Entscheidungsstichwort (Thema)
Erfüllung der Anwartschaftszeit durch Krankengeldbezug
Orientierungssatz
1. Zeiten des Bezuges von Krankengeld dienen bis 31.12.1983 auch bei bestehendem Beschäftigungsverhältnis nicht zur Erfüllung der Anwartschaftszeit für das Arbeitslosengeld.
2. Eine Beitragspflicht für Krankengeld besteht erst seit dem 1.1.1984.
Normenkette
AFG § 104 Abs 1 S 2 Nr 1 Fassung: 1979-07-23, § 104 Abs 1 S 3 Fassung: 1979-07-23, § 186 Fassung: 1983-12-22
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 25.11.1982; Aktenzeichen L 6/1 Ar 454/82) |
SG Wiesbaden (Entscheidung vom 19.02.1982; Aktenzeichen S 5 Ar 142/80) |
Tatbestand
Im Streit ist, ob dem Kläger Leistungen bei Arbeitslosigkeit zustehen.
Der Kläger stand von 1969 bis 31. Dezember 1979 in einem Arbeitsverhältnis. Arbeitsentgelt erhielt er nur bis zum 31. März 1977. Anschließend bezog er bis zum 20. August 1978 Krankengeld. Am 3. Dezember 1979 und 24. Januar 1980 beantragte er bei gleichzeitiger Arbeitslosmeldung die Zahlung von Arbeitslosengeld (Alg). Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 8. Februar 1980 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. September 1980 mit der Begründung ab, der Kläger habe die Anwartschaftszeit nicht erfüllt. Er habe auch keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe (Alhi).
Die Klage hatte keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts -SG- Wiesbaden vom 19. Februar 1982). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers mit Urteil vom 25. November 1982 zurückgewiesen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ua ausgeführt, der Kläger habe die Anwartschaftszeit nicht erfüllt. Er habe zwar in der Rahmenfrist mehr als 180 Tage in einem Arbeitsverhältnis gestanden, jedoch kein Arbeitsentgelt bezogen. Die Leistung von Krankengeld könne nicht berücksichtigt werden, weil es sich hierbei nicht um Arbeitsentgelt handele. Der Kläger könne sich auch nicht auf einen der in § 104 Abs 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) aufgeführten Ausnahmetatbestände berufen. Insbesondere könne die Zahlung von Krankengeld nicht einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gemäß § 104 Abs 1 Satz 1 AFG gleichgestellt werden.
Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Alhi. Er habe innerhalb eines Jahres vor der Antragstellung weder Alg bezogen noch mindestens siebzig Kalendertage in entlohnter Beschäftigung gestanden. Auch auf § 3 der Alhi-Verordnung in der hier maßgeblichen Fassung vom 1. April 1978 könne er seinen Anspruch nicht stützen. Er habe das Krankengeld lediglich bis zum 20. August 1978 bezogen. Damit falle in den Zeitraum innerhalb eines Jahres vor der Arbeitslosmeldung kein Bezug der dort aufgeführten Sozialleistungen.
Mit der Revision macht der Kläger geltend, er habe entgegen der Auffassung der Vorinstanzen einen Anspruch auf Alg, zumindest stehe ihm aber Alhi zu. Die Zahlung von Krankengeld sei einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung iS von § 104 Abs 1 Satz 1 AFG gleichzuerachten. Das Arbeitsverhältnis des Klägers habe auch in der Zeit des Krankengeldbezuges weiterbestanden. Das Fünfte Gesetz zur Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes (5. AFG-ÄndG) habe im übrigen als anwartschaftsbegründend die Zeit zugelassen, für die Sonderunterstützung nach dem Mutterschutzgesetz (MuSchG) oder Mutterschaftsgeld gezahlt werde. Auch hierfür würden keinerlei Beiträge an die Arbeitslosenversicherung abgeführt. Im übrigen seien nach der Rechtsprechung auch Tage, die nur zum Teil bezahlt worden seien, anwartschaftsbegründend. Darüber hinaus seien allgemein arbeitsfreie Zeiten, in denen Entgelt gewährt wurde, soweit nur ein Beschäftigungsverhältnis bestanden habe, ebenfalls mit anzurechnen. Entscheidend sei im vorliegenden Falle, daß der Kläger auch während der Zeit seiner Krankheit in einem beitragspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden habe. Die Beitragspflicht habe lediglich, solange er unverschuldet Krankengeld bezogen habe, geruht.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 19. Februar 1982 und das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 25. November 1982 sowie den Bescheid vom 8. Februar 1980 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. September 1980 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Arbeitslosengeld für die Zeit ab 3. Dezember 1979 zu zahlen, hilfsweise, dem Kläger Arbeitslosenhilfe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Wie das LSG zutreffend erkannt hat, hat der Kläger weder einen Anspruch auf Alg noch auf Alhi.
Voraussetzung für die Gewährung von Alg ist ua die Erfüllung der Anwartschaftszeit (§ 100 Abs 1 AFG). Die Anwartschaftszeit hat nach § 104 Abs 1 AFG in der hier maßgeblichen Fassung vom 23. Juli 1979 - BGBl I 1189 - (§ 104 AFG aF) erfüllt, wer in der Rahmenfrist einhundertachtzig Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung (§ 168) gestanden hat. Zeiten einer Beschäftigung, für die kein Arbeitsentgelt gezahlt wird, dienen nicht zur Erfüllung der Anwartschaftszeit, es sei denn, sie überschreiten jeweils nicht vier Wochen oder für sie wird Sonderunterstützung nach dem MuSchG oder Mutterschaftsgeld gewährt.
Die Rahmenfrist beträgt drei Jahre. Sie geht dem ersten Tage der Arbeitslosigkeit unmittelbar voraus, an dem die sonstigen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Alg erfüllt sind oder nach § 105 AFG als erfüllt gelten. Hier können diese Voraussetzungen frühestens am 3. Dezember 1979 vorgelegen haben. An diesem Tage hat sich der Kläger nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG erstmals arbeitslos gemeldet und Alg beantragt. Gemäß § 101 AFG ist dies ua für die Gewährung von Alg erforderlich. Die Rahmenfrist dauerte damit vom 3. Dezember 1976 bis 2. Dezember 1979. In dieser Zeit hat der Kläger nicht 180 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden. Hierunter können nur die Tage fallen, für die er Arbeitsentgelt erhalten hat. Der Zeitraum vom 3. Dezember 1976 bis 31. März 1977 umfaßt aber keine 180 Kalendertage. Für die Zeit vom 1. April 1977 bis Dezember 1979 mag der Kläger zwar in einem Beschäftigungsverhältnis gestanden haben, jedoch ist ihm für diese Zeit kein Arbeitsentgelt gezahlt worden. Damit kann sie wie der gemäß § 104 Abs 1 Satz 3 AFG geltende § 104 Abs 1 Satz 2 Nr 1 AFG aF ausdrücklich bestimmt, nicht zur Erfüllung der Anwartschaftszeit dienen. Das gilt auch für die Zeit, in der der Kläger Krankengeld bezogen hat.
Entgegen seiner Auffassung kann diese Zeit nicht deshalb für die Erfüllung der Anwartschaftszeit herangezogen werden, weil dies für Zeiten gilt, für die Sonderunterstützung nach dem MuSchG oder Mutterschaftsgeld gezahlt wurden. Dagegen spricht schon, daß es sich hierbei um eine Ausnahme von der Regel handelt, für die Anwartschaftszeit Zeiten einer Beschäftigung, für die kein Arbeitsentgelt gezahlt wird, nicht zu berücksichtigen. Ausnahmeregelungen sind nach allgemeinen Auslegungsgrundsätzen eng auszulegen und grundsätzlich nicht auf andere Sachverhalte übertragbar. Darüber hinaus ist auch nach dem Gesetzeszweck und der Gesetzesgeschichte eine entsprechende Anwendung der Bestimmung des § 104 Abs 1 Satz 3 AFG aF auf den Fall des Klägers nicht geboten. Die Regelung des § 104 Abs 1 Satz 2 Nr 1 AFG beruht darauf, daß für Zeiten, für die kein Arbeitsentgelt gezahlt wird, grundsätzlich auch keine Beiträge an die Arbeitslosenversicherung entrichtet werden (§ 168 Abs 1 Satz 1 AFG). Dieser Grundsatz galt bereits vor dem Inkrafttreten des AFG. Der § 85 Abs 1 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) idF vom 7. Dezember 1959 (BGBl I 705) bestimmte ausdrücklich, daß Zeiten, für die wegen Krankheit kein Arbeitsentgelt gezahlt wird, nicht der Erfüllung der Anwartschaftszeit dienen. Den gleichen Regelungsinhalt hat § 104 Abs 1 Satz 2 Nr 1 AFG aF. Dies galt bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung eines Mutterschaftsurlaubs vom 25. Juni 1979 (BGBl I 797) gemäß § 104 AFG idF vom 25. Juni 1969 auch für Frauen, die aus Gründen des Mutterschutzes nicht zur Arbeitslosenversicherung beitragspflichtig waren. Im Gegensatz zu den Personen, die wegen Krankheit kein Arbeitsentgelt erhielten, waren berufstätige Mütter nach der vor dem Inkrafttreten des AFG geltenden Rechtslage besonders geschützt. Die Zeiten, in denen sie wegen der Geburt eines Kindes mit der Arbeit aussetzen mußten und kein Arbeitsentgelt, sondern Leistungen nach dem MuSchG erhielten, galten als versicherungspflichtige Beschäftigung nach den §§ 87 Abs 1, 85 AVAVG (vgl BSGE 16, 210, 212 = SozR Nr 9 zu § 87 AVAVG). Der Gesetzgeber des AFG war hingegen ursprünglich der Auffassung, eine besondere Begünstigung von Müttern sei nicht mehr erforderlich, weil durch § 104 AFG die Rahmenfrist, die bisher zwei Jahre betrug (§ 85 Abs 2 AVAVG), auf drei Jahre verlängert wurde. Hierdurch wurden besonders Personen begünstigt, die häufig erkrankt, schwer vermittelbar waren und auch die Mütter, die wegen der Geburt eines Kindes mit der Arbeit aussetzen mußten (Bundesverfassungsgericht -BVerfG- SozR 4100 § 104 Nr 10). Hingegen zeigte sich in der Praxis, daß Mütter im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern bei der Erfüllung der Anwartschaftszeit benachteiligt waren, weil sie während der Mutterschutzzeit keine Möglichkeit für eine Beschäftigung gegen Entgelt hatten. Um dieses unerwünschte und möglicherweise nicht im Einklang mit Art 6 Abs 4 Grundgesetz (GG) stehende Ergebnis zu vermeiden, ist § 104 Abs 1 Satz 3 AFG durch das Gesetz zur Einführung eines Mutterschaftsurlaubs neu gefaßt worden. Diese Vorschrift sollte nunmehr gewährleisten, daß Zeiten, während der eine Mutter anstelle von Arbeitsentgelt Sonderunterstützung nach dem MuSchG oder Mutterschaftsgeld erhält, den Anspruch auf Alg in gleicher Weise begründen wie eine Beschäftigungszeit mit Anspruch auf Arbeitsentgelt (BT-Drucks 8/2613 S 15). Hieraus folgt, daß der Gesetzgeber hinsichtlich des Krankengeldes keine Änderung der bisherigen Regelung beabsichtigt hatte. Das wird auch durch die weitere Rechtsentwicklung bestätigt. Nach § 107 Nr 5 Buchst a AFG idF des Gesetzes über Maßnahmen zur Entlastung der öffentlichen Haushalte und zur Stabilisierung der Finanzentwicklung in der Rentenversicherung sowie über die Verlängerung der Investitionshilfeabgabe (Haushaltsbegleitgesetz 1984) vom 22. Dezember 1983 (BGBl I 1532) stehen Zeiten, für die wegen des Bezugs von Krankengeld Beiträge zu zahlen waren, den Zeiten einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gleich. Einer solchen Regelung, mit der der Versicherungsschutz gegen Arbeitslosigkeit erweitert werden sollte (BT-Drucks 302/83 S 84 zu Nummer 14 Buchst a), hätte es aber nicht bedurft, wenn bereits Zeiten des Bezugs von Krankengeld zur Erfüllung der Anwartschaftszeit für das Alg führen konnten.
Seinen Anspruch kann der Kläger allerdings nicht auf § 107 Nr 5 AFG in der vorstehend genannten Fassung stützen; diese Vorschrift ist erst am 1. Januar 1984 in Kraft getreten (Art 39 Abs 1 Haushaltsbegleitgesetz 1984). Abgesehen davon waren für den Kläger während des Bezugs seines Krankengeldes keine Beiträge zu zahlen. Eine Beitragspflicht für Krankengeld, wie sie § 186 AFG idF des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 vorsieht, besteht erst seit dem 1. Januar 1984. Dem Kläger steht hiernach kein Alg zu.
Er hat auch keinen Anspruch auf Alhi. Voraussetzung hierfür ist ua gemäß § 134 Abs 1 Nr 4 Buchst a und b AFG idF vom 23. Juli 1979 (BGBl I 1189), daß er innerhalb eines Jahres vor der Arbeitslosmeldung, die dem Antrag auf Alhi vorausgeht, Alg bezogen hat oder mindestens siebzig Kalendertage in entlohnter Beschäftigung gestanden hat. Er hat jedoch in dem Jahr vor seiner Arbeitslosmeldung weder Alg bezogen noch mindestens siebzig Kalendertage in entlohnter Beschäftigung gestanden. Auch die Voraussetzungen, nach denen eine vorherige entlohnte Beschäftigung iS des § 134 Abs 1 Nr 4 Buchst b AFG zur Begründung des Anspruchs auf Alhi nicht erforderlich ist, liegen nicht vor. In Betracht kommt hier nur die Regelung des § 3 Satz 1 Nr 1 der Alhi-Verordnung vom 7. August 1974 (BGBl I 1929). Hiernach muß der Arbeitslose innerhalb eines Jahres vor der Arbeitslosmeldung für mindestens sechsundzwanzig Wochen oder sechs Monate wegen Krankheit, Minderung der Erwerbsfähigkeit, Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit Leistungen der Sozialversicherung zur Bestreitung seines Lebensunterhalts bezogen haben und nunmehr solche Leistungen nicht mehr beziehen, weil die für ihre Gewährung maßgebliche Beeinträchtigung des Leistungsvermögens nicht mehr vorliegt. Der Kläger hat in dem vor seiner Arbeitslosmeldung im Dezember 1979 liegenden Jahr derartige Leistungen nicht bezogen. Die Zahlung von Krankengeld war im August 1978 eingestellt worden.
Hiernach sind die Vorinstanzen zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, daß die angefochtenen Bescheide nicht rechtswidrig sind. Die Revision des Klägers kann daher keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen