Leitsatz (amtlich)
Hat eine KK in ihrer Satzung den Grundlohn für freiwillige Mitglieder nach Lohnstufen festgesetzt (RVO § 180 Abs 2 Nr 2) und Lohnstufen nur bis zu einem bestimmten - der damals gültigen Beitragsbemessungsgrenze entsprechenden - Monatseinkommen vorgesehen, so bedarf die Höherstufung eines solchen Mitgliedes in eine bisher nicht satzungsmäßig vorgesehene Lohnstufe - entsprechend einer gesetzlichen Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze - einer Satzungsgrundlage.
Normenkette
RVO § 180 Abs. 2 Nr. 2 Fassung: 1927-07-15, § 313a Abs. 1 S. 2 Fassung: 1924-12-15
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 23. September 1970 und das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 28. April 1972 geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 6. Oktober 1965 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 1970 wird insoweit aufgehoben, als durch ihn die Klägerin für die Zeit vom 1. September 1965 bis zum 31. Dezember 1966 in eine höhere Lohnstufe als die Lohnstufe 22 versetzt worden ist.
Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe der von der Klägerin zu entrichtenden Krankenversicherungsbeiträge.
Die Klägerin war bei der Beklagten freiwillig weiterversichert und zahlte den sich aus der - höchsten - Lohnstufe 22 (§ 9 der Satzung der Beklagten) ergebenden Versicherungsbeitrag von 44,22 DM monatlich. Nachdem durch das Gesetz zur Änderung des Mutterschutzgesetzes und der Reichsversicherungsordnung vom 24. August 1965 (BGBl I 912) die für die Versicherungspflicht und die Beitragsbemessung maßgebende Verdienstgrenze erhöht worden war, setzte die Beklagte den Beitrag vom 1. September 1965 an auf 60,30 DM monatlich fest (Bescheid vom 6. Oktober 1965).
Mit Wirkung vom 1. Januar 1967 wurde die Satzung geändert; sie sieht jetzt 30 Lohnstufen vor.
Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 20. Februar 1970).
Das Sozialgericht (SG) Freiburg hat die Bescheide der Beklagten aufgehoben (Urteil vom 23. September 1970). - Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 28. April 1972): Ein Weiterversicherter könne nur in eine Lohnstufe versetzt werden, die die Satzung auch tatsächlich vorsehe; der bei seinem Erlaß rechtswidrige Beitragsbescheid habe durch die nachträgliche Satzungsänderung nicht rechtmäßig werden können.
Mit der - zugelassenen - Revision trägt die Beklagte vor, eine Höherstufung freiwilliger Mitglieder in satzungsgemäß (noch) nicht vorgesehene Lohnstufen sei zulässig, wenn die Jahresarbeitsverdienstgrenze durch Gesetz angehoben worden sei und das in der Satzung beschlossene Beitragssystem die Berechnung weiterer Lohnstufen ermögliche.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 28. April 1972 und das Urteil des SG Freiburg vom 23. September 1970 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zum Teil begründet, nämlich soweit das LSG die Aufhebung des Beitragsbescheides der Beklagten auch für die Zeit vom 1. Januar 1967 an bestätigt hat. Im übrigen ist die Revision unbegründet; die Beitragsfestsetzung für die Zeit vom 1. September 1965 bis zum 31. Dezember 1966 war rechtswidrig.
Mit dem Bescheid vom 6. Oktober 1965 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Februar 1970 hat die Beklagte die Klägerin vom 1. September 1965 an beitragsrechtlich von der damals in der Satzung vorgesehenen höchsten Lohnstufe 22 in eine Lohnstufe versetzt, die der erst in der vom 1. Januar 1967 an geltenden Satzung vorgesehenen Lohnstufe 30 entspricht.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Frage der Rechtswidrigkeit der mit der Anfechtungsklage angegriffenen Höherstufung ist die Sach- und Rechtslage zur Zeit des Erlasses des Widerspruchsbescheides. In dieser Gestalt ist der Höherstufungsbescheid vom 6. Oktober 1965 zur Überprüfung durch das Gericht gestellt (§ 95 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Als der Widerspruchsbescheid vom 20. Februar 1970 erlassen wurde, galt bereits die zum 1. Januar 1967 geänderte Satzung, nach der die Einstufung in die Lohnstufe 30 einem Krankenversicherungsbeitrag in Höhe von 60,30 DM entspricht. Demgemäß ist die Höherstufung entgegen der Ansicht der Vorinstanzen vom 1. Januar 1967 an rechtmäßig. Auch die Klägerin wendet sich nicht gegen die Höherstufung von diesem Zeitpunkt an. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG hat sie seit Inkrafttreten der geänderten Satzung den geforderten Krankenversicherungsbeitrag ohne Beanstandung entrichtet.
Aus den von den Vorinstanzen angeführten Gründen ist die Höherstufung für die Zeit vom 1. September 1965 bis zum 31. Dezember 1966 rechtswidrig.
Entsprechend dem im Verfassungsrecht (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz) verankerten Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung ist die Verwaltung zum Erlaß eines belastenden Verwaltungsaktes nur ermächtigt, wenn das Gesetz den Eingriff erlaubt. Daran fehlt es hier.
Die Versetzung weiterversicherter Mitglieder in eine höhere Lohnstufe gemäß § 313 a Abs. 1 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) steht dem Geschäftsführer zu. Unter den in dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen kann der Geschäftsführer das freiwillige Mitglied in eine gemäß § 180 Abs. 2 Nr. 2 RVO satzungsgemäß vorgesehene Lohnstufe neu einstufen. Die Einstufung in eine Lohnstufe, die in der Satzung nicht vorgesehen war, ist somit rechtswidrig.
Ob die rechtswidrige Einstufung aufgrund einer rückwirkenden Satzungsänderung entgegen der früheren - in der Literatur auch geteilten - Auffassung des Reichsversicherungsamtes zum Verbot rückwirkender Satzungsänderungen im Rahmen des Beitragsrechts (GE Nr. 3037 in AN 1927 S. 261; Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Komm., 1973, Anm. 1.2 zu § 323 RVO; Leopold, Die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung, Diss. 1972, S. 183) hätte deshalb rechtmäßig geworden sein können, weil eine rückwirkende Satzungsänderung unter Umständen als Fall einer "unechten Rückwirkung von Gesetzen" zulässig ist und der Höherstufung die fehlende Rechtsgrundlage nachträglich gegeben hätte, braucht nicht entschieden zu werden; denn ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
Das Gesetz vom 24. August 1965 (BGBl I 912) stellt für sich allein entgegen der Ansicht der Beklagten keine gesetzliche Ermächtigung für den Geschäftsführer dar, die Klägerin in eine noch nicht satzungsgemäß beschlossene Lohnstufe einzustufen. Aufgrund der durch dieses Gesetz geschehenen Anhebung der in der Krankenversicherung maßgeblichen Jahresarbeitsverdienstgrenze ist die Beklagte ermächtigt und zugleich in Wahrnehmung der ihr vom Staate überantworteten Selbstverwaltung verpflichtet, ihr Beitragsrecht den veränderten rechtlichen Verhältnissen anzupassen. Da die Einteilung der Lohnstufen der Satzung vorbehalten ist (§ 180 Abs. 2 Nr. 2 RVO), muß die zur Satzungsänderung ausschließlich berufene Vertreterversammlung der Beklagten die erforderlich werdenden weiteren Lohnstufen beschließen (§ 345 Abs. 2 Nr. 6 RVO). Dieser Grundsatz erleidet auch keine Ausnahme für den Fall, daß sich aus dem aus der Satzung ersichtlichen Lohnstufensystem ergibt, welche neuen Lohnstufen die Vertreterversammlung aufgrund der angehobenen Jahresarbeitsverdienstgrenze voraussichtlich beschließen würde. Der Verpflichtung zur Satzungsänderung ist die Beklagte dadurch nicht enthoben. Sie darf diese der Vertreterversammlung vorbehaltene Aufgabe (§ 345 Abs. 2 Nr. 6 RVO) nicht durch den dafür unzuständigen Geschäftsführer wahrnehmen lassen. Er ist nur zuständig für die Einstufung freiwillig Weiterversicherter in die satzungsgemäß vorgesehenen Lohnstufen. Nur insoweit liegt ein laufendes Verwaltungsgeschäft vor, für das der Geschäftsführer zuständig ist (BSG 7, 164, 166).
Auch aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Versicherten kann nicht hergeleitet werden, daß der Geschäftsführer Einstufungen in satzungsrechtlich nicht vorgesehene Lohnstufen anordnen durfte. In Beachtung dieses Grundsatzes muß die Beklagte dafür sorgen, daß die Satzung geändert wird und die weiteren Lohnstufen enthält, in die Weiterversicherte entsprechend ihrem Gesamteinkommen im Sinne des § 313 a Abs. 1 Satz 2 RVO nunmehr einzustufen sind, damit sich auch bei ihnen wie bei den Pflichtversicherten die sich aus der Anhebung der Jahresarbeitsverdienstgrenze ergebende höhere Beitragslast im Einzelfall auswirken kann.
Die von der Beklagten ins Feld geführten praktischen Bedenken sind ebenfalls ohne Gewicht.
Wohl lag zwischen der Veröffentlichung des Gesetzes vom 24. August 1965 - dem 27. August 1965 (BGBl I 912) - und seinem Inkrafttreten - dem 1. September 1965 (Art. 3 § 4 Abs. 1 aaO) - nur eine so kurz bemessene Zeit, daß die Beklagte überfordert gewesen sein mag, ihre Satzung in der zur Verfügung stehenden Zeit zu ändern. Dem kann die Beklagte durch geschickte Handhabung des ihr verliehenen Satzungsrechts vorbauen. Sie kann z. B. durch ihre Vertreterversammlung beschließen, daß im Rahmen des § 180 Abs. 2 RVO nach Maßgabe des § 180 Abs. 1 RVO Lohnstufen bis zur Höhe der jeweils geltenden Beitragsbemessungsgrenze nach einem in der Satzung allerdings genau festzulegenden System gebildet werden, wie sie es in der vom 1. Januar 1970 an gültigen Satzung auch geregelt hat (§ 9 Abschn. A Abs. VI 1).
Da die angegriffene Entscheidung des LSG insoweit auf einer Rechtsverletzung beruht, als die Höherstufung auch für die Zeit vom 1. Januar 1967 an aufgehoben worden ist, waren unter Zurückweisung der Revision im übrigen das Urteil des LSG sowie das Urteil des SG abzuändern.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und beruht auf der Erwägung, daß die Beklagte im wesentlichen unterlegen ist.
Fundstellen