Leitsatz (amtlich)
Der Antrag auf Rückerstattung der Arbeitnehmeranteile der Beiträge nach G 131 § 74 kann solange zurückgenommen werden, wie dem Berechtigten der Erstattungsbescheid noch nicht zugestellt ist.
Die Rücknahme eines derartigen, von einem Beamten zur Wiederverwendung gestellten Erstattungsantrages kann auch noch von seinen Erben erklärt werden.
Normenkette
G131 § 74
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 27. November 1956 mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen, soweit nicht der Rechtsstreit durch das angenommene Anerkenntnis in der Hauptsache erledigt ist.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Der Ehemann der Klägerin war vor seiner Ernennung zum Beamten im Jahre 1944 längere Zeit invaliden- bzw. angestelltenpflichtversichert gewesen. Vom Jahre 1945 an war er bei der Versicherungsanstalt Berlin und anschließend bei der Beklagten bis Ende 1951 erneut pflichtversichert. Da seine Versicherungspflicht als Hausmeister im öffentlichen Dienst der Stadt Berlin entfiel, hat ihm diese als Arbeitgeberin die vom 1. Oktober 1951 ab entrichteten Beiträge auf seinen Antrag zurückgezahlt. Am 30. November 1951 beantragte er bei der Beklagten gemäß § 74 des Regelungsgesetzes zu Art. 131 des Grundgesetzes (GG) die Erstattung der Arbeitnehmeranteile der für ihn für die Zeit von 1945 bis zum 30. September 1951 gezahlten Beiträge; bevor eine Entscheidung über diesen Antrag erging, verstarb er am 19. Februar 1953.
Die Klägerin beantragte im Februar 1953 die Gewährung der Witwenrente aus der Rentenversicherung ihres verstorbenen Ehemannes bei der Beklagten und "verzichtete" dieser gegenüber am 19. März 1953 auf die Beitragserstattung.
Durch Bescheid vom 2. Januar 1954 lehnte die Beklagte den Antrag ab; sie vertrat die Auffassung, daß die Klägerin zur Zurücknahme des Erstattungsantrages nicht berechtigt sei. Die nach dem Kriege entrichteten Beiträge seien daher bei der Berechnung nicht zu berücksichtigen; die früher entrichteten Beiträge allein reichten zur Erfüllung der Halbdeckung jedoch nicht aus.
Das von der Klägerin angerufene Sozialgericht Berlin verurteilte die Beklagte zur Gewährung der Witwenrente unter Anrechnung der Beiträge von 1945 bis zum 30. September 1951. Es hielt die Anwartschaft für erfüllt, weil die Beiträge für die gedachte Zeit nach dem Kriege mitzuberücksichtigen seien. Nach der neuen Fassung des § 74 des Gesetzes zu Art. 131 GG durch das Erste Änderungsgesetz vom 19. August 1953 könne der Beitragserstattungsantrag auch von den Erben gestellt werden; daraus sei zu schließen, daß die Erben, solange die Erstattung noch nicht erfolgt und ein entsprechender Bescheid noch nicht zugestellt sei, ebenso wie der Versicherte selbst zur Zurücknahme des Antrages berechtigt seien.
Mit ihrer Berufung gegen dieses Urteil hatte die Beklagte Erfolg; das Landessozialgericht Berlin hob durch Urteil vom 27. November 1956 das angefochtene Urteil auf und wies die Klage ab, nachdem es zuvor die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte gemäß § 75 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beigeladen hatte.
Das Landessozialgericht geht gleichfalls davon aus, daß es entscheidend darauf ankomme, ob die von 1945 bis 1951 geleisteten Beiträge auf die Halbdeckung anzurechnen seien und daß diese Entscheidung wiederum von der Vorfrage abhänge, ob die Klägerin den von ihrem verstorbenen Ehemann gestellten Erstattungsantrag wirksam habe zurücknehmen können. Es lehnt einen Vergleich mit § 1309 Buchst. a der Reichsversicherungsordnung (RVO) a. F., für den die Rechtsprechung die Zulässigkeit einer Antragsrücknahme festgestellt habe, ab, weil es sich dort um eine Regelleistung handele, während der Anspruch aus § 74 des Gesetzes zu Art. 131 GG seinem Charakter nach eher der Leistung aus § 1445 Buchst. c RVO a. F. entspreche. Bereits der Antrag auf Erstattung beende das öffentlich-rechtliche Versicherungsverhältnis in Ausübung eines "Gestaltungsrechts". Wenn die Beklagte nach freiem Ermessen - eine entsprechende gesetzliche Vorschrift bestehe nicht - in eine Rücknahme des Erstattungsantrages durch die betroffenen Beamten selbst willige, so ergebe sich daraus für die Erben nicht gleichfalls die Berechtigung zur Zurücknahme des Erstattungsantrages, denn in diesem Fall sei inzwischen der Versicherungsfall eingetreten, dessen Folgen nicht durch eine einseitige Erklärung der Hinterbliebenen beeinträchtigt werden dürften. Unerheblich sei auch, daß das Erstattungsverfahren im vorliegenden Fall nicht durchgeführt sei; die Klägerin selbst habe sich praktisch mit einer Nichtbescheidung einverstanden erklärt. Schließlich sei auch eine Aussetzung des Verfahrens nach § 114 Abs. 2 SGG nicht geboten.
Das Landessozialgericht hat die Revision gegen sein am 8. Januar 1957 zugestelltes Urteil ausdrücklich zugelassen.
Gegen das Urteil hat die Klägerin am 5. Februar 1957 unter Stellung eines Antrages Revision eingelegt und diese am 1. März 1957 begründet.
Sie rügt die unrichtige Anwendung des § 74 des Gesetzes zu Art. 131 GG. Im öffentlichen Recht werde ein Verzicht erst wirksam durch einen entsprechenden Verwaltungsakt; bis zu dessen Zustellung, ja sogar bis zum Eintritt der Rechtskraft dieses Verwaltungsaktes (Bescheides) könne ein Verzicht daher zurückgenommen werden. Dieser Grundsatz gelte auch für Erstattungsansprüche nach der RVO. Das Landessozialgericht irre, wenn es diesen Grundsatz auf den Erstattungsanspruch nach § 74 des Gesetzes zu Art. 131 GG nicht anwenden wolle.
Entgegen der Annahme des Landessozialgerichts sei diese Erstattung als Regelleistung im Sinne des § 1350 RVO a. F. anzusehen; es handele sich um die Rückgewähr gültig entrichteter Beiträge. Genau wie der Versicherte selbst könne auch der Erbe, der ebenso wie jener zur Antragstellung befugt sei, den Antrag vor Ergehen des Erstattungsbescheides zurücknehmen; andernfalls würde sich eine vom Gesetzgeber nicht gewollte schlechtere Stellung des Erben ergeben.
Die Klägerin beantragt, nachdem sie das ihr von der Beklagten im Verhandlungstermin vom 22. Oktober 1959 angebotene Teilanerkenntnis (Gewährung einer Rente von monatlich 64.90 DM vom 1.1.1957 an und von 69,- DM vom 1.1.1959 an, beide berechnet nach den Vorschriften neuen Rechts, ohne Berücksichtigung der Beiträge, die den Gegenstand dieses Verfahrens bilden), angenommen hatte,
soweit sich der Rechtsstreit durch dieses Anerkenntnis nicht erledigt hat,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 14. März 1955 kostenpflichtig zurückzuweisen, hilfsweise den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte hat demgegenüber
die Zurückweisung der Revision
beantragt und sich zur Begründung auf die von ihr im vollen Umfang für zutreffend gehaltene angefochtene Entscheidung berufen.
Die Beigeladene hat den gleichen Antrag gestellt.
Sie hat vorgetragen, daß ein Hinweis auf die Regelung der Beitragserstattung an weibliche Versicherte nach deren Heirat nicht zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis führen könne, da jener Erstattungsantrag überhaupt nur für die Versicherte, nicht aber auch für ihre Hinterbliebenen habe gestellt werden können.
Entgegen dem Berufungsurteil handele es sich bei dem Antrag aus § 74 des Gesetzes zu Art. 131 GG zwar um einen Erstattungsanspruch aus dem Leistungsrecht. Aus der höchstpersönlichen Natur dieses Erstattungsantrages folge an sich, daß er nach dem Tode des Versicherten weder gestellt noch zurückgenommen werden könnte. Wenn der Gesetzgeber aus rein technischen Erwägungen dem Erben des Versicherten trotzdem noch die Ausnutzung der gesetzlich gegebenen Ausschlußfrist zur Antragstellung auch nach dem Tode des Versicherten eingeräumt habe, so dürfe deshalb nicht angenommen werden, daß der Erbe auch einen bereits gestellten Antrag wieder zurücknehmen könne; dies würde dazu führen, eine bereits endgültig behobene Unsicherheit unter Umkehrung des Versicherungswagnisses in abweichender Weise zu regeln.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist form- und fristgerecht unter Antragstellung eingelegt und begründet worden. Sie ist vom Landessozialgericht zugelassen und somit statthaft.
Die Revision ist auch begründet.
I Die Beurteilung des in § 74 des Gesetzes zu Art. 131 GG vorgesehenen Erstattungsanspruches durch das Landessozialgericht erscheint nicht frei von Rechtsfehlern. Bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine auf den beamtenrechtlichen Verhältnissen der Nachkriegszeit beruhende Sonderregelung, die dem Umstand Rechnung tragen sollte, daß damals zunächst zahlreiche Beamtenverhältnisse als endgültig beendet angesehen wurden, während sie nunmehr nach der im Grundgesetz Art. 131 und dem in dessen Ausführung ergangenen Gesetz zu Art. 131 vertretenen Auffassung tatsächlich noch als fortbestehend behandelt werden sollten. Infolge jener ursprünglich vertretenen Ansicht waren die Betroffenen, soweit sie entsprechende Beschäftigungen im öffentlichen Dienst ausübten, entgegen der aus ihrer Beamteneigenschaft abzuleitenden Versicherungsfreiheit als versicherungspflichtig betrachtet und für sie entsprechende Pflichtbeiträge geleistet worden. Die Beitragserstattung war aus rückschauender Sicht des Gesetzes zu Art. 131 GG zu Unrecht erfolgt; es erschien daher notwendig, im § 74 den Betroffenen ein dem § 1445 Buchst. c RVO a. F. entsprechendes Recht auf Beitragserstattung einzuräumen (vgl. auch Erlaß des Bundesarbeitsministers vom 2.2.1952, BABl. 1952 S. 87 in dem der in Frage kommende Erstattungsanspruch als vergleichbar mit § 1445 Buchst. c RVO a. F. und nicht etwa als eine Regelleistung bezeichnet wird), da eine unmittelbare Anwendung dieser Vorschrift wegen der Besonderheit des Falles möglicherweise rechtlich zweifelhaft erschienen wäre und auch sonst nicht ausgereicht hätte. Eine neben § 1445 Buchst. c RVO a. F. tretende Sonderregelung war nämlich, abgesehen von den sonstigen Verschiedenheiten, bereits deshalb erforderlich, weil bei der abweichenden Sachlage die dort vorgesehene Zweijahresfrist zur Geltendmachung des Rückerstattungsanspruchs regelmäßig bereits abgelaufen war. Durchaus sinnentsprechend wurde jedoch auch im Gesetz zu Art. 131 GG das Recht, die Rückerstattung zu verlangen, an den Ablauf einer Frist gebunden, die entsprechend der Regelung des § 1445 Buchst. c RVO a. F. in etwa eine Zweijahresfrist vom Inkrafttreten des Gesetzes zu Art. 131 GG ab als dem Zeitpunkt, zu dem die bis dahin scheinbar zu Recht entrichteten Beiträge als zu Unrecht entrichtet klargestellt waren, laufen ließ. Sieht man den Rückerstattungsanspruch demnach als einen nur auf die besonderen Umstände der Sachlage zugeschnittenen Sonderfall des § 1445 Buchst. c RVO an, so erklärt sich daraus weiter auch die Regelung im § 74 Abs. 3 a. a. O., die demnach inhaltlich dem § 1446 RVO a. F., mit dem aus der Natur der Dinge folgenden Fortfall der Einschränkung des letzten Teilsatzes des § 1446, entspricht. Die gültige Entrichtung der nicht zurückgeforderten Beiträge als freiwillige Beiträge war daher selbst für den Fall sichergestellt, daß die betreffende Person zur Zeit der Entrichtung der Beiträge kein Recht auf Selbst- oder Weiterversicherung gehabt hatte.
Die Rückzahlung zu Unrecht entrichteter Beiträge ist wie sonstige Leistungen der Arbeiterrentenversicherung nach § 1545 RVO auf Antrag festzustellen. Bei der Rückerstattung stellt dieser Antrag keine materiell-rechtliche Voraussetzung, sondern nur den verfahrensmäßigen Anstoß zum Tätigwerden des Versicherungsträgers dar.
Selbst dann, wenn ein Erstattungsantrag als Ausübung eines echten Wahlrechts materiell-rechtlich bedeutsam ist, hat das Reichsversicherungsamt in ständiger Rechtsprechung bereits frühzeitig (AN. 1897 S. 277, 414 und 416; 1900 S. 839 u. 840) angenommen, daß ein Widerruf bzw. Verzicht auf die Erstattung zulässig sei, solange dem Berechtigten der Erstattungsbescheid noch nicht zugestellt war. Die Gründe dieser Entscheidungen können auch jetzt noch als zutreffend angesehen werden. Umsomehr ist diese Auffassung dann berechtigt, wenn es sich bei dem zu widerrufenden Antrag nur um ein formales Erfordernis zur Ingangsetzung des Verfahrens handelt.
Durch die nachträgliche, hier bereits anzuwendende Gesetzesänderung ist klargestellt worden, daß der Rückerstattungsanspruch nicht erst nach Antragstellung durch den berechtigten Versicherten bzw. gar nach seiner Feststellung, sondern auch ohne daß der Versicherte bereits einen Antrag gestellt hatte, vererblich ist. Bereits durch diese Regelung ist nicht etwa "nur aus technischen Erwägungen den Erben ... die Ausnutzung der gesetzlichen Ausschlußfrist" gestattet, sondern tatsächlich bereits die Möglichkeit geschaffen, wie die Beigeladene es ausdrückt: "eine bereits endgültig behobene Unsicherheit unter Umkehrung des Versicherungswagnisses in abweichender Weise zu regeln"; denn die Erben werden nur Anlaß haben einen derartigen Erstattungsanspruch zu stellen, wenn die zu erstattenden Beiträge überhaupt nicht oder nur in einem ihnen zu gering erscheinenden Ausmaß in einer zu gewährenden Rentenleistung ihren Niederschlag finden würden. Wenn der Gesetzgeber trotz einer solchen Verschiebung des versicherungswirtschaftlichen Risikos den Erben ausdrücklich die Möglichkeit einräumt, auch nach dem Eintritt des Versicherungsfalles noch die Erstattung zu verlangen, so muß daraus im Umkehrschluß angenommen werden, daß die Erben einen derartigen Antrag bis zu einer Bescheidung auch ebenso wie der Versicherte selbst wieder zurücknehmen dürfen, wenn er erst von ihnen gestellt ist; dann aber muß ihnen die gleiche Befugnis auch für einen noch vom Versicherten gestellten Erstattungsantrag eingeräumt werden.
Das angefochtene Urteil des Landessozialgerichts mußte daher aufgehoben werden.
II Zu einer eigenen Entscheidung war das Bundessozialgericht jedoch nicht in der Lage, da es insoweit an den erforderlichen Feststellungen fehlte. Nach der ausdrücklichen Vorschrift des Gesetzes zu Art. 131 GG steht der Rückerstattungsanspruch eines Versicherten im Falle seines Todes nach § 74 a. a. O. seinen Erben zu. Im vorliegenden Falle fehlt es an jeder Feststellung des Landessozialgerichts, durch wen der Ehemann der Klägerin beerbt worden ist und ob seitens der Miterben, die möglicherweise neben der Klägerin in Frage kommen, der für den vorliegenden Anspruch grundlegende Widerruf des Erstattungsantrages ebenfalls ausgesprochen worden und ob schließlich gegebenenfalls dieser Widerruf noch rechtzeitig und damit wirksam erfolgt ist.
Die Sache mußte daher, soweit der Rechtsstreit durch das Teilanerkenntnis nicht in der Hauptsache erledigt wird, zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen werden.
Fundstellen