Entscheidungsstichwort (Thema)
Erziehungsgeld. Berechnung des maßgeblichen Einkommens. Versorgungsbezüge
Leitsatz (amtlich)
Bei der Berechnung des maßgeblichen Einkommens für den Anspruch auf Erziehungsgeld waren bis Ende 1993 die Einkünfte beider Ehegatten im vorletzten Jahr aus Erwerbstätigkeit zu berücksichtigen, wenn der erziehende Ehegatte während des Bezugszeitraums keine Erwerbstätigkeit ausgeübt, dafür aber Versorgungsbezüge wegen Dienstunfähigkeit erhalten hat.
Stand: 24. Oktober 2002
Normenkette
BErzGG § 6 Abs. 3 Fassung: 1989-07-25, § 2 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Beklagten werden das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 3. November 1993 und der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 25. März 1993 geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in allen Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt Erziehungsgeld (Erzg) in der einkommensabhängigen Bezugszeit, in der sie keiner Erwerbstätigkeit nachging, aber als Beamtin im Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit Versorgungsbezüge erhielt.
Die Klägerin wurde als Verwaltungsbeamtin zum 1. März 1989 wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt und erhielt ab diesem Zeitpunkt Versorgungsbezüge. Auf ihren Antrag bewilligte das beklagte Land für ihr am 2. Dezember 1990 geborenes zweites Kind Erzg für die Zeit vom 2. Februar 1991 bis zum 1. Juni 1991. Eine weitergehende Leistung wurde mit der Begründung abgelehnt, daß wegen der Einkünfte der Klägerin und ihres Ehemannes ab dem siebten Lebensmonat des Kindes sich kein Zahlbetrag mehr errechne. Der Beklagte ging dabei von den Einkünften aus, wie sie vom Finanzamt der Besteuerung für das Jahr 1988 zugrunde gelegt worden waren (Bescheid vom 1. März 1991). Der Widerspruch der Klägerin, mit dem sie geltend machte, ihr eigenes Einkommen im Jahre 1988 müsse außer Betracht bleiben, weil sie in der einkommensabhängigen Bezugszeit keiner Erwerbstätigkeit nachgehe, sondern lediglich Versorgungsbezüge erhalte, blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 15. April 1991). Der Beklagte vertrat die Auffassung, daß die eigenen Einkünfte der Klägerin im Jahre 1988 nur dann unberücksichtigt bleiben dürften, wenn sie während der Erziehungszeit allein wegen fehlender Erwerbstätigkeit keine Einkünfte erziele. Nachdem die Klägerin ab 1. November 1991 wieder dienstfähig geworden war und ihre Versorgungsbezüge entfielen, nahm sie von diesem Zeitpunkt an Erziehungsurlaub in Anspruch. Der Beklagte gewährte ihr nunmehr Erzg in ungeminderter Höhe, weil er nur noch die Einkünfte des Ehemannes im Jahre 1988 bei der Einkommensanrechnung zugrunde legte. Auf die Klage hat das Sozialgericht den Beklagten verurteilt, auch für die Zeit vom 2. Juni 1991 bis zum 31. Oktober 1991 Erzg in ungeminderter Höhe zu gewähren (Gerichtsbescheid vom 25. März 1993). Das Landessozialgericht (LSG) hat sich dem angeschlossen (Urteil vom 3. November 1993). Es hat als entscheidend angesehen, daß die Klägerin während des streitbefangenen Zeitraums nicht erwerbstätig war. Auf die Gründe für die fehlende Erwerbstätigkeit komme es nicht an, solange eine Erwerbstätigkeit rechtlich zulässig sei. Die Klägerin sei rechtlich nicht gehindert gewesen, auch in der Zeit, in der sie Versorgungsbezüge erhalten habe, eine Erwerbstätigkeit auszuüben. Der Bezug der Versorgungsbezüge könne einer Erwerbstätigkeit nicht gleichgestellt werden. Die laufenden Versorgungsbezüge seien nicht anzurechnen, weil allein das Einkommen im Jahre 1988 maßgeblich sei.
Dagegen richtet sich die vom LSG zugelassene Revision des Beklagten, mit der er eine Verletzung des § 6 Abs 3 Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) rügt. Er vertritt weiterhin die Auffassung, daß der Bezug einer Beamtenversorgung einer Erwerbstätigkeit iS dieser Vorschrift gleichzustellen sei und deshalb das früher erzielte Erwerbseinkommen der Klägerin nicht unberücksichtigt bleiben dürfe. Zur Vermeidung dieses Ergebnisses hätte die Klägerin nur die Wahl gehabt, statt des früheren Einkommens (historisches Einkommen) das aktuelle Einkommen der Berechnung zugrunde legen zu lassen. Dann wären die Versorgungsbezüge der Klägerin als Einkommen anzurechnen gewesen mit der Folge, daß ebenfalls die maßgeblichen Einkommensgrenzen überschritten worden wären.
Der Beklagte beantragt,
unter Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Beklagten ist begründet. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind aufzuheben, und die Klage ist abzuweisen. Der Klägerin steht für die Zeit vom 1. Juni bis zum 31. Oktober 1991 kein Erzg zu, weil sich bei Anrechnung ihres im Jahre 1988 erzielten Einkommens von 41.752,00 DM für das Erzg kein Zahlbetrag mehr ergibt. Das Rechenwerk des Beklagten läßt insoweit keine Fehler erkennen und wird auch von der Klägerin nicht beanstandet.
Die Klägerin hat ihr Kind selbst betreut und während dieser Zeit keine Erwerbstätigkeit ausgeübt (§ 1 Abs 1 Nrn 3 und 4 BErzGG idF der Bekanntmachung vom 25. Juli 1989 – BErzGG 1989 – ≪BGBl I 1550≫, die insoweit durch die nachfolgenden Änderungen nicht betroffen sind). Der Gesetzgeber hat zwar in § 2 Abs 2 BErzGG (in der genannten Fassung) einer vollen Erwerbstätigkeit den Bezug bestimmter Leistungen gleichgestellt, insbesondere den Bezug von Arbeitslosengeld (Alg), Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld, Übergangsgeld (Übg) und Unterhaltsgeld (Uhg), nicht aber den Bezug von beamtenrechtlichem Ruhegehalt. Dies ist kein gesetzgeberisches Versehen (vgl BT-Drucks 10/3792 S 15). Die Gleichstellung der genannten Einkünfte mit einer Erwerbstätigkeit beruht auf der Erwägung, daß diese Gelder nur vorübergehend den Wegfall von Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit ausgleichen, der Leistungsempfänger aber im übrigen weiterhin zum Kreis der Erwerbstätigen zu zählen ist und für eine persönliche Kindesbetreuung nicht zur Verfügung steht, weil er sich – wie zB beim Bezug von Alg – zur Aufnahme einer Beschäftigung jederzeit bereithalten muß oder – wie zB beim Bezug von Übg oder Uhg – durch Teilnahme an medizinischen oder berufsfördernden Maßnahmen gehindert ist, sich ausreichend um die Kindesbetreuung zu kümmern. Folgerichtig hat der Gesetzgeber den Bezug von Renten wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit dem ebensowenig gleichgestellt wie den Bezug einer Beamtenversorgung. Dies sind Einkünfte, die Erwerbseinkommen nicht nur vorübergehend, sondern dauernd oder jedenfalls auf längere Zeit ersetzen sollen und den Bezieher an einer umfassenden Kindesbetreuung nicht hindern.
Damit, daß die Klägerin während des streitigen Zeitraums keine Erwerbstätigkeit ausgeübt und auch keine Leistungen bezogen hat, die das Gesetz der Ausübung einer Erwerbstätigkeit gleichgestellt hat, ist aber nicht entschieden, daß auch bei der Einkommensanrechnung die Versorgungsbezüge der Klägerin einer Erwerbstätigkeit nicht gleichgestellt werden dürfen. Nach § 5 Abs 2 BErzGG 1989 wird das Erzg vom Beginn des siebten Lebensmonats an gemindert, wenn das nach § 6 BErzGG 1989 maßgebliche Einkommen bei Verheirateten, die von ihrem Ehegatten nicht dauernd getrennt leben, 29.400,00 DM zuzüglich 4.200,00 DM Zuschlag für jedes weitere Kind übersteigt. Als Einkommen gilt nach § 6 Abs 1 BErzGG 1989 die Summe der im vorletzten Kalenderjahr vor der Geburt erzielten positiven Einkünfte iS des § 2 Abs 1 und 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG), wie sie der Besteuerung zugrunde gelegt worden sind. Für den Fall, daß der Berechtigte in der Zeit, in der das Erzg einkommensabhängig ist, nicht erwerbstätig ist, ordnet § 6 Abs 3 BErzGG 1989 an, daß sein im vorletzten Kalenderjahr erzieltes Erwerbseinkommen unberücksichtigt bleibt.
Anknüpfend an den Wortlaut der letztgenannten Vorschrift haben die Vorinstanzen die Auffassung der Klägerin bestätigt, daß ihr Einkommen aus dem vorletzten Kalenderjahr nicht dem Einkommen ihres Ehemannes hinzugerechnet werden dürfe, weil sie als Beamtin im Ruhestand nicht erwerbstätig gewesen sei. Der Wortlaut des § 6 Abs 3 BErzGG 1989, der nur verlangt, daß der Berechtigte „nicht erwerbstätig” ist, kann aber nicht entscheidend sein. Eine an Sinn und Zweck ausgerichtete Gesetzesauslegung ergibt vielmehr, daß eine Regelungslücke vorliegt, die in der Weise zu schließen ist, daß der Bezug von Versorgungsbezügen während der Erziehungszeit auch die Anrechnung der Erwerbseinkünfte im historischen Einkommensjahr zur Folge hat.
Die Gewährung von Erzg war stets einkommensabhängig, bis zum Inkrafttreten des 1. Gesetzes zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogramms vom 21. Dezember 1993 (BGBl I 2353) ab Beginn des siebten Lebensmonats des Kindes, seitdem auch für die ersten sechs Lebensmonate. Zur Errechnung des maßgeblichen Einkommens hatte der Gesetzgeber aus verwaltungspraktischen Erwägungen das vorletzte Kalenderjahr vor der Geburt des Kindes als Bemessungszeitraum vorgeschrieben, weil dieses Einkommen schon bei der Beantragung des Erzg in aller Regel, insbesondere auch bei Selbständigen, anhand der vorliegenden Steuerbescheide festgestellt werden konnte. Der Gesetzgeber hat, wie im Bereich des Kindergelds und des Bundesausbildungsförderungsgesetzes auch, dieses Einkommen als so zeitnah angesehen, daß es für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Familie im Bezugszeitraum noch hinreichend aussagekräftig ist. Er hat dabei hingenommen, daß sich die Leistungsfähigkeit der Familie im Bezugszeitraum im Einzelfall sogar erheblich verbessert hat; mit allgemeinen geringfügigen Verbesserungen war im Hinblick auf die langjährige Entwicklung von Einkommen und Löhnen ohnehin zu rechnen. Durch diese Berechnungsweise, die nunmehr durch eine ausschließliche Berücksichtigung des voraussichtlichen Einkommens im Bezugsjahr abgelöst worden ist (vgl § 6 Abs 2 BErzGG idF durch das Gesetz zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms vom 23. Juni 1993, BGBl I 944), wurden die Familien im Regelfall begünstigt (vgl dazu schon BSG SozR 3-7833 § 6 Nr 5). Für den vom Gesetzgeber als Ausnahme gesehenen Fall, daß sich die Einkommenssituation im Bezugszeitraum ungünstiger erwies, hat er dem Berechtigten die Möglichkeit eingeräumt, der Berechnung des Einkommens das Kalenderjahr zugrunde zu legen, in dem der siebte Lebensmonat des Kindes beginnt (§ 6 Abs 4 BErzGG 1989). Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit der Zugrundelegung des aktuellen Einkommens insbesondere für den Fall gesehen, daß der Berechtigte im vorletzten Kalenderjahr vor der Antragstellung vollerwerbstätig war und während des Bezuges von Erzg nicht oder nur noch in vermindertem Umfang erwerbstätig ist (BT-Drucks 10/3792 S 17).
Im Falle eines Herabsinkens des Einkommens im Bezugszeitraum durch die Aufgabe einer Erwerbstätigkeit – was nicht selten ist und vom Gesetzgeber auch bewußt gefördert wurde – sollte der Anspruchsberechtigte aber nicht nur auf diese Alternative verwiesen werden; die Klägerin hat sie auch nicht gewählt. Als Regel sollte auch in solchen Fällen gelten, daß das Einkommen im historischen Jahr zugrunde zu legen ist. Nur um zu vermeiden, daß die Leistungskraft der Familie nicht zutreffend wiedergegeben wird, wenn im Leistungszeitraum der erziehende Partner keine Erwerbseinkünfte erzielt, hat der Gesetzgeber angeordnet, daß dessen Einkünfte im historischen Jahr unberücksichtigt bleiben (§ 6 Abs 3 BErzGG 1989).
Die Regelung geht davon aus, daß durch die Nichtausübung einer Erwerbstätigkeit das Einkommen des Erziehenden ersatzlos entfällt. Der Fall, daß das Einkommen im wesentlichen durch andere Geldeinkünfte ersetzt wird, ist nicht geregelt. Für Bezugszeiten, in denen eine Lohnersatzleistung zufließt, gibt es keinen Grund, bei der Ermittlung des historischen Einkommens die damaligen eigenen Einkünfte außer Betracht zu lassen. Der in Wahrheit weitaus besseren Leistungsfähigkeit der Familie während des Bezugszeitraums würde sonst nicht Rechnung getragen. Durch die beamtenrechtlichen Versorgungsbezüge wird das finanzielle Leistungsvermögen der Familie erhöht, wenn auch in geringerem Umfange als durch eine volle Erwerbstätigkeit. Die Familie behält praktisch die finanzielle Leistungskraft einer Doppelverdiener-Ehe, während die gesetzliche Regelung des § 6 Abs 3 BErzGG 1989 eine während der Erziehungszeit bestehende Einverdiener-Ehe als Leitbild hat. Die Berechnungsweise schließt nicht aus, beim Wegfall der Versorgungsbezüge für die nachfolgende Bezugszeit das bereinigte Einkommen im historischen Jahr wieder zugrunde zu legen, wie das hier geschehen ist. Wäre die Klägerin in der Zeit des Versorgungsbezuges statt dessen erwerbstätig gewesen, so hätte auch für anschließende Erzg-Bezugszeiten ihr im historischen Jahr erzieltes Erwerbseinkommen nicht unberücksichtigt bleiben dürfen.
Entgegen der Auffassung des LSG lassen sich aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes gegen diese ergänzende Auslegung keine Gründe herleiten. Es spricht nichts dafür, der Gesetzgeber habe bewußt angeordnet, daß der Bezug von Versorgungsbezügen während der Kindesbetreuung nicht zur Anrechnung des früheren Erwerbseinkommens führen soll. Die vom LSG zitierte Passage aus dem Gesetzesentwurf der Bundesregierung (BT-Drucks 10/3792 S 15), wonach Lohnersatzleistungen wie zB Renten den Bezug von Erzg nicht ausschließen sollen, bezieht sich allein auf § 2 Abs 2 BErzGG, der den Ausschluß dem Grunde nach betrifft, nichts aber über die Ermittlung des anzurechnenden Einkommens besagt. Gleiches gilt für die Erwägung des LSG über die rechtliche Zulässigkeit einer Erwerbstätigkeit neben dem Erhalt von Versorgungsbezügen. Auch diese Erwägung, die das LSG im Hinblick auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG SozR 3-7833 § 1 Nr 11) anstellt, mag wie in der zitierten BSG-Entscheidung für die Leistungsberechtigung dem Grunde nach eine Rolle spielen können, was hier nicht streitig ist, ist für die Frage der Einkommensanrechnung aber ohne Belang.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen