Entscheidungsstichwort (Thema)
Einbehaltung von 2 % des Rentenzahlbetrages bei Doppelrentnern
Leitsatz (redaktionell)
Zur Einbehaltung von 2 % des Rentenzahlbetrages bei Doppelrentnern:
1. Nach RVO § 381 Abs 2 S 2 in der bis zum 1969-12-31 geltenden Fassung waren einem nach RVO § 165 Abs 1 Nr 3 versicherten Bezieher von mehreren Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherung von jeder Rente 2 % des Rentenzahlbetrages einzubehalten.
3. Der Abzug von 2 % des Zahlbetrages der Rente aufgrund des RVO § 381 Abs 2 S 2 idF des FinÄndG 1967 war kein Beitrag der nach RVO § 165 Abs 1 Nr 3 sicherten Rentner zu ihrer Krankenversicherung, sondern eine den Rentenversicherungsträgern zugute kommende allgemeine finanzielle Beteiligung der Rentner an den Aufwendungen für die Krankenversicherung der Rentner.
Orientierungssatz
Zu der Frage, ob unter der Geltung des RVO § 381 Abs 2 S 2 idF des FinÄndG (jetzt gestrichen durch Art 1 § 1 Nr 1 des Gesetzes vom 1970-04-14 - BGBl 1 337-) der Empfänger zweier Renten aus der gesetzlichen Arbeiterrentenversicherung von jeder Rente 2 % des Zahlbetrages als seine Beteiligung an den Beiträgen des Trägers der Arbeiterrentenversicherung zu den Aufwendungen der Krankenversicherung der Rentner zu tragen hatte.
Normenkette
RVO § 381 Abs. 2 S. 2 Fassung: 1967-12-21; KVdRBeitrG Art. 1 § 1 Nr. 1 Fassung: 1970-04-14; RVO § 165 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1956-06-12
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 8. Juli 1969 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob unter der Geltung des § 381 Abs. 2 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) idF des Finanzänderungsgesetzes 1967 - FinÄndG - (jetzt gestrichen durch Art. 1 § 1 Nr. 1 des Gesetzes vom 14. April 1970 - BGBl I 337 -) der Empfänger zweier Renten aus der gesetzlichen Arbeiterrentenversicherung (ArV) von jeder Rente 2 v.H. des Zahlbetrages als seine Beteiligung an den Beiträgen des Trägers der ArV zu den Aufwendungen der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) zu tragen hatte.
Die Klägerin erhielt von Mai 1961 bis September 1968 (Wiederheirat) Witwenrente von der Beklagten. Seit Januar 1964 erhält sie Altersruhegeld. Die Beklagte zog von den beiden Rentenzahlbeträgen seit 1. Januar 1968 jeweils einen Betrag in Höhe von 2 v.H. des Zahlbetrages ab und zahlte nur den Restbetrag aus.
Im März 1968 beantragte die Klägerin, ihr die Witwenrente ohne Kürzung um 2 v.H. auszuzahlen. Sie war der Auffassung, der Betrag von 2 v.H. zur KVdR sei nur einmal zu erheben, denn eine Krankenversicherung sei nur einmal möglich. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 26. März 1968 den Antrag der Klägerin ab.
Das Sozialgericht (SG) Hamburg hat die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen (Urteil vom 8. Juli 1969). Es hat unter Anführung von §§ 165, 381 und 394 RVO idF des FinÄndG ausgeführt, es sei der Wille des Gesetzgebers gewesen, beide Renten für die Aufbringung des Beitrags heranzuziehen. Damit stimme auch die Fassung des Gesetzes überein.
Die Klägerin hat Sprungrevision eingelegt und die Einwilligungserklärung der Beklagten beigefügt. Sie beantragt, das Urteil des SG und den Bescheid vom 26. März 1968 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, nur das Altersruhegeld um einen Betrag in Höhe von 2 v.H. zu kürzen und die zu Unrecht einbehaltenen Beträge zurückzuzahlen. Zur Begründung führt die Klägerin zusätzlich zu ihrem bisherigen Vorbringen aus, es handele sich um die Auswirkung des gleichzeitigen Bezuges einer Versicherten- und Hinterbliebenenrente in der KVdR auf Grund des § 394 Abs. 3 RVO idF des FinÄndG. Abzuheben sei auf das Wort "zuständig" in Satz 2 dieser Vorschrift. Aus der Regelung über die Zuständigkeit, wie sie jetzt sich aus § 165 Abs. 6 RVO idF des FinÄndG und § 257 a Abs. 1 Satz 1 RVO ergebe, sei zu folgern: Beitragspflichtig sei der Versicherte nur in derjenigen Rentenart, in der ihm zuerst eine Rente zugebilligt worden sei, und bei gleichzeitiger Bewilligung nur bei dem Versicherungsträger, der die Versichertenrente gewähre.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen. Sie meint, aus dem Wortlaut des § 381 Abs. 2 Satz 2 RVO idF des FinÄndG allein gehe nicht hervor, daß der Rentner bei mehrfachem Rentenbezug einen Beitrag von jeder Rente zu tragen habe; denn das Wort "Renten" könne auch deshalb gewählt worden sein, weil im ersten Teil des Satzes zweimal von den in § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO idF des FinÄndG bezeichneten "Versicherten" die Rede sei. Aus § 394 Abs. 3 Satz 1 RVO idF des FinÄndG sei die Schlußfolgerung, der Beitrag sei nur von einer Rente zu leisten, nicht gerechtfertigt; denn in Satz 2 werde wieder von "Rentnern" und "Renten" gesprochen; es sei kein überzeugender Grund dafür vorhanden, daß die beiden Rentnergruppen des Satzes 1 und des Satzes 2 unterschiedlich behandelt werden sollten. In § 381 Abs. 4 Satz 3 RVO idF des FinÄndG sei wieder von 2 v.H. des Zahlbetrags "der Renten" die Rede. Staatssekretär K habe in der 161. Sitzung der 5. Wahlperiode des Deutschen Bundestages vom 27. März 1968 eindeutig auf die Frage Nr. 61 klargestellt, daß nach dem Willen des Gesetzgebers bei Bezug von mehreren Renten der Rentnerbeitrag aus allen Renten zu zahlen sei.
Beide Beteiligten sind mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
II
Die Sprungrevision ist zulässig (§ 161 SGG). Ohne Zulassung wäre die Berufung nach § 146 SGG ausgeschlossen gewesen; denn Gegenstand der Entscheidung des SG war der Anspruch auf Auszahlung des von der Witwenrente vom 1. Januar bis 30. September 1968 einbehaltenen Teilbetrags von 2 v.H., also nur Rente für einen abgelaufenen Zeitraum.
Die Revision ist aber unbegründet. Das SG hat zu Recht entschieden, daß die Beklagte ohne Gesetzesverletzung von beiden Renten 2 v.H. des Zahlbetrages einbehalten hat.
Es trifft zu, daß die Klägerin in der fraglichen Zeit keine doppelte Mitgliedschaft in der KVdR besaß. Die Versicherungspflicht der Rentner ist nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO idF des FinÄndG auf die Person, nicht auf die Anzahl der bezogenen Renten abgestellt: "... werden versichert ... Personen, welche ...". Eine Doppelmitgliedschaft widerspricht dem Sinn und der Systematik der gesetzlichen Krankenversicherung (KrV). Sie ist daher nicht möglich (§§ 309, 312 Abs. 1 RVO).
Gemäß § 381 Abs. 2 Satz 1 RVO idF des Gesetzes vom 12. Juni 1956 haben die Träger der ArV Beiträge zu den Aufwendungen der KrV nach Maßgabe des § 385 Abs. 2 RVO zu leisten. Die Höhe dieser Beiträge der Träger der ArV wird nicht nach der Höhe der einzelnen Renten berechnet, sondern gleichmäßig nach einem durchschnittlichen, in bestimmter Höhe berechneten und gekürzten Grundlohn und nach der Zahl der versicherungspflichtigen Rentner bestimmt (§ 385 Abs. 2 RVO idF vom 12. Juni 1956, § 385 Abs. 2 und 3 RVO idF des FinÄndG; KVdR-Beitragsvorschriften vom 26. Juli 1956 in BABl 1956, 491 und vom 30. Juli 1968 in BABl 1968, 492).
Nach dem durch das FinÄndG neu eingefügten Satz 2 des § 381 Abs. 2 RVO trugen die in § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO idF des FinÄndG bezeichneten Versicherten von den Beiträgen der Träger der ArV zu den Aufwendungen der KrV 2 v.H. des Zahlbetrags der ihnen gewährten Renten aus der ArV. Wie im angefochtenen Urteil und in der Revisionserwiderung der Beklagten zu Recht ausgeführt ist, läßt der Wortlaut der §§ 381 Abs. 2, 394 Abs. 3 RVO idF des FinÄndG nicht klar erkennen, ob bei Empfängern mehrerer Renten aus der ArV oder Angestelltenversicherung (AnV) von jeder Rente 2 v.H. einzubehalten sind oder nur von derjenigen Rente, auf der die Versicherungspflicht des Rentners in der KVdR beruht. Dafür ergibt sich entgegen der Meinung der Revision auch nichts aus der Kassenzuständigkeit für Rentner nach § 257 a RVO. Der Neuregelung in § 381 Abs. 2 Satz 2 RVO idF des FinÄndG lag der Gedanke zugrunde, daß die Renten der gesetzlichen Rentenversicherungen seit der Rentenreform von 1957 den Charakter eines Lohnersatzes haben und bruttolohnbezogen sind. Daher erschien es vertretbar, daß die Rentenempfänger die Aufwendungen der Träger der ArV zur KVdR mittragen. Damit sollte auch für die KVdR einem in der Sozialversicherung weithin verwirklichten Grundsatz entsprochen werden, daß die von der Sozialversicherung Betreuten durch eigene Leistungen zur Finanzierung dieser Einrichtung beitragen müssen (129. Sitzung des 6. Deutschen Bundestages vom 26. 10. 1967, Stenografische Berichte S. 6529 D, 6530 A bis D; Fischwasser in BABl 1968, 82, 85 rechte Spalte). Das Motiv für die Neuerungen im FinÄndG war die Verbesserung der Finanzlage der Rentenversicherung und die Entlastung des Bundeshaushalts; die Rentnerbeteiligung an den Aufwendungen für die KrV sollte die Kürzung des Bundeszuschusses ermöglichen (142. Sitzung, aaO, S. 7289 A). Diesem Motiv entspricht es, daß sich die Empfänger höherer und mehrerer Renten mit einem entsprechend größeren Betrag an den finanziellen Aufwendungen der Träger der ArV für die KVdR beteiligen, als die Empfänger nur einer Rente und niedrigerer Renten.
Die Beteiligung mit 2 v.H. des Rentenzahlbetrages an den Beiträgen der Träger der ArV zu den Aufwendungen der Krankenkassen ist nicht der Beitrag jedes Rentners gerade für seine KrV, sondern eine den Trägern der ArV zufließende allgemeine finanzielle Beteiligung der Rentner an den Beiträgen der ArV-Träger zu den Aufwendungen für die KVdR. In den Beratungen des FinÄndG im Bundestag wurde der Abzug des Anteils von 2 v.H. immer als finanzielle Beteiligung der Rentner an den Lasten der Träger der ArV aufgefaßt (z.B. 129. Sitzung, aaO, S. 6512 B, 6559 C, ferner 142. Sitzung vom 8.12.1967, Stenografische Berichte S. 7281 B, D, 7282 A bis D, 7283 A bis D, 7284 B, C, D, 7285 A bis D und ff). Am Beitragsrecht der KVdR hat sich durch das FinÄndG - abgesehen von der Berechnung des durchschnittlichen Grundlohnes - nichts geändert. Zwischen den Beiträgen der Träger der ArV zur KVdR und der Beteiligung der Rentner mit 2 v.H. ihrer Renten besteht kein unmittelbarer Zusammenhang. Weder sind die krankenversicherungspflichtigen Rentner mit 2 v.H. ihrer Renten Beitragsschuldner gegenüber der Krankenkasse - zur Leistung der Beiträge zur KVdR sind allein die Träger der ArV verpflichtet -, noch wird die Höhe der Beiträge, die die Träger der ArV zur KVdR zu leisten haben, davon beeinflußt, welcher Betrag dem Rentner mit 2 v.H. seiner Renten einbehalten wird. Aus diesen Gründen ist die Auffassung nicht richtig, es dürften nur von einer einzigen Rente 2 v.H. einbehalten werden.
Daß der einbehaltene Abzug von 2 v.H. denjenigen Rentnern zurückgezahlt wird, die nicht nach § 165 Abs. 1 Nr. 3 RVO idF des FinÄndG versicherungspflichtig sind, weil sie nach anderen gesetzlichen Vorschriften versicherungspflichtig sind, entspricht dem Sinn und Zweck der Einbehaltung von 2 v.H. der Rentenbeträge (§ 394 Abs. 3 Satz 2 und 4 RVO idF des FinÄndG). Diese Rentner genießen nicht den Schutz der KVdR; ihre finanzielle Beteiligung an den Leistungen der Träger der ArV zur KVdR wäre daher nicht gerechtfertigt. Ebenfalls entspricht es dem Sinn und Zweck des § 381 Abs. 2 Satz 2 RVO idF des FinÄndG, daß auch den Rentnern, die einen Betrag nach § 381 Abs. 4 RVO erhalten, ein Anteil von 2 v.H. ihrer Renten einbehalten wird; denn auch dieser ihnen zu gewährende Betrag stellt eine Aufwendung der Träger der ArV für die Krankenversicherung der Rentner dar.
Die Entscheidung des SG, daß die Beklagte zu Recht von beiden Renten der Klägerin 2 v.H. einbehalten hat, entspricht daher dem Gesetz.
Die Revision der Klägerin ist daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen