Entscheidungsstichwort (Thema)
Tropenkrankheit (Hepatitis infectiosa bzw epidemica) als Berufskrankheit
Leitsatz (amtlich)
Eine in den Tropen - hier in Lagos (Nigeria) - während eines betriebsbedingten Aufenthalts erworbene Hepatitis infectiosa stellt unabhängig davon, ob die Ansteckung bei einer grundsätzlich eigenwirtschaftlichen Tätigkeit - hier Essenseinnahme - erfolgt ist, eine Tropenkrankheit iS der 6. BKVO Anl 1 Nr 44 dar, sofern die Infektion in diesem Gebiet nachgewiesen ist.
Leitsatz (redaktionell)
1. Als Tropenkrankheiten iS der BKVO 7 Anl 1 Nr 44 kommen nicht nur solche Krankheiten in Betracht, die den Tropen und Subtropen ausschließlich eigentümlich sind.
2. Für das Vorliegen einer Tropenkrankheit kommt es entscheidend darauf an, ob der Erwerb der Tropenkrankheit und ihr gleichzustellenden Krankheiten in den Tropen oder Subtropen oder in einem Land oder Gebiet mit wesentlich erhöhtem Erkrankungsrisiko für solche Krankheiten nachgewiesen ist; demgegenüber spielt die Art der Berufstätigkeit oder die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Personenkreis keine wesentliche Rolle.
Normenkette
RVO § 548 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1963-04-30, § 551 Abs. 1 Fassung: 1963-04-30; BKVO 6 Anl 1 Nr. 37 Fassung: 1961-04-28, Nr. 44 Fassung: 1961-04-28
Tenor
Auf die Revision des Klägers werden das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 4. Dezember 1974, das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Main) vom 28. November 1969 sowie der Bescheid der Beklagten vom 28. Juli 1965 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die inzwischen abgeheilte Hepatitis infectiosa des Klägers als Berufskrankheit bzw. als Folge eines Arbeitsunfalles von der Beklagten zu entschädigen ist.
Der im Jahre 1936 geborene Kläger, der seit Januar 1962 bei der D (DLH) als Steward beschäftigt war, erkrankte am 30. Juni 1964 auf dem Flug von R nach D, Republik Senegal, an Gelbsucht. In der Unternehmeranzeige über eine Berufskrankheit (BK) wurde angegeben, daß er das Essen im Hotel ... eingenommen hätte. Der praktische Arzt Dr. K, M/Krs. D, bescheinigte am 1. September 1964, daß sich der Kläger wegen einer schweren Hepatitis am 4. Juli 1964 in seine Behandlung begeben habe. Nach den vorgelegten Unterlagen eines Arztes aus Dakar sei die Krankheit bereits dort ausgebrochen.
In dem für die Beklagte erstatteten Gutachten vom 25. Februar 1965 kamen Prof. Dr. G und Dr. Z vom Städtischen Krankenhaus S zu dem Ergebnis, daß es sich bei dem Kläger um eine inzwischen folgenlos abgeklungene Hepatitis infectiosa gehandelt habe. Die Voraussetzungen zur Anerkennung als BK gemäß Nr. 37 der Anlage zur 6. Berufskrankheiten-Verordnung (BKVO) vom 25. April 1961 lägen nicht vor, da der Kläger nicht zu dem dort genannten Personenkreis gehöre. Eine Tropenkrankheit i. S. der Nr. 44 der Anlage zur 6. BKVO habe nicht bestanden. Der Landesgewerbearzt in W vertrat in seiner Stellungnahme vom 13. April 1965 die gleiche Auffassung. Auf der Grundlage dieser Gutachten lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28. Juli 1965 einen Entschädigungsanspruch des Klägers ab. Er gehöre nicht zu dem in Nr. 37 der Anlage zur 6. BKVO genannten Personenkreis. Auch liege keine Tropenkrankheit im Sinne von Nr. 44 der Anlage zur 6. BKVO vor. Die Hepatitis infectiosa sei in der ganzen Welt verbreitet und nicht vorwiegend eine den Tropen oder Subtropen eigentümliche Erkrankung, die dort infolge der besonderen klimatischen und anderen Verhältnisse bevorzugt auftrete. Eine derartige Erkrankung bedeute auch dann keine Tropenkrankheit, wenn sie zufällig einmal in den Tropen erworben werde.
Gegen diesen Bescheid hat der Kläger Klage erhoben. Dem Sozialgericht (SG) wurde eine Stellungnahme des Flughafenarztes Dr. F vorgelegt. In dieser ist ausgeführt, bei Flugbegleitern beständen durch Kontakte in der ganzen Welt so viele Möglichkeiten zur Infektion mit Virushepatitis, daß die Möglichkeit, durch eine Tetravaccine-Impfung infiziert worden zu sein, als eine sehr vage Hilfskonstruktion erscheine. Nachdem die Beklagte zwei Gutachten des Dr. S vorgelegt hatte, hat das SG nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein Gutachten von Prof. Dr. C von der II. Medizinischen Universitätsklinik F eingeholt. Der Gutachter vertrat die Ansicht, daß der Kläger sich die Hepatitis infectiosa "innerhalb einer Arbeitsschicht", d. h. während eines 19-tägigen Aufenthalts in Lagos vom 25. Mai bis 13. Juni 1964, zugezogen habe, so daß ein Arbeitsunfall anzunehmen sei. Durch Urteil vom 28. November 1969 hat das SG die Klage, die auf Gewährung von Rente bis zum 31. Oktober 1965 gerichtet war, abgewiesen; die bei dem Kläger aufgetretene Hepatitis infectiosa sei weder nach Nr. 37 noch nach Nr. 44 der Anlage zur 6. BKVO als BK anzuerkennen; auch könne ein Arbeitsunfall nicht angenommen werden.
Die - nicht zugelassene - Berufung des Klägers wurde vom LSG zurückgewiesen (Urteil vom 4. Dezember 1974). Zur Begründung hat es auf das von ihm eingeholte Gutachten des Chefarztes des Tropenheims P Krankenhaus T, Dr. R, und des Facharztes für innere Krankheiten Dr. S vom 20. März 1974 verwiesen, in dem die Gutachter die Auffassung vertreten hatten, daß es sich bei der Erkrankung des Klägers an Hepatitis infectiosa weder um eine BK nach Nr. 37 noch um eine Tropenkrankheit nach Nr. 44 der Anlage zur 6. (bzw. 7) BKVO gehandelt habe; eine Erkrankung des Klägers an Serumhepatitis könne - wie schon Dr. S und Prof. Dr. C dargelegt hätten - mit großer Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Da für die durchgemachte Hepatitis infectiosa während der Inkubationszeit keine beruflichen Umstände der Infektion festzustellen seien, könne auch der Tatbestand eines Arbeitsunfalls nicht als erfüllt angesehen werden. Das LSG führte aus, die Hepatitis-Infektion habe sich der Kläger zwar wahrscheinlich während seines Aufenthalts in Lagos in der Zeit vom 25. Mai bis zum 13. Juni 1964 bzw. auf einem der von dort aus unternommenen Flüge nach J zugezogen, jedoch scheide die Anwendung der Nr. 37 der Anlage zur 6. BKVO (Infektionskrankheiten) schon deswegen aus, weil er in seiner Tätigkeit als Flugbegleiter nicht zu dem dort genannten Personenkreis gehört habe, der vorwiegend die Angehörigen der Heil- und Pflegeberufe umfasse. Allerdings habe die 7. BKVO die Nr. 37 der Anlage dahin erweitert, daß eine Infektionskrankheit auch dann zu entschädigen sei, wenn der Versicherte durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße ausgesetzt gewesen sei. Ob diese Voraussetzung bei dem Kläger seinerzeit vorgelegen hätte, bedürfe jedoch keiner weiteren Prüfung, da die am 1. Juli 1968 in Kraft getretene 7. BKVO sich keine Rückwirkung zugelegt habe. Der Kläger habe auch unter Berücksichtigung des Urteils des erkennenden Revisionssenats vom 19. September 1974 - 8 RU 64/73 - keinen Anspruch nach Nr. 44 der Anlage zur 6. BKVO (Tropenkrankheit). Nach dem Gutachten der D R und S trete die Hepatitis infectiosa in den warmen Gebieten nicht sehr häufiger auf als in Deutschland. Zwar bringe der Aufenthalt in Entwicklungsländern mit mangelhaften hygienischen und sanitären Verhältnissen für Europäer auch heute noch ein stark erhöhtes Infektionsrisiko an Hepatitis infectiosa mit sich. Die Häufigkeit der Erkrankung nehme mit einem vermehrten Kontakt zur einheimischen Bevölkerung deutlich zu. Ein erhöhtes Erkrankungsrisiko bestehe jedoch nach der statistischen Zusammenstellung der Gutachter für das fliegende Personal der DLH nicht. Es betrage bei einer Erkrankungsrate von 0,07 v. H. pro Jahr nur das Doppelte im Vergleich zur Gesamtbevölkerung. Mithin sei das Ansteckungsrisiko für das fliegende Personal der DLH verhältnismäßig gering gewesen. Im übrigen erfordere der Dienst, im Gegensatz zu den Entwicklungshelfern, grundsätzlich auch keinen engen beruflichen Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung. Dies um so weniger, als der Kläger, ebenso wie die übrigen Flugzeugbesatzungen in Lagos, in von dieser gemieteten neu gebauten Bungalows untergebracht gewesen sei und nach Auskunft der DLH von dieser das Frühstück erhalten habe, das von einem lokalen Koch in der Bungalow-Küche zubereitet worden sei. Außer dem Frühstück sei es den Besatzungsmitgliedern freigestellt gewesen, wo und wann sie ihre Mahlzeiten einnehmen wollten. Sie hätten jederzeit in eines der in der Nähe gelegenen Hotels zum Essen gehen können. Daraus ergebe sich, daß ein Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung aus dienstlichen Gründen nicht geboten gewesen sei. Der vorgenannten Ansicht stehe auch das Gutachten von Professor Dr. M vom 25. Oktober 1974, das er in einem anderen Rechtsstreit erstattet habe, nicht entgegen. Denn dieser Sachverständige habe entscheidend auf die Tätigkeit von Entwicklungshelfern in tropischen Gebieten abgestellt und habe nur die Flugbesatzungen summarisch erwähnt. Das Vorliegen einer durch die Impfung in Frankfurt erworbenen Serumhepatitis sei nicht wahrscheinlich.
Die Erkrankung des Klägers sei auch kein Arbeitsunfall im Sinne von § 548 Reichsversicherungsordnung (RVO). Eine Hepatitis infectiosa erfolge im wesentlichen durch Nahrungsaufnahme. Bei der Beschaffung von Lebensmitteln und Aufnahme von Nahrung handele es sich aber um Tätigkeiten, die dem unversicherten Lebensbereich zuzurechnen seien. Im übrigen könne sich der Kläger auch außerhalb der Hauptmahlzeiten infiziert haben. Schließlich greife auch § 551 Abs. 2 RVO nicht ein.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger die zugelassene Revision eingelegt. Er ist in erster Linie der Auffassung, daß es sich um einen Arbeitsunfall handele, wie Prof. Dr. C dargelegt habe. Der besonderen Infektionsgefahr in Lagos sei er ausschließlich betriebsbedingt ausgesetzt gewesen, weil er für die Zeit vom 25. Mai bis 13. Juni 1964 als Flugbegleiter auf der Strecke L - J - L eingesetzt gewesen sei. Das LSG gehe auch zu Unrecht davon aus, daß die Nahrungsaufnahme schlechthin vom Unfallversicherungsschutz ausgeschlossen sei. Er habe sich selbst um die Zubereitung der Mittags- und Abendmahlzeiten kümmern müssen und sei auf die Bedingungen des Landes angewiesen und somit einer besonders großen Ansteckungsgefahr durch die einheimische Bevölkerung ausgesetzt gewesen. Zumindest liege eine Berufskrankheit vor, wie Prof. Dr. M festgestellt habe. Dessen Auffassung habe sich der Deutsche Entwicklungsdienst angeschlossen. Der Ansicht des LSG, das fliegende Personal der DLH sei keinem erhöhten Ansteckungsrisiko ausgesetzt, könne nicht gefolgt werden. Zwar stütze sich das LSG auf Zahlen, die im tropenärztlichen Gutachten der D R und S wiedergegeben worden seien; diese hätten jedoch nicht beachtet, daß das zugrunde gelegte Zahlenmaterial auf Angaben der Beklagten über Erkrankungsfälle der Jahre 1964 bis 1971 beruhe, das nicht vollständig sei. Die Beklagte habe selbst erklärt, sie könne die Zahl der Hepatitiserkrankungen nicht angeben, weil es ihr aus zeitlichen und persönlichen Gründen nicht möglich sei, mehrere Tonnen Lochkarten durchzuarbeiten. Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, des Urteils des SG Frankfurt a. M. vom 28. November 1969 sowie des Bescheides der Beklagten vom 28. Juli 1965 diese zu verurteilen, ihm für die Folgen der Virus-Leber-Erkrankung Verletztenrente nach einer MdE um 20 v. H. für die Zeit vom 1. November 1964 bis 31. Oktober 1965 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich im wesentlichen auf das angefochtene Urteil und führt darüberhinaus aus: Zumindest seit 1968 würden Hepatitis-Fälle beim Bordpersonal der DLH besonders aufgezeichnet. Hier ergebe sich keine gegenüber den z. B. bei Siemens auf Außenmontage Tätigen besonders hohe Erkrankungsquote. Im übrigen sei es die einhellige Auffassung unter Tropen- und Gewerbemedizinern, daß die Hepatitis infectiosa als ubiquitär vorkommend und nicht nur in den Tropen bevorzugt auftretend, nicht zu den Tropenkrankheiten gerechnet werden könne.
Entscheidungsgründe
Die durch Zulassung statthafte Revision des Klägers ist insoweit begründet, als das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen ist.
Im vorliegenden Fall geht es um Rente für bereits abgelaufene Zeiträume, da der Kläger vor dem SG, das am 28. November 1969 entschieden hat, nur Rente bis zum 31. Oktober 1965 beantragt hatte. Die Berufung ist sonach gemäß § 145 Nr. 2 SGG grundsätzlich ausgeschlossen. Hierauf ist das LSG nicht eingegangen. Um einen Streit nach § 150 Nr. 3 SGG, der die Berufung zulässig machen würde, handelt es sich aber nicht, wenn lediglich streitig ist, ob eine Berufskrankheit vorliegt (vgl. BSG in SozR Nr. 15 zu § 150 SGG). Der erkennende Senat ist trotzdem von einer Zulässigkeit der Berufung nach § 150 Nr. 3 SGG ausgegangen, weil das SG auch geprüft hat, ob ein Arbeitsunfall vorliegt, und das Erstgericht es nicht als wahrscheinlich erachtet hat, daß die Infektion während der Arbeit eingetreten ist. Deshalb ist hinsichtlich der hier ebenfalls streitigen Frage des Vorliegens eines Arbeitsunfalls der ursächliche Zusammenhang einer Gesundheitsstörung "mit einem Arbeitsunfall" als in tatsächlicher Hinsicht streitig anzusehen. Da es im vorliegenden Verfahren darum geht, ob die Erkrankung des Klägers ein Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit ist, und es sich dabei um einen einheitlichen Anspruch handelt, war die Berufung in vollem Umfang zulässig.
Zwischen den Beteiligten ist in der Revision unstreitig, daß sich der Kläger während seines 19-tägigen Aufenthaltes in Lagos/Nigeria vom 25. Mai bis 13. Juni 1964 eine Hepatitis infectiosa - im Schrifttum auch epidemica genannt (vgl. LSG-Akte Bl. 133, 140 und Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 252. Aufl. 1975 S. 481) - zugezogen hat. Streit herrscht allein darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger wegen dieser Erkrankung Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.
Dabei ist das LSG zunächst zutreffend davon ausgegangen, daß die Hepatitis infectiosa des Klägers nicht als Folge eines Arbeitsunfalles im Sinne des § 548 RVO angesehen werden kann. Für Unfälle im Ausland und die Beurteilung, ob es sich im Einzelfall um einen Arbeitsunfall handelt, gelten regelmäßig dieselben Grundsätze wie für Unfälle im Inland (Lauterbach, Kommentar zur Unfallversicherung, 1. Bd., 3. Aufl., Stand Mai 1975 Anm. 37 a zu § 548 RVO), das heißt also, es muß u. a. ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der unfallbringenden Tätigkeit und dem Gesundheitsschaden bestehen. Die hierfür erforderliche Voraussetzung, nämlich daß der Kläger sich die Hepatitis durch einen "Unfall" während seiner dienstlichen Tätigkeit und nicht bei rein persönlichen, von der Betriebstätigkeit nicht mehr beeinflußten Verrichtungen zugezogen hat, ist jedoch, wie das LSG zu Recht ausgeführt hat, nicht dargetan. Entgegen der Meinung der Revision und wohl auch des LSG kann der 19-tägige Aufenthalt in L nicht als "eine Arbeitsschicht" im Sinne des für § 548 RVO geltenden Unfallbegriffes angesehen werden. Denn unter dem Begriff "Arbeitsschicht" ist nur ein verhältnismäßig kurzer Zeitraum, nämlich ein bestimmter, wenn auch nicht kalendermäßig genau bestimmbarer Tag zu verstehen (vgl. Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. II, Stand März 1975, S. 480 b mit zahlreichen Nachweisen aus Rechtsprechung und Schrifttum). Gesundheitsschädliche Einwirkungen eines derart langen Zeitraumes können allenfalls Ansprüche wegen einer Berufskrankheit begründen.
Das LSG hat insoweit zutreffend das Vorliegen einer beruflichen Infektionskrankheit nach § 551 Abs. 1 RVO i. V. m. Nr. 37 der z. Zt. der Erkrankung des Klägers im Mai/Juni 1964 geltenden Anlage zur 6. BKVO vom 28. April 1961 (BGBl I 505) verneint, da er nicht in den dort in der Spalte III enumerativ aufgeführten Anstalten tätig gewesen ist. Zwar hat die 7. BKVO vom 20. Juni 1968 (BGBl I 721) hinsichtlich des geschützten Personenkreises in Nr. 37 der Anlage eine Erweiterung insofern gebracht, als nunmehr auch Personen vom Versicherungsschutz erfaßt werden, die "durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt" waren. Hierauf kann sich der Kläger jedoch nicht mit Erfolg berufen, da der genannten Bestimmung keine Rückwirkung beigelegt worden ist (vgl. §§ 9, 11 der 7. BKVO: siehe auch Wagner/Wolff, BG 1968, 347, 349).
Die Revision muß jedoch deshalb Erfolg haben, weil das LSG zu Unrecht davon ausgegangen ist, daß die Erkrankung des Klägers an Hepatitis infectiosa keine Tropenkrankheit im Sinne der Nr. 44 der Anlage zur 6. BKVO darstellt.
Der erkennende Senat hat bereits in seinem Urteil vom 19. September 1974 (SozR 5676 Anl. Nr. 44 6. BKVO Nr. 1) darauf hingewiesen, daß der Begriff "Tropenkrankheiten" im Gesetz selbst nicht genannt oder erläutert ist. Unter Bezugnahme auf die zu Nr. 44 der Anlage zur 6. BKVO vom Bundesminister für Arbeit herausgegebenen Merkblätter, die nur Beispiele angeben und zudem nicht Bestandteil der BKVO sind (siehe Urteil des Senats vom 19. September 1974 aaO S. 3 und die herrschende Meinung in der Literatur - vgl. Lauterbach aaO., 3. Bd., 3. Aufl., Anhang Nr. 3 b S. 80; Brackmann aaO., S. 492 n; Koetzing/Linthe, Die Berufskrankheiten, 1969, S. 234 und 1962, S. 151; Podzun, Der Unfallsachbearbeiter, 3. Aufl., Kennzahl 240, S. 13) hat er die Tropenkrankheiten als vorwiegend den Tropen und Subtropen eigentümliche Erkrankungen definiert, die infolge der besonderen klimatischen und anderen Verhältnisse dort bevorzugt auftreten. Der Senat hat außerdem unter Bezugnahme auf Bauer/Engel/Koelsch/Krohn/Lauterbach (Arbeit und Gesundheit, Heft 29, S. 406) ausgeführt, daß der Begriff "Tropenkrankheiten" aus seiner Entstehungsgeschichte heraus weit zu fassen ist und die Tatsache allein, daß eine sonst den Tropen vorwiegend eigentümliche und dort besonders häufig vorkommende Erkrankung "sporadisch" bzw. "ab und zu" auch außerhalb der Tropen und Subtropen beobachtet wird, es nicht rechtfertigt, eine Entschädigung mit der Begründung abzulehnen, daß nur Krankheiten, die den Tropen und Subtropen ausschließlich eigentümlich seien, als Tropenkrankheiten in Betracht kommen (vgl. Reichsversicherungsamt - RVA -, EuM 29, 232, 233; Bauer/Engel/Koelsch/Krohn in Arbeit und Gesundheit, Heft 12, 1929 S. 247; Bauer/Engel/Koelsch/Krohn/Lauterbach aaO., S. 406; Podzun, Fortbildung und Praxis - WzS - Heft 32 2. Aufl. 1968, S. 102). Hieraus hat der Senat weiter den Schluß gezogen, aus dem Umstand, daß eine Krankheit auf der ganzen Welt anzutreffen sei, dürfe allein noch nicht gefolgert werden, daß sie deshalb unter keinen Umständen zu den Tropenkrankheiten gezählt werden könne (vgl. SozR 5676 aaO., S. 3).
Zwar ist im vorliegenden Fall das LSG von der oben angeführten Definition des Begriffs "Tropenkrankheiten" ausgegangen. Es hat dabei jedoch verkannt, daß diese vom erkennenden Senat entwickelte Begriffsbestimmung ganz allgemein auf die Verhältnisse des jeweiligen Landes, insbesondere die klimatischen, hygienischen und dort herrschenden allgemeinen Lebensbedingungen zu beziehen ist. Es kommt daher nicht entscheidend auf die im jeweiligen Einzelfall vorhandenen Umstände und die konkret betroffene, in den Tropen eingesetzte Person an, sofern nur nachgewiesen ist, daß der Versicherte sich die Krankheit bei seinem Aufenthalt in den Tropen oder Subtropen zugezogen hat. Denn es kann bei der Eigenart der in den Tropen herrschenden Verhältnisse und dem in aller Regel unbemerkbaren Vorgang der konkreten Ansteckung kaum jemals nachgewiesen werden, bei welcher Gelegenheit die Infektion erfolgt ist, d. h. ob sie hier etwa beim Frühstück eingetreten ist, zu dem die Zutaten - abgesehen von Früchten - aus Deutschland eingeflogen worden sind (LSG-Urteil S. 15/16) oder bei den anderen Mahlzeiten, hinsichtlich deren es den Besatzungsmitgliedern "freigestellt" war, wo sie sie einnahmen (Urt. S. 16). Die Berufskrankheit unterscheidet sich gerade dadurch vom Arbeitsunfall, daß ein einmaliges, plötzliches Infektionsereignis nicht nachgewiesen werden muß, sondern daß es genügt, wenn der Versicherte durch seine Berufstätigkeit einer "erheblich größeren Erkrankungsgefahr" ausgesetzt war (vgl. SozR 5676 aaO S. 4). Daß dies gerade bei den Tropenkrankheiten so zu verstehen ist, ergibt sich auch aus der durch die Zweite Verordnung über die Ausdehnung der Unfallversicherung auf Berufskrankheiten vom 11. Februar 1929 (RGBl I, 27) erfolgten generellen Entschädigung der Tropenkrankheiten der in den "Betrieben der Seeschiffahrt" beschäftigten Versicherten, die ohne Rücksicht darauf gewährt wurde, ob die Seeleute an der Tropenkrankheit während ihrer Tätigkeit im Schiffsdienst, ihrer dienstlichen Betätigung an Land oder während des Urlaubs in eigener Sache an Land befallen wurden (vgl. Bauer/Engel/Koelsch/Krohn aaO. Heft 12, 1929, S. 247; Koetzing/Linthe aaO. 1962 S. 152). Dem entspricht auch die bindende Regelung des § 4 der 3. BKVO vom 16. Dezember 1936 (RGBl I, 1117), wonach bei Tropenkrankheiten den in Betrieben der Seeschiffahrt Versicherten Entschädigung auch dann gewährt wird, wenn sie sich die Krankheit zugezogen haben, während sie in eigener Sache an Land beurlaubt waren; das gilt nicht, wenn sie die Krankheit selbst verschuldet haben. Diese Bestimmung gilt auch für die 6. BKVO; denn die 4. BKVO vom 29. Januar 1943 (RGBl I, 85) änderte zwar Teile der 3. BKVO, nicht aber die erwähnte Bestimmung, und die 5. BKVO vom 26. Juli 1952 (BGBl I 395) gibt der Anlage zur BKVO lediglich eine neue Fassung, ebenso im wesentlichen die 6. BKVO. Bemerkt sei, daß in § 2 der hier nicht anwendbaren 7. BKVO bestimmt ist, Tropenkrankheiten seien in der See-Unfallversicherung auch versichert, wenn die Versicherten in "eigener Sache an Land beurlaubt" waren; hier ist also die frühere Einschränkung, daß bei selbstverschuldeter Erkrankung an Land keine Entschädigung gewährt wird, entfallen (vgl. dazu auch Podzun, Der Unfallsachbearbeiter 3. Aufl. Kennzahl 240, S. 15). Weitere Ausführungen zur Frage einer selbstverschuldeten Krankheit erübrigen sich hier, weil ein solches "Verschulden" des Klägers nicht festgestellt ist. Für die Frage, ob eine Tropenkrankheit vorliegt, ist sonach nicht wesentlich zwischen betrieblichen und eigenwirtschaftlichen Tätigkeiten zu unterscheiden; vielmehr kommt es entscheidend darauf an, ob die betreffende Krankheit zu den den Tropen vorwiegend eigentümlichen Krankheiten zählt, die infolge der dort bestehenden Verhältnisse, denen der Versicherte durch seinen betrieblich bedingten Aufenthalt ausgesetzt ist, "besonders häufig auftritt" (vgl. aaO 56 76 S. 3).
Dies ist jedoch für eine in Nigeria/West- bzw. Schwarzafrika erworbene Hepatitis infectiosa - nur über diese Erscheinungsform der Lebererkrankung war hier zu entscheiden - der Fall. Denn die Sachverständigen Dr. R und Dr. S, auf deren Gutachten sich das LSG gestützt hat, haben auf Bl. 6/7 des Gutachtens (Bl. 133 LSG-Akten) ausgeführt, neue Beobachtungen und statistische Untersuchungen während der letzten Jahre hätten ergeben, daß die Infektionsgefahr der Bevölkerung an Hepatitis infectiosa in der Bundesrepublik Deutschland sich sehr vermindert habe und sich lediglich unter den Angehörigen der Heil- und Pflegeberufe noch eine vermehrte Häufigkeit von Erkrankungen finde. Ganz anders habe sich gezeigt, daß der Aufenthalt in Entwicklungsländern mit mangelhaften hygienischen und sanitären Verhältnissen für Europäer auch heute noch ein stark erhöhtes Infektionsrisiko an Hepatitis infectiosa mit sich bringe, wobei die Häufigkeit der Erkrankung mit einem vermehrten Kontakt zur einheimischen Bevölkerung deutlich zunehme (Bl. 134 GA). In einem dem Gutachten beigefügten Bericht heißt es, daß eine direkte Abhängigkeit der Erkrankungshäufigkeit zum Standard der sanitären und hygienischen Lebensverhältnisse der Bewohner bestehe (Bl. 140 GA); der nach Berufsgruppen aufgeschlüsselten Statistik über die Hepatitishäufigkeit im In- und Ausland (Bl. 142 GA) ist zu entnehmen, daß das Erkrankungsrisiko z. B. von Mitarbeitern der S-AG im Landesinneren von Entwicklungsländern auf Montage das 24-fache, das von Entwicklungshelfern sogar das 100 bis 110-fache im Vergleich zur Gesamtbevölkerung betragen hat. Diese Auffassung stimmt im wesentlichen mit den Ausführungen des Tropensachverständigen Prof. Dr. M in einem in einem Parallelverfahren eingeholten Gutachten vom 25. Oktober 1974 überein, das sich in den LSG-Akten befindet und das vom LSG ebenfalls gewürdigt worden ist (Urteil S. 16 und 19). Dieser weist darauf hin, daß in tropischen Ländern mit ungünstigen hygienischen Bedingungen die Möglichkeit, sich eine Hepatitis-Infektion zuzuziehen, viel eher gegeben sei, als in europäischen Breiten und demzufolge der Deutsche Entwicklungsdienst - DED - für alle Entwicklungshelfer die Erkrankung an Hepatitis während ihres dortigen Einsatzes als Berufskrankheit anerkenne (Bl. 168 GA).
Prof. Dr. M hat gerade hinsichtlich einer in den Tropen bzw. Subtropen erworbenen Hepatitis epidemica das Vorliegen einer Tropenkrankheit ausdrücklich bejaht und dem Hinweis, daß diese Krankheit auch in Deutschland vorkomme, entgegengehalten, daß es in Deutschland doch meist ganz bestimmte Bedingungen seien, unter denen diese Erkrankung auftrete, und daß die allgemeine Gefährdung, sich eine solche Krankheit zuzuziehen, nicht in dem Maße gegeben sei wie in tropischen Gebieten mit unzureichenden hygienischen Verhältnissen. Gerade in den letzten Jahren habe eine auffallend große Zahl von Hepatitis-epidemica-Erkrankungen bei Rückkehrern aus Westafrika - hierher gehört auch L als Hauptstadt von Nigeria -, Indien und Indonesien beobachtet werden können (vgl. Mohr, Hefte zur Unfallheilkunde, Heft 99, 1969 S. 325).
Demzufolge ist der Senat der Auffassung, daß eine in L, Westafrika erworbene Hepatitis infectiosa bzw. epidemica, sofern mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden kann, daß die Infektion dort stattgefunden hat, nach alledem als Tropenkrankheit anerkannt werden muß. Es geht aus den obigen Gründen nicht an, die im Auslandeinsatz stehenden Berufstätigen bei Auftreten der Hepatitis epidemica schlechter zu stellen, als diejenigen, die in diesen Ländern sich eine der ausdrücklich in Nr. 44 beispielhaft aufgezählten Tropenkrankheiten zugezogen haben (so zutreffend auch Mohr aaO. S. 325).
Zu Unrecht hat das LSG aufgrund der von den Gutachtern Dr. R und Dr. S angeführten statistischen Zusammenstellung über die Erkrankungsrate des fliegenden Personals der DLH, das nur das Doppelte im Vergleich zur Gesamtbevölkerung betrage, ein erhöhtes Erkrankungsrisiko im obigen Sinne verneint. Dabei kann dahinstehen, daß - wie die Revision zutreffend rügt - das von den Gutachtern zugrunde gelegte Zahlenmaterial nicht vollständig ist (vgl. Schreiben der Beklagten Bl. 65 GA), weil die Fälle der Hepatitis-epidemica-Erkrankung erst seit 1968, also nach Eintritt des Versicherungsfalles, erfaßt worden sind - was auch die Beklagte einräumt - und daß das auf Bl. 141, 142 GA erwähnte Zahlenmaterial nicht erkennen läßt, daß Unterschiede zwischen Flügen in Entwicklungsländer und andere Staaten, deren hygienische Verhältnisse der Bundesrepublik Deutschland entsprechen, berücksichtigt worden sind. Denn für das Vorliegen einer Tropenkrankheit ist - wie oben bereits des näheren erörtert - ganz allgemein auf das jeweils in Betracht kommende Land oder Gebiet und nicht entscheidend auf die Art der Berufstätigkeit oder einen bestimmten Personenkreis abzustellen, sofern der Erwerb der Tropenkrankheit in dem Land mit wesentlich erhöhtem Erkrankungsrisiko nachgewiesen ist. Grundsätzlich genügt allein der berufliche Aufenthalt in den Tropen bzw. Subtropen, wenn und soweit er ein - wie hier - ungleich größeres Erkrankungsrisiko mit sich bringt. Ob für Luxushotels mit europäischem Standard etwas anderes gelten muß, kann unerörtert bleiben, da der Kläger nicht in einem solchen ständig untergebracht war.
Da das LSG weder über etwaige Heilbehandlungskosten, Verletztengeld noch über die beim Kläger vorliegende bzw. in der Vergangenheit vorgelegene Minderung der Erwerbsfähigkeit abschließend Feststellungen getroffen hat, war das Urteil aufzuheben und die Sache an dieses Gericht zurückzuverweisen, damit die notwendigen Feststellungen nachgeholt werden können.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen