Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückforderung des Kindergeldes. Bestimmung des Bezugsberechtigten. Überweisung des Kindergeldes auf ein fremdes Konto
Leitsatz (amtlich)
Ist die rückwirkende Aufhebung der Leistungsbewilligung bindend geworden, so können die dort rechtserheblichen Fragen des § 48 Abs 1 SGB 10 bei der Rechtmäßigkeit der Rückforderung nach § 50 Abs 1 SGB 10 nicht erneut geprüft werden.
Orientierungssatz
1. Die rückwirkende Aufhebung der Kindergeldbewilligung hat nicht ohne weiteres zur Folge, daß die erbrachte Leistung zurückgefordert werden kann, sondern bewirkt formell nur, daß die Leistungsbewilligung als Rechtsgrundlage mit der Folge entfällt, daß die Leistung zu Unrecht erbracht ist. Zurückgefordert werden kann sie jedoch nur von demjenigen, der sie zu Unrecht erhalten hat. Deshalb wird sie nicht in jedem Falle von dem Adressaten des aufgehobenen Bewilligungsbescheides zurückzufordern sein, sondern nur dann, wenn die Leistung auch an ihn erbracht worden ist.
2. In einem Bescheid kann sowohl die rückwirkende Aufhebung eines leistungsbewilligenden Verwaltungsaktes als auch die darauf beruhende Rückforderung von bereits erbrachten Leistungen verfügt werden.
Normenkette
SGB X § 48 Abs. 1, § 50 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Revisionsverfahren nur noch darüber, ob der Kläger verpflichtet ist, der Beklagten das Kindergeld für die Zeit von Mai 1978 bis Juni 1982 in Höhe von 7420.- DM zu erstatten.
Der Kläger war in zweiter Ehe mit der Beigeladenen verheiratet. Er hatte aus erster Ehe eine Tochter (Anke) und mit der Beigeladenen einen Sohn (Jochen). Ein nichteheliches Kind der Beigeladenen (Thomas) hatte er in seinen Haushalt aufgenommen. Der Kläger erhielt für Thomas und Jochen Kindergeld unter Berücksichtigung seiner Tochter Anke als sogenanntes Zählkind. Seit dem 1. Mai 1978 lebten der Kläger und die Beigeladene getrennt. Während die Kinder Thomas und Jochen bei der Beigeladenen in der bisherigen Ehewohnung blieben, zog der Kläger aus. Die Ehe wurde am 16. Oktober 1979 rechtskräftig geschieden. Am 21. April 1978 hatte die Beigeladene auf einer "formularmäßigen Veränderungsanzeige" ein anderes als das bisherige Konto für die Zahlung des Kindergeldes angegeben. Auf dieses Konto der Beigeladenen wurde das Kindergeld für die streitige Zeit überwiesen.
Die Beklagte hob die Kindergeldbewilligung mit ihrem Bescheid vom 27. Februar 1984 und den Änderungsbescheid vom 14. Mai 1984 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Mai 1984 in Höhe von insgesamt 9920,- DM auf und forderte vom Kläger mit Rücksicht darauf, daß der Beigeladenen für diese Zeit 2500,- DM zugestanden hätten, 7420,- DM zurück.
Das Sozialgericht (SG) hat die angefochtenen Bescheide wegen des Erstattungsanspruchs aufgehoben und die Klage im übrigen - wegen der Aufhebung der Kindergeldbewilligung - abgewiesen. Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) ist davon ausgegangen, daß die Kindergeldbewilligung rechtskräftig aufgehoben worden ist, so daß es nur noch über den Erstattungsanspruch zu entscheiden habe. Dieser Anspruch sei jedoch nicht begründet. Mit der Änderungsanzeige vom 21. April 1978 hätten die Beigeladene und der Kläger die nach § 3 Abs 3 Satz 1 des Bundeskindergeldgesetzes (BKGG) zulässige Änderung der Bezugsberechtigung zu Gunsten der Beigeladenen mitteilen wollen. Zwar enthalte diese Anzeige keine ausdrückliche oder sonst eindeutige Mitteilung über eine Änderung des Bezugsberechtigten; ebensowenig lasse sich eine solche Änderung aus dem Inhalt der Anzeige eindeutig ausschließen. Daß der Beigeladenen und dem Kläger die beabsichtigte Änderungsanzeige nur unvollkommen gelungen sei, beruhe nicht zuletzt darauf, daß das von der Beklagten herausgegebene Formular für Veränderungsanzeigen einen Wechsel des Bezugsberechtigten nicht vorsehe. Wäre das Arbeitsamt den sich aus der Anzeige aufdrängenden Zweifeln darüber nachgegangen, ob wirklich nur eine neue Kontonummer des Klägers mitgeteilt werden sollte, so hätte es rechtzeitig den wirklichen Willen der Anzeige feststellen und die Überzahlung vermeiden können.
Mit ihrer Revision macht die Beklagte geltend, das Berufungsgericht habe den Rückforderungsanspruch nach § 50 SGB 10 zu Unrecht verneint. Empfänger des Kindergeldes sei der Kläger gewesen, auch wenn die Leistung auf ein Konto der Beigeladenen gezahlt worden sei. Mit der Veränderungsanzeige sei keine Mitteilung über eine Änderung des Berechtigten verbunden gewesen. Die Würdigung dieser Anzeige durch das Berufungsgericht verstoße gegen allgemeine Denkgesetze und Erfahrungssätze. Da die rückwirkende Aufhebung der Kindergeldbewilligung bindend geworden sei, komme es für die Rückzahlungsverpflichtung des Klägers nach § 50 Abs 1 SGB 10 nicht darauf an, ob die Beklagte ein Mitverschulden an der Überzahlung treffe.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 12. August 1985 aufzuheben, das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 25. Februar 1985 abzuändern und die Klage auch insoweit abzuweisen, als die Erstattung des Kindergeldes streitig ist.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für richtig und ist der Ansicht, die Revision der Beklagten sei unbegründet. Insbesondere sei er schon deshalb nicht zur Rückzahlung verpflichtet, weil nicht er, sondern die Beigeladene in der streitigen Zeit Empfängerin des Kindergeldes gewesen sei.
Die im Revisionsverfahren nicht vertretene Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet, denn das LSG hat die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zu Unrecht zurückgewiesen.
Gegenstand des Revisionsverfahrens ist - wie schon im Berufungsverfahren - nur noch die Rechtmäßigkeit der Bescheide der Beklagten, soweit darin die Verpflichtung des Klägers enthalten ist, das für die Zeit von Mai 1978 bis Juni 1982 gezahlte Kindergeld in Höhe von 7420,- DM zu erstatten. Die in den Bescheiden der Beklagten enthaltene rückwirkende Aufhebung der Kindergeldbewilligung für die streitige Zeit ist mit der insoweit nicht angefochtenen Klageabweisung durch das erstinstanzliche Urteil bindend und daher nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden. Bei der rückwirkenden Aufhebung der Kindergeldbewilligung einerseits und der Geltendmachung des Erstattungsanspruchs andererseits handelt es sich auch dann um verschiedene Verfügungssätze, wenn sie in einem Bescheid enthalten sind (vgl BSG SozR 1500 § 146 Nrn 18, 19; BSG SozR 5870 § 27 Nr 2). Soweit das SG die Klage abgewiesen hat - also hinsichtlich der rückwirkenden Aufhebung der Kindergeldbewilligung - sind die Bescheide der Beklagten bindend geworden, weil nur die Beklagte Berufung eingelegt und der Kläger das erstinstanzliche Urteil nicht angefochten hat.
Das Berufungsgericht hat den Erstattungsanspruch der Beklagten aber zu Unrecht verneint. Nach § 50 Abs 1 Satz 1 SGB 10 sind die erbrachten Leistungen stets zu erstatten, wenn und soweit der bewilligende Verwaltungsakt wirksam aufgehoben worden ist. Die rückwirkende Aufhebung der Kindergeldbewilligung hat zwar nicht ohne weiteres zur Folge, daß die erbrachte Leistung zurückgefordert werden kann, sondern bewirkt formell nur, daß die Leistungsbewilligung als Rechtsgrundlage mit der Folge entfällt, daß die Leistung zu Unrecht erbracht ist. Zurückgefordert werden kann sie jedoch nur von demjenigen, der sie zu Unrecht erhalten hat. Deshalb wird sie nicht in jedem Falle von dem Adressaten des aufgehobenen Bewilligungsbescheides zurückzufordern sein, sondern nur dann, wenn die Leistung auch an ihn erbracht worden ist. Leistungsempfänger ist im vorliegenden Fall jedoch der Kläger, für den die Beklagte das Kindergeld auf das von der Beigeladenen mit seiner Billigung bezeichnete Konto gezahlt hat. Auch wenn es sich dabei um ein Konto der Beigeladenen handelte, über das der Kläger nicht verfügen konnte, wurde von der Beklagten für den Kläger mit dessen Willen auf dieses Konto gezahlt, so daß der Kläger sich die Zahlungen als empfangen zurechnen lassen muß. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn die Bestimmung des Kindergeldberechtigten wirksam geändert worden wäre oder wenn die Beklagte bewußt an einen anderen als den Berechtigten gezahlt hätte. Das ist jedoch nicht der Fall.
Mit der Änderungsanzeige vom 21. April 1978 ist die Beigeladene nicht wirksam zur neuen Bezugsberechtigten iS des § 3 Abs 3 Satz 1 BKGG bestimmt worden. Der Senat hat zwar - mangels einer begründeten Verfahrensrüge der Beklagten - von der Tatsachenfeststellung des LSG auszugehen, daß die Beigeladene und der Kläger mit dieser Änderungsanzeige der Beklagten die von ihnen vereinbarte Änderung der Bezugsberechtigung anzeigen wollten. Dieser Wille ist aber - auch nach Ansicht des Berufungsgerichts - nicht hinreichend zum Ausdruck gekommen, so daß er auch unter Berücksichtigung der Auslegungsregel des § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) rechtlich unbeachtlich ist. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob das Revisionsgericht grundsätzlich an die Auslegung einer individuellen Willenserklärung durch das Tatsachengericht gebunden ist oder sie selbst auslegen darf. Das LSG hat jedenfalls nicht angenommen, in der Änderungsanzeige sei der Wille zur Änderung der Bestimmung des Bezugsberechtigten hinreichend zum Ausdruck gekommen und wirksam geworden. Es hat vielmehr lediglich angenommen, der Beklagten hätten sich Zweifel darüber aufdrängen müssen, ob mit der Anzeige wirklich nur eine neue Kontonummer des Klägers mitgeteilt werden sollte. Aus diesen sich aufdrängenden Zweifeln hat das LSG nicht eine wirksame Willenserklärung abgeleitet, sondern lediglich ein Mitverschulden der Beklagten an der Überzahlung.
Da der Beklagten nicht bekannt war, daß es sich bei dem von der Beigeladenen mit Billigung des Klägers angegebenen Konto um ein Konto der Beigeladenen handelte, über das der Kläger nicht verfügen konnte, handelte es sich nicht um eine Fehlleitung des Kindergeldes mit der Folge, daß die Überzahlung nur vom wirklichen Empfänger etwa nach § 50 Abs 2 SGB 10 oder nach zivilrechtlichen Vorschriften zurückgefordert werden könnte (vgl hierzu Urteil vom 29. Oktober 1986 - 7 RAr 77/85 -). Die Beklagte hat das Kindergeld nicht an die Beigeladene, sondern an den Kläger auf das von ihm bezeichnete Konto gezahlt, auch wenn der Kläger und die Beigeladene davon ausgegangen sein mögen, daß es sich um Zahlungen an die Beigeladene handeln sollte. Die Frage, ob die Beklagte auch der Beigeladenen gegenüber einen Rückforderungsanspruch hat, ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Ebensowenig die Frage, ob der Kläger wegen des von ihm zurückgeforderten Kindergeldes einen Anspruch gegen die Beigeladene hat.
Die rückwirkende Aufhebung der Leistungsbewilligung mag zwar nicht in allen Fällen zur Rückforderung der erbrachten Leistung führen, zB bei Verjährung oder Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, insbesondere Verwirkung. Solche der Rückforderung entgegenstehenden Gründe sind jedoch vom LSG nicht festgestellt worden und auch nicht erkennbar. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Beklagte die Überzahlung dadurch mitverschuldet hat, daß sie der Veränderungsanzeige vom 21. April 1978 nicht weiter nachgegangen ist. Für den Tatbestand des § 50 Abs 1 SGB 10 kommt es - im Gegensatz zu § 50 Abs 2 SGB 10 - nicht darauf an, wer die Überzahlung verschuldet hat. Die früher von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen zB nach § 1301 der Reichsversicherungsordnung, § 93 Abs 2 des Reichsknappschaftsgesetzes sind vom Gesetzgeber bewußt in die Frage nach der Rechtmäßigkeit einer rückwirkenden Aufhebung der Leistungsbewilligung nach § 48 SGB 10 vorverlagert und bei der davon verschiedenen Frage nach der Rechtmäßigkeit der Rückforderung ausgeklammert worden. Ist die rückwirkende Aufhebung der Leistungsbewilligung unanfechtbar und bindend geworden, so können die dort rechtserheblichen Fragen des § 48 Abs 1 SGB 10 nicht bei der Rechtmäßigkeit der Rückforderung nach § 50 Abs 1 SGB 10 erneut geprüft und dabei etwa anders beantwortet und gewertet werden. Die Billigkeitserwägungen, die gegen eine Rückzahlungsverpflichtung sprechen könnten, sind bereits in § 48 Abs 1 SGB 10 zu prüfen und können unter Umständen dazu führen, daß die Leistungsbewilligung nur für die Zukunft aufgehoben werden darf. Nur in solchen Fällen können sie zum Ausschluß des Rückforderungsanspruchs führen. Ist die rückwirkende Aufhebung der Leistungsbewilligung aber bindend geworden, so kann sie nicht dadurch ad absurdum geführt werden, daß die in § 48 Abs 1 SGB 10 enthaltenen Billigkeitserwägungen im Rahmen des § 50 Abs 1 SGB 10 erneut geprüft werden.
Auf die danach begründete Revision der Beklagten war daher die Klage auch insoweit abzuweisen, als sie sich gegen den Erstattungsanspruch in den angefochtenen Bescheiden richtet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen