an den Versicherten – was ungewöhnlich ist – keinerlei Unterlagen besitzen will, daß seine Ehefrau mit dem Versicherten befreundet ist, und daß auf deren Konto der Erstattungsbetrag von der Beklagten überwiesen werden soll. Darüber hinaus kann insoweit womöglich auch der Umstand von Bedeutung sein, daß der Versicherte die Abtretungserklärung erst abgab, nachdem die Beigeladene den ihm gewährten Ratenkredit gekündigt hatte.
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Fundstellen