Leitsatz (redaktionell)

Eine Verletzung des SGG § 128 liegt jedenfalls dann vor, wenn sich das LSG nicht mit den Angaben der Zeugen auseinandergesetzt hat, die sehr eingehende Angaben über den früheren Bezug einer Versorgungsrente durch den Vater und Ehemann der Kläger gemacht haben und das angefochtene Urteil auch auf dieser Verletzung beruht.

 

Normenkette

SGG § 128 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 15. Juli 1964 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Im September 1957 stellten die Kläger nach ihrer Übersiedlung aus der sowjetisch besetzten Zone in die Bundesrepublik den Antrag auf Gewährung der Witwen- und Waisenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Die Klägerin zu 1) gab hierzu am 14. Oktober 1957 an, daß ihr Ehemann am 15. Januar 1940 zur Wehrmacht einberufen worden sei, beim Verladen von Militärgut auf dem Bahnhof Köslin Anfang April 1940 gestürzt sei und sich dabei einen Lungenriß zugezogen habe. Ende April 1940 sei er aus der Wehrmacht entlassen und zur Durchführung einer Kur in eine Lungenheilstätte im Riesengebirge verschickt worden. Im Herbst 1940 sei ihm vom Versorgungsamt (VersorgA) Kolberg ein Rentenbescheid zugestellt worden, in dem eine Rente in Höhe von 135 RM festgesetzt gewesen sei. Im März 1945 sei ihr Ehemann von den Russen nach Posen verschleppt worden und habe schwere Arbeiten in der Landwirtschaft verrichten müssen. Am 15. Dezember 1945 sei er aus der Internierung zurückgekehrt und habe bis zum April 1949 in der Landwirtschaft gearbeitet. Er habe sich matt gefühlt, ständig gehustet und nachts sehr stark geschwitzt. Eine ärztliche Betreuung sei bis zu seinem Tode am 29. September 1949 in Pommern nicht möglich gewesen.

Nach einer Auskunft der Deutschen Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen vom 12. Februar 1958 liegen Lazarettmeldungen über den Ehemann der Klägerin, der am 17. April 1940 mit dem Befund "a.v.H." aus der Wehrmacht entlassen worden ist, nicht vor. In einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 2. April 1958 führte Dr. B... aus, daß die Zusammenhangsfrage nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit geklärt werden könne. Im Hinblick auf die Behandlung in einer Lungenheilstätte könne es möglich sein, daß es sich bei der Erkrankung während des Wehrdienstes im Jahre 1940 um eine Tbc gehandelt habe. Ein ursächlicher Zusammenhang dieses Leidens mit dem von den Klägern angegebenen Unfallereignis während des Wehrdienstes (Lungenriß) sei unwahrscheinlich, weil erfahrungsgemäß eine unfallbedingte Körperschädigung nach so kurzer Zeit wohl kaum als wesentliche Teilursache für das Zustandekommen einer Tbc in Frage komme. Das VersorgA lehnte sodann durch Bescheid vom 17. April 1958 den Antrag der Kläger auf Hinterbliebenenrente ab. Der Widerspruch hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid des Landesversorgungsamts Bremen vom 16. Oktober 1958).

Das Sozialgericht (SG) Dortmund hat zunächst die Zeugin K. am 21. Juni 1960 durch das Amtsgericht Eschershausen vernehmen lassen. Diese Zeugin konnte lediglich angeben, daß dem Ehemann und Vater der Kläger, H. M. (M.), nach seiner Entlassung aus der Wehrmacht eine kleine Rente bewilligt worden sei. Welche Behörde die Rente gezahlt habe und wie hoch sie gewesen sei, wisse sie nicht. M. habe von Herbst 1940 bis zur Verschleppung durch die Russen im Frühjahr 1945 nur leichte Straßenarbeiten unter der Aufsicht ihres Ehemannes verrichten können. Nach der Rückkehr aus der Internierung habe M. gesagt, daß es mit seiner Lunge schlechter geworden sei. Er habe dann bei einem polnischen Landwirt gearbeitet. Über die Todesursache sei ihr nichts bekannt, weil sie im Juli 1947 den Wohnort gewechselt habe. Das SG hat ferner am 14. Oktober 1960 die Zeuginnen M. und S. vernommen. Die Zeugin M. hat ausgesagt, M. habe ihr erzählt, daß er sich im Wehrdienst ein Lungenleiden zugezogen habe. Sie wisse, daß M. Versorgungsrente von dem VersorgA Kolberg bezogen habe. Sie habe den Bescheid, in dem etwas von einem Lungenleiden gestanden habe, selbst gesehen. Da sie selbst eine Witwenrente vom VersorgA Kolberg bezog, habe sie hin und wieder die Rente gemeinsam mit M. von der Post geholt. Er habe ihr dabei einmal den Bescheid des VersorgA gezeigt, aus dem hervorgegangen sei, daß er Bezüge von etwa 200 RM erhielt. Nach der Rückkehr aus der Verschleppung habe M. über zunehmende Beschwerden durch sein Lungenleiden geklagt. Seit der Besetzung Pommerns habe er nicht mehr in ärztlicher Behandlung gestanden, weil es damals Ärzte auf dem Lande nicht gegeben habe. Trotz seines körperlichen Zustandes habe M. bis zu seinem Tode gearbeitet, weil er andernfalls keine Lebensmittel erhalten hätte. Die Zeugin S. hat angegeben, daß sie nicht wisse, welche Gesundheitsstörung bei M. als Schädigungsfolge anerkannt gewesen sei; sie wisse aber, daß er Kriegsrente bezogen habe. Im übrigen hat die Zeugin S. die Angaben der Zeugin M. über den Gesundheitszustand des M. bestätigt. Der am 11. November 1960 durch das SG Mannheim vernommene Zeuge M. hat angegeben, daß ihm die Klägerin zu 1) während der Heilbehandlung des M. im Riesengebirge gesagt habe, es sei ein Antrag auf Rente aus der Kriegsopferversorgung gestellt worden, der wohl auch in Ordnung gehen werde; sie rechne mit einer Rente von 160 bis 200 RM monatlich. M. selbst habe ihm damals gesagt, daß er seine Rente bekomme und sie in Köslin abholen müsse. Einen Rentenbescheid habe er nicht gesehen. Im übrigen hat der Zeuge M. die Angaben der anderen Zeugen bestätigt.

Durch Urteil vom 19. Januar 1962 hat das SG Dortmund die Klage abgewiesen. Es hat die Auffassung vertreten, daß es sich bei den Angaben der Klägerin zu 1) und der Zeugen um Laienbeobachtungen handle, die für eine überzeugende Beurteilung des Kausalzusammenhangs zwischen dem Todesleiden und schädigenden Einwirkungen i.S. des § 1 BVG nicht verwertbar seien. Aus ihnen lasse sich allenfalls die Möglichkeit entnehmen, daß eine Tbc Todesursache war. Selbst wenn man unterstellen wolle, daß M. an einer Tbc gestorben ist, so stehe damit keinesfalls fest, daß es sich bei der Tbc um eine Schädigungsfolge gehandelt habe. Ob die Einwirkungen der Verschleppung und der späteren mangelhaften ärztlichen Versorgung in den von Polen besetzten Gebieten für den Verlauf des Todesleidens von Bedeutung gewesen seien, könne ebenfalls nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden. Nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast müßten die Kläger die Nachteile der Nichtbeweisbarkeit tragen.

Das Landessozialgericht (LSG) hat ein Gutachten des Lungenfacharztes Dr. K. vom 19. August 1963 eingeholt, der ausgeführt hat, daß nach den gesamten Umständen eine Lungen-Tbc als Todesursache sehr wahrscheinlich sei. Es sei anzunehmen, daß bereits vor der Einberufung zur Wehrmacht eine Tbc bestanden habe, die aber erst anläßlich des Unfalls (Lungenriß) entdeckt worden sei. Der Umstand, daß M. nach Angabe der Zeugin M., an deren Aussage nicht zu zweifeln sei, eine Versorgungsrente erhalten habe, lasse nur die Folgerung zu, daß damals zumindest eine Verschlimmerung eines bereits bestehenden Leidens anerkannt worden sei. Die Wahrscheinlichkeit einer weiteren wesentlichen Verschlimmerung der zunächst wohl zur Ruhe gekommenen Tbc während der Internierung von neun Monaten kurz nach Kriegsende sei gegeben; es könne daher angenommen werden, daß aus diesem Grunde der Tod des M. um mindestens ein Jahr früher eingetreten sei. Der Beklagte hat ärztliche Stellungnahmen des Dr. O. vom 29. November 1963 und 21. April 1964 zu dem Gutachten des Dr. K. vorgelegt. Dr. O. ist der Auffassung, es sei keinesfalls erwiesen, daß durch die kurze Dienstzeit eine Verschlimmerung der Tbc eingetreten sei. Selbst wenn eine solche Verschlimmerung vorgelegen haben sollte, dürfte sie durch die nachfolgende Heilbehandlung im Riesengebirge bis November 1940 vollständig abgeklungen gewesen sein. Jedenfalls sei M. nach seiner Entlassung über viele Jahre arbeitsfähig gewesen. Es könne auch nicht als wahrscheinlich angenommen werden, daß durch die Internierung von März bis Dezember 1945 eine richtunggebende Verschlimmerung eingetreten sei. Nach den Zeugenaussagen habe M. nach seiner Rückkehr aus der Internierung bis zum April 1949 schwere körperliche Arbeiten in der Landwirtschaft verrichtet, was im Falle einer Verschlimmerung der Tbc durch Internierungseinflüsse sicherlich nicht möglich gewesen wäre. Wenn unter den nicht zu bestreitenden ungünstigen Verhältnissen eine Reaktivierung der Tbc eingetreten wäre, so wäre die Erkrankung wesentlich früher klinisch manifest geworden.

Das LSG Nordrhein-Westfalen hat durch Urteil vom 15. Juli 1964 die Berufung der Kläger zurückgewiesen; es hat die Revision nicht zugelassen. Das LSG ist davon ausgegangen, daß M. an einer Lungen-Tbc gestorben ist; es ist aber zu der Überzeugung gelangt, daß dieses Leiden durch den von M. geleisteten Wehrdienst weder verursacht noch in erheblicher Weise verschlimmert worden sei. Insbesondere könne ein Lungenriß, der im übrigen nicht nachgewiesen sei, auf die Tbc nicht eingewirkt haben. Daß ein Lungenleiden bereits unmittelbar nach der Entlassung aus der Wehrmacht als Wehrdienstbeschädigung anerkannt worden war, sei zwar von mehreren Zeugen behauptet und von Dr. K. als zutreffend unterstellt worden, aber nicht erwiesen. Die Klägerin zu 1) habe hierzu nichts Wesentliches sagen können, sondern nur auf den Bezug einer ''Versorgungsrente" hingewiesen. An der Richtigkeit dieser Angabe bestünden aber erhebliche Zweifel, weil die Klägerin zu 1) behauptet habe, ihr Ehemann habe Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) zwischen 50 und 80 v.H. bezogen. Das könne aber nicht richtig sein, weil das Wehrmachtfürsorge- und -versorgungsgesetz und das Reichsversorgungsgesetz nur Versehrtenstufen, aber keine Hundertsätze gekannt haben. Vermutlich habe es sich bei den Bezügen, die M. erhalten habe, um eine Invalidenrente gehandelt. Schädigende Einflüsse der Verschleppung durch die Russen in der Zeit von März bis Dezember 1945 seien zwar möglich. Wenn der Sachverständige Dr. K. geglaubt habe, insoweit einen Zusammenhang nicht ablehnen zu können, so handle es sich bei seinen Überlegungen aber nur um Vermutungen, denen entgegenstehe, daß M. nach seiner Rückkehr aus der Verschleppung noch fast vier Jahre nicht nur gelebt, sondern auch in der Landwirtschaft gearbeitet habe. Demgegenüber habe Dr. O. mit Recht darauf hingewiesen, daß M. bei einer Reaktivierung der Erkrankung unter den nicht zu bestreitenden ungünstigen Verhältnissen der Internierung eine so lange dauernde, körperlich anstrengende Tätigkeit nicht ausgehalten hätte; ein körperlicher Zusammenbruch hätte dann viel eher erfolgen müssen. Es habe sich endlich auch nicht feststellen lassen, daß der Tod des M. durch eine mit der militärischen Besetzung deutschen Gebiets zusammenhängende "besondere Gefahr" i.S. des § 5 Abs. 1 Buchst. d BVG eingetreten ist. M. habe nach der Aussage der Zeugin S. arbeiten müssen, weil er sonst keine Lebensmittel bekommen hätte. Die gleichen Bedingungen hätten aber zu jener Zeit im Gebiet des ehemaligen Deutschen Reiches für die gesamte Bevölkerung bestanden, also auch dort, wo es bereits wieder eine deutsche Verwaltung gab. Diese Verhältnisse seien durch die allgemeine Notlage der Nachkriegszeit bedingt gewesen. Daß M. durch die polnische Verwaltung tatsächlich zur Arbeitsleistung gezwungen wurde, obwohl sein Gesundheitszustand in Wirklichkeit eine Arbeit verbot, sei nicht erwiesen. Auch sei nicht nachgewiesen, daß es sich bei der Arbeit um eine schwere, seine Leistungsfähigkeit übersteigende Tätigkeit gehandelt habe. Vielmehr sei nicht von der Hand zu weisen, daß M. nach seiner Rückkehr aus der Internierung seine frühere Tätigkeit in der Landwirtschaft freiwillig wiederaufgenommen habe und seine Erkrankung später wiederaufgeflackert sei, ohne daß sich ein besonderer besatzungseigentümlicher Grund hierfür erkennen lasse.

Gegen dieses am 18. August 1964 zugestellte Urteil des LSG haben die Kläger mit einem am 18. September 1964 beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangenen Telegramm Revision eingelegt. Sie beantragen,

das angefochtene Urteil aufzuheben und unter Aufhebung des Urteils des SG Dortmund vom 19. Januar 1962 und der diesem zugrunde liegenden Vorentscheidungen den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin zu 1) Hinterbliebenenrente und den Klägern zu 2) und 3) Waisenrente ab Antragstellung nach den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren,

hilfsweise, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG Nordrhein-Westfalen zurückzuverweisen.

Die Kläger haben die Revision innerhalb der bis 18. November 1964 verlängerten Begründungsfrist mit Schriftsatz vom 20. Oktober 1964, auf den Bezug genommen wird, begründet. Sie rügen eine Verletzung der §§ 103, 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und tragen hierzu u.a. vor, daß die gehörten Sachverständigen und das Berufungsgericht nicht geprüft hätten, ob die Rippenprellung mit Lungenriß geeignet war, die zu diesem Zeitpunkt schon bestehende Tbc i.S. der Verschlimmerung zu beeinflussen. Diese noch erforderliche Sachaufklärung hätte durch Rückfrage bei dem Sachverständigen Dr. K. oder durch Einholung eines weiteren ärztlichen Gutachtens erfolgen müssen. Die Kläger wenden sich mit der Rüge einer Verletzung des § 128 SGG weiter gegen die Feststellung des LSG, es sei nicht erwiesen, daß nach der Entlassung aus dem Wehrdienst ein Lungenleiden bereits als Wehrdienstbeschädigung (WDB) anerkannt war. Das LSG habe sich zwar in dieser Hinsicht mit den Angaben der Klägerin zu 1) auseinandergesetzt und deren Bekundungen als unzutreffend angesehen, es habe sich aber bei der Prüfung dieser Frage überhaupt nicht mit der ausführlichen und eindeutigen Aussage der Zeugin M. vom 14. Oktober 1960 auseinandergesetzt. Diese Zeugin habe unmißverständlich bestätigt, daß M. nach seiner Entlassung aus dem Wehrdienst wegen eines Lungenleidens KB-Rente bezogen habe. Insoweit beruhe die angefochtene Entscheidung auf einer unzureichenden Würdigung des gesamten Akteninhalts. Die Ausführungen der Zeugin M. hätten das Berufungsgericht wenigstens zu Ausführungen darüber veranlassen müssen, warum ihren Angaben kein Beweiswert beizumessen sei. Wenn das LSG den Bekundungen der Klägerin zu 1) und der Zeugin M. nicht folgen wollte, hätte es durch Rückfrage bei dem zuständigen Versicherungsträger aufklären müssen, ob, seit wann und für welchen Versicherungsfall M. Invalidenrente bezogen habe, wie das LSG ohne hinreichende Grundlage vermute.

Eine weitere Verletzung des § 128 SGG erblicken die Kläger darin, daß das LSG eine wesentliche Verschlimmerung des Lungenleidens durch die Verschleppung verneint und festgestellt habe, daß der Tod des M. nicht durch schädigende Einwirkungen der Verschleppung um mindestens ein Jahr früher eingetreten ist. Der Sachverständige Dr. K. habe dies bejaht. Der vom LSG angeführte Umstand, daß M. nach seiner Heimkehr aus der Verschleppung noch fast vier Jahre gelebt und in der Landwirtschaft gearbeitet habe, sei kein schlüssiger Beweis für die Verneinung einer wesentlichen Verschlimmerung des Lungenleidens durch die Verschleppung. Dr. O., auf den sich das LSG berufen habe, habe das Überleben des M. und seinen späteren Arbeitseinsatz nur als möglichen Beweis einer nicht richtunggebenden Verschlimmerung bezeichnet.

Der Beklagte beantragt die Verwerfung der Revision als unzulässig; er hält die gerügten Verfahrensmängel nicht für gegeben.

Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Da das LSG die Revision nicht zugelassen hat, ist sie nur statthaft, wenn ein wesentlicher Mangel des Verfahrens gerügt wird (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG; BSG 1, 150), oder wenn bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs einer Gesundheitsstörung oder des Todes mit einer Schädigung i.S. des BVG das Gesetz verletzt ist (§ 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG). Die Kläger rügen als wesentliche Verfahrensmängel, daß das LSG gegen die Vorschriften der §§ 103, 128 SGG verstoßen habe. Hierbei genügt es für die Statthaftigkeit der Revision, wenn eine der von den Klägern erhobenen Rügen durchgreift; in einem solchen Falle braucht auf weitere Rügen, welche die Revision ebenfalls nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft machen könnten, nicht mehr eingegangen zu werden (vgl. BSG in SozR SGG § 162 Nr. 122).

Nach § 128 SGG entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung; in seinem Urteil hat es die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Ein Mangel des Verfahrens in Bezug auf die Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Gericht die gesetzlichen Grenzen seines Rechts auf freie richterliche Beweiswürdigung überschritten hat. Hierbei ist allerdings nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (BSG 1, 91) für eine hinreichende Würdigung der Sach- und Rechtslage in dem Urteil des Berufungsgerichts ein ausführliches Eingehen auf jedes einzelne Vorbringen eines Beteiligten und eine ausdrückliche Auseinandersetzung damit nicht notwendig, sofern sich aus dem Urteil ergibt, daß das LSG alle für seine Entscheidung maßgebenden Umstände sachentsprechend gewürdigt hat. Diese Grundsätze für eine ordnungsgemäße Beweiswürdigung hat das LSG jedoch im vorliegenden Falle nicht hinreichend beachtet.

Das LSG ist in dem angefochtenen Urteil davon ausgegangen, daß M. an einer Lungen-Tbc gestorben ist. Es hat aber nicht als erwiesen angesehen, daß bei M. ein Lungenleiden nach der Entlassung aus dem Wehrdienst als WDB anerkannt worden war. Diese Feststellung hat das Berufungsgericht damit begründet, daß die Klägerin zu 1) hierzu nichts Wesentliches habe aussagen können, sondern nur auf den Bezug einer "Versorgungsrente" hingewiesen habe. Gegen die Richtigkeit dieser Angabe bestünden jedoch Zweifel, weil die Klägerin zu 1) vor dem SG behauptet habe, ihr Ehemann habe Rente nach einer MdE zwischen 50 und 80 % bezogen. Das könne nicht richtig sein, weil die damals geltenden Versorgungsgesetze lediglich Versehrtenstufen, aber keine MdE nach Hundertsätzen gekannt hätten. Auch die Höhe der angeblichen Monatsrente zwischen 135 und 200 RM lasse keinen Schluß darauf zu, daß tatsächlich Versorgungsrente gewährt, also die Anerkennung einer WDB ausgesprochen worden war. Vermutlich habe es sich bei den Bezügen, die M. sicherlich erhalten habe, um eine Invalidenrente gehandelt. Unter diesen Umständen lasse sich ein Einfluß des Wehrdienstes auf die zum Tode führende Erkrankung nicht nachweisen. Nach der Rechtsauffassung des LSG kam es somit für die Entscheidung des vorliegenden Falles wesentlich darauf an, ob der Nachweis erbracht werden kann, daß bei M. eine Lungen-Tbc als WDB anerkannt und dafür eine Versorgungsrente gewährt worden war.

Die Kläger rügen in diesem Zusammenhang eine Verletzung des § 128 SGG mit dem Vorbringen, daß das LSG sich mit der Aussage der Zeugin M. vom 14. Oktober 1960 vor dem SG überhaupt nicht auseinandergesetzt habe. Diese Rüge greift durch. Die Zeugin M. hat u.a. ausgesagt, daß M. Versorgungsrente vom VersorgA Kolberg bezogen und sie den Bescheid, in dem etwas von einem Lungenleiden gestanden habe, selbst gesehen habe. Da sie später eine Witwenrente vom VersorgA Kolberg bezog, habe sie hin und wieder die Rente mit M. gemeinsam von der Post abgeholt. Dieser habe ihr auch einmal den Bescheid des VersorgA gezeigt, aus dem hervorgegangen sei, daß er Bezüge in Höhe von etwa 200 RM erhielt. Das LSG hat in dem Tatbestand des angefochtenen Urteils zwar ausgeführt, daß die Zeugin M. im Verfahren vor dem SG vernommen worden ist, es hat jedoch die Aussage der Zeugin auf ihre Glaubwürdigkeit hin nicht gewertet. Aus der Anführung der Vernehmung der Zeugin M. im Tatbestand des angefochtenen Urteils kann aber nicht entnommen werden, daß das LSG Aussagen der Zeugin zu dem Bezug einer Versorgungsrente durch M. in seine Beweiswürdigung einbezogen hat. Im Hinblick darauf, daß die Zeugin konkrete und sichere Angaben über den Bezug einer Versorgungsrente wegen eines Lungenleidens gemacht hat, hätte das LSG sich in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils nicht damit begnügen dürfen, an der Richtigkeit der entsprechenden Angaben der Klägerin zu 1) Zweifel zu äußern. Jedenfalls hätte das LSG bei ordnungsgemäßer Beweiswürdigung diese Zeugenaussage berücksichtigen und sich im einzelnen mit den konkreten Angaben der Zeugin auseinandersetzen müssen. Zumindest hätte es bei der Würdigung der Aussage der Zeugin M. darlegen müssen, aus welchen Gründen es ihre Angaben nicht für glaubwürdig hielt oder inwiefern aus ihren Angaben nicht die Anerkennung einer Lungen-Tbc - die das LSG als Todesursache angesehen hat - als WDB entnommen werden kann. Da das LSG somit insoweit seine Überzeugung nicht aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen hat, ist § 128 SGG verletzt.

Das LSG hat ferner schädigende Einflüsse durch die Verschleppung des M. in der Zeit von März bis Dezember 1945 für möglich, aber nicht für hinreichend wahrscheinlich gehalten. Es ist damit dem Gutachten des Sachverständigen Dr. K. vom 19. August 1963 nicht gefolgt, der die ihm vom LSG gestellte Frage, ob der Tod des M. durch schädigende Einflüsse der neunmonatigen Internierung um mindestens ein Jahr früher eingetreten ist, bejaht hat. Das LSG hat sich vielmehr den versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Dr. O. vom 29. November 1963 und 21. April 1964 angeschlossen. In der ersten Stellungnahme hat Dr. O. es nicht als wahrscheinlich angesehen, daß durch die Internierung eine "richtunggebende" Verschlimmerung eingetreten ist. Zur Begründung dieser Auffassung hat Dr. O. ausgeführt, der Umstand, daß M. nach der Entlassung aus der Internierung im Dezember 1945 schwere körperliche Arbeit in der Landwirtschaft bis zum April 1949 verrichtet habe, schließe eine Verschlimmerung der Tbc durch Einflüsse der Internierung "weitgehend" aus. Wenn unter den nicht zu bestreitenden ungünstigen Verhältnissen der Internierung eine Reaktivierung der Tbc eingetreten wäre, so wäre die Erkrankung wesentlich früher klinisch manifest geworden und M. hätte nicht noch über drei Jahre schwere körperliche Arbeiten in der Landwirtschaft verrichten können.

Ganz abgesehen davon, daß die Klägerin zu 1) und die Zeugin M. angegeben haben, M. habe nach seiner Entlassung aus der Wehrmacht nur noch leichte Arbeiten verrichten können, hat Dr. O. übersehen, daß nach Aussage sämtlicher Zeugen eine ärztliche Betreuung nach der Rückkehr des M. aus der Internierung bei den damaligen Verhältnissen in den von Polen besetzten Gebieten nicht möglich war. Es ist daher nicht ersichtlich, wie oder durch wen hätte festgestellt werden können, ob und wann tatsächlich im Falle schädigender Einflüsse durch die Internierung nicht bereits "die Erkrankung wesentlich früher klinisch manifest geworden" ist. Auch hat das LSG keine Feststellungen dazu getroffen, wie schwer die Arbeiten gewesen sind, die M. nach der Internierung in der Landwirtschaft tatsächlich verrichtet hat. Endlich hat sich Dr. O. in seinen Stellungnahmen nicht zu der auch vom LSG als rechtserheblich angesehenen Frage geäußert, ob der Tod des M. durch schädigende Einflüsse der Verschleppung wenigstens um ein Jahr früher eingetreten ist. Es dürfte einen Unterschied bedeuten, ob eine "richtunggebende" Verschlimmerung - so Dr. O. - durch derartige Einflüsse verneint wird oder ob der Tod durch schädigende Einflüsse wenigstens um ein Jahr früher eingetreten ist - so Dr. K.-. Auch insoweit bestehen daher Bedenken gegen die vom LSG vorgenommene Beweiswürdigung.

Die nicht zugelassene Revision der Kläger ist somit wegen Verletzung des § 128 SGG statthaft; sie ist auch begründet, weil das angefochtene Urteil auf dieser Verletzung beruht. Es besteht die Möglichkeit, daß das LSG anders entschieden hätte, wenn es das Gesamtergebnis des Verfahrens in dem vorstehend dargelegten Sinne berücksichtigt hätte (BSG 2, 197). Da für den Fall, daß das LSG - gegebenenfalls nach weiteren Ermittlungen - nunmehr zu der Überzeugung gelangen sollte, daß bei M. eine Lungen-Tbc als WDB anerkannt war und er dafür eine Versorgungsrente erhielt, die notwendigen tatsächlichen Feststellungen für die Entscheidung des Rechtsstreits fehlen, konnte der Senat in der Sache selbst nicht entscheiden. Das angefochtene Urteil mußte daher aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2973818

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