Leitsatz (amtlich)
Auf den Berufsschadensausgleich anrechenbar nach BVG § 30 Abs 7 S 1 (Abs 6 S 1 aF) ist nur der Mehrbetrag der Grundrente, welcher sich aus der bescheidmäßig zusätzlich "wegen besonderen beruflichen Betroffenseins" festgesetzten MdE ergibt (Anschluß an BSG 1975-10-28 9 RV 78/75 = SozR 3100 § 30 Nr 9; Fortführung von BSG 1968-07-09 10 RV 582/67 = SozR Nr 32 zu § 30 BVG).
Leitsatz (redaktionell)
Beträgt die zusätzlich festgelegte MdE wegen besonderen beruflichen Betroffenseins 10 vH und wird die MdE gemäß BVG § 30 Abs 1 von 80 auf 82 vH erhöht (hier: durch das Gericht aufgrund anderer Bewertung) - so daß der Beschädigte nach BVG § 31 Abs 3 die Erwerbsunfähigkeitsrente erhält -, so kann nur die Differenz zwischen der Grundrente nach einer MdE um 80 und um 90 vH auf den Berufsschadensausgleich angerechnet werden (so auch BSG vom 1975-10-28 9 RV 78/75 = SozR 3100 § 30 Nr 9).
Normenkette
BVG § 30 Abs. 7 S. 1 Fassung: 1975-12-18, Abs. 6 S. 1 Fassung: 1971-12-16, § 31 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1975-06-09
Verfahrensgang
SG Nürnberg (Entscheidung vom 10.06.1976; Aktenzeichen S 11 V 429/75) |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 10. Juni 1976 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Der 1898 geborene Kläger, der bereits nach dem Reichsversorgungsgesetz Versorgung bezogen hatte, erhielt nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zunächst Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 vH, später um 60 vH, dann 70 vH und schließlich ab 1. Januar 1966 nach einer MdE um 90 vH, in der eine besondere berufliche Betroffenheit mit einer MdE um 10 vH berücksichtigt war.
Im Rechtsstreit wegen Anerkennung einer Verkürzung des rechten Beines als mittelbare Schädigungsfolge verurteilte das Sozialgericht (SG) Nürnberg (S 12 V 14/74 b) den Beklagten am 7. Juli 1975, dem Kläger für die anerkannten Schädigungsfolgen ab 1. Februar 1972 Rente nach einer Gesamt-MdE um 100 vH - statt bisher 90 vH - einschließlich einer Berufsbetroffenheit zu gewähren. Es verneinte die geltend gemachte Änderung der Verhältnisse, bewertete aber die MdE für die beim Kläger bereits anerkannten Schädigungsfolgen im allgemeinen Erwerbsleben nach versorgungsmedizinischen Beurteilungsrichtlinien mit 82 vH und gelangte wegen der mit 10 vH anerkannten besonderen beruflichen Betroffenheit zu einer Gesamt-MdE des Klägers um 92 vH, der somit nach § 31 Abs 3 BVG als erwerbsunfähig gelte und Anspruch auf die Vollrente habe. Im Ausführungsbescheid vom 12. September 1975 zu diesem Urteil traf die Versorgungsverwaltung eine Neufeststellung dahin, daß auf den Berufsschadensausgleich des Klägers gemäß § 30 Abs 6 BVG ab 1. Februar 1972 der Differenzbetrag zwischen der Grundrente nach einer MdE um 100 vH und 80 vH angerechnet wurde, weil die MdE wegen besonderer beruflicher Betroffenheit von 80 vH auf 100 vH erhöht worden sei.
Mit der gegenwärtigen Klage hat sich der Kläger dagegen gewandt, daß ihm auf den Berufsschadensausgleich trotz einer besonderen beruflichen Betroffenheit um nur 10 vH die Differenz zwischen der Rente nach einer MdE um 80 und um 100 vH angerechnet werde. Das SG Nürnberg hat mit Urteil vom 10. Juni 1976 den angefochtenen Bescheid dahin abgeändert, "daß bei der Berechnung des Berufsschadensausgleichs und Anrechnung des Unterschiedes zwischen den Grundrenten die Kürzung lediglich aufgrund eines MdE-Unterschiedes von 10 vH zu erfolgen hat". Es ist der im Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 28. Oktober 1975 - 9 RV 78/75 - (SozR 3100 Nr 9 zu § 30 BVG) vertretenen Auffassung gefolgt, wenn die MdE eines Beschädigten gemäß § 30 Abs 1 iVm § 62 BVG von 80 auf 81 vH erhöht werde und hieraus unter Berücksichtigung eines besonderen beruflichen Betroffenseins nach § 30 Abs 2 BVG eine Gesamt-MdE um 91 vH folge, so daß der Beschädigte deshalb die Erwerbsunfähigkeitsrente nach § 31 Abs 3 BVG erhalte, dann sei nur der Mehrbetrag der Grundrente, der sich aus einer MdE-Erhöhung von 80 auf 90 vH ergebe, auf den Berufsschadensausgleich anzurechnen.
Der Beklagte, dem das Urteil des SG am 30. Juli 1976 zugestellt worden ist, hat die vom SG zugelassene Sprungrevision mit Zustimmung des Klägers am 11. August 1976 eingelegt und innerhalb der bis zum 1. November 1976 verlängerten Begründungsfrist begründet. Er rügt die Verletzung des § 30 Abs 6 BVG in der seit dem 3. Anpassungsgesetz geltenden Fassung bzw des § 30 Abs 7 BVG in der seit dem 1. Januar 1976 geltenden Fassung. Diese Anrechnungsvorschrift solle die doppelte Abgeltung eines beruflichen Schadens verhindern. Für ihre Anwendung sei daher entscheidend, welcher Mehrbetrag an Grundrente durch die Erhöhung der MdE wegen besonderen beruflichen Betroffenseins im konkreten Fall tatsächlich erzielt werde. Da der Kläger ohne die Zurechnung einer MdE um 10 vH wegen besonderer beruflicher Betroffenheit bei einer rein medizinisch ermittelten MdE um 82 vH gemäß § 31 Abs 2 BVG nur Grundrente nach einer MdE um 80 vH erhalten würde, gelange er allein durch die Zurechnung der MdE um 10 vH wegen besonderer beruflicher Betroffenheit zu einer Gesamt-MdE um 92 vH und damit in den Anwendungsbereich des § 31 Abs 3 Satz 2 BVG. Danach gelte er als erwerbsunfähig, weil er in seiner Erwerbsfähigkeit um mehr als 90 vH beeinträchtigt sei. Die Erhöhung der MdE auf 100 vH sei also die Folge der MdE-Anhebung nach § 30 Abs 2 BVG, so daß hier der Grundrentenmehrbetrag zwischen einer MdE um 80 und um 100 vH auf den Berufsschadensausgleich anzurechnen sei. Auch nach dem Wortlaut des Gesetzes werde vom Kläger der über den nach einer MdE um 80 vH hinausgehende Mehrbetrag allein durch die Anhebung nach § 30 Abs 2 BVG und die deshalb zum Tragen kommende Fiktion des § 31 Abs 3 BVG "erzielt". Das zeige sich deutlich bei einem etwaigen nachträglichen Wegfall der beruflichen Betroffenheit; dann sinke die MdE des Klägers wieder auf 80 und nicht nur auf 90 vH ab. Die Anrechnung eines Mehrbetrages, der nur der Differenz einer Grundrente zwischen 90 vH und 100 vH entspreche, bedeute praktisch eine Erhöhung der MdE nach § 30 Abs 1 BVG von 80 auf 90 vH, die weder stattgefunden habe noch medizinisch gerechtfertigt sei.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Nürnberg vom 10. Juni 1976 aufzuheben und die Klage gegen den Ausführungsbescheid des Versorgungsamtes N vom 12. September 1975 abzuweisen.
Der Kläger beantragt unter Hinweis auf das vom SG zitierte Urteil des BSG,
die Revision des Beklagten zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) entscheidet der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.
Die Sprungrevision des Beklagten ist zulässig (§§ 161, 164, 166 SGG), sachlich aber nicht begründet.
Nach § 30 Abs 6 BVG idF des dritten Anpassungsgesetzes vom 16. Dezember 1971 (BGBl I 1985), dessen Wortlaut durch die seither erfolgten Änderungen des § 30 BVG (Abs 6 Satz 1 idF des 7. Anpassungsgesetzes vom 9. Juni 1975 - BGBl I 1321 -; Abs 7 Satz 1 idF der Bekanntmachung vom 22. Juni 1976 - BGBl I 1633 -) unverändert geblieben ist, wird der durch die Erhöhung der Grundrente wegen besonderen beruflichen Betroffenseins erzielte Mehrbetrag der Grundrente auf den Berufsschadensausgleich ausgerechnet. Diese Bestimmung kann nach ihrem Sinn und Zweck nicht die vom Beklagten vertretene Auslegung finden.
Die Entscheidung des Beklagten über die Erhöhung der MdE und damit der Rente wegen besonderer beruflicher Betroffenheit um 10 vH (vgl Bescheid vom 14. Februar 1968) ist eine dem Beschädigten gegenüber wirkende hoheitliche Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des Versorgungsrechts und damit ein versorgungsrechtlicher Verwaltungsakt (vgl BSGE 10, 248; 13, 48). An diesen Verwaltungsakt ist der Beklagte gemäß § 77 SGG und § 24 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VerwVG-KOV) in der Sache gebunden, zumal vom Beklagten nicht behauptet worden und auch nicht ersichtlich ist, daß etwa in tatsächlicher Hinsicht die Voraussetzungen für eine Bewertung der besonderen beruflichen Betroffenheit des Kläger mit einer MdE um 20 vH gegeben wären. Schon aus diesem Grunde kann nur der durch die Bewertung eines besonderen beruflichen Betroffenseins des Klägers mit einer MdE um 10 vH auf der Grundlage einer MdE im allgemeinen Erwerbsleben um 80 vH "erzielte" Mehrbetrag der Grundrente - also die Differenz zwischen der Grundrente nach einer MdE um 80 und um 90 vH - auf den Berufsschadensausgleich angerechnet werden. Solange nämlich der Beklagte daran gebunden ist, daß die MdE des Klägers wegen besonderen beruflichen Betroffenseins 10 vH beträgt, kann er dem Kläger gegenüber auch im Zusammenhang mit der Beurteilung des Anspruchs auf Berufsschadensausgleich nicht geltend machen, die MdE wegen besonderer beruflicher Betroffenheit betrage mehr als 10 vH (vgl hierzu BSG Urteil vom 31. Juli 1975 - 9 RV 354/74 - SozR 3100 Nr 8 zu § 30 BVG).
Entgegen der Auffassung des Beklagten wird die über eine MdE um 90 vH hinausgehende Grundrente wegen Erwerbsunfähigkeit auch nicht im Wortsinne durch die Erhöhung der MdE wegen besonderen beruflichen Betroffenseins "erzielt". Die Fiktion des § 31 Abs 3 Satz 2 BVG, nach der als erwerbsunfähig gilt, wer in seiner Erwerbsfähigkeit um mehr als 90 vH beeinträchtigt ist, hat mit dem Gedanken der Grundrentenerhöhung wegen besonderer beruflicher Betroffenheit nichts zu tun; sie gilt gleichermaßen für Beschädigte ohne besonderes berufliches Betroffensein. Die Anwendung des § 30 Abs 2 BVG löst mithin die Wirkung des § 31 Abs 3 Satz 2 BVG nur dann aus, wenn die MdE des Beschädigten im allgemeinen Erwerbsleben bereits so hoch ist, daß sie durch die Erhöhung nach § 30 Abs 2 BVG mehr als 90 vH erreicht. Ein "Erzielen" im Sinne plangemäßen Erreichens einer gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit liegt darin nicht.
In diesen Zusammenhang gehört auch der vom erkennenden Senat bereits im Urteil vom 9. Juli 1968 - 10 RV 582/67 - (SozR Nr 32 zu § 30 BVG) hervorgehobene Gesichtspunkt, daß mit dem Mehrbetrag, um den die Grundrente eines Beschädigten wegen besonderen beruflichen Betroffenseins erhöht worden ist, vom Gesetzgeber nur eine Erhöhung gemeint ist, die gemäß § 30 Abs 2 BVG erfolgt ist. Es wird nämlich wegen beruflichen Betroffenseins nicht die Grundrente erhöht, sondern nur die MdE; die Höhe der Grundrente wird allein von der Höhe der Gesamt-MdE, nicht aber von einer Berufsbetroffenheit bestimmt. Wenn das Gesetz daher von der wegen besonderen beruflichen Betroffenseins erhöhten Grundrente spricht, so hat es diese Formulierung offenbar nur zur Vereinfachung des Wortlautes gewählt, sachlich darunter aber diejenige Erhöhung der Grundrente verstanden, die auf einer wegen besonderen beruflichen Betroffenseins erhöhten MdE beruht. Eine Doppelanrechnung soll mithin nur insoweit vermieden werden, als bereits gemäß § 30 Abs 2 BVG eine Erhöhung der MdE und daraufhin eine Erhöhung der Grundrente erfolgt ist. Dies ist in der ursprünglichen Vorschrift des § 30 Abs 4 Satz 5 BVG in der Fassung des 1. Neuordnungsgesetzes deutlicher zum Ausdruck gekommen, ohne daß in der gegenwärtig geltenden Regelung eine Rechtsänderung erblickt werden könnte. Denn als Ausnahme vom Grundsatz des Nebeneinanders der verschiedenen Versorgungsleistungen bedurfte die Anrechnung des durch eine Erhöhung der MdE nach § 30 Abs 2 BVG erzielten Grundrentenmehrbetrages auf den Berufsschadensausgleich besonderer Regelung (vgl hierzu auch die durch das 7. Anpassungsgesetz eingefügte Regelung des § 30 Abs 6 Satz 2 BVG). Diese ist ihrer Natur als Ausnahmeregelung entsprechend eng auszulegen und schließt mithin die sich im Einzelfall aus anderen gesetzlichen Regelungen mehr oder weniger zufällig ergebenden Nebenwirkungen - hier das Eingreifen der Fiktion des § 31 Abs 3 Satz 2 BVG - nicht ein.
Wie der Senat in seinen Urteilen vom 14. Oktober 1970 - 10 RV 807/69 - und vom 29. November 1973 - 10 RV 617/72 - (SozR Nrn 46 und 69 zu § 30 BVG) hervorgehoben hat, zwingt die vom Gesetz vorgeschriebene Anrechnung des Mehrbetrages der Grundrente, der durch die Erhöhung der MdE wegen besonderen beruflichen Betroffenseins erzielt wird, zur Aufspaltung der MdE in ihre beiden Faktoren nach § 30 Abs 1 und Abs 2 BVG. Dies ist - gerade zum Zwecke der Anrechnung auf den Berufsschadensausgleich - nur dann sinnvoll, wenn dabei eine exakte Trennung der schädigungsbedingten beruflichen Nachteile von den schädigungsbedingten übrigen Nachteilen in Gestalt der für jede Gruppe von Nachteilen ausgeworfenen MdE-Sätze beibehalten wird. Darüber setzt sich jedoch der Beklagte hinweg, wenn er trotz einer für die besondere berufliche Betroffenheit des Klägers von ihm ausgeworfenen MdE um 10 vH Grundrentenbeträge vom Berufsschadensausgleich in Abzug bringt, die über den dieser MdE entsprechenden Grundrentenmehrbetrag hinausgehen und sich nicht als Entschädigung für besonderes berufliches Betroffensein erweisen.
Dem Beklagten kann auch nicht darin gefolgt werden, daß ein etwaiger nachträglicher Wegfall des besonderen beruflichen Betroffenseins des Klägers, der für diesen allerdings ein Absinken der MdE von 100 auf 80 vH bedeuten würde, die Erhöhung der Grundrente wegen besonderer beruflicher Betroffenheit von dem einer MdE um 80 vH auf den einer MdE um 100 vH entsprechenden Betrag beweise. Der Wegfall der besonderen beruflichen Betroffenheit würde nämlich nur eine Minderung der MdE des Klägers von 92 auf 82 vH bewirken. Die Wirkung, daß dann nicht mehr die Vollrente und auch nicht mehr Rente nach einer mehr als 80 vH betragenden MdE zu zahlen wäre, würde dagegen nicht auf dem Wegfall der besonderen beruflichen Betroffenheit, sondern darauf beruhen, daß der Kläger mit einer MdE um (nur noch) 82 vH nicht mehr unter die Fiktion des § 31 Abs 3 Satz 2 BVG fallen, sondern der allgemeinen Abrundungsvorschrift des § 31 Abs 2 BVG unterliegen würde. Der Beklagte rechnet also dem unter die Fiktion des § 31 Abs 3 Satz 2 BVG fallenden Schwerbeschädigten ein anderes Maß besonderen beruflichen Betroffenseins zu, als dem Schwerbeschädigten, dessen Gesamt-MdE 90 vH nicht überschreitet. Deshalb widerspricht die vom Beklagten vertretene Auffassung auch dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller Beschädigten unter sachgerechten Gesichtspunkten. Danach kann nur der Mehrbetrag der Grundrente auf den Berufsschadensausgleich angerechnet werden, welcher sich aus der bescheidmäßig zusätzlich festgelegten "MdE wegen besonderen beruflichen Betroffenseins" ergibt.
Nach alledem muß die Sprungrevision des Beklagten zurückgewiesen werden (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen