Leitsatz (amtlich)
1. Der Ersatzanspruch des Sozialhilfeträgers aus RVO § 1531 wird durch die Überleitung des Rentenanspruchs auf die Arbeitsverwaltung nach AVAVG § 186 nicht beeinträchtigt.
2. Der Sozialhilfeträger kann vom Träger der Rentenversicherung weder Verzugs- noch Prozeßzinsen fordern.
Normenkette
RVO § 1531 Fassung: 1945-03-29; AVAVG § 186 Abs. 1; BGB §§ 291, 288
Tenor
Auf die Revision der Klägerin werden die Urteile des Landessozialgerichts Berlin vom 11. Juli 1962 und des Sozialgerichts Berlin vom 31. Oktober 1961 aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für in der Zeit vom 8. Mai 1959 bis 30. September 1959 an den Versicherten A K gezahlte Fürsorgeunterstützung den Betrag von 949,70 DM zu erstatten.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beteiligten streiten darüber, ob und unter welchen Voraussetzungen der Versicherungsträger den Ersatzanspruch des Trägers der Sozialhilfe nach §§ 1531 ff der Reichsversicherungsordnung (RVO) aus einer Rentennachzahlung ablehnen kann, wenn die Arbeitsverwaltung den Anspruch auf Rentennachzahlung nach § 186 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) durch schriftliche Anzeige auf sich überleitet.
Der Versicherte August K beantragte im Januar 1959 bei der Beklagten die Gewährung von Altersruhegeld. Die Beklagte entsprach diesem Antrag rückwirkend vom 1. August 1958 an (Bescheid vom 14. August 1959). Die laufende Zahlung begann am 1. Oktober 1959. Die Rentennachzahlung bis zu diesem Zeitpunkt ergab den Betrag von 2.765,- DM, den die Beklagte vorläufig einbehielt. Hierauf erheben die Klägerin in Höhe von 949,70 DM und die Beigeladene in vollem Umfang Anspruch.
Die Klägerin begehrt Ersatz für Leistungen der Sozialhilfe, die sie dem Versicherten in der Zeit vom 8. Mai 1959 bis 30. September 1959 in Höhe von monatlich 193,70 DM gewährt hat. Sie machte diesen Anspruch im Mai 1959 bei der Beklagten geltend.
Die Beigeladene teilte im Februar 1959 - damals vorsorglich ohne Angabe eines bestimmten Betrages - und später mit Schreiben vom 10. Juli 1959 der Beklagten mit, daß für die Befriedigung ihres Rückforderungsanspruchs in Höhe von 2.858,65 DM die Forderung des Versicherten auf die Rentennachzahlung nach §§ 185, 186 AVAVG auf sie übergegangen sei.
Die Beklagte sah die Forderung der Beigeladenen als vorrangig an und überwies ihr den gesamten Nachzahlungsbetrag.
Den Anspruch der Klägerin lehnte sie ab. Die hiergegen erhobene Klage blieb in beiden Vorinstanzen erfolglos.
Das Landessozialgericht (LSG) hält für Fälle der vorliegenden Art, bei denen mehrere Ersatzansprüche zusammentreffen, die entsprechende Anwendung der bürgerlich-rechtlichen Vorschriften für geboten; es sei daher auf die Art, den Inhalt und das Entstehen des Ersatzanspruchs abzustellen. Dies bedeute, daß der Übergang von Ansprüchen nach § 186 AVAVG durch Ersatzansprüche nach § 1531 RVO nicht beeinträchtigt werde. § 1531 RVO gewähre lediglich einen obligatorischen Anspruch, der neben und nicht an Stelle des Anspruchs des Versicherten trete. Zwar bewirke auch dieser obligatorische Anspruch, daß der Versicherungsträger nicht mehr an den Versicherten oder einen Dritten, der den Anspruch rechtsgeschäftlich erworben habe, zahlen dürfe. Er hindere aber nicht einen gesetzlichen Forderungsübergang, wie ihn § 186 AVAVG vorsehe.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision beantragte die Klägerin, die Urteile des LSG und des Sozialgerichts (SG) aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, 949,70 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 15. Dezember 1959 an die Klägerin zu zahlen.
Sie rügte die Verletzung der §§ 185, 186 AVAVG und des § 1531 RVO. Die in § 186 Abs. 1 letzter Satz AVAVG enthaltene Einschränkung zeige, daß aus der Rente in erster Linie der Lebensbedarf des Rückzahlungspflichtigen sicherzustellen sei. Im Falle einer Rentennachzahlung könne nichts anderes gelten, weil sonst der Träger der Sozialhilfe praktisch die Rückforderungsansprüche der Bundesanstalt erfülle. § 1531 RVO sei dahin zu verstehen, daß durch den Ersatzanspruch des Trägers der Sozialhilfe der Rentennachzahlungsanspruch des Versicherten beschränkt werde. Im übrigen habe das LSG verkannt, daß im vorliegenden Fall die Leistungen der Beigeladenen und der Klägerin nicht für die gleiche Zeit erfolgt seien.
Die Beklagte stellte keinen Antrag.
Die Beigeladene beantragte, die Revision zurückzuweisen.
Die Revision ist zulässig und auch begründet. Der Ersatzanspruch der Klägerin wird durch die Überleitung des Rentennachzahlungsanspruchs auf die Beigeladene nicht beeinträchtigt.
Nach § 1531 RVO kann der Sozialhilfeträger, der einen Hilfsbedürftigen nach gesetzlicher Pflicht für eine Zeit unterstützt hat, für die dieser einen Anspruch auf Rente hatte oder noch hat, Ersatz seiner Aufwendungen bis zur Höhe dieses Anspruchs nach §§ 1532 ff RVO beanspruchen. Daß diese Voraussetzungen für die Geltendmachung eines Ersatzanspruchs der Klägerin erfüllt sind, ist - ebenso wie der Übergang der Forderung des Versicherten auf Rentennachzahlung nach § 186 AVAVG auf die Beigeladene - außer Streit. Es kann auch keinem Zweifel unterliegen, daß die Klägerin mit ihrer Anzeige von Mai 1959 den Ersatzanspruch wirksam geltend gemacht hat, wenn auch im damaligen Zeitpunkt dieser in seiner endgültigen Höhe noch ungewiß war, weil die Unterstützung noch andauerte (vgl. BSG 21, 157).
Für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits kommt es allein auf das Verhältnis der beiden genannten Ansprüche an. Während die auf § 186 AVAVG beruhende Überleitung - zu deren Wirksamkeit es einer schriftlichen Anzeige an den Leistungspflichtigen bedarf - sich auf den Leistungsanspruch des Rückerstattungsschuldners, hier des Versicherten, bezieht, handelt es sich bei dem Ersatzanspruch nach § 1531 RVO um einen Anspruch eigener Art, der ohne Anzeige kraft Gesetzes entsteht und selbständig neben den Anspruch des Versicherten auf Rentennachzahlung tritt (vgl. BSG 3, 57, 58; 14, 229, 231). Das LSG hat diese verschiedenartige Rechtsnatur der Ansprüche richtig gesehen; es hat aber gleichwohl die rechtliche Bedeutung des Ersatzanspruchs nach § 1531 RVO verkannt, wenn es meint, diesem Anspruch gegenüber sei der auf die Beigeladene übergeleitete Anspruch nach § 186 Abs. 1 AVAVG als das stärkere und deshalb vorgehende Recht anzusehen. Der Ersatzanspruch nach § 1531 RVO hindert zwar nicht den Forderungsübergang nach § 186 AVAVG. Mit der Entstehung des Ersatzanspruchs aus § 1531 RVO wird aber gleichzeitig der Anspruch des Versicherten auf Rentennachzahlung beschränkt, und zwar aus folgenden Gründen. Der Ersatzanspruch nach § 1531 RVO entsteht kraft Gesetzes, sobald die in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen erfüllt sind; einer Überleitungsanzeige wie bei § 186 AVAVG oder einer Pfändung bedarf es nicht. Der Ersatzanspruch richtet sich gegen den Versicherungsträger. Dieser hat den Sozialhilfeträger aus dem Anspruch des Versicherten auf Rentennachzahlung zu befriedigen. Gegenüber dem Anspruch des Versicherten steht ihm also insoweit ein Leistungsverweigerungsrecht zu. Der Anspruch des Versicherten erlischt mit der Zahlung der tatsächlichen Aufwendungen an den Sozialhilfeträger bis zu deren Höhe (vgl. BSG 14, 229, 232). Der Rentenanspruch kann somit nur mit dieser "Belastung" abgetreten oder kraft Gesetzes übergeleitet werden. Dem entspricht die Fassung der §§ 1536, 1535 b RVO, in denen als Zugriffsobjekt die Rente genannt ist, gleichviel, ob sie dem Versicherten oder einem Rechtsnachfolger zusteht. Es ist also rechtlich bedeutungslos, wenn der Anspruch auf Rentennachzahlung abgetreten wird oder kraft Gesetzes auf einen anderen Gläubiger übergeht. Die "Belastung" des Anspruchs auf Rentennachzahlung erfolgt unabhängig davon, ob der Ersatzanspruch aus § 1531 RVO schon geltend gemacht ist oder ob dies erst künftig - innerhalb der 6-Monatsfrist des § 1539 RVO - geschieht. Deshalb kommt es auch nicht darauf an, wer zuerst - ob Sozialhilfeträger oder Arbeitsverwaltung - den Anspruch beim Versicherungsträger angezeigt hat (vgl. BSG 21, 84, 85, 157, 161 sowie Verbandskommentar zur RVO, 6. Aufl., § 1531 Anm. 11; Gesamtkommentar zur RVO § 1531 Anm. 15; vgl. auch AN 34, 148).
Entgegen der Meinung des LSG ist es somit nicht entscheidend, daß der Anspruch der Beigeladenen sich aus der durch ihre Erklärung übergeleiteten Rentenforderung, der Anspruch der Klägerin dagegen "nur" aus einem eigenen, kraft Gesetzes entstandenen Ersatzanspruch herleitet. Maßgebend ist vielmehr die rechtliche Bedeutung, die dem in § 1531 ff RVO geregelten Ersatzanspruch des Sozialhilfeträgers ganz allgemein im Gefüge der Ordnung der öffentlich-rechtlichen Leistungen zukommt. Es entspricht der Billigkeit und dem Wesen der Subsidiarität der Sozialhilfe, daß der Sozialhilfeträger - der immer als erster (auch wenn in diesem Zeitpunkt ein anderer leistungspflichtig ist, aber nicht leistet) für den Lebensunterhalt auch eines Versicherten aufzukommen hat - bei Gewährung einer Rentennachzahlung das zurückerhält, was er bei sofortiger Zahlung der Rente gar nicht hätte zu leisten brauchen. Im übrigen wird die weitere Zweckbestimmung des § 1531 RVO, Doppel-Leistungen an den Versicherten zu vermeiden, nur dann erreicht, wenn - unabhängig davon, ob der Anspruch des Versicherten auf Rentennachzahlung durch Rechtsgeschäft oder kraft Gesetzes auf einen anderen Gläubiger übergeht - der Ersatzanspruch des Sozialhilfeträgers aus § 1531 RVO vorab befriedigt wird. Denn auch eine nur teilweise Befriedigung eines anderen Gläubigers stellt praktisch eine Leistung an den Versicherten selbst dar, weil er damit von seinen Schulden - wenn auch möglicherweise nur teilweise - befreit wird. Somit besteht der Ersatzanspruch des Sozialhilfeträgers auch dann fort, wenn der Anspruch des Versicherten auf Rentennachzahlung nach §§ 185, 186 AVAVG auf die Arbeitsverwaltung übergegangen ist. Die Beklagte hat daher der Klägerin die von ihr in der Zeit vom 8. Mai bis 30. September 1959 an den Versicherten gezahlte Fürsorgeunterstützung in Höhe von insgesamt 949,70 DM zu erstatten. Die entgegenstehenden Urteile des SG und des LSG sind demzufolge aufzuheben.
Dagegen hat die Klägerin keinen Anspruch auf Zinsen; denn ihr Ersatzanspruch gegen die Beklagte ist nicht höher, als der Anspruch des Versicherten für die jeweiligen Zeiträume war, in denen er von ihr unterstützt worden ist (§§ 1531, 1536, 1535 b RVO). Der Rentenanspruch des Versicherten selbst war als solcher nicht verzinslich; er wurde es aber auch nicht bei Verzug des Versicherungsträgers oder mit der Rechtshängigkeit. Es mag dahinstehen, ob aus der Tatsache allein, daß nur in wenigen Vorschriften der RVO (z. B. in §§ 751, 823 Abs. 1, 1400 Abs. 3 und 1436 Abs. 2 RVO) Verzugszinsen vorgesehen sind, zu folgern ist, daß in jedem anderen Falle Zinsforderungen ausgeschlossen seien. Jedenfalls ergibt sich aus dieser sehr begrenzten ausdrücklichen Zulassung von Zinsen auch nicht, daß diese Vorschriften auf andere in der RVO begründete Forderungen ausgedehnt werden könnten. Auch wenn man mit dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG 7, 95; 12, 266; 14, 1) annimmt, im öffentlichen Recht bestehe grundsätzlich ein Anspruch auf Prozeßzinsen, der dem Anspruch des § 291 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) entspricht, so lassen sich die Folgerungen, die das Bundesverwaltungsgericht insoweit aus dem das gesamte Rechtsleben beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben - in bestimmten Grenzen - zieht, gerade nicht auf das Verhältnis des Rentenberechtigten zu seinem Rentenversicherungsträger übertragen. Jeder Rentenanspruch beruht nämlich auf der Solidarhaftung aller Versicherten; die Versicherten tragen mit ihren Beiträgen zur Finanzierung aller laufenden Renten und zur Ansammlung der Rücklagen bei, die u. a. auch der Sicherung ihrer eigenen Rentenansprüche dienen. Verzugs- und Prozeßzinsen für die Rentenansprüche aller Versicherten sind darum kein angemessener und sinnvoller Ausgleich für die scheinbaren Vorteile des Versicherungsträgers und für den Nachteil des einzelnen Rentenbewerbers, die sich aus der Dauer des Verfahrens ergeben. Der Rentenbewerber müßte ja als Versicherter die Verzugs- und Prozeßzinsen für alle im Feststellungsverfahren und vor den Sozialgerichten anhängigen Rentenansprüche tragen und hätte als Ausgleich nur die während seines eigenen Rentenverfahrens etwa zu seinen persönlichen Gunsten entstehenden Zinsansprüche. Der Grundsatz der Solidarität, der die gesamte Rentenversicherung beherrscht, und nicht zuletzt auch die Tatsache, daß das sozialgerichtliche Verfahren für den Versicherten kostenfrei ist, daß der Versicherungsträger die Kosten des Verwaltungsverfahrens allein trägt und im sozialgerichtlichen Verfahren für jede Instanz eine Gebühr entrichtet (§ 184 SGG), und daß der Versicherte die Kosten der Versichertengemeinschaft auch als im Prozeß Unterlegener nicht zu ersetzen braucht, spricht dagegen, ihm trotz des Fehlens ausdrücklicher Vorschriften Verzugs- oder Prozeßzinsen zuzubilligen. Im Ergebnis tritt der Senat deswegen der Auffassung des 12. Senats in seinem Urteil vom 16. Dezember 1964 - 12 RJ 526/64 - SozR BGB § 291 Nr. 1 - bei.
Was für den Versicherten gilt, muß aber auch für den Sozialhilfeträger gelten, der Ersatzansprüche nach der RVO geltend macht. Denn es ist nicht zu erkennen, weshalb der Gläubiger aus einem - zwar selbständigen - Ersatzanspruch nach § 1531 RVO, der aber nach dieser Vorschrift und denen der §§ 1536, 1535 b RVO durch die dem Versicherten selbst zustehenden Ansprüche begrenzt wird, einen Zinsanspruch erwerben sollte, der dem Versicherten selbst nicht zusteht. Die Klage ist somit insoweit abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen