Beteiligte
Süddeutsche Metall-Berufsgenossenschaft |
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Beschluss vom 29.04.1999) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird der Beschluß des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 29. April 1999 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob das bei dem im Jahre 1954 geborenen Kläger seit Dezember 1992 bestehende Asthmaleiden als Berufskrankheit (BK) nach Nr 4301 oder Nr 4302 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) oder gemäß § 551 Abs 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) wie eine BK mit einer Verletztenrente zu entschädigen ist. Dazu hat der Kläger angegeben, er sei vom 1. März 1970 bis 30. September 1993 bei verschiedenen Arbeitgebern mit Unterbrechungen als Werkzeugmacherlehrling, Werkzeugmacher, Fräser und CNC-Blechschneider beschäftigt und dort Kühlschmierstoffaerosolen und Kühlschmierstoffdämpfen sowie Lösungsmitteln und Metallrauchen ausgesetzt gewesen.
Nach der im November 1994 erstatteten BK-Anzeige zog die Beklagte verschiedene Arztberichte über ambulante und stationäre Behandlungen sowie ein für die Landesversicherungsanstalt (LVA) Baden im Juni 1994 erstattetes Rentengutachten bei. Ferner veranlaßte sie eine Stellungnahme ihres technischen Aufsichtsdienstes (TAD) zu den möglichen Schadstoffexpositionen des Klägers in der Zeit ab Oktober 1988. Der TAD äußerte sich unter dem 25. Oktober 1995 zu den Tätigkeiten des Klägers bei den Firmen H. und R. in den Zeiten von Oktober 1988 bis Juni 1990 sowie von Juni 1992 bis September 1993. Die Tätigkeit bei der Firma Ha von Juli 1990 bis November 1991 berücksichtigte der TAD nicht. Schließlich holte die Beklagte ein internistisch-pneumologisches Gutachten des Dr. R., der den Kläger schon im Jahre 1994 und auch Anfang 1996 im Auftrag der LVA begutachtet hatte, ein. In seinem Gutachten vom 24. März 1996 diagnostizierte Dr. R. ein intrinsisches Asthma bronchiale mit chronischer Sinusitis maxillaris. Retrospektiv seien bereits seit dem Jahre 1989 wiederholt Atemwegsinfekte aufgetreten, die schließlich in ein Asthma bronchiale gemündet seien. Es könne wahrscheinlich davon ausgegangen werden, daß gerade Nasennebenhöhleninfekte dem Asthma bronchiale den Weg gebahnt hätten. Der Verlauf und die erhobenen Befunde seien typisch für ein intrinsisches Asthma bronchiale. Nach Art der Exposition am Arbeitsplatz nach der beruflichen Tätigkeit als Werkzeugmacher bzw Dreher und Fräser sei es nicht wahrscheinlich, daß die Erkrankung auf berufliche Faktoren zurückgeführt werden könne. Auch seien die festgestellten beruflichen Expositionen mit Wahrscheinlichkeit nicht als Auslöser für asthmatische Exazerbationen anzusehen, zumal keine typischen arbeitsplatzbezogenen Beschwerden zu ermitteln seien und auch lang andauernde Zeiten ohne berufliche Tätigkeit (Arbeitslosigkeit und Arbeitsunfähigkeitszeiten) keinen günstigen Einfluß auf die Erkrankung gezeigt hätten.
Darauf gestützt lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 14. Juni 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Februar 1997 sowohl die Durchführung beruflicher Rehabilitationsmaßnahmen als auch die Gewährung einer Entschädigung ab, weil eine BK nach den Nrn 4301 und 4302 der Anlage 1 zur BKVO nicht vorliege. Die BK müsse mit hinreichender Wahrscheinlichkeit rechtlich wesentlich auf die versicherte berufliche Tätigkeit zurückzuführen sein. Vorgelegen haben müsse eine schädigende Einwirkung, die von ihrer Art und von ihrem Umfang her geeignet gewesen sein müsse, die BK zu verursachen. Die schädigende Einwirkung müsse voll bewiesen, dh mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit genau nachgewiesen sein. Nach den Feststellungen des TAD lägen bereits keine geeigneten schädigenden Einwirkungen für die Entstehung der BK vor. Darüber hinaus liege auch das medizinische Bild der BK nach Nrn 4301 und 4302 BKVO nicht vor.
Das Sozialgericht hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 5. Dezember 1997). Mit seiner Berufung hat der Kläger hilfsweise beantragt, Ermittlungen über die tatsächliche Zusammensetzung der Kühlschmiermittel und der Lösungsmittel, mit denen er es zu tun gehabt habe, durchzuführen und – von Amts wegen – ein toxikologisches bzw umweltmedizinisches Gutachten einzuholen.
Das Landessozialgericht (LSG) hat nach vorheriger Anhörung nach § 153 Abs 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) durch Beschluß vom 29. April 1999 die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die Atemwegserkrankung des Klägers stelle keine BK dar. Zu diesem Ergebnis sei es vor allem durch die urkundenbeweisliche Verwertung des Gutachtens des Dr. R. vom 24. März 1996 gelangt. Dieses Gutachten überzeuge. Andererseits sei der Kläger nach den Ausführungen des TAD bei der Firma R. zwar an zwei Laserschneidemaschinen beschäftigt gewesen, diese Maschinen seien aber weitgehend geschlossen und mit einer Absauganlage versehen gewesen. Nach den Ermittlungen des TAD sei der Kläger zwar bei seiner Tätigkeit bei der Firma H. gegenüber Kühlschmierstoffaerosolen und -dämpfen exponiert gewesen, es könne aber nicht festgestellt werden, daß er hierin enthaltenen Schadstoffen in erheblicher Weise ausgesetzt gewesen sei. Die Stärke der Exposition sei nicht mehr zu ermitteln. Die Einholung eines Gutachtens von Amts wegen sowie Ermittlungen über die tatsächliche Zusammensetzung der Kühlschmiermittel und Lösungsmittel halte es nicht für erforderlich, da der medizinische Sachverhalt durch das pneumologische Gutachten des Dr. R. ausreichend geklärt sei.
Mit seiner – vom Senat zugelassenen – Revision rügt der Kläger die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Insbesondere macht er geltend, daß das LSG unter Verstoß gegen § 103 SGG seinen Beweisanträgen ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt sei und damit auch seine Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts sowie seinen – des Klägers – Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt habe.
Der Kläger beantragt,
- den Bescheid der Beklagten vom 14. Juni 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Februar 1997 sowie das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 5. Dezember 1997 und den Beschluß des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 29. April 1999 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Verletztenrente gemäß § 551 Abs 1 RVO iVm Ziffern 4301 und 4302 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung,
- hilfsweise gemäß § 551 Abs 2 RVO zu gewähren,
- hilfsweise den Rechtsstreit an das Landessozialgericht Baden-Württemberg zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Beschluß für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Klägers ist insoweit begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist.
Der Anspruch des Klägers richtet sich auch nach Inkrafttreten des Siebten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB VII) am 1. Januar 1997 nach den bis dahin geltenden Vorschriften der RVO; denn nach § 212 SGB VII gilt das neue Recht grundsätzlich erst für Versicherungsfälle, die nach dem 31. Dezember 1996 eingetreten sind. Einer der Ausnahmetatbestände nach den §§ 213 ff SGB VII ist nicht gegeben.
Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung wird gemäß § 581 Abs 1 Nr 2 iVm § 548 Abs 1 Satz 1 RVO in der dem Grad der Erwerbsminderung entsprechenden Höhe gewährt, wenn und solange ein Verletzter infolge des Arbeitsunfalles in seiner Erwerbsfähigkeit um wenigstens ein Fünftel gemindert ist. Nach § 551 Abs 1 Satz 1 RVO gilt als Arbeitsunfall auch eine BK. BKen sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Durch § 551 Abs 1 Satz 3 RVO wird die Bundesregierung ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Dies geschieht in der BKVO, der in der Anlage 1 die Liste der entschädigungspflichtigen BKen angefügt ist. Gemäß § 551 Abs 2 RVO schließlich sollen die Träger der Unfallversicherung im Einzelfalle eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der Rechtsverordnung bezeichnet ist oder die dort bestimmten Voraussetzungen nicht vorliegen, wie eine BK entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen die übrigen Voraussetzungen des Abs 1 erfüllt sind.
Die Feststellungen des Berufungsgerichts reichen für eine Entscheidung, ob das Asthmaleiden des Klägers als BK nach der Nr 4301 oder der Nr 4302 der Anlage 1 zur BKVO oder wie eine BK zu entschädigen ist, nicht aus. Der Beschluß des LSG beruht auf dem vom Kläger ordnungsgemäß gerügten Verfahrensmangel, daß das LSG unter Verletzung seiner Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (§ 103 SGG), entschieden hat.
Nach § 103 SGG hat das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Diese das sozialgerichtliche Verfahren beherrschende Untersuchungsmaxime ist verletzt, wenn das Tatsachengericht Ermittlungen unterläßt, die es von seiner Rechtsauffassung ausgehend hätte anstellen müssen (BSG SozR 1500 § 160 Nr 5; Urteile des Senats vom 17. Februar 1998 – B 2 U 10/97 R – mwN und 14. Dezember 1999 – B 2 U 10/99 R –).
Aus der sachlich-rechtlichen Sicht des LSG kam es im vorliegenden Fall darauf an, festzustellen, ob das seit dem Jahre 1992 dauerhaft vorliegende Asthmaleiden des Klägers durch allergiesierende Stoffe oder durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe wesentlich verursacht worden ist. Dabei hatte das Gericht von allen geeigneten Ermittlungsmöglichkeiten erschöpfend Gebrauch zu machen (BSGE 30, 192, 205 = SozR Nr 20 zu § 1247 RVO). Es ist dem Senat nicht ersichtlich, daß dies geschehen ist, denn das LSG hat in dem angefochtenen Beschluß keine zumindest hinreichende Begründung dafür gegeben, warum es keinen Anlaß sah, über die bisher allein von der Beklagten durchgeführte Sachaufklärung hinaus noch entsprechend dem Hilfsantrag des Klägers Ermittlungen über die tatsächliche Zusammensetzung der Kühlschmiermittel und der Lösungsmittel, mit denen der Kläger es im Verlaufe seines Erwerbslebens zu tun gehabt hat, und – danach – ein toxikologisches bzw umweltmedizinisches Gutachten einzuholen. Es hat insoweit nicht deutlich gemacht, warum es sich zu dieser Sachaufklärung nicht gedrängt fühlte.
Das LSG hat sich für seine Entscheidung allein auf das von der Beklagten eingeholte ärztliche Gutachten des Dr. R. sowie die durch den TAD der Beklagten durchgeführten Ermittlungen gestützt. Deren urkundenbeweisliche Verwertung war dem LSG zwar grundsätzlich erlaubt. Indessen hat das Gericht keine hinreichende Begründung dafür gegeben, daß und warum es auf die berufliche Exposition des Klägers gegenüber allergiesierenden oder chemisch-irritativen oder toxisch wirkenden Stoffen vor Oktober 1988 und zwischen Juli 1990 bis November 1991 etwa angesichts des Krankheitsbildes des Klägers gar nicht ankomme oder ankommen könne. Diese Expositionen waren nämlich nicht aufgeklärt. Der Kläger war nach seinen Angaben von März 1970 bis September 1993 bei verschiedenen Arbeitgebern beschäftigt und dort Kühlschmierstoffaerosolen und Kühlschmierstoffdämpfen sowie Lösungsmitteln und Metallrauchen ausgesetzt. Der TAD der Beklagten hat sich indessen nur zur Exposition des Klägers in den Zeiten von Oktober 1988 bis Juni 1990 und von Juni 1992 bis September 1993 geäußert. Feststellungen zu den beruflichen Einsatzzeiten des Klägers von März 1970 bis September 1988 und von Juli 1990 bis November 1991 hat der TAD dagegen nicht getroffen, ersteres auftragsgemäß, letzteres entgegen dem ihm erteilten Ermittlungsauftrag. Warum auf derartige Feststellungen verzichtet werden konnte, hat das LSG nicht hinreichend ausgeführt. Zwar hat es das Gutachten des Dr. R., der das Asthma bronchiale als innerlich entstanden beurteilt hatte, für überzeugend erklärt. Es hat sich aber auch auf die Ermittlungsergebnisse des TAD zu den Tätigkeiten des Klägers bei den Firmen H. und R. bezogen und erklärt, daß der Kläger dort schädlichen Einwirkungen nicht ausgesetzt gewesen sei (Firma R.) und die tatsächliche Intensität der Einwirkung von Kühlschmierstoffaerosolen und -dämpfen bei der Firma H. nicht mehr festgestellt werden könne. Angesichts dieser Ausführungen ist jedenfalls nicht verständlich, warum es auf die berufliche Exposition des Klägers gegenüber allergisierend oder chemisch-irritativ oder toxisch wirkenden Stoffen von März 1970 bis September 1988 und von Juli 1990 bis November 1991 überhaupt nicht ankommen kann. Darüber hinaus hat das LSG auch nicht dargelegt, warum es für die Tätigkeit des Klägers bei der Firma H. davon ausgeht, daß die Stärke der Exposition nicht mehr zu ermitteln sei. Dies hätte mindestens der begründeten Darlegung bedurft, daß das Gericht über den Bericht des TAD hinaus keinerlei Möglichkeiten der Ermittlung mehr sieht.
Hätte das LSG angesichts des Krankheitsbildes des Klägers die Verursachung der Krankheit durch die Einwirkung von allergisierend oder chemisch-irritativ oder toxisch wirkenden Stoffen an den Arbeitsplätzen des Klägers für unwahrscheinlich gehalten, hätte es auf jegliche Ausführungen dazu verzichten können. Gerade das hat das LSG aber nicht getan, sondern die Gesichtspunkte für eine berufliche Verursachung der Atemwegserkrankung „andererseits” durchaus berücksichtigt.
Wenn nunmehr im Rahmen der Revisionserwiderung die Beklagte darauf hinweist, daß es nach den Darlegungen des ärztlichen Gutachters im Verwaltungsverfahren Dr. R. auf Feststellungen zur beruflichen Exposition des Klägers gegenüber allergisierend oder chemisch-irritativ oder toxisch wirkenden Stoffen nicht ankomme, weil der Krankheitsverlauf mit vorangegangenen Atemwegsinfektionen bei fehlenden arbeitsplatzbezogenen Beschwerden und fehlendem günstigen Einfluß von lang andauernden expositionsfreien Zeiten gegen eine berufliche Ursache spreche, mag dies als Aussage des Gutachtens zutreffen. Das LSG hat sich dieser Beurteilung jedoch nicht vorbehaltlos angeschlossen und insoweit nicht dargestellt, warum es auf die berufliche Exposition des Klägers gegen die in den Nrn 4301 und 4302 der Anlage 1 zur BKVO bezeichneten Stoffe außerhalb der vom TAD ermittelten bzw nicht ermittelten Beschäftigungszeiten nicht ankomme.
Auf dem vorliegenden Verfahrensmangel kann das angefochtene Urteil auch beruhen. Denn es ist nicht auszuschließen, daß das LSG nach vollständiger Aufklärung zu einer anderen Gesamtwürdigung des Asthmaleidens des Klägers gelangt wäre. Die Sache war allein aus diesen Gründen unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an die Vorinstanz zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen