Leitsatz (amtlich)

Ein Anspruch auf Hinterbliebenenentschädigung nach RVO §§ 589, 551 Abs 2 iVm UVNG Art 4 § 2 Abs 1 entsteht nicht, wenn der Tod des Versicherten vor dem Inkrafttreten des UVNG (1963-07-01) eingetreten ist (Fortentwicklung von BSG 1965-11-05 5 RKn 147/64 = BSGE 24, 88 und BSG 1966-10-28 2 RU 152/66 = SozR Nr 1 zu § 596 RVO).

 

Normenkette

RVO § 551 Abs. 2 Fassung: 1963-04-30, § 589 Fassung: 1963-04-30; UVNG Art. 4 § 2 Fassung: 1963-04-30

 

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 29. September 1964 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Der Ehemann der Klägerin zu 1) und Vater der Kläger zu 2), J L (L.), war von 1934 bis 1943 sowie von 1945 bis 1956 als Blockzieher und Massefahrer in der Mosaikplattenfabrik M der Keramischen Werke V & B beschäftigt. In dieser Tätigkeit war er erheblichen Staubeinwirkungen ausgesetzt. Am 17. Juni 1961 ist L. am Emphysembronchitis gestorben.

Die Beklagte versagte durch Bescheid vom 15. Dezember 1961 die begehrten Hinterbliebenenentschädigungen, weil der Verstorbene nach dem Obduktionsgutachten des Prof.Dr. R vom 23. Oktober 1961 weder an einer Silikose noch an einer Silikotuberkulose gelitten habe, der Tod sonach nicht die Folge einer Berufskrankheit sei.

Das Sozialgericht für das Saarland (SG) hat durch Urteil vom 16. Mai 1963 die Klage abgewiesen.

Im Verfahren vor dem Landessozialgericht für das Saarland (LSG) haben die Kläger eingeräumt, daß mangels einer Berufskrankheit zwar eine Entschädigung auf Grund einer der Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) nicht in Frage komme. L. sei jedoch während seiner 23jährigen Berufsarbeit so erheblichen Staubeinwirkungen ausgesetzt gewesen, daß diese wesentlichen Einfluß auf sein schließlich zum Tode führendes Leiden gehabt hätten. Ihre Entschädigungsansprüche ergäben sich daher aus der durch Art. 1 des Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetzes (UVNG) mit Wirkung vom 1. Juli 1963 eingeführten Vorschrift des § 551 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO).

Das LSG hat durch Urteil vom 29. September 1964 die Berufung der Kläger zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Tod des Ehemannes der Klägerin zu 1) sei nach den Sachverständigengutachten weder die Folge einer Berufskrankheit noch eines Arbeitsunfalls. § 551 Abs. 2 RVO sei zugunsten der Kläger nicht anwendbar, weil L. das Inkrafttreten dieser Vorschrift, die einen neuen Kreis von Anspruchsberechtigten geschaffen habe, nicht mehr erlebt habe.

Somit könne dahinstehen, ob "neue Erkenntnisse" i.S. des § 551 Abs. 2 RVO vorliegendenfalls gegeben seien.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Die Kläger haben Revision eingelegt und diese wie folgt begründet: Das Bundessozialgericht (BSG) habe zwar im Urteil vom 29. September 1964 (BSG 21, 296) zu der die gleiche Rechtsfrage beinhaltenden Vorschrift des § 4 Abs. 2 Satz 1 der 6. BKVO ausgesprochen, daß der Versicherte das Inkrafttreten dieser BKVO erlebt haben müsse, anderenfalls seine Hinterbliebenen keinen Anspruch auf Entschädigung wegen einer Berufskrankheit hätten, die erst durch die 6. BKVO in die Liste der Berufskrankheiten aufgenommen worden sei. Der Wortlaut dieser Bestimmung weiche von § 551 Abs. 2 RVO jedoch insofern ab, als der Gesetzgeber in § 4 der 6. BKVO von einem "Versicherten" ausgehe, der beim Inkrafttreten dieser Verordnung an einer bestimmten Krankheit leide, während nach § 551 Abs. 2 RVO bestimmte Krankheiten wie eine Berufskrankheit entschädigt werden sollten. Sonach sei nicht entscheidend, daß im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Vorschrift ein "Versicherter" vorhanden gewesen sei. § 551 Abs. 2 RVO komme deshalb Hinterbliebenen auch zugute, wenn - wie vorliegendenfalls - der Versicherte bereits vor dem Wirksamwerden dieser Vorschrift gestorben sei.

Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Kläger beantragen,

unter Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen und des Bescheides der Beklagten diese zu verurteilen, ihnen Hinterbliebenenentschädigung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

II

Der Senat hat ohne mündliche Verhandlung entschieden; die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) liegen vor.

Die Revision ist nicht begründet.

Zwischen den Beteiligten ist allein streitig, ob Entschädigungsansprüche nach § 589, § 551 Abs. 2 RVO gegeben sind. Nach der - durch Art. 1 UVNG mit Wirkung vom 1. Juli 1963 eingeführten - Vorschrift des § 551 Abs. 2 RVO, sollen die Träger der Unfallversicherung im Einzelfall eine Krankheit, auch wenn sie nicht in einer der BKVO'en aufgeführt ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine Berufskrankheit entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des § 551 Abs. 1 RVO erfüllt sind. Diese Vorschrift setzt für den Entschädigungsanspruch wegen einer Berufskrankheit u.a. voraus, daß der "Versicherte" eine in der Liste der Berufskrankheiten bezeichnete Krankheit bei einer versicherten Tätigkeit (§§ 539, 540, 543 bis 545 RVO) erleidet. Der Ehemann der Klägerin zu 1) hat indessen das Inkrafttreten des § 551 Abs. 2 RVO nicht mehr erlebt.

Nach der Übergangsvorschrift des Art. 4 § 2 Abs. 1 UVNG gilt § 551 Abs. 2 RVO zwar auch für "Arbeitsunfälle", die vor dem Inkrafttreten des UVNG eingetreten sind. Der 5. Senat des BSG und der erkennende Senat haben bereits wiederholt entschieden, daß in dieser Überleitungsvorschrift bezeichnete Vorschriften nicht anzuwenden sind, wenn der Versicherte schon vor dem Inkrafttreten des UVNG gestorben ist, der für den geltend gemachten Anspruch maßgebliche Sachverhalt infolge des Todes des Versicherten somit abgeschlossen in der Vergangenheit liegt, dieser Sachverhalt daher in den zeitlichen Geltungsbereich des neuen Rechts nicht hineinwirkt (vgl. zu § 589 Abs. 2 RVO: BSG 24, 88; SozR Nr. 1 zu § 594 RVO, Nr. 1 zu § 596 RVO). Der erkennende Senat trägt keine Bedenken, diesen Grundsatz auch in den Fällen anzuwenden, in denen Ansprüche auf Hinterbliebenenentschädigung auf § 551 Abs. 2 RVO gestützt werden (gleicher Ansicht Lauterbach, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Aufl., Anm. 11 - am Ende - zu § 551 RVO). Durch ihre Bezugnahme auf § 551 Abs. 1 RVO stellt diese Vorschrift - ebenso wie die Übergangsvorschrift in § 4 Abs. 2 Satz 1 der 6. BKVO (vgl. das Urteil des erkennenden Senats vom 29. September 1964, BSG 21, 296, 297) - darauf ab, daß der Versicherte bei ihrem Inkrafttreten (noch) an einer berufskrankheitsähnlichen Erkrankung gelitten haben muß. Dies trifft im vorliegenden Fall nicht zu.

Da das LSG mit Recht die Anwendbarkeit des § 551 Abs. 2 RVO verneint hat, bedarf es keiner Entscheidung, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ein Versicherungsträger in einem solchen Fall zur Leistung verurteilt werden kann (vgl. Hess. LSG, Breithaupt 1964, 950).

Die Revision war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2365148

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge