Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorverlegung des Beginns einer Erwerbsunfähigkeitsrente aus der Angestelltenversicherung. Rentenneuberechnung. Berufungsausschluß bei Geltendmachung von Rentenansprüchen für abgelaufene Zeiträume

 

Orientierungssatz

Fälle, in denen der gesamte Rentenanspruch seinem Gehalt, seinem Wesen, sowie seiner Höhe nach streitig ist, fallen nicht unter den Berufungsausschluß des § 146 SGG, weil hier nicht lediglich eine Rentenzahlung für einen abgelaufenen Zeitraum begehrt wird, sondern eine Neufeststellung der Rente nach Art 2 § 41 AnVNG geltend gemacht wird. Wenn dies in der Berufungsinstanz verkannt wird, liegt ein wesentlicher Verfahrensmangel vor.

 

Normenkette

AnVNG Art. 2 § 41; SGG §§ 146, 162 Abs. 1 Nr. 2; ArVNG Art. 2 § 42

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 25.05.1967)

SG Koblenz (Entscheidung vom 30.06.1965)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 25. Mai 1967 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

Die Klägerin bezieht von der Beklagten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in Höhe von 35,20 DM monatlich seit dem 1. Januar 1963 auf Grund der im Laufe des sozialgerichtlichen Verfahrens ergangenen Bescheide vom 24. April und 28. Mai 1964. Ein früherer Rentenantrag vom Dezember 1959 war von der Beklagten abgelehnt worden, weil Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit noch nicht vorliege.

Die auf Gewährung der Erwerbsunfähigkeitsrente auch für die Zeit vom 1. Dezember 1959 bis 31. Dezember 1962, Durchführung der Vergleichsberechnung, Anrechnung einer Zurechnungszeit, Anrechnung der Fluchtzeit als Ersatzzeit und Zahlung eines Pflegegeldes gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) Koblenz nach Einholung eines Gutachtens durch Urteil vom 30. Juni 1965 abgewiesen. Erwerbsunfähigkeit oder Berufsunfähigkeit habe in der Zeit vom 1. Dezember 1959 bis 31. Dezember 1962 nicht vorgelegen. Nach dem Gutachten des Prof. Dr. G habe das Gericht nur davon ausgehen können, daß der Beginn der ins Gewicht fallenden Leistungsminderung der Klägerin anfangs des Jahres 1963 liege. Diese Feststellung sei in dem Sachverständigengutachten eindeutig getroffen. Das übrige Vorbringen der Klägerin sei ebenfalls unbegründet. Die Berufung der Klägerin hat das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz als unzulässig verworfen. Zur Begründung führt das Berufungsgericht aus, die Klägerin habe im Berufungsverfahren beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils und der angefochtenen Bescheide die Beklagte zu verurteilen, ihr auch noch für die Zeit vom 1. Dezember 1959 bis 31. Dezember 1962 Erwerbsunfähigkeitsrente zu gewähren.

Damit sei die Berufung nach § 146 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) nicht zulässig, da nur noch die Rente für bereits abgelaufene Zeiträume streitig sei. Die Berufung sei auch nicht nach § 150 Nr. 1 SGG zugelassen worden. Schließlich leide das Verfahren des SG nicht an wesentlichen Verfahrensmängeln, so daß § 150 Nr. 2 SGG nicht eingreife.

Das LSG hat in seinem Urteil vom 24. Mai 1967 die Revision nicht nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG zugelassen. Die Klägerin hat gleichwohl dieses Rechtsmittel eingelegt. Sie macht die im einzelnen aus ihrem Schriftsatz vom 1. August 1967 ersichtlichen Verfahrensmängel geltend und beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils Erwerbsunfähigkeitsrente vom 1. Dezember 1959 bis 31. Dezember 1962 zu gewähren,

hilfsweise,

die Sache zur erneuten Entscheidung an die Vorinstanzen zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision als unzulässig zu verwerfen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Die Revision ist nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft und begründet. Zutreffend macht die Revision ua geltend, daß das LSG das Berufungsbegehren verkannt und deswegen zu Unrecht die Berufung durch Prozeßurteil verworfen hat, daß es vielmehr sachlich hätte entscheiden müssen. Das LSG hat am 24. Mai 1967 gemäß § 124 Abs. 2 SGG entschieden. Eine mündliche Verhandlung hat somit nicht stattgefunden, so daß Anträge in ihr auch nicht gestellt worden sein können. Um zu klären, was Gegenstand des Berufungsverfahrens war, muß deshalb auf die Berufungsschrift zurückgegriffen werden. In dieser und in ihren weiteren Schriftsätzen aber hat die Klägerin keine bestimmten Anträge gestellt, sondern im wesentlichen nur immer wieder darauf hingewiesen, ihr Streitfall sei nicht richtig entschieden worden, sie erhalte eine zu niedrige Rente, eine bessere Berentung sei nur nach altem Recht möglich, wenn ihre Erwerbsfähigkeit ab Antragstellung anerkannt würde (vgl. insbesondere die Ausführungen in den Schriftsätzen vom 27. Dezember 1966 und 15. März 1967). Damit war entgegen der Auffassung des LSG nicht nur die Rente für bereits abgelaufene Zeiträume streitig. Die Klägerin erstrebte vielmehr in erster Linie eine ganz andere Rente wegen Erwerbsunfähigkeit als die, welche ihr im Laufe des sozialgerichtlichen Verfahrens in Höhe von 35,20 DM monatlich vom 1. Januar 1963 an bewilligt worden war. Sie wollte diese Rente vor allem auf Grund eines schon früher eingetretenen Versicherungsfalls haben, so daß statt der von der Beklagten vorgenommenen Berechnung ihrer Rente nach neuem Recht noch eine Berechnung nach altem Recht mit Umstellung und Gewährung eines Sonderzuschusses gemäß Art. 2 § 41 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) wegen eines in der Zeit vom 1. Januar 1957 bis 31. Dezember 1961 eingetretenen Versicherungsfalles erfolgen sollte. Außerdem war noch die Anrechnung von Zurechnungs- und Ausfallzeiten streitig. Unter diesen Umständen war Gegenstand des Berufungsverfahrens nicht nur die Rente für die Zeit vom 1. Dezember 1959 bis 31. Dezember 1962, sondern außerdem noch der Streit über die Höhe der gegenwärtigen und zukünftigen Rente.

In diesem Sinne hat auch die Beklagte das Berufungsbegehren aufgefaßt, wie der Schriftsatz vom 2. Februar 1967 ergibt. Darin führt sie aus, eine Vorverlegung des Rentenbeginns mit der Folge einer Berechnung nach Art. 2 § 41 AnVNG sei nicht möglich, desgleichen lägen die Voraussetzungen für die begehrte Anrechnung einer Zurechnungszeit nicht vor; somit sei die Berufung zurückzuweisen. Im Berufungsverfahren durfte deshalb das Begehren der Klägerin nicht unter Berufung auf ihre zuletzt ausgesprochene Bitte "um Anerkennung einer mehr als 50 %igen Erwerbsunfähigkeit ab Rentenantragstellung, dem 20.12.59, bis zum 31.12.62 = 3 Jahre" einschränkend dahin ausgelegt werden, daß sie auch noch für diese Zeit eine Rente von etwa 35,- DM haben wollte, vielmehr mußte es dahin verstanden werden, daß sie beantragen wollte, das Urteil des SG Koblenz vom 30. Juni 1965 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, in Abänderung ihrer Bescheide vom 24. April und 28. Mai 1965 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bereits ab 1. Dezember 1959 zu gewähren und diese Rente für die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gemäß Art. 2 § 41 AnVNG zu berechnen.

Ein solcher Fall, in welchem der gesamte Rentenanspruch seinem Gehalt und seinem Wesen sowie seiner Höhe nach streitig ist, fällt nicht unter den Berufungsausschluß des § 146 SGG. Das LSG hätte somit sachlich das Berufungsbegehren der Klägerin nachprüfen müssen. Da es das nicht getan hat, ist die Revision bereits wegen dieses Verfahrensmangels nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft, ohne daß es noch eines Eingehens auf die erhobenen übrigen Verfahrensrügen bedarf. Nach § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG ist somit das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen, da der Senat nicht selbst in der Sache entscheiden kann. Jenes wird alsdann auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2324705

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