Beteiligte

…, Kläger und Revisionsbeklagter

…, Beklagte und Revisionsklägerin

 

Tatbestand

I.

Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger die Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit zusteht.

Der Kläger, der von 1957 bis 1969 im türkischen Steinkohlenbergbau unter Tage tätig war, ist seit dem 2. Juli 1970 im deutschen Steinkohlenbergbau beschäftigt. Seit dem 1. August 1971 wurde er als Hauer in der Gewinnung eingesetzt; die Hauerprüfung hat er am 19. März 1974 abgelegt. Diese Tätigkeit mußte er am 23. September 1974 auf Veranlassung der Bergbau-Berufsgenossenschaft (Bergbau-BG) wegen silikotischer Lungenveränderungen aufgeben. Seit Dezember 1974 wurde der Kläger als Magazin- und Schrottplatzarbeiter, seit dem 1. Oktober 1975 als Kauenwärter und seit dem 1. März 1980 wieder als Magazin- und Schrottplatzarbeiter eingesetzt. Seit dem 24. Januar 1986 ist er arbeitsunfähig. Die Beklagte gewährte ihm mit Wirkung vom 15. September 1976 die Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit. Den am 18. Juli 1985 gestellten Antrag des Klägers auf Gewährung der Knappschaftsrente lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 4. Juni 1986 ab, weil der Kläger weder berufsunfähig noch erwerbsunfähig sei. Der Widerspruch des Klägers hatte keinen Erfolg.

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte am 27. Mai 1987 unter Aufhebung ihrer Bescheide verurteilt, dem Kläger nach einem am 24. Januar 1986 eingetretenen Versicherungsfall die Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit ab 1. Februar 1986 zu gewähren. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei berufsunfähig iS des § 46 Abs 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG). Bisheriger Beruf des Klägers sei die Hauertätigkeit. Diese Tätigkeit habe der Kläger nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübt. Von diesem Beruf habe der Kläger sich nicht gelöst, denn er habe ihn aus gesundheitlichen Gründen aufgeben müssen. Zwar habe der Kläger bei Aufgabe der Hauertätigkeit die Wartezeit mit deutschen Versicherungszeiten nicht erfüllt gehabt. Nach Art 27 des deutsch-türkischen Sozialversicherungsabkommens seien aber die in der Türkei zurückgelegten Zeiten für die Wartezeit zu berücksichtigen.

Die Beklagte hat dieses Urteil mit Zustimmung des Klägers mit der - vom SG zugelassenen - Sprungrevision angefochten. Sie ist der Ansicht, der Kläger sei nicht berufsunfähig. Bisheriger Beruf iS des § 46 Abs 2 RKG sei nicht die Hauertätigkeit, denn bei Aufgabe dieser Tätigkeit habe der Kläger die deutsche Wartezeit nicht erfüllt gehabt. Beschäftigungszeiten in der Türkei müßten bei Bestimmung des "Hauptberufs" außer Betracht bleiben, weil das deutsch-türkische Abkommen nur eine quantitative, nicht aber eine qualitative Gleichstellung mit inländischen Zeiten bewirke. Bei Aufgabe der Hauertätigkeit sei die Erfüllung der deutschen Wartezeit auch nicht nach § 52 Nr 1 RKG fingiert worden, denn die beim Kläger bestehende Frühsilikose sei nicht als Berufskrankheit anerkannt worden.

Die Beklagte beantragt,das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für richtig und ist der Ansicht, die Revision der Beklagten sei unbegründet .

 

Entscheidungsgründe

II.

Die zulässige Sprungrevision der Beklagten ist unbegründet, denn das SG hat mit Recht die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte zur Gewährung der Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit verurteilt.

Bei der Beurteilung der Frage, ob die Erwerbsfähigkeit des Klägers iS des § 46 Abs 2 RKG auf weniger als die Hälfte herabgesunken ist, hat das SG mit Recht als "bisherigen Beruf" die Tätigkeit eines Hauers zugrunde gelegt. Es kann dahingestellt bleiben, ob bei der Beurteilung des sogenannten Hauptberufs die im türkischen Steinkohlenbergbau verrichtete Tätigkeit berücksichtigt werden kann. Jedenfalls hat der Kläger die deutsche Hauerprüfung abgelegt und auch nicht nur vorübergehend als Hauer im deutschen Steinkohlenbergbau gearbeitet. Es muß davon ausgegangen werden, daß er diese Tätigkeit auch weiterhin verrichtet hätte, wenn er sie nicht wegen der silikotischen Lungenveränderungen auf Veranlassung der Bergbau-BG hätte aufgeben müssen. Er hat sich also von der Hauertätigkeit nicht gelöst (vgl hierzu BSG SozR Nr 20 zu § 45 RKG). Zwar hatte der Kläger bei Aufgabe der Hauertätigkeit die Wartezeit in der deutschen Rentenversicherung noch nicht erfüllt. Nach der bisherigen Rechtsprechung kann ein Beruf, bei dessen Aufgabe die Wartezeit noch nicht erfüllt war, bei der Beurteilung der Berufsunfähigkeit nicht berücksichtigt werden (vgl BSG SozR § 45 Nr 17). Diese Nichtberücksichtigung eines ausgeübten Berufs ist darauf zurückzuführen, daß für einen vor Erfüllung der Wartezeit aufgegebenen Beruf ein Versicherungsschutz noch nicht bestand, so daß dieser Versicherungsschutz erst mit einem später ausgeübten Beruf erworben wird, der dann bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit zugrunde zu legen ist. Wenn der Kläger auch bei Aufgabe der Hauertätigkeit die deutsche Wartezeit noch nicht erfüllt hatte, so ist doch zu berücksichtigen, daß er in diesem Zeitpunkt schon einen Versicherungsschutz hatte, denn nach Art 27 des deutsch-türkischen Sozialversicherungsabkommens waren die türkischen Versicherungszeiten für die Wartezeit zu berücksichtigen. Die Berücksichtigung der Hauertätigkeit für die Beurteilung der Berufsunfähigkeit scheitert also nicht an der nichterfüllten Wartezeit (vgl hierzu BSG SozR 2200 § 1246 Nr 65). Die Argumentation der Beklagten, die türkische Beschäftigungszeit dürfe - auch nach dem Abkommen - der deutschen Versicherungszeit nur quantitativ, nicht aber qualitativ gleichgestellt werden, trifft nicht den Kern der Sache. Es geht hier nicht darum, ob eine in der Türkei zurückgelegte Beschäftigungszeit hinsichtlich der Eingruppierung in das Mehrstufenschema wie eine deutsche Facharbeitertätigkeit zu berücksichtigen ist. Die Beklagte vermengt offenbar die voneinander verschiedenen Fragen der Anrechenbarkeit von Versicherungszeiten und der Bewertung der ausgeübten Tätigkeiten. Die Frage, ob eine vor Erfüllung der deutschen Wartezeit aus gesundheitlichen Gründen aufgegebene Tätigkeit bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit als "bisheriger Beruf" zu berücksichtigen ist, muß bejaht werden, wenn der Versicherte zu diesem Zeitpunkt die Wartezeit - wenn auch nur mit Hilfe einer anrechenbaren ausländischen Versicherungszeit - erfüllt hatte. Ist danach dieser Beruf zugrunde zu legen, so wird bei seiner Einordnung in das Mehrstufenschema nur die Qualität dieses Berufs, nicht aber die Qualität des Berufs bewertet, die der Versicherte während der anrechenbaren ausländischen Versicherungszeiten ausgeübt hat.

Nach den Tatsachenfeststellungen des SG, die für den Senat bindend sind, kann der Kläger nur noch ungelernte Tätigkeiten, etwa der Lohngruppen 04 bis 02 der Lohnordnung für den rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau verrichten. Diese Tätigkeiten sind einem Hauer, der zur Gruppe der Facharbeiter gehört, nach § 46 Abs 2 RKG nicht zumutbar, so daß der Kläger berufsunfähig ist und einen Anspruch auf die entsprechende Knappschaftsrente hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI517986

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