Entscheidungsstichwort (Thema)
Bereiterklärung zur Beitragsnachentrichtung. Anrechenbarkeit nachentrichteter Beiträge
Orientierungssatz
Ist der Versicherte nach dem 1972-01-31 erwerbsunfähig geworden und hat er nach Eintritt des Versicherungsfalles gemäß WGSVG § 10 Beiträge wirksam nachentrichtet, so können diese der Erwerbsunfähigkeitsrente nicht zugrundegelegt werden.
Das gilt auch dann, wenn der Versicherte aufgrund eines vor dem 1972-02-01 eingetretenen Versicherungsfalles Rente wegen Berufsunfähigkeit bezogen hat (Festhaltung BSG 1980-06-11 4 RJ 31/79 = SozR 5070 Nr 12 zu § 10).
Normenkette
WGSVG § 9 Fassung: 1970-12-22, § 10 Abs 1 S 2 Fassung: 1970-12-22; RVO § 1419 Abs 1 Fassung: 1957-02-23, § 1419 Abs 2 Fassung: 1957-02-23, § 1247 Abs 2 Fassung: 1957-02-23, § 1246 Abs 2 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 28.05.1982; Aktenzeichen L 14 J 179/81) |
SG Düsseldorf (Entscheidung vom 24.06.1981; Aktenzeichen S 8 J 87/79) |
Tatbestand
Der am 25. Februar 1911 geborene Kläger bezog ab 1. November 1963 von der Beklagten eine Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU). Mit einem am 24. März 1972 bei der Beklagten eingegangenen Schriftsatz beantragte er die Umwandlung dieser Rente in eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) und die Zulassung zur Nachentrichtung von Beiträgen nach § 10 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung der Vorschriften über die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung vom 22. Dezember 1970 - BGBl I, 1846 - (WGSVG). Die Beklagte wandelte mit Bescheid vom 4. Januar 1974 die Rente antragsgemäß um, und zwar zum 1. April 1972. Dabei ging sie davon aus, daß der Leistung ein Versicherungsfall vom 24. März 1972 zugrunde liegt. Mit Wirkung vom 1. März 1976 wurde die Rente in das Altersruhegeld umgewandelt (Bescheide der Beklagten vom 26. Oktober 1976 und 7. November 1978).
Mit seinem Schriftsatz vom 24. März 1972 hatte der Kläger zugleich die Nachentrichtung von Beiträgen beantragt und sich zur Zahlung der Beitragssumme bereit erklärt. Die Beklagte bewilligte ihm mit dem Bescheid vom 3. Mai 1972 die Nachentrichtung und legte verschiedene Zeiträume zwischen dem März 1933 und dem Januar 1971 dafür fest. In einer dem Bescheid beigefügten Belehrung wies sie den Kläger darauf hin, daß Beiträge, die nach dem Eintritt der BU oder EU nachentrichtet würden, nur für die Versicherungsfälle des Alters und des Todes anrechenbar seien.
Mit Bescheid vom 30. August 1978 stellte die Beklagte fest, daß sie aufgrund des Antrages des Klägers vom 24. März 1972 den am 9. März 1978 eingegangenen Nachentrichtungsbetrag von 1.037,-- DM gemäß § 10 WGSVG für die Zeiten zwischen Januar 1934 und Januar 1959 verwendet habe.
Mit Bescheid vom 23. März 1979 und Änderungsbescheiden vom 14. Januar und 4. März 1980 berechnete die Beklagte die für die Zeit von April 1972 bis Februar 1976 gezahlte Rente wegen EU neu; dabei berücksichtigte sie die nachentrichteten Beiträge nicht.
Mit der Klage hat der Kläger beantragt, die Bescheide vom 23. März 1979, 14. Januar und 4. März 1980 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, die Rente wegen EU unter Berücksichtigung der nachentrichteten Beiträge neu zu berechnen. Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 24. Juni 1981 die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 28. Mai 1982 die Berufung des Klägers als unbegründet zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt: Nach § 1419 Abs 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) dürften freiwillige Beiträge nach Eintritt der EU für Zeiten vorher nicht mehr entrichtet werden. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 1419 Abs 2 RVO, denn der Kläger habe die Bereiterklärung nicht vor Eintritt des Versicherungsfalles, sondern erst am Tage des Eintritts abgegeben. Der Versicherungsfall der EU sei am Anfang des Tages (24. März 1972) eingetreten, in dessen Verlauf die Bereiterklärung erfolgt sei.
Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er trägt vor, maßgebend sei bei mehreren Versicherungsfällen der erste, hier also der der BU.
Er beantragt, die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben, die Bescheide der Beklagten vom 23. März 1979, 14. Januar und 4. März 1980 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit von April 1972 bis Februar 1976 aufgrund der Nachentrichtung neu zu berechnen und den Erhöhungsbetrag an ihn auszuzahlen.
Die Beklagte beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Auf ihre Schriftsätze vom 11. Oktober 1982 und 19. Mai 1983 wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Mit Recht haben die Vorinstanzen die Anrechenbarkeit der nachentrichteten Beiträge auf die EU-Rente verneint.
Unstreitig gehört der Kläger zum Personenkreis der Verfolgten und ist nach § 9 WGSVG zur freiwilligen Weiterversicherung berechtigt. Er kann deshalb nach § 10 WGSVG Beiträge in dem von ihm gewählten Umfang nachentrichten. Insoweit hat die Beklagte den dahingehenden Anträgen des Klägers stattgegeben und die aufgrund der Bereiterklärung vom 24. März 1972 geleisteten Beiträge entgegengenommen. Streitig ist, ob diese Beiträge bereits zur Berechnung der EU-Rente herangezogen werden müssen oder erst für spätere Versicherungsfälle (Alter, Tod) Berücksichtigung finden können.
Nach § 10 Abs 1 Satz 2 WGSVG können Beiträge auch nach Eintritt des Versicherungsfalles entrichtet werden, wenn dies in den ersten 12 Monaten nach Inkrafttreten dieses Gesetzes geschieht. Das WGSVG vom 22. Dezember 1970 (BGBl I, 1846) ist am 1. Februar 1971 in Kraft getreten. Die Frist zur Nachentrichtung von Beiträgen, mindestens aber zur Abgabe einer dahingehenden Bereiterklärung, lief somit am 31. Januar 1972 ab. Hingegen hat sich der Kläger erst am 24. März 1972 zur Nachentrichtung von Beiträgen bereit erklärt. Hierdurch gewinnt die Frage des Eintritts des Versicherungsfalles an Bedeutung.
Nach § 1419 Abs 1 RVO, auf den § 10 Abs 1 Satz 2 zweiter Halbsatz WGSVG ausdrücklich verweist, dürfen freiwillige Beiträge nach Eintritt der EU für Zeiten vorher nicht mehr entrichtet werden. Dies gilt nach § 1419 Abs 2 RVO nicht, wenn sich der Versicherte vorher zur Entrichtung von Beiträgen bereit erklärt hat. In diesem Fall tritt die Bereiterklärung an die Stelle der Beitragsentrichtung.
Nach den vom LSG getroffenen, nicht angegriffenen und daher für den Senat bindenden Feststellungen war der Kläger im Zeitpunkt der Bereiterklärung (24. März 1972) bereits erwerbsunfähig. Im vorliegenden Fall fielen sowohl der Eintritt der EU als auch die Bereiterklärung zeitlich auf denselben Tag. Zu diesem zeitlichen Zusammentreffen hat der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 11. Juni 1980 (4 RJ 31/79 = SozR 5070 § 10 Nr 12) einen Fall entschieden, in dem der Eintritt des Versicherungsfalles der EU und der Eingang einer Bereiterklärung zur Nachentrichtung von Beiträgen auf denselben Tag fiel. Der Senat hat die Anrechenbarkeit der nachentrichteten Beiträge auf die EU-Rente verneint, auch unter dem Gesichtspunkt, daß der Versicherte vorher Rente wegen BU bezog. In seiner Begründung stellt der Senat darauf ab (aaO S 28f), daß die allgemeine Vorschrift des § 1419 Abs 1 RVO zwar nicht die Entrichtung freiwilliger Beiträge nach Eintritt des Versicherungsfalles verbiete, jedoch eine Sperrwirkung hinsichtlich der Leistungen aus einem bereits eingetretenen Versicherungsfall enthalte. Auch die Bereiterklärung müsse vor Eintritt des Versicherungsfalles abgegeben werden. Diese Voraussetzung wurde in dem entschiedenen Fall verneint.
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kann nach dem Urteil des BSG vom 11. September 1980 (5 RJ 8/80 = BSGE 50, 213) in Betracht kommen, wenn ein Versicherter aufgrund des vom Versicherungsträger erteilten Bescheides davon ausgehen kann, daß lediglich BU, nicht aber EU vorliegt. Diese Möglichkeit wird insbesondere dann in Betracht kommen, wenn eine BU-Rente rückwirkend in eine EU-Rente umzuwandeln ist. Dieser Fall lag indessen hier nicht vor. Die Beklagte hat dem Kläger keine Veranlassung gegeben, das Nichtvorliegen von EU anzunehmen. Vielmehr hat der Kläger selbst durch seinen Antrag auf Umwandlung seiner BU-Rente in eine EU-Rente am 24. März 1972 deutlich gemacht, daß er sich jedenfalls im Zeitpunkt dieser Antragstellung für erwerbsunfähig hielt. Dem hat die Beklagte Rechnung getragen. Dieser Zeitpunkt des Eintritts der EU ist auch vom Kläger in der Folgezeit nicht in Zweifel gezogen worden.
Schließlich wird die Anrechenbarkeit der nachentrichteten Beiträge für die EU-Rente auch nicht dadurch begründet, daß die in § 10 Abs 1 Satz 3 WGSVG bezeichneten nachentrichteten Beiträge als rechtzeitig entrichtete Beiträge für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit gelten. Diese Vorschrift begründet eine Anrechenbarkeit nicht, sondern setzt sie voraus. Auch die Anrechenbarkeit dieser Beiträge richtet sich ausschließlich nach § 10 Abs 1 Sätze 1 und 2 WGSVG, in denen ausdrücklich auf § 1419 RVO verwiesen wird (vgl BSG, Urteil vom 12. März 1981 - 11 RA 4/80 = BSGE 51, 230, 231). Ist ein Beitrag hiernach überhaupt anrechenbar, so hat er für seine weitere Behandlung, insbesondere hinsichtlich seiner Auswirkungen auf die Rentenberechnung - zB nach § 1259 Abs 3 RVO - den Rechtscharakter eines Pflichtbeitrages. Hätte dagegen der Gesetzgeber die Rechtswirkung des Pflichtbeitrages auch auf die Entrichtung nach Eintritt des Versicherungsfalles beziehen wollen, dann wäre eine Bezugnahme auf den für Pflichtbeiträge maßgebenden § 1418 RVO anstatt auf § 1419 RVO, der lediglich für freiwillige Beiträge gilt, am Platze gewesen.
Nach alledem erweist sich die Nichtberücksichtigung der vom Kläger nachentrichteten Beiträge bei der EU-Rente als rechtmäßig. Die Revision des Klägers war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen