Entscheidungsstichwort (Thema)

Besondere Wartezeit für die Bergmannsrente. Gleichstellung mit Hauerarbeit

 

Orientierungssatz

Hinsichtlich der Erfüllung der besonderen Wartezeit für die Bergmannsrente nach RKG § 45 Abs 1 Nr 2 iVm § 49 Abs 2 kann die Untertagetätigkeit eines Rentenantragstellers, der wie ein Maschinenhauer gearbeitet hat, nur dann der Hauerarbeit gleichgestellt werden, wenn sie im Gedinge oder zu besonders vereinbartem Lohn ausgeführt wurde. Zu besonders vereinbartem Lohn ist eine Tätigkeit ausgeführt, wenn ihre Bezahlung dem Hauerdurchschnittslohn nicht mehr als 10 vH unterschreitet (vgl BSG 1965-03-23 5 RKn 92/63 = BSGE 23, 22).

 

Normenkette

RKG § 45 Abs. 1 Nr. 2, § 49 Abs. 2; HaVO § 1 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 25.07.1968)

SG Duisburg (Entscheidung vom 25.08.1966)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 25. Juli 1968 und des Sozialgerichts Duisburg vom 25. August 1966 aufgehoben.

Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 19. März 1963 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 1964 wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I

Unter den Beteiligten ist im Streit, ob der Kläger die besondere Wartezeit für die Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) gemäß § 49 Abs. 2 RKG in der bis zum 31. Dezember 1967 gültig gewesenen Fassung erfüllt. Im einzelnen ist streitig, ob der Kläger 180 Monate lang Hauerarbeiten unter Tage verrichtet hat.

Der am 28. Oktober 1903 geborene Kläger, seit 1. Oktober 1965 Empfänger von Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit und ab 1. September 1968 von Knappschaftsruhegeld, hat bis zum August 1957 300 Beitragsmonate in der knappschaftlichen Rentenversicherung zurückgelegt. Er war seit 2. Januar 1926 bei einer Zeche in A als Ausbauhelfer und Schlepper sowie vom 1. Dezember 1933 bis 30. November 1954 als Grubenschlosser gegen festen Lohn beschäftigt; ab 1. Dezember 1954 arbeitete er als Maschinenhauer im Schichtlohn. Während seiner Tätigkeit als Grubenschlosser hat der Kläger in dem Zeitraum vom 1. Juni 1938 bis 30. November 1954 Maschinenhauertätigkeit verrichtet und zu seinem Schichtlohn Zulagen (Schicht- oder Monatsprämien) erhalten.

Den - zweiten - Antrag des Klägers auf Gewährung von Bergmannsrente wegen Vollendung des 50. Lebensjahres lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 19. März 1963 - erneut - ab, weil er nicht mindestens 180 Kalendermonate Hauerarbeiten unter Tage oder diesen gleichgestellte Arbeiten verrichtet habe. Den gegen diesen Bescheid erhobenen Widerspruch wies die Beklagte am 24. Februar 1964 zurück.

Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) Duisburg am 25. August 1966 die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide verurteilt, dem Kläger vom 1. Juni 1961 bis 30. September 1965 die Bergmannsrente zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat am 25. Juli 1968 die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und ausgeführt: Der Kläger habe in dem 198 Monate umfassenden Zeitraum vom 1. Juni 1938 bis 30. November 1954, während welchem er auch nach der Auffassung der Beklagten an den in § 1 Abs. 1 Nr. 2 der Hauerarbeiten-Verordnung (HaVO) genannten Betriebspunkten Maschinenhauertätigkeiten verrichtet habe, mindestens 180 Monate lang einen Lohn erhalten, der den Anforderungen des § 1 Abs. 2 der HaVO entspreche. Für 141 Monate bestreitet dies die Beklagte nicht. Zwar habe der Kläger in der übrigen, von der Beklagten nicht anerkannten Zeit einen Lohn erhalten, der mehr als 10 v.H. unter dem Hauerdurchschnittslohn (Gedingerichtsatz) liege. "Der Abzug von 10. v.H. in den Urteilen des Bundessozialgerichts" sei offenbar darauf zurückzuführen, daß nach der Lohnordnung Lehrhauer und Schlepper im Gedinge einer Kameradschaft im ersten Jahr 10 v.H. je Schicht weniger erhielten als der Hauer. Nach der Anordnung über die Entlohnung der Gedingearbeit des Steinkohlen-Bergbaus im Ruhrgebiet vom 25. September 1942 hätten aber Gedingearbeiter ohne Knappenprüfung im ersten Jahr 20 v.H. je Schicht weniger als die Hauer zu erhalten. Diese Regelung sei in die Lohnordnung vom 1. September 1944 übernommen worden und habe bis zum Inkrafttreten der Lohnordnung vom 5. September 1945 am 20. September 1945 gegolten. In der Zeit vom 1. Oktober 1942 bis 20. September 1945 habe der Kläger während 31 Monaten einen Lohn erzielt, der sich durch die Prämien zum Schichtlohn deutlich, d.h. um mehr als 5 v.H. vom Schichtlohn eines Grubenschlossers unterschieden habe, der auch den Hauermindestlohn überstiegen habe und der weniger als 20 v.H. unter dem damals geltenden Gedingerichtsatz gelegen sei. Dieser Lohn entspreche daher den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 HaVO. Auch in der Zeit vom 1. April 1939 bis 30. November 1939 habe der Kläger einen Lohn erhalten, der den Anforderungen der HaVO genüge. Zwar habe der Lohn den Gedingerichtsatz um mehr als 10 v.H. unterschritten; die Differenz sei aber nur gering gewesen. Eine so geringe Differenz könne jedenfalls dann nicht von Bedeutung sein, wenn der Versicherte bei gleicher Arbeit vorher und nachher eindeutig einen im Rahmen der Gedingeverdienste liegenden Lohn erzielt habe. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) habe der Lohn in § 1 Abs. 1 Nr. 2 der HaVO keine selbständige Bedeutung, sondern sei nur eine zusätzliche Sicherung für zweifelhafte Fälle.

Mit der zugelassenen Revision tritt die Beklagte der Auffassung des LSG entgegen. Sie bringt vor: Die ab 1. Oktober 1942 gültig gewesene Anordnung des Sondertreuhänders für den Bergbau über die Entlohnung der Gedingearbeit des Steinkohlen-Bergbaus im Ruhrgebiet vom 25. September 1942 könne die Auffassung des Berufungsgerichts nicht stützen. Es falle auf, daß allein die ab 1. Oktober 1942 gültig gewesene Lohnordnung für eine Gruppe nicht als Hauer tätiger, angelernter Gedingearbeiter im ersten und zweiten Jahr Lohnabstriche von 20 und 15 v.H. vorgesehen habe. Zu keiner anderen Zeit finde sich eine gleiche oder ähnliche Regelung; die Lohnminderung für Lehrhauer und Schlepper im Gedinge einer Kameradschaft habe sonst immer im ersten Jahr 10 v.H. betragen. Der Grund für die von dieser ständigen Übung abweichende Regelung ab 1. Oktober 1942 könne daher nur im Zusammenhang mit den besonderen Verhältnissen des Krieges gesehen werden. Das rechtfertige aber das angefochtene Urteil nicht. Bei der Entscheidung dieser Frage sei von normalen Verhältnissen auszugehen. Dieser Forderung trage die ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats Rechnung, wonach nur ein bis höchstens 10 v.H. unter dem Hauerdurchschnittslohn liegender Lohn ein "besonders vereinbarter Lohn" im Sinne von § 1 Abs. 2 HaVO sein könne. Diese Grenze sei absolut. Der gegenüber dem tariflichen Hauerdurchschnittslohn um 20. v.H. geminderte Lohn des angelernten Gedingearbeiters sei unter dem damals höchsten tariflichen Schichtlohn gelegen; auch hieraus erhelle, daß die Auffassung des LSG nicht zutreffe. Auch der Umstand, daß ein um 20 v.H. geminderter Hauerdurchschnittslohn regelmäßig den normalen Grubenhandwerkerlohn zuzüglich 5 v.H. unterschreite und nach verschiedenen Lohnordnungen sogar unter dem höchsten Schichtlohn liege, mache deutlich, daß der Ansicht des LSG nicht gefolgt werden könne. Der Kläger habe jedenfalls in den Zeiten vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1942, vom 1. Mai bis 31. Dezember 1943 sowie vom 1. Februar 1944 bis 20. September 1945 keinen besonders vereinbarten Lohn im Sinne der HaVO erhalten und damit die besondere Wartezeit des § 49 Abs. 2 RKG nicht erfüllt.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil sowie das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 25. August 1966 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision kostenpflichtig zurückzuweisen.

Es treffe zwar zu, daß sein Lohn während der strittigen Zeit stets um mehr als 10 v.H. unter dem jeweiligen Gedingerichtsatz gelegen habe. Daß aber nur ein bis höchstens 10 v.H. unter dem Gedingerichtsatz liegender Lohn ein besonders vereinbarter Lohn im Sinne von § 1 Abs. 2 HaVO sein könne und diese Grenze absolut sei, sei unrichtig. Mit ihrer Auffassung würde sich die Beklagte nur in den tariflichen Gedingerichtsätzen 100%, 95 %, 92,5 % und 90 % bewegen. Das habe aber mit dem vom Verordnungsgeber gesteckten Rahmen des möglichen Gedingeverdienstes nichts mehr zu tun, weil auch Verdienste mit 89 %, 88 %, 87 % usw. echte Gedingeverdienste sein könnten. Entgegen der Auffassung der Beklagten könne die Anordnung des Sondertreuhänders für den Bergbau vom 25. September 1942 nicht unberücksichtigt bleiben. Da der Lohn keine selbständige Bedeutung und im übrigen in der strittigen Zeit immer im Rahmen der möglichen Gedingeverdienste gelegen habe, sei die Rechtsauffassung des LSG nicht zu beanstanden.

II

Die zulässige Revision ist begründet.

Nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG in der bis zum 31. Dezember 1967 gültig gewesenen Fassung - es liegt ein Rentenanspruch des Klägers nur für die Zeit vom 1. Juni 1961 bis 30. September 1965 in Streit - erhält Bergmannsrente der Versicherte, der das 50. Lebensjahr vollendet und die Wartezeit nach § 49 Abs. 2 RKG erfüllt hat. § 49 Abs. 2 aaO in der damaligen Fassung erklärt die Wartezeit als erfüllt, wenn eine Versicherungszeit von 300 Kalendermonaten zurückgelegt ist und während dieser Zeit mindestens 180 Kalendermonate Hauerarbeiten unter Tage oder diesen gleichgestellte Arbeiten verrichtet worden sind. Ob die letztere Voraussetzung erfüllt ist, ist unter den Beteiligten im Streit.

Was Hauerarbeiten unter Tage sind, bestimmt die HaVO vom 4. März 1958. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des LSG hat der Kläger während seiner Untertagetätigkeit in dem 198 Monate umfassenden Zeitraum vom 1. Juni 1938 bis 30. November 1954 Arbeiten verrichtet, wie sie ein Maschinenhauer im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 HaVO an den dort genannten Betriebspunkten - im Abbau, beim Streckenvortrieb oder in der Aus- und Vorrichtung - zu verrichten pflegt. Die genannte Vorschrift anerkennt solche Tätigkeiten jedoch nur dann als Hauerarbeiten, wenn sie - was beim Kläger nicht der Fall war - im Gedinge oder - worum die Beteiligten streiten - "zu besonders vereinbartem Lohn" ausgeführt werden. Nach der in § 1 Abs. 2 HaVO gegebenen Legaldefinition ist besonders vereinbarter Lohn im Sinne der Verordnung ein fester Lohn, der infolge besonders gelagerter Verhältnisse anstelle eines regelrechten Gedinges gezahlt wird und im Rahmen der möglichen Gedingeverdienste liegt.

Der erkennende Senat hat in mehreren Entscheidungen zu der Kernfrage Stellung genommen, wann ein fester Lohn "anstelle eines regelrechten Gedinges gezahlt wird", In der Entscheidung vom 23. März 1965 (BSG 23, 22 = SozR Nr. 1 zu § 1 HaVO) hat der Senat grundlegend ausgeführt, daß dies regelmäßig allein aus der Höhe des gezahlten festen Lohnes zu schließen sein werde. Die Frage sei dann zu bejahen, wenn der dem Versicherten gewährte Lohn den Hauermindestlohn überschreite, deutlich höher sei als der tarifliche Schichtlohn einschließlich etwaiger Prämien eines vergleichbaren Versicherten, der nicht an einem der in § 1 Abs. 1 Nr. 2 HaVO genannten Betriebspunkt arbeitet, und wenn der Lohn außerdem "nicht allzu weit" unter dem Hauerdurchschnittslohn liege. Diese Rechtsprechung hat der Senat im Urteil vom 27. Oktober 1966 (SozR Nr. 7 zu § 1 HaVO) weitergeführt und dargetan, daß der einem Versicherten gewährte Lohn anstelle eines regelrechten Gedinges gezahlt werde, wenn er sowohl mehr als 5 v.H. über dem normalen Lohn eines entsprechend Versicherten, der nicht im Abbau, beim Streckenvortrieb oder in der Aus- und Vorrichtung beschäftigt ist, als auch nicht mehr als 10 v.H. unter dem Hauerdurchschnittslohn liege (vgl. auch die Entscheidung des Senats vom 13. April 1967 - 5 Rkn 44/64 -).

An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Die Gründe, die das LSG bewogen haben, einen festen Lohn, der bis zu 20 v.H. unter dem Hauerdurchschnittslohn liegt, noch als anstelle eines regelrechten Gedinges gezahlt anzusehen, können nicht überzeugen.

Die Überlegungen des LSG treffen schon im Ausgangspunkt nicht zu: Der "Abzug von 10 v.H. in den Urteilen des Bundessozialgerichts" beruht nicht darauf, daß nach den meisten Lohnordnungen für den Ruhrkohlen-Bergbau Lehrhauer und Schlepper im Gedinge einer Kameradschaft im ersten Jahr 10 v.H. je Schicht weniger erhielten als der Hauer. Diese in den Lohnordnungen getroffenen Regelungen waren für die Entwicklung der - dargestellten - Rechtsprechung des Senats nicht bestimmend; ausschlaggebend war allein die Überlegung, daß ein an die Stelle eines regelrechten Gedinges tretender fester Lohn naturgemäß nur gering - "nicht allzu weit" - unter dem Gedingerichtsatz liegen dürfe. Schon deshalb können aus den in den Lohnordnungen enthaltenen Regelungen über die Gedingeverdienste von Lehrhauern und Schleppern keine Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs "besonders vereinbarter Lohn" im Sinne der HaVO gewonnen werden. Bei diesen Gegebenheiten kann dahinstehen, ob, wie die Beklagte meint, die - für keine andere Zeit vorzufindenden-Lohnabstriche für ganz bestimmte Gruppen angelernter Gedingearbeiter bis zu 20 v.H. in der vom 1. Oktober 1942 bis 20. September 1945 gültig gewesenen Lohnordnung sich offensichtlich aus den besonderen Verhältnissen der Kriegszeiten erklärten und schon deshalb keine Schlüsse darauf zuließen, ob ein mit Hauerarbeiten beschäftigter Grubenschlosser anstelle eines regelrechten Gedinges fest entlohnt worden sei. Auch das Vorbringen des Klägers kann den Senat nicht veranlassen, von seiner Rechtsprechung zu § 1 HaVO abzuweichen.

Nach den Feststellungen des LSG hat der Kläger zumindest in den von der Beklagten zuletzt beanstandeten Zeiträumen vom 1. Oktober bis 31. Dezember 1942, vom 1. Mai bis 31. Dezember 1943 sowie vom 1. Februar 1944 bis 20. September 1945, also zumindest während 32 Monaten wesentlich weniger als 90 v.H. des Hauerdurchschnittslohnes verdient. Da aber der Kläger insgesamt nur 198 Monate Hauerarbeiten unter Tage gegen festen Lohn mit Zuschlägen ausgeführt hat, hat er nicht mindestens 180 Monate Hauerarbeiten im Sinne des § 49 Abs. 2 RKG in der bis zum 31. Dezember 1967 geltenden Fassung verrichtet. Die besondere Wartezeit für die Bergmannsrente ist mithin nicht erfüllt.

Mangels gegebener Voraussetzungen hat der Kläger für die Zeit vom 1. Juni 1961 bis 30. September 1965 keinen Anspruch auf Bergmannsrente gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG. Das angefochtene Urteil des LSG und das Urteil des SG Duisburg vom 25. August 1966 waren daher aufzuheben und die Klage gegen die Bergmannsrente versagenden Bescheide der Beklagten abzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1648109

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