Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirkung einer von der Ersatzkasse ausgestellten Mitgliedsbescheinigung nach § 517 RVO
Leitsatz (amtlich)
Eine Bescheinigung über die Zugehörigkeit zur Ersatzkasse (§ 517 Abs 2 RVO) ist nicht deshalb unwirksam, weil sie vor Eintritt der Versicherungspflicht ausgestellt und vorgelegt wurde; sie verliert ihre Wirkung auch nicht dadurch, daß der Arbeitgeber sie nicht aufbewahrt.
Orientierungssatz
1. Die Bescheinigung dient zwar dazu, dem Versicherten die Möglichkeit zu geben, durch ihre Vorlage beim Arbeitgeber von einer - sonst kraft Gesetzes (§§ 234, 245 Abs 3, § 250 Abs 2 RVO) eintretenden - Mitgliedschaft bei einer gesetzlichen Krankenkasse befreit zu werden; ihrem Inhalt nach bestätigt sie aber lediglich die Mitgliedschaft bei der Ersatzkasse.
2. Die Bestätigung ist zutreffend, auch wenn sie in einer Zeit erfolgt, in der (noch) keine Versicherungspflicht besteht; dem Gesetz sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, daß die Ersatzkasse nicht befugt sei, eine Bescheinigung nach § 517 Abs 2 RVO schon vor Eintritt der Versicherungspflicht auszustellen.
3. Eine zeitliche Begrenzung der Wirksamkeit einer nach § 517 Abs 2 RVO ausgestellten Bescheinigung enthält das Gesetz nicht.
4. Hat ein freiwillig versichertes Ersatzkassenmitglied dem Arbeitgeber eine Mitgliedsbescheinigung der Ersatzkasse vorgelegt, so gelten bei einer an die freiwillige Versicherung anschließenden Pflichtversicherung die Voraussetzungen des § 517 Abs 2 RVO als erfüllt, wenn der Versicherte bei demselben Arbeitgeber beschäftigt bleibt; Beitragsansprüche der gesetzlichen Krankenkasse bestehen für diese Zeit nicht.
Normenkette
RVO § 517 Abs 2; BÜV § 3 Abs 1 Nr 2; RVO §§ 234, 245 Abs 3, § 250 Abs 2
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Entscheidung vom 14.06.1983; Aktenzeichen I KRBf 1/83) |
SG Hamburg (Entscheidung vom 30.11.1982; Aktenzeichen 22 KR 160/81) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob für die Beigeladene zu 1) Pflichtbeiträge zur beklagten Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) für eine zurückliegende Zeit neben den bereits zu der beigeladenen Ersatzkasse entrichteten Beiträgen zu entrichten sind, weil eine Befreiungsbescheinigung nach § 517 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) während der streitigen Zeit nicht vorgelegen hat.
Die Beigeladene zu 1) war seit 1975 freiwilliges Mitglied der Barmer Ersatzkasse -BEK- (Beigeladene zu 2). Ab 1. August 1978 war sie bei dem Kläger beschäftigt gegen ein Gehalt, das zunächst über der Versicherungspflichtgrenze in der Krankenversicherung (§ 165 Abs 1 Nr 2 iVm § 1385 Abs 2 RVO) lag. Sie legte desungeachtet ihrem Arbeitgeber eine von der Beigeladenen zu 2) ausgestellte Befreiungsbescheinigung gem § 517 Abs 2 RVO vor, die dieser allerdings im November 1978 an die Beigeladene zu 2) zurücksandte.
Ab 1. Januar 1979 wurde die Beigeladene zu 1) wegen Erhöhung der Versicherungspflichtgrenze krankenversicherungspflichtig. Es wurden jedoch weiterhin Beiträge zur Krankenversicherung an die Beigeladene zu 2) abgeführt (sowie Angestellten- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge an die Beklagte). Eine neue Befreiungsbescheinigung nach § 517 Abs 2 RVO legte die Beigeladene zu 1) ihrem Arbeitgeber erst Anfang 1980 vor.
Anläßlich einer Betriebsprüfung am 19. März 1981 stellte die Beklagte für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1979 Krankenversicherungspflicht zur AOK fest und forderte Beiträge von 4.053,22 DM nach (Bescheid vom 19. März 1981).
Widerspruch, Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 22. Juli 1981; Urteil des Sozialgerichts Hamburg -SG- vom 30. November 1982; Urteil des Landessozialgerichts Hamburg -LSG- vom 14. Juni 1983).
Das LSG hat die Auffassung vertreten, daß die im August 1978 ausgestellte Befreiungsbescheinigung unwirksam gewesen sei, weil seinerzeit keine Krankenversicherungspflicht bestanden habe. Deshalb habe erst die Anfang 1980 vorgelegte Bescheinigung befreiende Wirkung entfalten können. Die Forderung könne auch nicht gem § 76 Abs 2 Nr 3 des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) aus Billigkeitserwägungen erlassen werden; denn in der Doppelbelastung des Klägers mit Beiträgen liege allein keine besondere Härte für ihn. Die Nachforderung verstoße schließlich nicht gegen Treu und Glauben, da der Beklagten keine sittenwidrige Handlungsweise vorgeworfen werden könne. Auch ein Verstoß gegen das Sozialstaatsprinzip liege nicht vor, denn eine Doppelversicherung könne in Einzelfällen durchaus ihre Berechtigung haben.
Mit ihren Revisionen machen der Kläger und die Beigeladene zu 2) weiterhin geltend, daß bereits die im August 1978 vorgelegte Bescheinigung zur Befreiung von der Pflichtmitgliedschaft bei der beklagten AOK geführt habe. Die Bescheinigung bestätige lediglich die Zugehörigkeit zur Ersatzkasse und könne deshalb nicht unwirksam sein, entfalte allerdings ihre Befreiungswirkung erst bei Eintritt der Versicherungspflicht. Dies ergebe sich aus einer entsprechenden Anwendung der Grundsätze, die der erkennende Senat in seinem Urteil vom 17. März 1981 - 12 RK 18/80 - (SozR 2200 § 517 Nr 5) entwickelt habe.
Im übrigen berufen sich der Kläger und die Beigeladene zu 2) auf das Urteil des erkennenden Senats vom 9. Oktober 1984 - 12 RK 46/82 -, in dem in einem vergleichbaren Fall die nachträgliche Beitragserhebung für zurückliegende Zeiten als ein Verstoß gegen Treu und Glauben angesehen wurde.
Der Kläger und die Beigeladene zu 2) beantragen, die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid vom 19. März 1981 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Juli 1981 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Revisionen zurückzuweisen.
Sie beruft sich im wesentlichen auf das angefochtene Urteil. Außerdem macht sie geltend, daß das Urteil des Senats vom 9. Oktober 1984 - 12 RK 46/82 - zu Konsequenzen führe, die offenbar nicht bedacht worden seien. Die Doppelmitgliedschaft könne leistungsrechtliche Auswirkungen haben. Der Versicherte könne in Fällen der vorliegenden Art im Rahmen der §§ 185b Abs 4, 187 und 204 RVO von der AOK nachträglich Mehrleistungen beanspruchen. Dem müsse auch eine Beitragsleistung gegenüberstehen.
Die Beigeladene zu 1) hat im Revisionsverfahren keinen Antrag gestellt und sich auch nicht geäußert.
Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revisionen sind begründet.
Die Beklagte ist nicht berechtigt, die streitigen Beiträge nachzufordern, denn die Beigeladene zu 1) war von der Mitgliedschaft bei der Beklagten befreit, nachdem sie im August 1978 dem Arbeitgeber (dem Kläger) eine Bescheinigung nach § 517 Abs 2 RVO vorgelegt hatte.
Die Ausstellung einer Bescheinigung nach § 517 Abs 2 RVO setzt nicht voraus, daß im Zeitpunkt ihrer Ausstellung Versicherungspflicht besteht. Sie dient zwar dazu, dem Versicherten die Möglichkeit zu geben, durch ihre Vorlage beim Arbeitgeber von einer - sonst kraft Gesetzes (§§ 234, 245 Abs 3, 250 Abs 2 RVO) eintretenden - Mitgliedschaft bei einer gesetzlichen Krankenkasse befreit zu werden; ihrem Inhalt nach bestätigt sie aber lediglich die Mitgliedschaft bei der Ersatzkasse. Diese Bestätigung ist zutreffend, auch wenn sie in einer Zeit erfolgt, in der (noch) keine Versicherungspflicht besteht; dem Gesetz sind keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, daß die Ersatzkasse nicht befugt sei, eine Bescheinigung nach § 517 Abs 2 RVO schon vor Eintritt der Versicherungspflicht auszustellen.
Für eine solche Einschränkung ist auch kein Bedürfnis zu erkennen. Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 9. Oktober 1984 - 12 RK 46/82 - ausgeführt, daß der Sinn des § 517 Abs 2 RVO vor allem darin besteht, die Ersatzkasse zu veranlassen, vor Ausstellung der Bescheinigung die Berechtigung einer Mitgliedschaft bei ihr sorgfältig zu überprüfen; ferner soll die Vorlage der Bescheinigung für den Arbeitgeber und Dritte Klarheit darüber schaffen, daß der Vorlegende einer Ersatzkasse angehört, ihr allein angehören will und deshalb seine Meldung bei der gesetzlichen Krankenkasse entfällt (§§ 317, 519 RVO).
Zu einer sorgfältigen Prüfung, ob die Voraussetzungen für eine Mitgliedschaft bei ihr erfüllt sind, ist die Ersatzkasse auch dann verpflichtet, wenn sie diese Bescheinigung zu einem früheren Zeitpunkt als nach Eintritt der Versicherungspflicht ausstellt. Für den Arbeitgeber und Dritte wird die erforderliche Klarheit ebenfalls unabhängig davon herbeigeführt, ob im Zeitpunkt der Ausstellung eine Versicherungspflicht des Arbeitnehmers in der gesetzlichen Krankenversicherung besteht oder nicht. Eine zeitliche Begrenzung der Wirksamkeit einer nach § 517 Abs 2 RVO ausgestellten Bescheinigung enthält das Gesetz nicht.
Die Ausstellung der Bescheinigung hat auch keine Beschwer der Beklagten oder eines Dritten zur Folge (BSG SozR 2200 § 517 Nr 3 S 3); denn sie allein bewirkt noch keine Befreiung iS des § 517 RVO. Auch ihre Vorlage beim Arbeitgeber ist nicht deshalb unwirksam, weil sie zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem Versicherungspflicht noch nicht eingetreten ist.
Der erkennende Senat hat bereits in seiner Entscheidung vom 17. März 1981 - 12 RK 18/80 - (SozR 2200 § 517 Nr 5) entschieden, daß es der wiederholten Vorlage einer Bescheinigung nach § 517 Abs 2 RVO anläßlich des Wiedereintritts der Versicherungspflicht nicht bedarf, wenn der Versicherte noch bei demselben Arbeitgeber beschäftigt ist. Die zur Rechtfertigung dieser Entscheidung angeführten Gründe gelten sinngemäß auch in anderen Fällen, insbesondere in Fällen der vorliegenden Art. Es wäre auch hier ein von der Sache her nicht zu begründender Formalismus, den - weiterhin bei demselben Arbeitgeber beschäftigten und bei derselben Ersatzkasse versicherten - Arbeitnehmer zu zwingen, bei späterem Eintritt der Versicherungspflicht erneut eine Bescheinigung nach § 517 Abs 2 RVO vorzulegen, wenn er bereits einmal, etwa in der (irrtümlichen) Annahme der Versicherungspflicht, eine solche Bescheinigung vorgelegt hat.
Überdies entspricht ein Verfahren, wie es hier eingeschlagen wurde, praktischen Bedürfnissen. Sowohl bei Zweifeln über das Bestehen der Versicherungspflicht (zB bei Streit über die Beitragspflicht bestimmter Entgeltteile) als auch bei einem unstreitig bevorstehenden Eintritt der Versicherungspflicht erscheint es geboten, den Versicherten durch vorsorgliche Ausstellung einer Bescheinigung in die Lage zu versetzen, von seinem Befreiungsrecht in jedem Falle und alsbald Gebrauch zu machen.
Ebenso wie für eine frühzeitige Ausstellung der Bescheinigung durch die Ersatzkasse besteht auch ein Bedürfnis für ihre frühzeitige Vorlage beim Arbeitgeber. Ein bei einer Ersatzkasse versicherter Arbeitnehmer und sein Arbeitgeber werden regelmäßig ein Interesse daran haben, daß der Ausschluß einer Doppelmitgliedschaft (bei der Ersatzkasse und einer gesetzlichen Krankenkasse) bei Antritt der Beschäftigung - unabhängig von Schwankungen des Gehalts und Erhöhungen der Versicherungspflichtgrenze - ein für alle Mal geklärt wird, schon um zu vermeiden, daß Versehen, die in diesem Bereich häufig vorkommen (der vorliegende Rechtsstreit bietet ein Beispiel), oder Irrtümer in bezug auf die Beurteilung der Versicherungspflicht zu einer späteren Doppelmitgliedschaft führen.
Die Beigeladene zu 1) hat im vorliegenden Fall ihrem Arbeitgeber (dem Kläger) bei Antritt ihrer Beschäftigung im August 1978 eine Bescheinigung nach § 517 Abs 2 RVO vorgelegt. Damit ist dieser Vorschrift Genüge getan. Ein Verbleib der Bescheinigung beim Arbeitgeber ist nicht Voraussetzung für die Wirksamkeit der Vorlage und die Fortdauer ihrer Wirkung. Allerdings hat der Arbeitgeber nach § 3 Abs 1 Nr 2 iVm Abs 5 der Beitragsüberwachungsverordnung vom 28. Juni 1963 (BGBl I 445) die Bescheinigung für die Dauer der Versicherungspflicht aufzubewahren. Möglicherweise wird man darüber hinaus mit der Entscheidung des erkennenden Senats vom 17. März 1981 - 12 RK 18/80 - (aa0) eine solche Aufbewahrungspflicht auch für Zeiträume annehmen können, in denen (noch) keine Versicherungspflicht besteht. Dies braucht hier indes nicht entschieden zu werden, weil ein Verstoß gegen die Aufbewahrungspflicht jedenfalls nicht die Unwirksamkeit der Bescheinigung und ihrer Vorlage zur Folge hat. Das Gesetz knüpft den Eintritt und die Fortdauer der Befreiungswirkung nicht an den Verbleib der Bescheinigung beim Arbeitgeber.
Die Beitragsforderung der Beklagten scheitert also im vorliegenden Fall schon daran, daß die Beigeladene zu 1) dem Kläger eine wirksam ausgestellte Bescheinigung nach § 517 Abs 2 RVO vorgelegt hat, die zwar zunächst eine Befreiungswirkung nicht hat entfalten können, die die Beigeladene zu 1) aber später, als sie versicherungspflichtig wurde, von der Mitgliedschaft bei der Beklagten befreit hat.
Im übrigen würde eine Beitragsforderung der Beklagten, wie der erkennende Senat in dem genannten Urteil vom 9. Oktober 1984 für einen vergleichbaren Fall entschieden hat, gegen Treu und Glauben verstoßen. Auf die Gründe dieser Entscheidung kann Bezug genommen werden.
Der Einwand der Beklagten, es sei in diesem Urteil nicht ausreichend bedacht worden, daß der doppelt - bei einer Ersatzkasse und einer AOK - Versicherte uU Mehrleistungen der AOK im Rahmen von §§ 185b Abs 4, 187 und 204 RVO beanspruchen könnte und daß dem dann auch Beitragsansprüche der AOK gegenüberstehen müßten, ist unzutreffend. In Fällen der vorliegenden Art hat der Versicherte durch sein Verhalten deutlich gemacht, daß er nur bei der Ersatzkasse versichert sein will. Dieses Verhalten schließt unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben Leistungsansprüche gegen die AOK aus. Etwas anderes ist auch diesbezüglichen Entscheidungen des erkennenden Senats und anderer Senate des Bundessozialgerichts nicht zu entnehmen (vgl etwa BSGE 51, 89, 97; Urteil vom 30. November 1983 - 5a RKn 3/83 -; Urteil vom 9. Oktober 1984 - 12 RK 46/82 -). Entsprechendes gilt dort, wo die AOK schon von sich aus auf eine Beitragsforderung für die Vergangenheit verzichtet, den Versicherten lediglich von einer eingetretenen Doppelversicherung in Kenntnis setzt und nur Beiträge für die Zukunft fordert.
Die angefochtenen Urteile sowie die Bescheide der Beklagten mußten deshalb aufgehoben werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen