Leitsatz (amtlich)
Zur Ersetzung der Zustimmung zur Aushändigung des Kinderzuschusses an einen Dritten nach RKG § 60 Abs 8 S 3 (= RVO § 1262 Abs 8 S 3), wenn der Rentenversicherungsträger den Kinderzuschuß über den Fälligkeitstermin hinaus einbehalten hat.
Normenkette
RKG § 60 Abs. 8 S. 3
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 5. April 1973 abgeändert:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 12. Juli 1972 wird in vollem Umfang zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Dem im Jahre 1928 geborenen Kläger gewährte die Bundesknappschaft durch Bescheid vom 15. September 1969 für die Zeit ab März 1968 Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit. In der Rente waren drei Kinderzuschüsse für Kinder des Klägers aus dessen erster, 1966 geschiedener Ehe enthalten; die Kinder lebten bei ihrer Mutter.
Im Mai 1970 beantragte die Mutter beim Bundesversicherungsamt (BVA), die Zustimmung des Klägers zur Aushändigung des Kinderzuschusses an sie gemäß § 60 Abs. 8 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) zu ersetzen. Gemäß Aufforderung des BVA vom 9. Juli 1970 behielt die Bundesknappschaft die Kinderzuschüsse ab September 1970 zunächst ein. Mit Bescheid vom 11. September 1970 in der Gestalt des bestätigenden Widerspruchsbescheides vom 12. Mai 1971 entsprach das BVA dem Antrag der Mutter "für die Zeit ab 1. September 1970".
Mit der hiergegen erhobenen Klage hatte der Kläger in zweiter Instanz zum Teil Erfolg. Durch die angefochtene Entscheidung vom 5. April 1973 hat das Landessozialgericht (LSG) die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts (SG) "mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Ersetzung der Zustimmung den Zeitraum ab 1. Oktober 1970 betrifft". In der Begründung heißt es, die Ersetzung der Zustimmung durch das BVA könne sich nur auf die Zeit nach Erlaß des Verwaltungsaktes erstrecken, weil das Gesetz dem Rentenversicherungsträger nicht gestatte, in der Zeit vor der Entscheidung des BVA die Auszahlung des Kinderzuschusses trotz Fälligkeit zu verweigern. Insbesondere sehe das Gesetz die Möglichkeit einer einstweiligen Regelung durch vorläufige Einbehaltung des Kinderzuschusses nicht vor.
Die Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie trägt vor: Die Befugnis der Bundesknappschaft zur Einbehaltung des Kinderzuschusses ergebe sich einmal aus dem allgemeinen Rechtsgrundsatz, daß der Versicherungsträger, solange Zweifel über die Person des Empfangsberechtigten bestehen, die fraglichen Beträge zurückhalten dürfe. Dieser Grundsatz knüpfe an den Rechtsgedanken an, der den §§ 372 ff des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) zugrunde liege. Im vorliegenden Fall habe die Bundesknappschaft hinsichtlich des Kinderzuschusses Zweifel an der Empfangsberechtigung des Klägers haben dürfen, weil das Jugendamt namens der Mutter der Kinder im Ersetzungsantrag vom 29. April 1970 glaubhaft Tatsachen vorgetragen habe, die für eine Zustimmungsersetzung gesprochen hätten. In § 60 Abs. 8 RKG habe der Gesetzgeber den Interessen der Kinder den Vorrang vor den Interessen des Rentenberechtigten eingeräumt. Diesem Anliegen des Gesetzgebers könne aber nur Rechnung getragen werden, wenn ein sofortiger Auszahlungsstopp möglich sei. Die vorläufige Zahlungseinstellung seitens der Bundesknappschaft sei auch deshalb rechtmäßig, weil sie jedenfalls nachträglich in der Entscheidung des BVA eine Rechtsgrundlage gefunden habe. Dessen Bescheid vom 11. September 1970 habe sich Rückwirkung beimessen dürfen. Schließlich rechtfertige sich die vorläufige Zahlungseinstellung auch aus der Aufforderung des BVA an die Bundesknappschaft vom 9. Juli 1970, zur Sicherstellung des Unterhalts für die Kinder den Kinderzuschuß bis zur endgültigen Entscheidung einzubehalten. Diese einstweilige Maßnahme des BVA sei durch § 60 Abs. 8 RKG gedeckt, weil sie im Verhältnis zur Ersetzung der Zustimmung das rechtlich geringere Mittel darstelle.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil insoweit aufzuheben, als es die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts nicht in vollem Umfang zurückweist, sowie die Berufung in vollem Umfang zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hat keine Äußerung abgegeben.
II.
Die zugelassene Revision ist nicht begründet.
Nach § 60 Abs. 8 Satz 1 RKG kann der Kinderzuschuß, auf den ein Berechtigter Anspruch hat, mit seiner Zustimmung einem Dritten auf dessen Antrag ausgehändigt werden, wenn dieser den Unterhalt des Kindes überwiegend bestreitet. Verweigert der Berechtigte die Zustimmung, so kann sie nach Satz 3 aaO vom BVA ersetzt werden. Unter den Beteiligten ist in Streit, ob das BVA durch den Bescheid vom 11. September 1970 die Zustimmung mit Wirkung für den schon am 1. September 1970 fällig gewesenen Kinderzuschuß des Klägers für September 1970 ersetzen konnte. Das ist entgegen dem LSG zu bejahen.
Die Bundesknappschaft hatte bei Zustellung des angefochtenen Bescheides des BVA vom 11. September 1970 dem Kläger den Kinderzuschuß für September 1970 noch nicht ausgezahlt, so daß der Anspruch auf den Kinderzuschuß noch bestand; weder Wortlaut noch Sinngehalt des § 60 Abs. 8 Satz 3 RKG standen daher der Ersetzung der Zustimmung zu der - in Zukunft erst noch zu bewirkenden - Aushändigung des Kinderzuschusses an einen Dritten entgegen. Von einer Rückwirkung des angefochtenen Bescheids läßt sich mithin ungeachtet des Umstands, daß der Kinderzuschuß für September 1970 bereits am Ersten dieses Monats fällig gewesen war, nicht sprechen.
Der Einwand des Klägers, die Bundesknappschaft habe den am 1. September 1970 fällig gewesenen Kinderzuschuß ungerechtfertigt über diesen Zeitpunkt hinaus einbehalten und das BVA habe zu Unrecht eine solche Einbehaltung veranlaßt, weshalb der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig sei, soweit durch ihn die - fehlende - Zustimmung zur Aushändigung des Kinderzuschusses für den Monat September 1970 an die Mutter des Kindes ersetzt worden sei, greift nicht durch. Das ergeben die folgenden Überlegungen:
Der vom BVA gemäß § 60 Abs. 8 Satz 3 RKG erlassene Verwaltungsakt hat, was keiner näheren Begründung bedarf, die gleiche Wirkung wie die vom Rentenberechtigten dem Rentenversicherungsträger nach Satz 1 aaO freiwillig erteilte Zustimmung zur Aushändigung des Kinderzuschusses an den Dritten, der das Kind überwiegend unterhält. Die dem BVA durch Satz 3 aaO erteilte gesetzliche Ermächtigung, die vom Rentenberechtigten verweigerte Zustimmung zu ersetzen, kann ihre Rechtfertigung nur darin finden, daß der Gesetzgeber den Rentenberechtigten an sich für verpflichtet hält, diese Zustimmung zu erteilen, wenn der auf Aushändigung antragende Dritte das Kind überwiegend unterhält und die Unterhaltszahlung des Rentenberechtigten nicht an die Höhe des Kinderzuschusses heranreicht (vgl. BSGE 19, 241, 244), ohne allerdings dem Dritten einen einklagbaren Anspruch gegen den Versicherten auf diese Zustimmung zuzugestehen. Diese dem Rentenberechtigten angesonnene Verpflichtung wiederum trägt dem Umstand Rechnung, daß der Kinderzuschuß seinem Zweck nach dazu bestimmt ist, den Unterhalt des Kindes sicherzustellen; bei Erfüllung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 RKG, in dem die Zweckentfremdung des Kinderzuschusses durch den Rentenberechtigten auf der Hand liegt, läßt das Gesetz gemäß Satz 3 aaO die dem Rentenberechtigten in bezug auf die Aushändigung des Kinderzuschusses eingeräumte formelle Rechtsposition hinter dessen - soeben dargestellte - Verpflichtung zurücktreten, den Kinderzuschuß seiner Zweckbestimmung, der Sicherung des Unterhalts des Kindes, zuzuführen. Zwar hat der Gesetzgeber, wie bereits ausgeführt, dem Dritten keinen einklagbaren Anspruch auf Zustimmung gewährt, was auch nicht praktikabel gewesen wäre. Doch ist er dadurch, daß er die behördliche Ersetzung der Zustimmung zugelassen hat, deutlich weitergegangen, als es die Normierung eines einklagbaren Anspruchs des Dritten gegen den Versicherten auf Zustimmung gewesen wäre; hinter der Regelung des § 60 Abs. 8 Satz 3 RKG steht deutlich, daß der Gesetzgeber unter den Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 RKG vom Rentenbewerber erwartet, daß er die Zustimmung zur Aushändigung des Kinderzuschusses an den Dritten erteilt. Erst der enttäuschten Erwartung tritt er mit der in Satz 3 aaO getroffenen Regelung entgegen.
Im vorliegenden Fall ist der Kläger am 1. September 1970 gemäß den Feststellungen des LSG mit der Zahlung des Unterhalts gegenüber den Kindern aus der ersten Ehe beträchtlich im Rückstand gewesen. Ist er aber schon damals der ihm angesonnenen Verpflichtung, die Zustimmung zu erteilen, nicht nachgekommen, so kann er einem Bescheid des BVA gemäß § 60 Abs. 8 Satz 3 RKG nicht entgegenhalten, er habe am 1. September 1970 dem Rentenversicherungsträger gegenüber Anspruch auf Auszahlung des Kinderzuschusses noch gehabt; denn die genannte Vorschrift ermächtigt das BVA gerade, die vorstehend dargestellte Verpflichtung des Rentenberechtigten, den Kinderzuschuß seiner Zweckbestimmung zuzuführen, auch gegenüber dessen formaler Rechtsposition durchzusetzen. Die Ersetzung der Zustimmung durch das BVA hat also die gleiche Wirkung, als hätte der Versicherte, seiner Verpflichtung folgend, rechtzeitig die Zustimmung erteilt.
Der streitige Bescheid des BVA ist daher im Ergebnis nicht zu beanstanden. Deshalb war auf die Revision der Beklagten das Urteil des LSG abzuändern und die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des SG im vollen Umfang zurückzuweisen.
Gemäß § 193 Sozialgerichtsgesetz war ferner zu entscheiden, daß sich die Beteiligten außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten haben.
Fundstellen